März 2003:
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"RMA" und die Geschichte des strategischen Bombenterrors

Der Brand

Gedanken zu dem Buch "Der Brand" von Jörg Friedrich

Ralf Schauerhammer vom hessischen Landesverband schrieb diesen bemerkenswerten Hintergrundartikel als Überlegung zu dem Buch "Der Brand, Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945".

Hintergrund: Am 26. Januar berichtete die Los Angeles Times, im US-Generalstab (STRATCOM) würden Optionen für den Ersteinsatz von Atomwaffen erwogen, und es gebe ein "Theater Nuclear Planning Document" für einen Präventivschlag gegen den Irak. Drei Tage später warnte Senator Edward Kennedy, solche Optionen dürfe man nicht einmal diskutieren; zwar lägen diese "hirnverbrannten" Vorschläge ganz auf der Linie der Strategie der Regierung Bush, die Anfang 2002 im "Nuclear Posture Review" und im September 2002 mit der neuen Sicherheitsdoktrin des "Präventivkriegs" verkündet wurde, er halte sie jedoch, so der Senator, für "die fatalste Fehlentscheidung seit dem Atomangriff auf Hiroshima".
Das bringt den Inhalt einer militärstrategischen Auseinandersetzung auf den Punkt, bei der sich in den letzten Jahrzehnten die sogenannte "Utopisten"-Fraktion immer mehr durchsetzte. Jetzt endlich regt sich dagegen Widerstand, auch in den USA selbst.
Tradition und Denkweise dieser Militärutopisten ist geprägt vom Konzept der strategischen Bombardierung, und sie drängen auf eine technologisch bedingte "Revolution der militärischen Angelegenheiten", kurz RMA. In Neue Solidarität Nr. 4, 2003 haben wir in Cyberwar: New Economy auf dem Schlachtfeld die aberwitzige Ideologie, welche dieser Strategie zugrundeliegt, dargestellt. Der folgende Hintergrundartikel beschreibt die Geschichte und das permanente Scheitern des Konzepts der strategischen Bombardierung.

Seit Erscheinen des Buches Der Brand, Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945 von Jörg Friedrich herrscht in den britischen Medien helle Aufregung. Der englische Volksheld Winston Churchill werde angeblich mit Adolf Hitler auf eine Stufe gestellt und als Kriegsverbrecher beschuldigt, tönt es. Aber diese Beschuldigung erhebt Friedrich gar nicht, und eine Gleichstellung mit Hitler findet in dem Buch auch nicht statt. Auch merken die britischen Kritiker des Buches anscheinend nicht, daß die Art, mit der sie Churchill zu verteidigen suchen, ihr großes politisches Idol eher anklagt als verteidigt. Der Bombenkrieg gegen Deutschland wird von ihnen nämlich vor allem mit dem Hinweis gerechtfertigt: "Hitler hat mit der Terrorbombardierung von Bevölkerungszentren angefangen!"

Selbst wenn diese Behauptung stimmt, stellt sich die Frage, ob man auf dieses Kriegsverbrechen Hitlers mit dem gleichen Verbrechen, nur in viel größerem Maßstab antworten mußte? Denn ganz unabhängig von Hitlers Untaten war die "Flächenbombardierung" gegen die Zivilbevölkerung ein Kriegsverbrechen nach den Normen des gültigen internationalen Kriegsrechts.

Noch deutlicher als in Deutschland wird das unmenschliche Vorgehen dieser Politik der strategischen Bombardierung in Japan, wo Hiroshima und Nagasaki mit Atombomben ausradiert wurden, obwohl Japan den Krieg bereits verloren und zuvor auf der Konferenz in Potsdam die Bereitschaft zur Kapitulation erklärt hatte.

Es geht hier nicht um die Begleichung alter Rechnungen. Aber die Greueltaten der Vergangenheit dürfen nicht zum Tabu erklärt werden. Wie will man sie sonst zukünftig verhindern? Gerade deshalb ist die Debatte über die Politik der strategischen Bombardierung hochaktuell! Denn global strike systems, die im Rahmen der "militärstrategischen Revolution" RMA gepriesen werden, weil sie angeblich endlich technisch möglich machen, was die "Pioniere der strategischen Bombardierung" - der Italiener Giulio Douhet, (der spätere Lord) Hugh Trenchard und "Billy" Mitchell - wollten, werden heute zur Grundlage strategischer Planungen und Rüstungsentscheidungen gemacht.

Gerade die Vertreter der RMA, die sich ausdrücklich auf diese unsägliche Tradition beziehen, sollten vor dem Hintergrund der Geschichte der strategischen Bombardierung kritisch überprüfen, ob ihre neue Strategie wirklich hält, was sie verspricht. Denn wer das tut, kommt zu dem Schluß, daß das Konzept der strategischen Bombardierung nie funktioniert hat.

"Das mag wohl sein", sagen einige Verfechter der RMA, "aber das lag nur daran, daß die technischen Möglichkeiten in der Vergangenheit noch unzureichend gewesen sind! In den letzten Kriegen, insbesondere im Golfkrieg von 1991 und in Afghanistan 2001-02, ist jedoch die technische Machbarkeit dieses Konzepts endgültig bewiesen worden." Sieht man sich die Sache genauer an, so wird man feststellen, daß auch dieses nicht stimmt. Der Grund für das Versagen der Politik der strategischen Bombardierung ist nicht technischer Natur. Das Konzept selbst ist grundlegend falsch, es ist wissenschaftlich nicht haltbar und kann deshalb nicht funktionieren.

Wer das Buch von Jörg Friedrich aufmerksam liest, beginnt zu verstehen, warum das so ist. Darin liegt übrigens das wesentlichste Verdienst des Buches. Das Verhalten der Menschen ist anders, als die Theoretiker der strategischen Bombardierung es sich vorstellen können. Der Erfolg der strategischen Bombardierung ist ein Mythos, und wir werden im folgenden sehen, wie er entstanden ist und wie er sich bis heute in den Köpfen der Strategen erhalten hat. Doch bevor wir das tun, wollen wir klar und deutlich unseren Ausgangspunkt darlegen.

Eine wichtige Vorüberlegung

Wenn das republikanische Konzept des Staatsbürgers, auf dem die Idee des freiheitlichen Staates aufbaut, zutrifft, dann müssen auch komplexe Fragen der Strategie auf allgemeinverständliche, moralische Entscheidungen zurückführbar sein. Deshalb eine grundsätzliche Vorüberlegung, bevor wir in die Details eines Themas gehen, worüber so viel gesagt und geschrieben wurde, daß es der Normalbürger in seiner Gesamtheit gar nicht mehr vollständig überblicken kann.

Ende der 60er Jahre konfrontierten in Westdeutschland die Ausschüsse, in denen das Gewissen der Wehrdienstverweigerer auf seine Echtheit geprüft wurde, ihre Prüflinge mit der folgenden trickreichen Frage: "Was würden Sie tun, wenn Ihre Freundin von einem Verbrecher überfallen und vergewaltigt würde? Würden Sie ihr helfen, wozu Sie offensichtlich Gewalt anwenden müßten, oder nicht?" Der Prüfling sollte zum Lügen verleitet werden, um seine pazifistische Gesinnung zu beweisen: "Ich würde keine Gewalt anwenden!" Was auf diese Antwort folgte, war meistens ein leichtes Spiel für die Gewissensprüfer.

Dabei ist diese Frage, wenn man sie durchdenkt, sehr wohl geeignet, die moralische Entscheidung für Teilnahme am oder Verweigerung des Militärdienstes zu begründen. Natürlich wird man, wenn nötig auch mit Gewalt, die Familie, den Freund, die Freundin, ja die ganze Bevölkerung des Staates verteidigen, wenn sie in ihrer Existenz und Freiheit bedroht sind. Da geht es um das Notwehrrecht des freien Staates gegen die Übergriffe eines Gewaltstaates. Für imperiale Staaten ist es hingegen typisch, daß sie andere Staaten ihrem Willen unterwerfen, und ihre Armeen tragen notwendig die Züge des in der trickreichen Frage angenommen Vergewaltigers. Die zu beantwortende Frage ist also die folgende: Ist das Militär seiner Ausrichtung, Bewaffnung und Aufgabe nach eine derartige republikanische "Notwehr-Armee"?

