Oktober 2002:
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offener Brief



Helga Zepp-LaRouche

Der folgende offene Brief der BüSo-Bundesvorsitzenden Helga Zepp-LaRouche an Bundeskanzler Schröder ist zugleich der Auftakt des Landtagswahlkampfes 2003 in Hessen

Neben zigtausend Faltblättern wurde der offene Brief per e-Mail an 8000 Wirtschaftsstellen in Deutschland versandt.





Herr Bundeskanzler, so können Sie die Wirtschaft aus der Krise führen!



Die kriegslüsternen Reden von US-Präsident Bush, Vizepräsident Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld lassen leider keinen Zweifel daran, daß die amerikanische Regierung fest entschlossen ist, einen Angriffskrieg gegen den Irak zu führen, obwohl erfahrene und respektierte UN-Waffeninspekteure bezweifeln, daß der Irak überhaupt über Massenvernichtungswaffen verfügt, und sich die Nachbarn des Irak auch nicht bedroht fühlen. Diese US-Regierung ist dabei, das gesamte Völkerrecht aus dem Fenster zu werfen und mit ihrer neuen Doktrin des Präventivkrieges das Faustrecht zum obersten Prinzip der internationalen Politik zu machen, nach dem Motto: "Macht schafft Recht!"

Fast die ganze Welt ist gegen diesen Krieg, selbst in Großbritannien ist ein Großteil des Establishments dagegen, und entgegen der manipulierten Darstellung in den amerikanischen Medien sind 70 Prozent der amerikanischen Bevölkerung gegen diesen Krieg und zudem der Meinung, die katastrophale Wirtschaftslage in den USA sei ein viel dringlicheres Problem. Paradoxerweise sieht die eigentliche militärische Führung die logistischen Voraussetzungen für den Krieg als nicht gegeben, während die sogenannten "Drückeberger-Falken", also Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz und Co. den Kriegsbeginn beschleunigt vorziehen wollen, um der wachsenden nationalen und internationalen Opposition zuvorzukommen.
Obwohl der Luftkrieg praktisch mit den verstärkten Schlägen gegen irakische Luftabwehrstellungen schon seit vier Wochen begonnen hat, muß alles getan werden, damit der tatsächliche Krieg hinausgeschoben und schließlich verhindert wird. Das ist immer noch möglich. Nichts wäre fataler als pessimistische Lethargie.

Denn wenn der Krieg erst einmal offiziell begonnen hat, sind alle Schleusentore zur Hölle geöffnet: Die Weltwirtschaft würde noch weiter ins Chaos stürzen, und dann droht wirklich der "Krieg der Zivilisationen", der Krieg des Westens gegen eine Milliarde Muslime. Die ganze Region vom Maghreb bis nach Indonesien droht dann in Flammen aufzugehen, und niemand könnte die Konsequenzen mehr überblicken. Es wäre ein Absturz der Menschheit in ein finsteres Zeitalter.

Um so dringender ist es, daß Sie, Herr Bundeskanzler, umgehend Notmaßnahmen ergreifen, um dem eskalierenden Kollaps des Weltfinanzsystems entgegenzuwirken und die deutsche Wirtschaft davor zu bewahren, im Kontext einer globalen Depression in den Abgrund gerissen zu werden. Das Wichtigste ist jetzt, ein Programm zur Schaffung produktiver Vollbeschäftigung nach den Prinzipien des Lautenbach-Plans zu verwirklichen.




Einige gute Nachrichten

Es ist eine gute Nachricht, daß der Stabilitätspakt offiziell gestorben ist und damit das Sparkorsett des Maastrichter Vertrags abgelegt werden kann. Der prominente französische Senator Phillipe Marini brachte es auf den Punkt, als er sagte: "Ich bin hocherfreut, daß sich Realismus in der Kommission durchgesetzt hat. Der Stabilitätspakt muß neu interpretiert werden... eigentlich existiert er gar nicht mehr."

Deutschland muß also nicht untergehen, nur weil die Banken und die Finanzmärkte bankrott sind. Deutschland gehört immer noch zu den Ländern, die über hochproduktive industrielle Kapazitäten verfügen. Es gibt Millionen von kreativen Arbeitskräften, gerade auch unter den Arbeitslosen, die zur &Üuml;berwindung der Wirtschaftskrise beitragen können, vorausgesetzt, Sie schlagen jetzt den richtigen wirtschaftspolitischen Kurs ein.

