Die Investmentbanken raten der Bundesregierung, die Bahn zu privatisieren - entweder mit oder ohne Schienennetz, über die Börse, oder in Einzelteilen, direkt an Investoren. In allen Fällen würde die Bahn über kurz oder lang nach Heuschreckenmanier ausgeschlachtet werden. Das beschreibt der stellvertretende Landesvorsitzende Alexander Hartmann in der folgenden Dokumentation.
Während man in einigen großen Städten die Hauptbahnhöfe aufgepeppt hat, hat man seit Jahren praktisch nichts mehr in die Gleisanlagen investiert. Das Bild wurde an der Bergstraße aufgenommen.
Als im Mai das im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums erstellte Primon-Gutachten über die Vor- und Nachteile eines Börsengangs der Bahn mit oder ohne Schienennetz bekannt wurde, schlugen die Wellen hoch. Bahnchef Mehdorn fordert die Privatisierung der Bahn mit Schienennetz, andere warnen vor einer "Verzerrung des Wettbewerbs", wenn die Bahn das Schienennetz betreibt, das auch von ihren Konkurrenten benutzt werden soll. Wenige Tage später ging durch die Medien, die Bundesregierung erwäge alternativ zu einem Börsengang der Bahn, Teile der Bahn direkt an sog. "Investoren" - im Volksmund auch "Heuschrecken" genannt - zu verkaufen.
Auch wenn hier offenbar noch keine endgültige Entscheidung getroffen wurde, eines ist jedoch angesichts dieser sich zuspitzenden Diskussion klar: Die Privatisierung der Bahn, die seit der Verschmelzung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn zur Deutschen Bahn im Jahr 1994 und ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft die Politik des Bahnmanagements bestimmte, soll demnächst - so oder so - angegangen werden.
Trotzdem rechnet die Deutsche Bahn auch 2006 nur mit einem Gewinn von 800 Mio. Euro - bei einem Umsatz von ca. 25 Mrd. Euro pro Jahr gerade mal 3,2% vom Umsatz; davon entfallen nur 393 Mio. Euro auf den Schienenverkehr, der Rest stammt aus Beteiligungen, z.B. von der Spedition Schenker, die zu 100% im Besitz der Deutschen Bahn ist.
Mehdorn hätte sogar satte Verluste eingefahren, wenn er nicht die Investitionen drastisch zurückgeschraubt hätte. Lagen die Investitionen der Bahn in den Jahren 1994-1997 noch zwischen 5 und 6 Mrd. Euro jährlich, sanken sie in den Jahren 1998-2001 auf etwa 3 Mrd. Euro jährlich, um nach einen zwischenzeitlichen Hoch von 5 Mrd. Euro im Jahr 2002 auf nunmehr nur noch 2,4 Mrd. Euro pro Jahr zu sinken, also weniger als die Hälfte des Wertes von vor 10 Jahren. Um denn ihr Schienennetz intakt zu halten, müßten jedoch rund 4-5 Mrd. Euro jährlich in die Erhaltung investiert werden. Faktisch investiert die Bahn derzeit also nur die Mittel in die Erhaltung, die sie vom Staat erhält, und fast nichts aus eigenen Mitteln.
Und das reicht eben nicht aus, das Netz instandzuhalten. So vermehrte sich die Zahl der sogenannten "Langsamfahrstrecken" - an denen die Züge aufgrund von Schäden am Schienennetz oder der Signaltechnik langsamer fahren müssen als vorgesehen - nach Angaben des Netzwerks Privatbahnen allein in Bayern und Baden-Württemberg um 32%. Diese Schäden reichen von schadhaften Brücken bis hin zu zugewachsenen Signalen.
Aber die Zahl der offiziellen "Langsamfahrstellen" verrät noch nicht den tatsächlichen Zustand des Netzes. Die Wirtschaftswoche zitierte am 15. Mai den Geschäftsführer des Netzwerks Privatbahnen Arthur-Iren Martini mit der Feststellung, die Bremsstellen würden jeweils bei der Fahrplanumstellung in den Plan eingearbeitet: "Damit sinkt offiziell die Zahl der Langsamfahrstellen und die Bahn kommt wieder pünktlich an ... Nun braucht die Bahn auf manchen Strecken wieder so lange wie vor 60 Jahren."
Aus den USA weiß man, daß dort etliche Bahngesellschaften nach der Privatisierung in den 70er Jahren eine ähnliche Politik der "Demontage durch Nichtinvestieren" betrieben, und stattdessen den Aktionären schöne Dividenden auszahlten - bis sie den Betrieb aufgrund technischer Mängel einstellen mußten. Ein weiteres Beispiel ist der Ruin des britischen Streckennetzes durch das privatisierte Unternehmen Railtrack, nach dessen Scheitern die britische Regierung das Bahnnetz wieder in staatliche Obhut nehmen mußte. Das gleiche droht über kurz und lang auch in Deutschland, und eine Privatisierung des Schienennetzes verstärkte dieses Problem noch massiv.