Wenn zum Beispiel die geplante Neufassung der "Verteidigungspolitischen Richtlinien" der Landesverteidigung sekundären Stellenwert beimißt, weil "die Sicherheit" in Zukunft "auch am Hindukusch verteidigt" wird - so Verteidigungsminister Peter Struck Anfang Dezember letzten Jahres - , bedeutet dies zwangsläufig das Ende der deutschen Wehrpflicht-Armee, weil dann nämlich diese Frage für den normalen, seinem Gewissen verpflichteten Bürger nicht mehr eindeutig genug zu beantworten ist.

Fachleute, Technokraten und Spezialisten, die sich in die Höhen von RMA, Operations Research oder gar Cyberwar verstiegen haben, werden geneigt sein, diesen Grundgedanken als naiv beiseite zu schieben. Deshalb fasse ich ihn nochmals so knapp wie möglich zusammen:

In einem wirklich demokratischen Staat wird die innere Sicherheit ausschließlich durch Polizeikräfte aufrecht erhalten, die vom Militär strikt getrennt sind. Die äußere Sicherheit kann und muß durch eine allgemeine Wehrpflichtarmee gewährleistet werden, die in Ausrüstung und Ausrichtung so beschaffen ist, daß sie nur zur Notwehr gegen äußere Angriffe eingesetzt werden kann. Alle globalen Ziele des demokratischen Staates werden durch politische und wirtschaftliche und niemals durch militärische Maßnahmen verfolgt.

Die Nothilfe für andere demokratische Staaten ist möglich. Wenn nach einer militärischen Intervention in ein anderes Land dort ein Diktator an der Macht ist, läßt das darauf schließen, daß es sich höchstwahrscheinlich nicht um Nothilfe eines demokratischen Staates gehandelt hat. Auch sind Präventivkriege mit Nothilfe nicht vereinbar, und es ist gut, daß Artikel 26 des Grundgesetzes die Vorbereitung und Ausführung von Angriffskriegen prinzipiell verbietet. Einen entsprechenden Artikel sollte jeder demokratische Staat in seine Verfassung aufnehmen.

Ein historisches Beispiel

Im Herbst 1934 brachte der amerikanische Generalmajor Smedley Butler, der sich seit seiner Jugend durch große Tapferkeit und Hilfsbereitschaft für seine Kameraden auszeichnete, konkrete Pläne für einen geplanten Staatsstreich gegen den amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt an die Öffentlichkeit, um diesen Putsch zu verhindern. Die gleichen amerikanischen Bankenkreise, die damals auch Hitler unterstützten, wollten Roosevelt absetzen und durch eine von ihnen gesteuerte Galionsfigur ersetzen. Dazu hatten sie Smedley Butler ausersehen, der aber nicht mitspielte und alles offenlegte. Nun schrieben große Zeitungen von einer "Verschwörungstheorie" und versuchten, Butler lächerlich zu machen. Doch ein Kongreßausschuß bestätigte später die Angaben Butlers - was wiederum dieselben Medien kaum für "berichtenswert" erachteten.

Generalmajor Smedley Butler war ein politischer und strategischer Denker und ein Mann militärischer Praxis. Deshalb kommen Fachleute, Theoretiker und Spezialisten nicht darum herum, sich mit dem auseinanderzusetzen, was Butler in einer öffentlichen Rede erklärte:

Damals vermutete ich schon, daß ich nur ein Teil eines Erpressersyndikats war. Heute bin ich mir dessen sicher. Wie alle professionellen Militärs machte ich mir keinen eigenen Gedanken - erst als ich den Dienst quittierte. Meine geistigen Fähigkeiten waren gleichsam ruhiggestellt, während ich die Befehle der Vorgesetzten ausführte. Das ist für alle Militärs typisch.

Ich half 1914, Mexiko, insbesondere Tampiko, für die amerikanischen Ölinteressen zu sichern. Ich half Haiti und Kuba zu einem Ort zu machen, an dem die Jungs von der National City Bank ihr Einkommen kassieren konnten. Ich half beim Ausrauben eines halben Dutzend von Republiken in Mittelamerika, zum Wohle der Wall Street. Die Liste dieser Erpressungen ist lang. Ich half in der Zeit von 1909 bis 1912, Nikaragua für das internationale Bankhaus der Brown Brothers zu säubern. Ich sorgte 1916 in der Dominikanischen Republik für eine strahlende Perspektive der amerikanischen Zucker-Interessen. In China half ich, daß Standard Oil unbelästigt blieb.

Während all dieser Jahre hatte ich, wie die Jungs im Hinterzimmer sagen würden, ein Erpressersyndikat. Wenn ich daran zurückdenke, dann habe ich das Gefühl, ich hätte Al Capone ein paar Tips geben können. Er konnte mit seinem Erpressersyndikat doch nur in drei Stadtteilen operieren. Ich operierte auf drei Kontinenten."1

Soweit die Worte des Generalmajors Smedley Butler.

Die Entstehung des Bomber-Mythos - H. G. Wells' Luftkrieg

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erregte das Fliegen die Gemüter. Fesselballons waren längst bekannt, aber nun war die Motorentwicklung so weit fortgeschritten, daß man lenkbare Luftschiffe bauen konnte. Auch die ersten, noch sehr zerbrechlichen Flugzeuge wurden von wagemutigen Piloten in die Luft gebracht. Viele Bücher und Artikel spekulierten darüber, welchen Einfluß das Fliegen auf die Entwicklung der Gesellschaft haben werde. Der deutsche Ingenieur Stern schrieb 1909 in Die Eroberung der Luft, das Luftschiff werde Kriege verhindern, weil es die Nationen enger aneinander binden und die unterschiedlichsten Menschen vereinen werde.

Berühmter und für das strategische Denken entscheidender wurde ein Roman von H.G. Wells, der 1907 unter dem Titel Luftkrieg erschien. Der literarische Wert ist gering. Die darin vorkommenden Menschen sind auf wesentliche Züge reduziert, fast Karikaturen oder Comicfiguren. Der Held Bert Smallways ist, was sein Name sagt, ein kleiner Wicht der britischen Unterklasse. Als Bösewicht fungiert der deutsche größenwahnsinnige Militarist Prinz Karl Albert. Die einzige Figur mit menschlichen Zügen unter den Deutschen ist übrigens Leutnant Kurt, Sohn einer englischen Mutter. Die Amerikaner sind allesamt undiszipliniert und lokalborniert. Die "Gelben", d.h. die Japaner und Chinesen, sind eine gesichtslose Masse, Insektenschwärmen vergleichbar.

Die Handlung ist simpel. Eine deutsche Armada von Luftschiffen bricht nach Amerika auf, wobei Bert Smallways durch die absurdesten Umstände an Bord eines dieser Luftschiffe gelangt. Nach einer Seeschlacht, bei der die deutschen Luftschiffe ihre Überlegenheit über die amerikanische Flotte beweisen, wird New York von den Deutschen bombardiert. Das geht folgendermaßen vonstatten:

Diese letzte rassistische Bemerkung kann sich H.G. Wells offenbar nicht verkneifen. Dann fährt er fort: Doch das ist nur der Anfang eines globalen Luftkriegs. Wie aus dem Nichts tauchen plötzlich überall Luftschiffe auf, welche alle Staaten, vor allem die Asiaten, im Geheimen gebaut hatten. Leutnant Kurt berichtet: Der wesentliche Mythos, den Wells hier verbreitet, besteht darin, daß durch das Luftschiff die dritte Dimension in den Krieg einbezogen werde und deswegen die "erste Besonderheit des Luftkriegs" darin liege, daß er die Tendenz habe, "fast unweigerlich zu sozialer Desorganisation zu führen". Die "zweite Besonderheit des Luftschiffs" lag für Wells darin, daß sie "auf alles unter sich Liegende Sprengstoffe in der tödlichsten Form herunterregnen lassen können". Die dritte Besonderheit der Luftkriegs lag in seiner "einzigartigen Fähigkeit, daß beide Seiten den Strafattacken des Gegner offen lagen" und es durch die dritte Dimension keine "Fronten" mehr wie in früheren Kriegen gebe. "Der Krieg wurde dadurch zwangsläufig zu einem Guerillakrieg, einem Krieg, der unentwirrbar Zivilisten und Wohnungen und den gesamten Apparat der gesellschaftlichen Lebens mit einbezog."