Weltweit mehren sich die Kräfte, die in der Verwirklichung eines "neuen Bretton-Woods-Systems" und dem Ausbau der "Eurasischen Landbrücke" die positive Alternative zu Depression und Krieg sehen. So hat soeben eine Mehrheit des italienischen Parlaments einer Resolution für eine neue internationale Finanzarchitektur zugestimmt, die auf die Vorschläge meines Ehemanns Lyndon LaRouche zurückgeht, und die Wirtschaftswachstum weltweit fördern und jegliche Form von Spekulation unmöglich machen soll.
Der Deutsche Bundestag sollte dringend ebenfalls die Einberufung einer Konferenz zur Errichtung eines neuen Bretton Woods beschließen und dabei mit dem italienischen Parlament und anderen Parlamentariern weltweit, die sich schon längst für diese Reorganisation ausgesprochen haben, zusammenarbeiten.

In Brasilien wurde Dr. Eneas Carneiro, auf dessen Initiative Lyndon LaRouche im Juni dieses Jahres die Ehrenbürgerschaft von Sao Paulo erhalten hat, gerade mit dem besten Stimmergebnis, das je ein Kongreßkandidat erreicht hat, ins Parlament gewählt und setzt sich jetzt mit seiner Fraktion für ein Neues Bretton Woods ein. ähnliche Entwicklungen bereiten sich in einigen anderen Ländern vor.

Unbestreitbare Tatsachen

Jede kompetente Wirtschaftspolitik für Deutschland muß von der unbestreitbaren Tatsache ausgehen, daß das Weltfinanzsystem hoffnungslos bankrott und die Weltwirtschaft dabei ist, immer tiefer in eine Depression zu stürzen. Argentinien ist zahlungsunfähig und droht als Nation auseinanderzubrechen.
Am Beispiel Brasiliens, das auf dem selben Weg ist, zeigt sich, warum der Internationale Währungsfonds (IWF) unrettbar bankrott ist: Weigert sich Brasilien, die Sparauflagen des IWF zu akzeptieren, wird seine Zahlungsunfähigkeit den Bankrott der US-Banken und damit das Ende des Systems auslösen, akzeptiert die neue Regierung aber die Sparauflagen, dann wird die brasilianische Wirtschaft vollends stranguliert. Damit wäre Brasilien ebenfalls zahlungsunfähig, was dann auch den Bankrott der US-Banken und damit des Systems nach sich zöge - eine Zwickmühle, aus der es keinen Ausweg gibt - außer dem, das man ein völlig anderes Spiel beginnt.



Aber das globale Finanzsystem hat noch viele andere existenzbedrohende Schwachpunkte. Japan stürzt immer tiefer in die Depression. Das Epizentrum der globalen Systemkrise jedoch sind die USA selbst, die mit 32 Billionen Dollar Verschuldung (Regierung, Firmen und Haushalte zusammengenommen) das höchstverschuldete Land in der Geschichte der Finanzmärkte ist. Dafür müssen die USA jährlich 7 Billionen Dollar an Schuldendiensten - das sind 70 Prozent (!) des Bruttoinlandsproduktes - aufbringen: mit anderen Worten, die USA sind bankrott! Also nicht nur Argentinien, Brasilien, Polen und die Türkei können ihre Schulden nicht bezahlen, die weltweite Gesamtverschuldung von 400 Billionen Dollar (Kredite, Termingeschäfte, Hypotheken etc.) ist unbezahlbar.

In Deutschland beträgt die Durchschnittsverschuldung pro Familie 21000 Euro, und das, obwohl das gesamte Sparaufkommen bei immerhin 1,9 Billionen Euro liegt. Das bedeutet, ein wachsender Teil der Familien ist sehr viel höher verschuldet als der Durchschnittswert angibt. Die Pro-Kopf-Verschuldung (einschließlich der Säuglinge und Kleinkinder) in Bremen etwa liegt bei 18000 Euro, in Berlin bei 16000 Euro und bei den meisten anderen Kommunen zwischen 12000-14000 Euro. In Nordrhein-Westfalen stehen von 23 Großstädten 21 unter der Finanzaufsicht der Landesregierung, und immer mehr Länder und Kommunen haben eine Zahlungssperre verhängt.

