Alfred Behnke ist Direktor der Oskar-von-Miller-Schule, einer Berufsschule in Kassel. Renate Leffek führte am 7. Januar 2005 mit ihm das folgende Interview, das wir nun mit freundlicher Genehmigung der Zeitung Neue Solidarität veröffentlichen.
Im Bild die Internetpräsenz (Ausschnitt) der Oskar-von-Miller-Schule.
Herr Behnke hat die nicht sehr häufig anzutreffende Fächerkombination Elektrotechnik und Politik studiert. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, einen sinnvollen Weg zu finden, Schüler für Technik und Politik/Wirtschaft zu interessieren. Durch seine optimistische Einstellung konnte er Hindernisse überwinden. Ihm war es ein Anliegen, Schüler auch charakterlich so zu bilden, daß sie ideelle Beiträge für die Gesellschaft zu leisten bereit sind. So ist es ihm wichtig, Themen über Wirtschaft und Politik mit in den Unterricht einzubauen, aber ebenso den Teamgeist zwischen Lehrern und Schülern zu fördern, was ihm in den 22 Jahren als Leiter dieser Schule sicherlich gut gelungen ist.
Renate Leffek
Zum Glück hat auch der sogenannte Zeitgeist unterschiedliche Facetten. Deshalb hoffe ich, daß viele Menschen die Worte des Oskar von Miller, unseres Namensgebers, auch so auffassen.
Diese Persönlichkeit fand ich gleich interessant und anziehend. Das war einer, der über den Tellerrand der Technik hinaussah, ein Pionier in seinem Metier, ein Unternehmer im Sinne des Wortes.
Als zehntes Kind eines Erzgießers studierte er Wasser- und Brückenbau, arbeitete an Eisenbahnprojekten mit, organisierte Elektrizitätsausstellungen, projektierte die Stromversorgung von Städten, u.a. auch von Kassel 1890, leitete den Bau von Kraftwerken und gründete das Deutsche Museum in München. Es war sein Werk, und dahinter steckte auch eine pädagogische Absicht, nämlich breiten Schichten der Bevölkerung Technik nahezubringen. Er wollte zeigen, daß Technik auch ein Bestandteil der Kulturen ist.
Er war Ingenieur, Organisator, Visionär und Volksbildner, der den Zusammenhang zwischen Technik, Geschichte, Wirtschaft und Kultur herstellte. Einer, der Technik auch als Möglichkeit zur Gestaltung von Arbeit sah. Er befürchtete, daß Politik und Gesellschaft den Fortschritten der Technik mit den notwendigen Regelungen, z.B. zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit, nicht folgen könnten. 1931 empfahl er dazu, die Arbeitszeit zu senken und den Verbrauch (Konsum) zu erhöhen.
Lebte er noch, dann hätte er die damals revolutionären Ideen gewiß weiterentwickelt.
Ein beachtlicher Teil der Vollzeitschüler wird auf eine Berufsausbildung vorbereitet. Darüber hinaus vermitteln wir in Theorie und Praxis eine berufliche Grundbildung in E-Technik und Metalltechnik, vorwiegend in Verbindung mit dem mittleren Abschluß. Sehr wichtig für uns ist die Fachschule für Elektrotechnik und Informationstechnik, denn sie gehört zum Bereich der beruflichen Weiterbildung, aus dem wir unsererseits wichtige Impulse von den Studierenden, die aus der Praxis kommen, für die Berufsschule empfangen. Wir bilden auch zum Staatlich geprüften technischen Assistenten für Informationsverarbeitung aus.
In der Berufsschule kann man inzwischen mit zusätzlichem Unterricht nicht nur den Hauptschul- und den Realschulabschluß (mittleren Abschluss), sondern auch die Fachhochschulreife erwerben. Letzteres machen nur wenige, weil die Anforderungen in der Berufsausbildung relativ hoch sind. Unsere Schüler müssen mehr Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen, eine viel aktivere Rolle im Unterricht als bisher spielen.
Wirtschaftliche Inhalte nehmen übrigens immer größere Anteile in Lehrplänen für moderne technische Berufe ein. Der Vortrag von Herrn Weißbach vom Schiller-Institut am 5. November 2004 in unserer Schule beleuchtete unsere jetzige wirtschaftliche Situation aus einer ungewohnten Perspektive. Er wurde von den Lehrkräften und Schülern als sehr interessant und bereichernd empfunden.
Es gibt aber keinerlei Beschränkungen, diese Themen nicht mit heranzuziehen, um das jetzige Pflichtprogramm, z.B. soziale Sicherungssysteme, arbeitsrechtliche Bestimmungen, Betriebsverfassung, Wirtschaftsordnungen, Organisation von Betrieben usw. historisch zu beleuchten.
Über die Grundrechte als Teil des Grundgesetzes gibt es durchaus Kenntnisse bei unseren Schülern, und den Staat hält man im Zweifel für allumfassend zuständig. Ich sehe eher ein Problem darin, sich verantwortlich für sich selbst, den Nächsten, die Umwelt zu fühlen, Eigeninitiative zu entwickeln, sein Leben bewußt zu gestalten. Wir wollen unsere Schüler befähigen, Technik und Arbeit mitzugestalten.
Werte vermitteln kann man wirksam nur, wenn man sie auch glaubwürdig vorlebt, praktiziert. Zivilcourage gedeiht dann, wenn ein solches Schulklima herrscht, daß Widerspruch und Kritik nicht sanktioniert, sondern als Hilfe zur Weiterentwicklung angesehen werden.