H.G. Wells folgert diese Besonderheiten des Luftkriegs nicht aus technischen oder wirtschaftlichen Charakteristika oder Entwicklungen. Vielmehr projiziert er seine imperialen Vorstellungen von "sozialer Kontrolle" in das Potential, das der Luftkrieg als absolute Angriffswaffe eröffnet. Deshalb läßt er in seinem Roman die Rolle der Flugabwehr außer acht und zeichnet ein technisch irreales Bild, nämlich die Situation "Der Bomber kommt immer durch!" Unter diesen Bedingungen, so behauptet Wells, führe der Luftkrieg zwangsläufig zu einer Gesellschaft, in der kleine, von lokalen Kriegsherren beherrschte Kommunen den in Luftschiffen landenden Herrschern ausgeliefert sind und diesen Nahrungsmittel und Rohstoffe liefern müssen.

Die reale Möglichkeit des Bombers bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

Im Gegensatz zum Mythos des "alles entscheidenden Bombers" waren die technischen Möglichkeiten der Luftfahrt bis zum Ende des Ersten Weltkriegs so bescheiden, daß für keine Seite militärisch wirkungsvolle Bombardierungen möglich waren.

Die ersten Bombereinsätze fanden bereits vor dem Ersten Weltkrieg statt, und zwar im Verlauf der zweiten Marokkokrise. Die Italiener warfen erstmals Anfang November 1911 in Nordafrika auf die Truppen der Türken von halbstarren Luftschiffen Kali-Nitrat-Bomben herab. Der unmittelbare militärische Effekt war gering, aber es war ein Präzedenzfall geschaffen, dem später die völlige Auflösung des Verbots der ersten Haager Friedenskonferenz von 1891 folgte, wonach "das Werfen von Geschossen und Sprengstoff aus Luftschiffen oder auf ähnlichen neuen Wegen" verboten war.

Im Ersten Weltkrieg wurden Luftschiffe und bald danach Flugzeuge zum Abwurf von Fliegerpfeilen und Sprengstoffen verwandt, was großes Aufsehen erregte und den Haß gegen den Kriegsgegner gewaltig steigerte. Militärisch waren diese Einsätze ohne Nutzen, ja schädlich und gemessen am Aufwand, der für die erzielten Wirkungen nötig war, Verschwendung. Die technische Entwicklung des Flugzeugs nahm jedoch im Verlauf des Ersten Weltkriegs einen rasanten Aufschwung.

Bei Kriegsbeginn waren Flugzeuge zerbrechliche Geräte aus Holz, Segeltuch und Drähten, welche neben Motor, Treibstoff und einem Piloten nur wenige Kilogramm Nutzlast über etwa 100 Kilometer einigermaßen sicher tragen konnten. Frankreich nahm in der Flugzeugentwicklung damals eindeutig die führende Rolle ein.

Als Bomber schienen, wie von Wells in Luftkrieg beschrieben, nur Luftschiffe zu taugen. Luftschiffe wurden in allen europäischen Nationen entwickelt, mit besonderem Nachdruck aber in Deutschland, wo die Entwicklung des starren Luftschiffs durch den Grafen von Zeppelin vorangetrieben wurde. Das deutsche Militär stand dieser Entwicklung skeptisch gegenüber. Die Begeisterung in der Bevölkerung war jedoch groß, und jeder "Zeppelin" wurde zur Attraktion. Dann geschah 1908 das "Wunder von Echterdingen". Eine Sturmböe zerstörte das Luftschiff Z4 nach einer Notlandung bei Echterdingen am Boden. Zeppelin war finanziell am Ende, und die Entwicklung schien gescheitert. Da erbrachte eine von Zeitungen organisierte Geldsammlung für ihn genügend Mittel, um eine neues Luftschiff zu bauen. Graf Zeppelin wurde zum Volkshelden, und der Kaiser sah die Chance, diese Popularität für die Aufrüstung nutzen.

So kam es, daß sich der Zeppelin auch bei der Heeresleitung durchsetzte, obwohl die Kaisermanöver von 1909 zeigten, daß keines der eingesetzten Luftschiffe kriegstauglich war. Auch beim Kaisermanöver 1913 war das noch der Fall. Der Waffentechniker Generalleutnant a.D. Rohne warnte, bereits ein Treffer mit einem Brandgeschoß könne den Zeppelin ausschalten - was heruntergespielt wurde, da der Zeppelin zum Symbol deutscher Stärke geworden war. Graf Zeppelin selbst hatte diese Probleme erkannt und schlug schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg vor, zum Bombenabwurf Großflugzeuge zu bauen.

Die Verwendung des Luftschiffs als Bomber wurde von den deutschen Militärs vor Kriegsbeginn ohnehin nicht recht ernst genommen. Vor dem Krieg war nur ein einziges Mal ein Bombenabwurf vom Luftschiff geprobt worden. Die Armee verfügte bei Kriegsausbruch über zehn Luftschiffe, die vor allem zur Feindaufklärung eingesetzt werden sollten. Doch selbst in dieser Funktion traute man ihnen nicht ganz, was sich daran zeigte, daß bisweilen die mit Luftschiffen gewonnenen Erkundungsergebnisse sicherheitshalber durch die Kavallerie nachgeprüft wurden. Eine eigenständige Rolle der Luftwaffe sahen die deutschen Militärs während des ganzen Krieges nicht, sie galt bestenfalls als Feuerverstärker der Artillerie.

Das einzige Land, das bereits 1914 das Konzept einer unabhängigen Luftstreitkraft umgesetzt hatte, die in der Lage sein sollte, das Land des Gegners zu bombardieren, war Großbritannien. Dort bestand seit 1912 das Royal Flying Corps. Im August 1915 übernahm Hugh Trenchard die Führung dieses Royal Flying Corps in Frankreich, und bereits am 1.4.1918 wurde die britische Royal Air Force gegründet. Sie war seit dem 5.6.1918 weltweit die erste eigenständige Luftwaffe und stand unter Leitung von Generalmajor Sir Hugh Trenchard. Winston Churchill wurde als fairy godfather of aviation bezeichnet. Aber trotz dieser strategischen Ausrichtung waren die technischen Möglichkeiten für einen effektiven Bombenkrieg damals nicht gegeben. So kam man selbst auf englischer Seite über den Plan einer massiven Bombardierung deutscher Städte nicht hinaus, die 1919 beginnen sollte. Aber da war dieser schreckliche Weltkrieg beendet.

Während die Bomber ganz im Gegensatz zu dem von Wells prognostizierten Luftkrieg also in der Realität eine ganz untergeordnete Rolle spielten, waren Flugzeuge als Aufklärungsmittel wirkungsvoll und bald sogar unentbehrlich. Auch stellte sich heraus, daß die Flugzeuge effektiv zur Unterstützung von Bodentruppen eingesetzt werden konnten.

Das Erscheinungsbild des Luftkriegs im Ersten Weltkrieg war vor allem vom Luftkampf der Flugzeuge untereinander geprägt, vom "ritterlichen Kampf Mann gegen Mann" hoch oben in den Lüften. Zu Idolen wurden Piloten wie der "rote Baron", hinter dem man in England zeitweise sogar eine Frau, eine "moderne Johanna von Orleans", vermutete. Diese tollkühnen Flieger lenkten den Blick von der schrecklichen Wirklichkeit der "Blutpumpe von Verdun" ab, wo Soldaten massenhaft als "Menschenmaterial" abgeschlachtet wurden.