In den Berliner Koalitionsverhandlungen wurde davon ausgegangen, daß das Haushaltsloch nur 14 Milliarden Euro ausmache. Schon damit wäre die im Maastrichter Vertrag festgesetzte Drei-Prozent-Grenze der Verschuldung überschritten. Spätestens aber bei der nächsten Steuerschätzung im November werden neue Finanzlöcher sichtbar werden. Die Koalition will davon 11,6 Milliarden Euro durch eine Mischung von Einsparungen und Steuererhöhungen ausgleichen, die alle zu Lasten der Bevölkerung gehen, auf die eine neue Teuerungswelle zukommt, was bei vielen zu einer erheblichen Einschränkung des Lebensstandards führen wird.

Sparpolitik ist aber unter den Bedingungen einer gleichzeitigen Weltfinanzkrise und Depression das Allerverkehrteste: Jede Runde neuer Sparmaßnahmen zerstört weitere produktive Kapazitäten, so daß das Loch im Staatssäckel aufgrund schrumpfender Steuereinnahmen weiter wächst - so daß dann noch mehr gespart werden muß, usw. - eine Abwärtsspirale ohne Ende. Gleichzeitig sinkt das Vertrauen der Verbraucher, die Zukunftsangst wächst, die Arbeitslosigkeit steigt und die Massenkaufkraft sinkt.

Gebraucht wird ein großer Wurf

Zugegebenermaßen versuchen Sie, Herr Bundeskanzler, mit der Einrichtung des neuen Superministeriums unter der Leitung von Wolfgang Clement, zu dessen Aufgaben es gehören soll, die Pläne der Hartz-Kommission zu verwirklichen, gleichzeitig in die andere Richtung zu steuern. Es ist ohne Zweifel der richtige Ansatz, die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für die Unterstützung vor allem mittelständischer Betriebe und des Wiederaufbaus der flutgeschädigten Länder im Osten zu nutzen. Zehn Milliarden Euro für das Programm der Hartz-Kommission, die bei Erfolg aufgestockt werden sollen, sind ebenso nützlich und gerechtfertigt wie die reguläre Ausweitung der Kredite für Mittelstand und Kommunen durch die KfW. Diese Politik geht größtenteils in die richtige Richtung, aber die Perspektive muß sehr viel weiter gefaßt werden. Wenn eine ganze Kompanie aus dem obersten Stockwerk eines brennenden Hauses springen will, genügt es nicht, wenn die Feuerwehr unten ein Taschentuch als Sprungtuch aufspannt.



Schon jetzt droht die Zahl der Insolvenzen des Mittelstandes den prognostizierten Wert von 42000 in diesem Jahr zu übertreffen. Aber man darf diese Bereiche nicht an sich betrachten, wir befinden uns mitten in einem unaufhaltsamen Crash. Seit März 2000 haben die Märkte einen Wertverlust an Aktien von rund 17 Billionen Dollar zu verzeichnen. Die Commerzbank verlor 70 Prozent ihres Aktienwertes, die anderen Großbanken büßten über die Hälfte ein, Versicherungsanstalten sind in den Keller gestürzt, allein der Aktienwert der Allianz Versicherung ist auf ein Viertel geschrumpft.

Die wiederholten Versuche von Zentral- und Investmentbanken, einen Domino-Effekt auf das Finanzsystem durch die massive Zuführung von Liquidität aufzuschieben, haben eine immer kurzlebigere Wirkung. Und jede solche rein monetaristische Intervention macht das Problem noch schlimmer, zerstört weltweit noch weitere produktive Kapazitäten. Die Kernschmelze des Systems ist in vollem Gang, und nichts in der Welt wird dieses System retten.

Die Wirtschaftspolitik, die Deutschland jetzt braucht, darf deshalb kein Flickenteppich sein, bei dem gute wie schlechte Aspekte bunt gewürfelt sind, sondern wir brauchen den großen Wurf. Wir müssen die Wirtschaftspolitik für den Wiederaufbau nach dem Crash, nach dem Ende des IWF-Systems konzipieren, denn dieses ist näher, als die meisten Menschen sich vorstellen können. Es ist zwar nicht falsch, zu versuchen, mit kurzfristigen Interimsprogrammen eine weitere Zerstörung produktiver Kapazitäten aufzuhalten, aber man muß sich darüber im klaren sein, daß sie als solche keinen dauerhaften Erfolg haben können. Denn das Kernproblem besteht darin, daß das globale System am Ende ist, es gibt keine Optionen innerhalb des Systems mehr.