Für ganz wichtig halte ich es, daß Schüler dieser gefährdeten Klassen ernst genommen werden, daß man ihr Selbstwertgefühl stärkt, ihnen Gelegenheit gibt, zu erfahren, daß sie auch etwas können, z.B. in der Werkstatt und in der Sporthalle. Wir haben eine Fahrradwerkstatt, führen regelmäßig Waldprojekte durch und konnten sogar einen Kurs zum Erlernen des Trommelns einrichten. Hilfreich ist auch unsere gute Ausstattung der Schulgebäude und Unterrichtsräume. Die Cafeteria hat viel zum friedlichen Umgang miteinander beigetragen.
Für jugendliche Migranten setzen Spezialistinnen bei uns Bewährtes aus "Deutsch als Fremdsprache" ein und entwickeln das Programm selbst weiter. Deutsche Jugendliche können wir in der Berufsvorbereitung ähnlich fördern, aber in der Berufsausbildung geht das nicht mehr gesondert, sondern nur dadurch, daß viel Gelegenheit zum Sprechen und Schreiben gegeben wird und die Lehrkräfte die ärgsten Mängel gezielt bearbeiten. Soweit es sich um Nachlässigkeiten und mangelnde Kommunikationsbereitschaft handelt, hilft bei den ganz überwiegend männlichen Jugendlichen bei uns vielleicht der Hinweis, daß aus Befragungen hervorgehe, Frauen legten großen Wert auf kommunikative Fähigkeiten bei Männern.
Als besonders wirksam hat sich die Zusammenarbeit mit den Betrieben in gemischten Arbeitsgruppen von Ausbildern und Lehrkräften erwiesen, die sich regelmäßig treffen.
Die Politik und Wirtschaftsexperten besitzen nach meiner Ansicht durchaus ein Konzept. Das lautet vereinfacht gesagt so: Die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken, den Faktor Arbeit für die Unternehmen billiger machen, von Fachkräften viele zusätzliche überfachliche Qualifikationen (Team-, Kooperations-, Kommunikationsfähigkeit z.B.), viel Flexibilität und geringere Lohnzuwächse verlangen.
Was Sie aber meinen, geht natürlich weit darüber hinaus. Da müßte man das Wort "sozial" in unserer Wirtschaftsordnung, der Sozialen Marktwirtschaft, wieder ernster nehmen. Ludwig Erhard hatte ja die Rahmenbedingungen für einen sozialen Ausgleich geschaffen und ihre Einhaltung beschworen.
Sehr problematisch wird es für unsere Schüler in berufsvorbereitenden Schulformen, für diejenigen ohne Hauptschulabschluß, für viele aus sozial schwierigen Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund bei schwachen Deutschkenntnissen und unterentwickelter Arbeitshaltung. Hier müssen endlich veränderte Förderkonzepte, die längerfristig angelegt sind, und weitere Ausbildungsberufe mit entsprechend geringerem Anforderungsprofil entwickelt werden.
Da wir eine Bildungseinrichtung sind, können wir uns nicht mit bloßer Qualifizierung zufrieden geben. Es muß in einer Demokratie das Ziel staatlicher Schulen sein, junge Menschen zur Selbst- und Mitbestimmung und das heißt auch zur Mitgestaltung von Arbeit, Technik und Gesellschaft zu befähigen. Solche Schulen müssen Entsprechendes für ihre Schüler erfahrbar machen, vor allem im Unterricht, aber auch im Schulleben.
Wir stecken mitten im Umgestaltungsprozeß an unserer Schule. 25 unserer 74 hauptamtlichen Lehrkräfte haben im vergangenen Jahr ein systematisches Methodentraining absolviert. In diesem Jahr kommen weitere dazu. Resignation können wir uns nicht leisten. Einzelkämpfertum auch nicht. Mit Teamarbeit haben wir schon viel erreicht.
Die Rahmenbedingungen für die Lehrkräfte wurden in jüngster Zeit verschlechtert (Arbeitszeitverlängerung, Einkommenskürzungen). Das sollte jetzt aufhören, sonst geht zuviel Motivation verloren.
Nach gut 22 Jahren Schulleitertätigkeit sehe ich die Schule auf einem guten Weg. Sie wurde erweitert. Von den vorhandenen Gebäuden, Räumen und Ausstattungen sind etwa 80% saniert und modernisiert. Das Kollegium engagiert sich überdurchschnittlich. Wir haben eine Teamstruktur, kooperieren gut mit unserem Umfeld, insbesondere mit den Ausbildungsbetrieben, kompensierten den Verlust auslaufender Ausbildungsberufe durch attraktive neue, beteiligten uns an elf Modellversuchen und gehören ab 1. Januar 2005 zu den 17 beruflichen Schulen, die an dem hessischen Modellprojekt "Selbstverantwortung plus" teilnehmen werden, bei dem es um mehr Selbständigkeit bei Finanzen und Personal geht. Das halte ich für den richtigen Weg, um die Schule noch intensiver fortzuentwickeln.
Natürlich ist es auch wichtig, daß Lehrer in der Lage sind, Schüler für ihr Fach zu begeistern. Das geht nur, wenn diese Lehrer sich diese Begeisterung für ihr eigenes Fach auch bewahrt haben.
Ich bin alles in allem zufrieden mit dem Ergebnis, an dem ich im Schulleitungsteam, sicher maßgeblich, mitgewirkt habe. Berufsschullehrer, Fachleiter (Ausbilder von Lehrkräften) und Schulleiter zu sein heißt, sinnvolle, sehr befriedigende Tätigkeiten auszuüben. Ich bin sicher, daß mein Nachfolger und sein Team die Schule weiter entwickeln werden. Das erleichtert den Abschied, aber der Einschnitt in mein bisheriges Leben ist tief. Das werde ich verarbeiten und dann ein sehr verändertes Leben führen.
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