Die Royal Air Force und das Empire

Trenchard verfocht kompromißlos das Luftkriegskonzept von Wells, natürlich auf Grundlage der modernen Flugzeuge. Viermotorige Großbomber waren sein Ziel. Trenchards Vorstellungen schlugen sich in dem 1917 erstellten Smuts-Bericht nieder. Dort heißt es: Wesentlich für die spätere Entwicklung der strategischen Bombardierung wurde die Bekanntschaft mit dem Amerikaner "Billy" Mitchell, den die Vertreter der RMA ("Revolution militärischer Angelegenheiten") heute als einen Märtyrer für ihre Sache preisen und ehren. Unmittelbar nach Kriegseintritt kam der Amerikaner Mitchell zu Hugh Trenchard und wurde zum Bewunderer und Anhänger dessen Theorie. Nach dem Krieg setzte sich Mitchell in den USA kompromißlos für die Luftkriegsstrategie ein und begründete die dortige Schule der strategischen Bombardierung. Ein weiterer wesentlicher Vertreter der Theorie der strategischen Bombardierung, der Mitchell stark beeinflußte, war der Italiener Guilio Douhet. In seinem 1921 erschienenes Werk Il dominio dell'aria propagiert Douhet die gleichen Ideen wie Trenchard. Sein Denken ist von der formalen Arithmetik des damaligen "Blutpumpen"-Kalküls gekennzeichnet. Douhet argumentierte, daß ein Soldat mit einem Gewehr, das pro Minute einmal schießen kann, von zwei Soldaten überwältigt wird, die sich unter Deckung so weit nähern können, daß sie ihn in einem Sturmlauf von einer Minute erreichen können. Hat dieser Soldat ein automatisches Gewehr, das 100mal in der Minute schießen kann, so benötigt man 101 Soldaten zu seiner Überwältigung. Mit dieser Arithmetik entwickelte Douhet die Logik der strategischen Bombardierung. Besitzt der Angreifer 100 Flugzeuge, mit denen er 100 verschiedene Ziele angreifen kann, so benötigt der Verteidiger nach Douhets Berechnung mindestens 10000 Flugzeuge, um diese abwehren zu können, was logistisch unmöglich sei. Douhet beschränkt die Logik der Blutpumpe von Verdun nicht mehr auf Kombattanten, sondern dehnt sie auf die gesamte Zivilbevölkerung aus. Mit Bombern könne man, so Douhet, den militärischen Sieg erringen, wenn man die Industrie und die Moral der Arbeiter im Innern des Feindes zerstört.

Diese einfache Zahlenarithmetik ist heute durch komplexere systemanalytische Methoden ersetzt worden, der zugrundeliegende "Blutpumpen"-Denkfehler hat sich jedoch bis auf den heutigen Tag erhalten. Ein typisches Beispiel dieser arithmetisch-karierten Denkweise liefert der Amerikaner John A. Warden III. in seinem 1988 erschienenen Buch The Air Campaign, Planning for Combat. Er zerlegt darin den gegnerischen Staat in ein "System" von fünf Ringen (im Zentrum liegt die Führung, die Kreise darum herum sind der Reihe nach: Wirtschaft, Infrastruktur, Bevölkerung und Streitkräfte) und errechnet in diesem symbolisierten Staatsgebilde systemanalytische Schnitte. Diese Schnitte müssen dann nur noch von strategischen Bombern ausgeführt werden, um jedes Staatswesen wie einen Truthahn zu zerlegen.

Die Praxis der strategischen Bombardierung wurde in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg von der Royal Air Force (RAF) unter Trenchard in den Kolonien des britischen Empire gepflegt, und zwar nach dem 1919 von Winston Churchill verkündeten Prinzip: The RAF has to garrison the Empire! ("Die Royal Air Force muß die Besatzungsmacht des Imperiums sein.") Die Ereignisse der folgenden Jahre verdeutlichen, wie die soziale Kontrolle durch den von H.G. Wells dargestellten Luftkrieg vonstatten gehen sollte.

Die strategische Bombardierung war im Grunde nur ein neues, kostengünstiges Mittel der imperialen Kontrolle. Denn der britische modus operandi war seit jeher die Methode der Strafaktionen. Hielt sich ein Stamm innerhalb einer britischen Kolonie nicht an die "Regeln", dann wurde ein Expeditionscorps ausgeschickt, welches mit modernen Waffen die Krieger des Stammes niedermachte, die Dörfer in Schutt und Asche legte, die Felder verwüstete und die Herden schlachtete. Nachdem so die "Moral der Rebellen gebrochen" war, herrschte erst einmal Ruhe, jedenfalls bis die nächste Strafaktion fällig wurde. Im Grunde war das strategische Bombardierung, nur ohne Bomber. Nach dem Ersten Weltkrieg war die technische Entwicklung der Luftfahrt so weit gediehen, daß die RAF diese Aufgabe der Strafaktionen übernehmen konnte, und zwar viel billiger als die Armee. Das liegt Churchills Forderung zugrunde, wonach die RAF die "Besatzungsmacht des Imperiums" sein müsse.

Bereits 1920 glaubten die Vertreter der strategischen Bombardierung, einen überzeugenden Beweis ihrer Fähigkeiten in Britisch-Somaliland ablegen zu können. Seit 1889 kämpfte dort eine antikoloniale, islamische Widerstandsbewegung unter der Führung des selbsternannten "Mahdi" Mohammed bin Abdullah Hassan, den die Briten abschätzig "Mad Mullah" nannten. Im Januar 1920 flog ein dorthin verlegtes Geschwader der RAF mit DH-9-Bombern mehrere Tage Überraschungsangriffe auf die befestigten Stellungen von Abdullah Hassans Kämpfern. Diese erlitten hohe Verluste und flohen, worauf die Landstreitkräfte die Verfolgung aufnahmen. Trotz weiterer Bombenangriffe entkamen die Kämpfer nach Äthiopien, wo Abdullah Hassan im Jahr darauf starb. Der Feldzug war billig und wurde von Churchill als Erfolg des Konzepts der strategischen Bombardierung gewertet.

Auf der Grundlage dieses Erfolgs schlug Hugh Trenchard 1921 vor, die RAF solle die Führung der Militäroperationen im Irak übernehmen. Die Lage war dort für die britischen Kolonialherren schwierig, weil durch den Zusammenbruch des Osmanischen Reichs den rebellischen Stämmen eine gewisse Menge an modernen Waffen zur Verfügung stand. Die Besatzungskosten drohten aus dem Ruder zu laufen. Die RAF kam wie gerufen, und im Oktober 1922 übernahm erstmals in einem Land die Luftwaffe die Führung der gesamten militärischen Operationen.

Eine Aktennotiz über die damaligen Einsatzmethoden im Irak stellte mit Zufriedenheit fest:

Und der RAF-Geschwaderkommandant J.A. Chamier beschrieb damals in The Use of Air Power for Replacing Military Garrisons (Der Einsatz der Luftwaffe als Ersatz für Militärgarnisonen) die Logik der strategischen Bombardierung folgendermaßen: Obwohl sich die "Rebellen" in den Kolonien teilweise als recht "lernunwillig" erwiesen und es bald verstanden, sich durch Tarnung und Nachtmärsche der RAF zu entziehen - wie z.B. der kurdische Scheich Mhammud, der erst nach dreijährigem Kampf und durch den Einsatz beträchtlicher Bodentruppen in den Iran vertrieben werden konnte - , wurden die Einsätze der RAF als kostengünstig und erfolgreich gewertet, und die RAF übernahm in weiteren Kolonien das Kommando. Da keine nennenswerte Luftabwehr und keine Luftwaffen als Gegner zu fürchten war, konnte die RAF frei agieren. Nun schien H.G. Wells' Utopie in den Kolonien Wirklichkeit zu werden, und zwar nicht nur in den britischen Kolonien. Der Bomber erschien als die absolute Waffe. Die Meinung der politischen Elite in Großbritannien brachte am 10.11.1932 der konservative Politiker Stanley Baldwin (er war im Laufe seiner Karriere dreimal Premierminister) in einer Rede im Unterhaus auf den Punkt: Aber mit der Zeit wurden selbst im britischen Parlament Bedenken über das brutale Vorgehen der RAF laut, und als dann während des Palästina-Aufstands von 1936 bis 1939 der RAF-Kommandeur Arthur Harris (der im Zweiten Weltkrieg den Ehrentitel "Bomber" Harris bekommen sollte) vorschlug, "auf jedes rebellische Dorf eine Bombe von 125 oder 250 Kilogramm zu werfen", da "das einzige, was die Araber verstehen, die harte Hand" sei, ging das dann doch zu weit, und die Aufgabe der RAF wurde auf die Unterstützung der Armee beschränkt. Angesichts der im englischen "Mutterland" aufkommenden Kritik versuchte die RAF, ihr Erscheinungsbild zu ändern. Es wurde daher betont, mit welcher "Präzision" die RAF bomben könne und wie human doch kurze Schläge seien im Vergleich zu sich lange hinziehenden Bodenoperationen. Die Medienarbeit stand noch in ihren Anfängen, weshalb damals von smart bombs, die nur einige "Kollateralschäden" erzeugen, wenn es wieder einmal "dumm gelaufen" ist, noch nicht die Rede war.