Von den Regierungen Italiens, Frankreichs und Deutschlands wurde jetzt zum Ausdruck gebracht, daß die Kriterien des Maastrichter Vertrag "wachstumsorientiert" neudefiniert werden müßten. Richtig, aber was heißt das denn? Zunächst muß man sich kompromißlos klarmachen, daß der ganze Maastrichter Vertrag auf der Basis von Annahmen verabschiedet wurde, die sich jetzt für jedermann erkennbar als falsch herausgestellt haben, nämlich im wesentlich auf den Annahmen einer neoliberalen, monetaristischen Politik. Und das Geschrei der neoliberalen Wirtschaftspresse über das Ende des Stabilitätspakts wird um so lauter, je offensichtlicher der Bankrott der neoliberalen Politik wird.

List und Lautenbach

Das Zauberwort für Deutschland heißt Friedrich List. Er war es, der die theoretischen Grundlagen für die industrielle Revolution in Deutschland gelegt hat, und der den Unterschied zwischen dem "Amerikanischen System", also einem dirigistischen, am Gemeinwohl orientierten Wirtschaftskonzept, und dem "britischen System", also dem oligarchischen Freihandelskonzept nach dem Prinzip: "Billig kaufen, teuer verkaufen" klar herausgearbeitet hat.

Als der Ökonom und Mitarbeiter des Reichswirtschaftsministeriums Dr. Wilhelm Lautenbach im September 1931 vor einer Konferenz der Friedrich List-Gesellschaft den später nach ihm benannten Plan vorlegte, gründete er seine Vorschläge auf der Wirtschaftstheorie von List. Dr. Lautenbach argumentierte, daß unter den gleichzeitigen Bedingungen von Weltfinanzkrise und Depression die normalen Marktmechanismen nicht mehr griffen, weil bei Deflation die Kaufkraft sinke. Deshalb könne nur der Staat eingreifen, um die Krise zu überwinden.



Die vorrangigste Aufgabe sei es, schrieb er, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Zu diesem Zweck müsse der Staat eine Anschubfinanzierung für Projekte vornehmen, in die auch investiert würde, wenn es der Wirtschaft gut ginge. Sie müßten außerdem dem Gemeinwohl dienen und zu einer realen Kapitalbildung führen. Die direkten und indirekten Folgen einer solchen produktiven Kreditvergabe hätten einen so belebenden Effekt auf die Gesamtwirtschaft, daß nicht nur der volkswirtschaftliche Kostenfaktor für die Arbeitslosigkeit beseitigt würde, sondern das Steueraufkommen letztlich immer größer sei als die ursprünglich ausgegebenen Kredite.

Bekanntlich wurde dieses Programm in Deutschland nicht verwirklicht, wohl aber im Prinzip von Franklin D. Roosevelt, der mit diesem Konzept der staatlichen Kreditfinanzierung Amerika aus der tiefen Depression der dreißiger Jahre herausholte. Wäre der Lautenbach-Plan in Deutschland zur gleichen Zeit umgesetzt worden, hätten in den folgenden zwei Jahren die sozialen Bedingungen beseitigt werden können, die Hitlers Machtergreifung ermöglichten, und es wäre nie zum Zweiten Weltkrieg gekommen.

Der Ausweg aus der Wirtschaftskrise liegt in der physikalischen Realwirtschaft. Um diese einzige Lösung zu verwirklichen, bedarf es allerdings einer nicht geringen geistigen Anstrengung. Denn es bedeutet eine völlige Abkehr von dem ruinösen "Paradigma", das Deutschland seit Mitte der 60er erfaßt hat. Die Transformation von einer produktiven Gesellschaft zu einer Gesellschaft von Konsumenten, die überzeugt sind, daß nicht produktive Arbeit und Investition in wissenschaftliche und technologische Erneuerung, Profit erzeugt, sondern daß Börsengänge und Spekulation dies tun, daß also Geld Geld einbringt, - dieser Wandel muß rückgängig gemacht werden.

Leider verfügt ein Großteil der Bevölkerung nicht einmal mehr über die Spur einer Erinnerung an die Prinzipien, die gültig waren, als die Wirtschaft noch funktionierte. Wer in den heutigen Unternehmensführungen kennt noch die wirtschaftstheoretischen Grundlagen der Politik Schumachers, Adenauers, Monnets oder Erhards? Das Studium der Prinzipien der physischen Ökonomie, wie sie sich seit Colbert und Leibniz über List zu den Careys, Mendelejew und Witte bis hin zu LaRouche entwickelt hat, ist unerläßlich. Es gibt keine Abkürzung und keinen Schnellaufzug, und erst recht keinen "Mausklick" von der Herbertstraße zum Mont Blanc - man muß den Berg schon selbst besteigen.