Der BVWP 2003 sieht aber auch vor, daß die Erhaltungsinvestitionen deutlich erhöht werden sollen - von 1,65 Mrd. Euro im Schnitt der 90er Jahre auf 2,56 Mrd. Euro jährlich bis 2015. Auch hier liegt man offenbar hinter dem Soll zurück - denn wenn 2005 insgesamt nur 2,4 Mrd. Euro investiert werden sollen, und hiervon noch rund ein Viertel in Neu- und Ausbauprojekte fließen, dann wird der bisherige Schnitt jedenfalls kaum übertroffen.
Immerhin steht in diesem Monat die Inbetriebnahme der Schnellbahnstrecke München-Nürnberg (171 km) bevor. Sie ist nach den Neubaustrecken Hannover-Würzburg (1991, 327 km), Mannheim-Stuttgart (1991), Hannover-Berlin (1998, 163 km) und Köln-Rhein/Main (2002, 177 km) das fünfte fertiggestellte Großprojekt, mit denen ein Schnellstreckennetz geschaffen wird.
Der Bau der Neubaustrecken Nürnberg-Erfurt und Erfurt- Leipzig/Halle, beide Teil der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, wurde 1999-2002 unterbrochen und seither in kleinen Schritten fortgeführt. Eine Inbetriebnahme wäre frühestens 2015 denkbar. Beide Strecken sind Teil der "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" (VDE) - die somit vermutlich auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung noch auf ihre Fertigstellung warten werden. Aber auch andere VDE-Schienenprojekte liegen noch weit hinter dem Plan zurück: VDE 1 (Lübeck-Stralsund) sollte 1998 fertiggestellt werden, aber bisher wurden erst 50% der nötigen Gelder investiert. Auch die Strecke Leipzig-Dresden (VDE 9) sollte 1998 fertiggestellt sein, derzeit ist das Jahr 2010 angepeilt. Bis 2012 soll die Strecke Karlsruhe-Offenburg folgen, weiterhin geplant sind Schnellstrecken von Wendlingen nach Ulm und vom Rhein/Main-Gebiet zur Rhein/Neckar-Region.
Und der wird vom Staat bezahlt. Im Rahmen der sogenannten "Regionalisierung" hat der Bund die Zuständigkeit für den Schienennahverkehr an die Länder abgegeben, denen er einen jährlichen Pauschalbetrag zahlt. Die beschließen, welche Verkehrsleistungen sie für notwendig halten, und schreiben diese Leistungen aus: Das Unternehmen, das den geringsten Zuschuß verlangt, erhält den Zuschlag. Da kein Unternehmen sich um Strecken bewerben wird, auf denen es Verluste erwarten muß, der Fahrkartenverkauf jedoch in der Regel nur 40% der Kosten deckt, zahlt der Staat in diesem Bereich grundsätzlich drauf.
Immerhin, hier hat sich in den letzten Jahren etwas getan - das Angebot der Züge wurde seit 1994 um 15% ausgeweitet, die Zahl der Passagiere hat sich im gleichen Zeitraum um 30% vermehrt. In diesem Bereich sind inzwischen neben der DB bundesweit rund 300 Eisenbahngesellschaften tätig, die derzeit rund 13,2% der Fahrleistungen erbringen. Zum Teil wurden sogar Strecken, die in früheren Jahren stillgelegt wurden, wiederbelebt, wobei in der Regel die erwartete Zahl der Fahrgäste deutlich übertroffen wurde.
Bisher liegen die "Regionalisierungsmittel" - der Zuschuß, den der Bund den Ländern zum Regionalverkehr zahlt - bei rund 7 Mrd. Euro jährlich. Insgesamt hat der Bund seit 1994 jährlich zwischen 17 und 22 Mrd. Euro an die Deutsche Bahn gezahlt. Derzeit verhandelt die Bundesregierung mit den Ländern über eine drastische Reduzierung der Regionalisierungsmittel. Das hätte jedoch sofort deutliche Auswirkungen auf den Schienennahverkehr. So kündigte der Nordhessische Verkehrsverbund an, falls die geplanten Kürzungen realisiert würden, müßten mehrere Strecken stillgelegt, auf anderen die Zahl der Fahrten auf die Hälfte reduziert, Neubauprojekte aufgeschoben und die Fahrpreise um 18% angehoben werden.