Die Entwicklung in Deutschland: Panzer und Stuka

In Deutschland war nach dem Ersten Weltkrieg die Entwicklung der Luftwaffe erst verboten und später nur eingeschränkt möglich. Unter verschiedenen zivilen Tarnungen wurden aber dennoch Militärflugzeuge entwickelt. Auch an der Entwicklung eines strategischen Bombers wurde gearbeitet. Diese Entwicklung wurde von Generalmajor Walter Wever vorangetrieben, der sich für den Bau des D19, des sog. "Uralbombers" einsetzte, welcher bis 1941 oder 1942 "rechtzeitig fertig" sein sollte. Doch nach Wevers frühem Tod im Jahr 1936 wurde diese Entwicklung eingestellt. In diesem Jahr wurde auch in Deutschland die Luftwaffe als eigene Waffengattung etabliert. Strategie, Einsatzplanung und Bewaffnung der Luftwaffe war an der Unterstützung von Armee und Marine bei offensiven Operationen orientiert und nicht an Angriffen auf die Zivilbevölkerung.

Vor allem wurde von der deutschen Reichswehr das am Ende des Ersten Weltkriegs mit leichten Infanterieverbänden entwickelte Stoßtrupp-Konzept durch die Kombination von gepanzerten Einheiten mit taktischer Luftunterstützung entwickelt. Im Spanischen Bürgerkrieg wurde es dann von der Legion Kondor erprobt. Diese taktische Ausrichtung der Luftwaffe verdeutlicht der Sturzkampfbomber (Stuka), der sich zwar auch zur Bombardierung von Städten gebrauchen ließ, dessen eigentliche Einsatzweise jedoch die Bodenunterstützung war - vergleichbar dem Einsatz der heutigen A-10.

Die Kombination von Feuerkraft mobiler Panzerverbände und taktischer Luftunterstützung wurde zum Kern der Blitzkriegstrategie, mit der Hitler seine trügerischen Anfangserfolge im Zweiten Weltkrieg errang. Der "Blitzkrieg" als neue "Form" des Krieges war jedoch eine aberwitzige Überbewertung der taktischen Mittel zur Konzentration von Mobilität und Feuerkraft, welcher die logistische, wirtschaftliche und politische Tiefe fehlte und die deshalb zum Scheitern verurteilt war. Die Begeisterung, mit der heutige Vertreter der RMA sich zum "blitzkrieg" (mit kleinem Anfangsbuchstaben und meist in ehrerbietigen Anführungszeichen) bekennen, zeugt von dem intellektuellen Niveau dieser Denker.

Und was ist mit der Bombardierung von Guernica, Coventry, Warschau, Rotterdam und Belgrad durch die deutsche Luftwaffe, waren das nicht auch Kriegsverbrechen? Das waren sie zweifellos. Sie widerlegen jedoch nicht, was gerade über die grundlegende Ausrichtung der Luftwaffen gesagt wurde. Auch nicht die Bombardierungen der deutschen Luftwaffe in England bei der "Luftschlacht um England". Es waren keine strategischen Bombardierungen von Bevölkerungszentren nach dem beschriebenen britischen Muster: "Mehr und schneller Frauen und Kinder zu töten, um sich selbst zu retten." Es war der Versuch, über dem Süden Englands die Luftherrschaft zu gewinnen und die Küste für die geplante Invasion sturmreif zu schießen. Das gelang nicht. Als die Operation "Seelöwe" abgeblasen wurde und statt dessen die Operation "Barbarossa" im Osten begann, war vielen Deutschen klar, daß man den Krieg verlieren würde.

Übrigens versagten Trenchard und seine RAF-Bomber zu Beginn der Battle of England kläglich. Die Versuche, durch offensive Bombardements die deutschen Marinetruppen jenseits der Kanalküste zu treffen, mißlangen völlig. Nicht Englands Bomber, die ein Jahrzehnt lang großartig-brutal die imperiale Macht Britanniens demonstriert hatten, konnten die Heimat verteidigen, sondern das taten die Jäger in Verbindung mit neuartigen Radarwarnsystemen.

Niemand will das Leid der englischen Zivilbevölkerung verharmlosen. Aber was wahr ist, muß wahr bleiben, und es ist eine historische Tatsache, daß die deutsche Luftwaffe in Ausrüstung und Ausbildung nicht an der strategischen Bombardierung ausgerichtet war. Es ist naheliegend, daß die Briten wegen der Geschichte ihrer eigenen RAF der deutschen Luftwaffe unterstellen, sie hätte mit strategischer Bombardierung angefangen. In Wirklichkeit war die deutsche Luftwaffe zur strategischen Bombardierung Englands nicht in der Lage.

Natürlich war Hitler auch von der Idee der "Vergeltungswaffe" besessen; er bestand sogar darauf, deren Einsatz persönlich zu bestimmen. Das erklärt auch seine Unterstützung für den V-1-Marschflugkörper und die V-2-Rakete. Der Buchstabe "V" für Vergeltung bei der Namensgebung unterstreicht diesen Wahn. Diese Entwicklungen haben ihren Ursprung aber nicht in der strategischen Bombardierung, sondern in dem Bestreben zur Umgehung der Beschränkungen, die Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg bezüglich der Fernartillerie auferlegt worden waren. Eigentlich gehören Raketen bis heute nicht zur Luftwaffe, sondern zur Artillerie. Trotz des Wunsches nach Vergeltungswaffen standen Hitler bis zum Kriegsende keine Waffen zur Verfügung, die eine strategische Bombardierung Englands im Trenchardschen Sinne ermöglicht hätten.

Typisch für Hitlers Bomberwahn und technischen Unverstand ist übrigens sein Verhalten im Zusammenhang mit der Entwicklung des weltweit ersten zur Serienreife gebrachten Düsenflugzeugs, der Me 262. Während eine deutsche Stadt nach der anderen unter den Bomben der Alliierten in Trümmer sank, verbot Hitler es, in seiner Gegenwart von der Me 262 als etwas anderem als "vom Blitzbomber zu sprechen". Auch die großen Erfolge, die einige wenige "testweise" als Jäger eingesetzte Me 262 gegen die Bomber der Alliierten erzielten, konnten daran nichts ändern. Der für die Triebwerksentwicklung der Me 262 verantwortliche Generalingenieur Wolfram Eisenlohr hatte bereits 1941 erkannt, daß die Me 262 unbedingt als Jäger eingesetzt werden müsse, da er schon zu diesem Zeitpunkt erfahren hatte, welche gewaltige Bomberflotte die USA aufbauten.

Wenn man untersucht, warum die Vereinigten Staaten in so kurzer Zeit eine so gewaltige Bomberflotte aus dem Boden stampfen konnten, dann erkennt man, daß dies vor allem deshalb möglich war, weil in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine kleine, aber sehr agile Fraktion des US-Militärs Trenchards Bomberkonzept nach Amerika brachte. Diese Bomberfraktion stieß zuerst auf Ablehnung, setzte sich aber im Verlauf des Zweiten Weltkriegs durch und gewann schließlich nach Roosevelts Tod die Oberhand. Sie konnte ihren Sieg 1945 mit den beiden Atombombenabwürfen und 1947 mit der Umwandlung der U.S. Air Force zu einer eigenständigen Waffengattung krönen.

Nachdem "Billy" Mitchell aus dem Ersten Weltkrieg in die USA zurückgekehrt war, versuchte er dort in die Tat umzusetzen, was er bei Trenchard gelernt hatte. Mitchell kannte kein Wenn und Aber. Um zu demonstrieren, daß in Zukunft der Bomber als "fliegendes Schlachtschiff" den gepanzerten Schiffen der Marine überlegen sei, arrangierte er 1921 ein Experiment: Er ließ das in amerikanischem Besitz befindliche Schlachtschiff Ostfriesland von Flugzeugen bombardieren und versenken. Doch die Marineführung ließ sich von der Versenkung eines wehrlosen Schiffes nicht recht überzeugen. Als Mitchells provokative Attacken auf die Militärführung ihm eine fünfjährige Suspendierung einbrachten, quittierte er den Dienst völlig, um seine Mission für den strategischen Bomber auf politischer Ebene weiterzuführen.

Im Jahre 1934, zwei Jahre vor seinem Tod, erreichte er einen entscheidenden Durchbruch. Das Army Air Corps stellte ehrgeizige Anforderungen: einen viermotorigen Bomber mit 5000 Meilen Reichweite und einer Geschwindigkeit von 200 mph bei einer Bombenlast von einer Tonne. Um die politische Unterstützung und die Finanzierung des Projekts zu erlangen, wurde eine spektakuläre Flugdemonstration organisiert. Ein Verband von zehn Martin-B-10-Bombern flog von Washington nach Fairbanks in Alaska und wieder zurück. Angeführt wurde dieser Flug von einem Zögling Mitchells, einem Mann, der sein Leben lang vom Glauben an strategische Bombardierung beseelt war: Oberstleutnant Henry "Hap" Arnold.