Kein Ausweg ohne Neues Bretton Woods

Es gibt für Deutschland keinen Ausweg, wenn nicht das hoffnungslos bankrotte internationale Finanzsystem durch ein neues Bretton-Woods-System reorganisiert wird, denn Deutschland ist keine Insel auf einem anderen Stern. Das Beste, was Deutschland deshalb in seinem eigenen Interesse tun kann, ist, die dringende Notwendigkeit einer solchen Notkonferenz auf die internationale Tagesordnung zu setzen. Was hindert den Deutschen Bundestag daran, dem Beispiel des italienischen Parlaments zu folgen, und überparteilich die Organisation einer solchen Konferenz zu beschließen? Was hindert Sie, Herr Bundeskanzler, dies vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen vorzuschlagen? Sieht nicht die ganze Welt, daß dieses System am Ende ist? Es kann nicht Schicksal der Menschheit sein, daß ein lächerlich kleiner Prozentsatz der Weltbevölkerung von der "Boutique-Wirtschaft" profitiert, in der wenige Kaviar und Armani genießen können, und ganze Kontinente verhungern!



Jetzt, wo die dramatische Weltfinanzkrise nicht mehr zu leugnen ist, und nachdem selbst Romano Prodi erkannt hat, daß der Maastrichter Stabilitätspakt "dumm" war, besteht die Chance, daß einige Staaten in Europa zu einem System von Nationalbanken zurückkehren, die nach dem Vorbild der KfW in der Wiederaufbauphase nach 1945 Entwicklungskredite mit langen Laufzeiten und einem Zinsniveau 1-2 Prozent zur Verfügung stellen. Die Kreditvergabe muß dabei an den Ausbau eines europäischen Infrastrukturprogramms im Rahmen eines gesamteuropäischen Verkehrswegeplans geknüpft sein. Das Weißbuch von Jacques Delors von 1993, das bekanntermaßen die wichtigsten Ideen des von uns 1990 veröffentlichten Programms des "Produktiven Dreiecks Paris-Berlin-Wien" aufgegriffen hatte, kann dabei als sofort umsetzbare Richtschnur dienen.

Die Beseitigung der Flutschäden in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro soll in dieses Programm integriert werden, denn es geht nicht nur darum, die zerstörte Infrastruktur so aufzubauen, wie sie vorher war, sondern gleich die Verbesserungen vorzunehmen, die den Wiederaufbau der industriellen Kapazitäten in den neuen Bundesländern ermöglichen, die vorher dem Privatisierungs-Kahlschlag der Treuhand unter Birgit Breuel zum Opfer gefallen waren. Es könnte sofort mit dem Bau der schon in der Diskussion befindlichen Transrapid-Strecken Amsterdam-Hamburg-Berlin, Berlin-Warschau und Berlin-Dresden-Prag begonnen werden. Dabei kann man von der Faustregel ausgehen, daß für jeweils 250 Kilometer Trassenbau für den Transrapid fünf Milliarden Euro an Investitionsvolumen erforderlich sind und bis zu 100000 Arbeitsplätze für die Bauzeit geschaffen werden.

Solche wirtschaftlichen Vorrangprojekte sind der notwendige Investitionsrahmen, damit solche Ideen wie das "Jobfloater-Programm" der Hartz-Kommission auch greifen. Dabei gilt generell die gleiche Regel "5 Milliarden = bis zu 100000 Arbeitsplätze", nur so kann der erhoffte Effekt für die Rettung der mittelständischen Betriebe erreicht werden. Wenn die genannten drei Transrapid-Projekte gebaut werden, würden alleine damit in Deutschland etwa 300000 Arbeitsplätze geschaffen werden, und eine ähnliche Anzahl in Polen und Tschechien. Eine ähnliche Herangehensweise ist für den Ausbau der europäischen Binnenschiffahrt sinnvoll, z.B. für den nach der Flutkatastrophe offensichtlichen Ausbau von Elbe und Oder und die Anbindung Berlin-Oder. Moderne Binnenwasserwege sind nach wie vor der billigste Transportweg für Massen- und Schwergüter.

Exportmotor Eurasische Landbrücke

Auch wenn mit diesem Ansatz schon sehr viel in Richtung produktiver Vollbeschäftigung getan werden kann, so ist Deutschland natürlich als immerhin zweitgrößte Exportnation auch Teil der Weltwirtschaft. Deutschland verfügt ebenso wie Japan über so gut wie keine Rohstoffe, aber die deutsche Wirtschaft ermöglichte vor dem neoliberalen Paradigmawandel trotzdem einen sehr hohen Lebensstandard (einschließlich eines ehemals vorbildlichen Gesundheits- und Bildungssystems).