Ließ hier schon die bisherige Praxis stark zu wünschen übrig, so würde sich das nach einer tatsächlichen Privatisierung - alles, was die Bahn in den letzten 12 Jahren tat, geschah ja im "vorauseilenden Gehorsam" gegenüber den "Märkten" - wohl noch deutlich verschlimmern. So wird erwartet, daß die Bahn nach einer Privatisierung weitere 5 000 km, also noch einmal 15%, ihres Streckennetzes stillegt.
Aber im Zeitalter der "Heuschrecken" wäre noch weit Ärgeres zu erwarten, denn mit 3% Gewinn pro Jahr sind sie nicht abzuspeisen. Wo immer sie zum Zuge kamen, finden wir heute nur noch ausgeschlachtete Ruinen, wo einst blühende Unternehmen waren. Sie wären vor allem daran interessiert, einzelne Teile gewinnbringend zu versilbern, ohne Rücksicht darauf, was dies für den weiteren Betrieb bedeutet.
So wird allein das "rollende Material" der Bahn auf 40 Mrd. Euro geschätzt, was in einem ungeheuren Mißverhältnis zu dem Erlös - 5 bis 9 Mrd. Euro - stünde, der bei einem Börsengang der Bahn ohne Netz erzielbar wäre. Im Falle einer Übernahme der Bahn durch "Investoren" würde das frischgekaufte Unternehmen wohl postwendend in Filetstücke zerteilt und diese dann mit entsprechenden Profiten weiter veräußert.
Nachdem sich inzwischen lautstarker Widerspruch gegen die Bahnprivatisierung geäußert hat, kommt nun eine andere Variante ins Gespräch: Die Veräußerung von Teilen der Bahn direkt an Investoren. Vielleicht denkt sich unser Finanzminister: "Was die Heuschrecken können, können wir schon lange?" Immerhin läßt er sich von Investmentbanken und Unternehmensberatern wie Morgan Stanley oder Booz Allen Hamilton beraten.
Aber wer sagt Steinbrück, daß diese Berater nicht mehr das Interesse der Finanzinstitute im Auge haben, die hinter den Hedgefonds stehen, als das der Bundesrepublik Deutschland? Denn die Vorgehensweise der Finanzwelt folgt erschreckend oft einem Muster, das wir aus John Perkins Buch Bekenntnisse eines Economic Hitman zur Genüge kennen: Mit jedem "Geschäft", das man sich von diesen Beratern aufschwätzen läßt, wird die eigene Finanzlage schlechter, bis zuletzt das ganze Tafelsilber verkauft ist. Das gleiche Spiel haben die Heuschrecken in den letzten Jahren mit zahllosen mittelständischen Unternehmen gespielt. Und unter den potentiellen Käufern, die für Teile der Bahn im Gespräch sind, finden sich viele berüchtigte Namen, etwa Blackstone, KKR, Permira, CVC, Carlyle oder Goldman Sachs.
Die Gewerkschaft Transnet hat bereits Streiks für den Fall angekündigt, daß sich die Hinweise auf eine solche Zerschlagung der Bahn konkretisieren. Allerdings geht es ihr dabei weniger um die Erhaltung der Bahn als um die Einhaltung der mit der Bahn vereinbarten Beschäftigungsgarantie bis 2010.
Aber warum sollte die Bahn überhaupt gewinnbringende Beteiligungen wie z.B. die Spedition Schenker verkaufen? Warum sollte die Bundesregierung einer Privatisierung zustimmen, wenn sie diese nur durch eine Gewinngarantie in Form jährlicher Milliardenzuschüsse erreichen kann und dabei ihren bestimmenden Einfluß auf die Investitions- und Geschäftstätigkeit der Bahn verliert?
Da die Nationalbank selbst nur ihre Verwaltungskosten decken muß, aber selbst keine Finanzierungskosten hat, kann sie die Neu- und Ausbauinvestitionen der Bahn zu einem Zinssatz von 0,25% vorfinanzieren. Unter diesen Umständen gäbe es keine zwingenden Gründe, die jährlichen Investitionen der Deutschen Bahn für die Erhaltung ihrer Strecken nicht auf 5 Mrd. Euro anzuheben, und weitere 5 Mrd. Euro jährlich für Aus- und Neubauten anzusetzen. damit könnte das Gesamtvolumen der im jetzigen vorgesehenen Vorhaben BVWP einschließlich des weiteren Bedarfs trotz der bereits verlorenen Zeit deutlich früher fertiggestellt werden als geplant. Dies würde nicht zuletzt helfen, die Arbeitslosigkeit schnell zu reduzieren, denn ein großer Teil der Projekte des BVWP könnte sofort in Bau gehen.
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