Bald stellte sich heraus, daß die Anforderung von 5000 Meilen Reichweite beim damaligen Stand der Motorenentwicklung nicht erfüllbar war, und die Reichweite wurde auf 2000 Meilen reduziert. Die Entwicklung wurde von Boeing angeführt, und es entstand das viermotorige Modell 299, welches am 28. Juli 1935 zu seinem Erstflug aufstieg. Die Armee, der das Air Corps unterstellt war, bestellte 65 Testmaschinen. Sie erhielten die Bezeichnung YB-17. Nach einem Absturz im Oktober 1935 reduzierte man es jedoch auf nur noch 13 Maschinen. 1938 begann die Produktion des Bombers B-17, dem man ganz im Geiste Trenchards den Namen "Flying Fortress" gab; Trenchard war ja der Meinung, der Bomber müsse eine eigenständige fliegende Festung sein, die sich bei ihren Einsätzen allein verteidigen kann. Der B-17 sollte im Zweiten Weltkrieg zum "Arbeitspferd" der Bomberflotte in Europa werden - bis Kriegsende wurden 12726 Bomber vom Typ B-17 produziert.

Am 29. November 1938 wurde der mittlerweile zum Brigadegeneral aufgestiegene "Hap" Arnold zum "Chief of the Army Air Corps" ernannt, und als im Januar 1939 Präsident Roosevelt seine Forderung nach "500 Bombern pro Monat" aufstellte, griff Arnold das begeistert auf und definierte, welche Art von Bombern das sein sollten. Ihm war nämlich die Leistungsfähigkeit des B-17 nicht ausreichend. Er wollte ein wirkliches "Schlachtschiff der Lüfte" mit der ursprünglich anvisierten Reichweite von 5000 Meilen. Zwei Monate vor dem deutschen Angriff auf Polen, dem offiziellen Beginn des Zweiten Weltkriegs, kombinierte Boeing die Modelle 333 und 334 zum Design des Testflugzeugs YB-29. Der erste Testflug des künftigen B-29 erfolgte am 21.November 1940, etwas mehr als ein Jahr vor dem Angriff auf Pearl Harbor. Der Flug war so erfolgreich, daß die Armee 14 Testexemplare bestellte und unmittelbar danach die Produktion von 250 B-29 Bombern in Auftrag gab.

Arnold hatte damit Entwurf und Entwicklung seiner "Superfortess" gesichert. Es wurde der strategische Fernbomber für den Pazifik, welcher der Doktrin der strategischen Bombardierung in den USA zum Durchbruch verhelfen sollte. Es war später diese "Superfortress", welche die Atombomben nach Hiroshima und Nagasaki trug. Doch vorerst drohten Probleme bei Koordination und Bau der B-29-Bomber das Projekt scheitern zu lassen. Der zugesagte Liefertermin für den 15. April 1944 drohte zu platzen. Arnold sah seinen Traum einer autonomen Luftwaffe in Gefahr und leitete persönlich die sog. "Schlacht von Kansas", um die rechtzeitige Produktion des B-29 sicherzustellen. Das trug ihm den Namen "Vater der Superfortress" ein.

Die Entwicklung strategischer Bomber war in den USA auf Betreiben einer ehrgeizigen Gruppe von Militärs, die auf Douhet und Trenchard aufbauten, sehr frühzeitig weit vorangeschritten. Das ermöglichte den schnellen und massenhaften Ausstoß von Bombern im Zweiten Weltkrieg. Neben den materiellen Grundlagen hatte sich seit 1926 in der Air Corps Tactical School (ACTS) eine Gruppe von Militärs herausgebildet, die den Spitznamen "Bomber-Mafia" trug und von den anderen Militärs als Außenseiter abgetan wurde. Die Strategie der "Bomber-Mafia" baute direkt auf den Theorien von Trenchard und Douhet auf. Den militärischen Gegner betrachtete man als Industrienetz von Fabriken, Verkehrswegen und Depots. Der militärische Sieg würde nicht an der Front, die dieses Netzwerk umgab, entschieden, sondern indem man dieses Netz hinter der Front durch Bomberangriffe zerstörte und damit den Kampfeswillen des Gegners brach. Genau wie bei Douhet stand bei dieser Denkschule der Glaube an formale Arithmetik und abstrakte Prinzipien im Mittelpunkt. Im Air War Plans Division - Plan 1 errechneten diese Strategen, daß der Sieg über Deutschland mit 6860 Bomberangriffen auf 154 Ziele errungen würde. Sie irrten sich um einige tausend Prozent.

Anders als in England hatte sich diese Denkschule in der amerikanischen Politik und Militärstrategie damals noch nicht durchgesetzt. Das sollte sich im Verlauf des Zweiten Weltkriegs ändern.

Mitchells Geist trifft "Bomber" Harris

Die grausamen Einzelheiten der strategischen Bombardierung in Europa sind in Jörg Friedrichs Buch hinreichend beschrieben und müssen hier nicht zitiert werden. Nur einige Bemerkungen sind nötig, um den Bezug für die heutige Diskussion über die "Revolution im Militärwesen" RMA klarer hervortreten zu lassen.

Erstens muß der entscheidende politische Fehler betont werden, der diese Entwicklung überhaupt möglich machte. Er bestand darin, auf der Konferenz von Casablanca vom 14. bis 26. Januar 1943 die "bedingungslose Kapitulation" als Kriegsziel zu formulieren und festzulegen. Damit wurde das grundlegende moralische Dogma, daß der Krieg nur die Fortsetzung der Politik sein dürfe, über Bord geworfen und praktisch der "totale Krieg" begonnen, in dem das Militär allein Ziele und Gesetze des Handelns bestimmt. Die Bilder des Propagandisten Goebbels, der einen Monat später (nachdem inzwischen die 6.Armee in Stalingrad kapituliert hatte) "Wollt Ihr den totalen Krieg?" schreit, sollten nicht den Blick auf diese schlimme Fehlentscheidung versperren, ohne die sich die Vertreter der strategischen Bombardierung in den USA wahrscheinlich nicht durchgesetzt hätten.

Und für heute gilt, ganz gleich, wie capability oriented das militärische Vorgehen sein soll, oder welchem zwingenden "systemanalytisch" errechneten Reaktionsmuster es folgen soll, oder wie stark "Medien, Bildung und zivile Verwaltungen" der militärischen Planung im Rahmen der RMA untergeordnet werden sollen: Das Primat der Politik muß bestehen bleiben, und dieses muß dem Feind immer eine Chance auf einen annehmbaren Frieden bieten.3

Zweitens ist im Zweiten Weltkrieg trotz aller Massenvernichtung der Zivilbevölkerung das Konzept der strategischen Bombardierung gründlich widerlegt worden. Selbst im offiziellen Bericht der US Strategic Bombing Survey (USSBS) muß zugegeben werden, daß der Wille zur Kapitulation in der Bevölkerung in keiner Relation zu den Bombardierungen stand; das Konzept des moral bombing funktionierte nicht. Auch konnte die Kriegsproduktion durch die Bomber nicht entscheidend geschwächt werden. Erst als die deutsche Blitzkriegswirtschaft, die auf Ausbeutung der Bevölkerung und grenzenlosem Raubbau in den eroberten Gebieten basierte, mit der kollabierenden militärischen Front zwangsläufig in sich zusammenfiel, konnten die Bomber über Deutschland wirkungsvoll agieren. Und sie konnten das auch nur, nachdem die "fliegenden Festungen" in Begleitung der Mustang-Jäger eingesetzt wurden. D.h. selbst dann konnte das eigentliche Konzept des strategischen Bombers, der sich als "fliegende Festung" selbst verteidigt, nicht umgesetzt werden.

Drittens markiert die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 eine Entwicklung, die weit über Europa hinausgeht: Spätestens mit dem Terrorangriff auf Dresden gewinnt die Unmoral des strategischen Bombardierens in den USA die Oberhand. Während Churchill und "Bomber" Harris systematisch das Verbrennen deutscher Großstädte übten, konzentrierten sich die amerikanischen Bombenangriffe anfänglich auf Verkehrswege, Rüstungsbetriebe und Treibstofflager, weil man dies für effektiver und ökonomischer hielt. Außerdem ergänzten sich die amerikanischen Angriffe bei Tageslicht gut mit den britischen Flächenbombardements bei Nacht.