Die Globalisierung hat ganze Kontinente in die Armut gestürzt, und damit viele traditionelle Exportmärkte Deutschlands zerstört. Wo finden wir also heute wachsende Exportmärkte und Kunden mit wachsender Kaufkraft?



China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen und Indien mit rund einer Milliarde Menschen stellen solche expandierenden Exportmärkte dar, die zudem gerade die entwickelten Technologien dringend brauchen, die den Stempel "Made in Germany" einst zum Qualitätssymbol machten. Der Ausbau der "Eurasischen Landbrücke", sozusagen die Erweiterung des "Produktiven Dreiecks" ist die offensichtliche Perspektive. Was liegt näher, als nach dem Fall der Mauer und dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs einen gesamteurasischen Verkehrswegeplan zu verwirklichen, der in ganz Eurasien mittelfristig die gleichen herausragenden infrastrukturellen Bedingungen schafft, wie sie jetzt nur in Teilen Westeuropas existieren? Damit werden durch sogenannte Entwicklungskorridore auch hervorragende Standortbedingungen für die Ansiedlung von Industrie und Landwirtschaft sowie den Bau vieler neuer Städte geschaffen.

Dabei ist es im ureigensten Interesse Deutschlands, durch entsprechende langfristige Exportkredite die Anstrengungen der Nationalbanken der beteiligten Länder zu unterstützen. Wir müssen uns allerdings vollständig von der Idee des "schnellen Geldes" und der Spekulationsgewinne an den Börsen verabschieden. Wir müssen an den Ausbau der Eurasischen Landbrücke mit der Philosophie der "gezielten Investitionslenkung" herangehen - ein Begriff, den Hermann Abs für die Herangehensweise der KfW beim Wiederaufbau nach 1945 prägte. Dabei müssen solche Projekte auf mindest 25 Jahre konzipiert werden. Etwa die gleiche Zeit nimmt auch die Entwicklung eines Säuglings zu einer produktiven Arbeitskraft in Anspruch. Nur wenn wir die Arbeitsproduktivkraft der Bevölkerung in den beteiligten Ländern anheben, wächst die Kaufkraft, und damit schaffen wir zahlungskräftige Nachfrage für unsere Exporte auf lange Sicht.

Alternative zum Krieg

Der Ausbau der Eurasischen Landbrücke ist nicht nur der offensichtliche Motor, mit dem die Weltwirtschaft aus der Depression geführt werden kann, sondern es liegt darin zugleich auch eine Perspektive zur Sicherung des Friedens. Wenn ganz Eurasien durch das höhere Interesse einer gemeinsamen wirtschaftlichen Entwicklung zum Vorteil aller miteinander verbunden ist, dann ist für den "Kampf der Kulturen" keinen Platz. Amerika, das über die Beringstraße mit diesem Projekt verbunden werden soll und dessen eigenen Infrastruktur kollabiert, hätte nur Vorteile davon, am Ausbau der Landbrücke bis zum südlichsten Zipfel Iberoamerikas mitzuarbeiten. Und Ägypten hat schon klargestellt, daß es seine Rolle darin sieht, Brückenkopf für die Weiterführung der Landbrücke nach Afrika zu sein.

Herr Bundeskanzler, im Zusammenbruch dieses alten Finanzsystems liegt auch eine großartige Chance. Es gibt eine Alternative zur Globalisierung, nämlich eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung, bei der völlig souveräne Nationalstaaten in einer Prinzipiengemeinschaft zusammenarbeiten. De Gaulle hätte das eine "Weltgemeinschaft der Vaterländer" genannt. China, Korea, Rußland, Indien, der Iran und einige Länder mehr sind bereits dabei, die Eurasische Landbrücke in diesem Geiste zu bauen.

Ich appelliere an Sie, auf diese Weise unsere Wirtschaft aus der Krise zu führen und diese Politik zugleich als aktive Kriegsvermeidungsstrategie vorzuschlagen. Jeder kann sehen, daß eine Fortsetzung der gegenwärtigen Trends nur in die Katastrophe führen kann. Also müssen wir die Tagesordnung der Weltpolitik ändern. Sie sind der Bundeskanzler! Wir helfen Ihnen!

Ihre Helga Zepp-LaRouche


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