Aus den Statistiken des USSBS kann man entnehmen, daß die in Europa abgeworfene Menge an Bomben von 50000 Tonnen im Februar 1944 in der Vorbereitung der Invasion (dem D-Day am 6. Juni 1944) auf fast 200000 Tonnen pro Monat im Sommer des Jahres 1944 anstieg und dann bis zum Februar 1945 wieder auf 100000 pro Monat absank. Das war der Monat des Feuersturms von Dresden. Von diesem Zeitpunkt an schoß die abgeworfene Menge schlagartig in die Höhe, um im April 1945 das Maximum von 250000 zu erreichen. Im Mai (Deutschland kapitulierte am 9. Mai 1945) wurde diese Rate noch gesteigert. In den wenigen Tagen bis zur Kapitulation wurden nochmals über 150000 Tonnen Bomben geworfen. Gleichzeitig beschäftigten sich die Jäger, die wegen des völligen Zusammenbruchs der Luftabwehr nun nicht mehr für den Schutz der Bomber gebraucht wurden, damit, weit hinter der Front einzelne Zivilisten auf Straßen und Feldwegen mit ihren Bordwaffen abzuschießen.

In den USA gewann damals die britische Idee des strategischen Bombardierens endgültig die Oberhand. Mitte Januar 1945 hatte "Hap" Arnold Brigadegeneral Haywood Hansell als Leiter der strategischen Bombardierung im Pazifik ablösen lassen, weil er darauf bestand, in Japan die Strategie der "Präzisionsbombardierungen" von rüstungsrelevanten Zielen fortzusetzen. Ersetzt wurde Hansell durch Arnolds Vertrauensmann, General Curtis E. LeMay, auf den sich Arnold schon bei der Entwicklung des B-29-Bombers verlassen hatte. Zwar gab es noch Widerstand gegen diese Barbarei im amerikanischen Militär, vor allem von Seiten MacArthurs, aber Arnold erhielt das Recht, die Bomber eigenständig und unabhängig von der Armee einzusetzen. LeMay erinnerte sich später: "Da kam ein verrückter Flieger daher und sagte, der Krieg könne ohne Invasion beendet werden. Wir machten keinen großen Eindruck damit. Nun, wir gingen nach den Marianas zurück und taten es einfach trotzdem." In Wirklichkeit ging es natürlich weniger um die Frage der Invasion, wie später zur Rechtfertigung dieser Kriegsverbrechen immer behauptet wurde, sondern darum, die Luftwaffe als eigene Waffengattung zu etablieren und das Konzept der strategischen Bombardierung durchzusetzen.

Curtis LeMay war von den Ergebnissen der Feuerstürme in Hamburg vom 27.Juli 1943 und Dresden vom 13. Februar 1945 beeindruckt und brannte darauf, durch die zusätzliche Verwendung von Napalm in seinen Brandbomben diese Ergebnisse noch zu übertreffen. Das gelang ihm auch schon am 9. März 1945 mit dem Feuersturm in Tokio. Über 100000 Zivilisten verloren dabei ihr Leben. Durch die überwiegende Holzbauweise brannten die japanischen Städte viel "besser" als die deutschen, der mit den Brandbomben entzündete "Feuersturm" wirkte noch verheerender. In Tokio brachte man sogar das Wasser in den Kanälen zum Kochen. Innerhalb der nächsten 48 Stunden verbrannten LeMays Bomber die Städte Kobe, Nagoya und Osaka und warfen in nur zehn Tagen fast 9,5 Kilotonnen an Bomben. Mehr als 65 Städte Japans wurden bombardiert, und in wenigen Wochen (noch vor dem Abwurf der Atombomben!) hatte es LeMay geschafft, mehr japanische Zivilisten zu töten, als japanische Soldaten in den Kampfhandlungen während des gesamten Krieges gefallen waren.

Die strategischen Bomber machten ihren "Job" so gut, daß sogar der US-Kriegsminister Henry Stimson Truman riet, nun müsse man aber einen Gang zurückschalten. Stimson zeigte sich besorgt: "Erstens weil ich nicht wollte, daß die USA in den Ruf kämen, Hitlers Verbrechen noch zu übertreffen; und zweitens fürchtete ich, daß bevor wir so weit waren, die Luftwaffe Japan schon so gründlich zerbombt haben könnte, daß die neue Waffe nicht mehr richtig ihre Kraft unter Beweis stellen konnte." Wie man sieht, war die Atombombe nur als Tüpfelchen auf dem i der strategischen Bombardierung Japans gedacht. Stimsons Problem wurde gelöst, indem man vier Städte als Ziele für die Atombomben aufbewahrte, von denen schließlich die beiden bevölkerungsreichsten vernichtet wurden.

Der Abwurf der Atombomben brachte kurzzeitig einen heilsamen Schock. Präsident Truman, der nach Erhalt der Nachricht vom Abwurf auf Hiroshima seiner Umgebung stolz mitteilte, das sei "das größte Ding der Geschichte", fragte nun, als ihm die Aufklärungsbilder von Hiroshima vorgelegt wurden, ob es denn wirklich nötig sei, "all diese Frauen und Kinder" umzubringen. Am gleichen Tag fiel die Atombombe auf Nagasaki.

Eigentlich hätte man spätestens nach Kriegsende die für die strategische Bombardierung verantwortlichen Personen vor ein Gericht stellen müssen; nicht unbedingt in Nürnberg, aber beispielsweise in Philadelphia, der Stadt der amerikanischen Freiheitsglocke. Statt dessen wurde die Legende verbreitet, das strategische Bombardement habe Tausenden von amerikanischen Soldaten das Leben gerettet, die ganz bestimmt bei der Eroberung Japans gefallen wären. Und LeMay ist heute in Deutschland vor allem als der nette Onkel bekannt, der 1948 als Kommandierender General der amerikanischen Luftstreitkräfte in Europa die Berliner Luftbrücke organisierte.

Atommacht und Vietnam

Nach dem Zweiten Weltkrieg schienen Arnold und seine strategischen Bomber am Ziel aller Wünsche angelangt. Sie hatten ihr Konzept durchgesetzt. Sie hatten mit der Atombombe die Superwaffe. Sie bekamen 1947 endlich die U.S. Air Force auch offiziell als eigenständige Waffengattung. Der Luftkrieg, wie ihn H.G. Wells 1907 beschrieben hatte, schien Realität geworden zu sein. Aber am Horizont war bereits die Rakete erschienen, die "strategische Waffe" der Zukunft. Es war ausgerechnet kein Bomber, sondern die Weiterentwicklung der Artillerie.

Die "absolute Waffe", die Atombombe war da. Und nicht nur das, man hatte sogar den Sowjets und der ganzen Welt demonstriert, daß man sie auch einsetzt. Aber um welchen moralischen Preis? Außer einigen Typen vom Schlage Bertrand Russells, der sofort vorschlug, Moskau präventiv mit Atombomben zu vernichten, bevor die Sowjetunion Atombomben entwickeln könne, war kein Mensch bereit, diese Waffe einzusetzen. Und die meisten Forscher, die an der Entwicklung der Waffe beteiligt waren, verdammten deren Einsatz gegen die beiden japanischen Städte.

Und wie stand es mit dem Konzept der strategischen Bombardierung? Dieses hatte sich zwar durchgesetzt und blieb Grundlage der militärischen Planung. Mit der Interkontinentalrakete, der Wasserstoffbombe und der Strategie der "MAD" (Gegenseitig zugesicherte Zerstörung) wurde das Konzept der strategischen Bombardierung so weit getrieben, daß man in die Bomberstrategie sogar ein zweites Stockwerk einziehen mußte. Es wurde eine Schranke geschaffen, unterhalb der man in bestimmten Regionen und unter Wahrung bestimmter Bedingungen weiterhin bomben konnte, ohne den globalen strategischen Schlag auszulösen. Trotzdem sollte das Konzept der strategischen Bombardierung den USA die größte Schande ihrer gesamten Militärgeschichte bereiten.

In Vietnam wurden die Flächenbombardements von Operation Rolling Thunder über Linebacker bis zu den berüchtigten "Christmas Bombings" von 1972 immer weiter gesteigert. Die B-52-Bomber warfen über dem kleinen, technisch rückständigen Land 373000 Tonnen Napalm ab, ein Vielfaches der gegen Japan eingesetzten Menge, und dennoch verloren die USA diesen schändlichen Krieg. Die eigene Bevölkerung akzeptierte die Grausamkeit der strategischen Bombardierung nicht mehr. Die Vertreter der strategischen Bombardierung waren mit dem gleichen Problem konfrontiert wie die Royal Air Force in den 30er Jahren in England. Doch anstatt das Konzept der strategischen Bombardierung kritisch zu hinterfragen, hielt man daran fest und entdeckte - genau wie einst in England - die angeblich humane Form der "Präzisionsbombardierung".

Intelligente Bomben, dumme Strategen

In neuen Dokumenten der US-Strategie wie Joint Vision 2020 und Nuclear Posture Review feiert das Denken der strategischen Bombardierung fröhliche Urständ. Mit global strike systems soll von der Luftwaffe, welche nun in einer Einheit mit der Weltraumwaffe gesehen wird, jeder Gegner "befriedet" werden. Wenn es nötig ist, auch mit dem Einsatz von Atombomben, die man natürlich so einsetzt, daß "die Kollateralschäden minimiert werden". Das versteht sich. Die Entwicklung dieser neuen Strategie basiert angeblich auf den positiven Erfahrungen der revolutionären Neuerungen in der Kriegsführung, die man seit dem Golfkrieg 1991 praktisch eingeführt habe und bei der sich die dominierende Rolle der von der Luftwaffe geführten Präzisionsschläge mit smart bombs eindrucksvoll bestätigt habe. Die bisherigen Beispiele der Erfolgsserie führen angeblich vom Irak über den Balkan nach Afghanistan.

Eigentlich wurde diese Art der Luftkriegsführung erstmals unter britischer Führung gemeinsam mit den USA erprobt, als man den alten Streit um die argentinischen Malvineninseln zu einem völlig unnötigen "Falklandkrieg" machte. Weiter ging es mit dem amerikanischen Bombenangriff auf Libyen 1986, bei dem nur wenige Zivilisten getötet wurden. Im Panama kamen dann im Jahr 1989 bei den amerikanischen Bombenangriffen über 2000 Zivilisten ums Leben, was sich bezogen auf das erklärte Kriegsziel - nämlich die Verhaftung einer einzigen Person - schwerlich als "Kollateralschaden" abtun läßt.

Über den Golfkrieg von 1991 gibt es viele Berichte, in denen die Wirkung der "Präzisionsbombardierung" über den grünen Klee gelobt wird. Allein die Tatsache, daß die gleichen Leute, die von diesen Erfolgen schwärmten, nur zehn Jahre danach lauthals die Notwendigkeit eines zweiten Golfkriegs propagieren, straft diese Berichte Lügen. Im Wirklichkeit wurden 1991 über dem Irak hauptsächlich Flächenbombardements mit "dummen" Bomben ausgeführt. Die Qualität der Präzisionsschläge kann man daran ermessen, daß der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz am 9. April 2002 vor dem US-Senat zugeben mußte: "Im Endresultat konnten wir nur einen Scud-Raketenwerfer zerstören, und das war eine Attrappe."

Bei dem peinlichen Einsatz in Somalia von 1993 handelte es sich nicht um einen für diese Luftschlagtheorie typischen Einsatz, obwohl die durch die amerikanische Bombardierung Mogadischus hervorgerufene Wut das Verhalten der Bevölkerung beeinflußt haben dürfte. Der Luftkrieg mit dem Namen Operation Deliberate Force hatte das erklärte Ziel, Milosevic zur Beendigung des Krieges in Bosnien-Herzegowina zu zwingen. Vom 30. Oktober 1995 bis zum 20. November 1995 wurden Luftschläge auf die serbischen Streitkräfte und deren Depots geflogen. Der entscheidende Grund dafür, daß die bosnischen Serben schließlich das Dayton-Abkommen unterzeichneten, waren jedoch die Erfolge der kroatischen Bodenstreitkräfte.

Die Operation Allied Force, bei der 1999 für die Dauer von 78 Tagen serbische Ziele im Kosovo mit smart bombs attackiert wurden, beschrieb das US-Verteidigungsministerium am 31. Januar 2000 in einem Bericht an den Kongreß als an overwhelming success, einen überwältigenden Erfolg. Der große Sieg bestand darin, daß sich der serbische Präsident schließlich bereit erklärte, seine Truppen aus dem Kosovo abzuziehen. Der unbefangene Beobachter war jedoch sehr erstaunt, was Milosevic nach dieser massiven Präzisionsattacke noch alles abziehen konnte. Die serbischen Einheiten hatten praktisch nichts abbekommen. Das Allied Force Munitions Assessment Team stellte am 14. Oktober 1999 in seinem Final Report fest, daß es bei den Lufteinsätzen im Verlauf des 78tägigen Angriffs nur gelungen war, 14 Panzer, 18 gepanzerte Mannschaftstransporter und 20 Mörsergeschütze zu zerstören. Der Anteil der eingesetzten Präzisionswaffen lag bei 35%. Getroffen wurde ein mit Traktoren bewaffneter Flüchtlingszug nahe der albanischen Grenze und auch die chinesische Botschaft in Belgrad sowie vor allem die zivile Infrastruktur: alles Leistungen, die mit dem technischen Gerät des Zweiten Weltkrieges auch schon vollbracht wurden.

Welche Glanzleistungen die amerikanische Luftwaffe in Afghanistan vollbrachte, ist aufgrund der Nachrichtensperre schwer abzuschätzen. Man kann nur hoffen, daß die Verfolgung Bin Ladens nicht immer so verlief wie der 1998 geführte Angriff amerikanischer Bomber auf die Giftgasfabrik Bin Ladens im Sudan, womit in Wirklichkeit eine pharmazeutische Anlage zerstört wurde. Das erklärte Kriegsziel, die Tötung oder Verhaftung Bin Ladens, ist bisher anscheinend nicht erreicht worden, und auch von einer Befriedung des Landes kann nicht die Rede sein. Die militärischen Erfolge gegen die Taliban dürften vor allem aufgrund von Zahlungen an lokale "Warlords" zustande gekommen sein und wenig mit der Wirkung der smart bombs zu tun haben, die in der Steinwüste von Afghanistan all ihre Klugheit einsetzen müssen, um überhaupt lohnende Militärziele zu finden. Die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist mittlerweile ein Vielfaches der Toten vom 11. September. Als US-Flugzeuge in Afghanistan das bei Hochzeitsfeiern übliche Freudenfeuer aus Gewehren "beantwortet" und dabei mindestens hundert Zivilisten massakriert haben, mußte selbst (Oberst a.D.) John A. Warden III zugeben: "Wir unternehmen jetzt Dinge, die nur wenig zu bringen scheinen."4 Warden spielte als der Stratege der Air Force bei der Planung der Luftoffensive im Golfkrieg von 1991 eine Schlüsselrolle.

John Wardens Buch The Air Campaign, Planning for Combat von 1988 und seine Schrift The Enemy as a System5 gelten als die "Klassiker" des neuen strategischen Denkens, und er selbst ist zusammen mit John Boyd zur Ikone der Vertreter der RMA geworden; alle sind sie "große Gläubige an den Einsatz von Hochtechnologie und Präzisionsbombardierung". Betrachtet man Wardens Theorie genauer, so stellt man fest, daß er das Opfer einer unter Militärs weitverbreiteten Geisteskrankheit geworden ist, die sich durch das Systemanalysesyndrom äußert. Wenn ein Kind im Sandkasten mit Förmchen spielt, dann ist das nett anzusehen und ganz normal. Wenn jedoch ein erwachsener Mensch auf der Straße herumläuft und versucht, jedes Ding in ein kleines rotes Sandkastenförmchen zu pressen, und dabei stolz erzählt, sein Förmchen habe fünf Ringe und alles passe in diese fünf Ringe hinein, dann ruft man normalerweise den Psychiater. Bei den heutigen Militärstrategen ist das anders. Nach jahrelanger Konditionierung durch die systemanalytischen Methoden der RAND-Corporation finden sie so etwas ganz normal.

Warden betrachtet jeden gegnerischen Staat durch das Schema seiner fünf Ringe. Er versucht im Zentrum die Führung zu finden, darum die Wirtschaft, dann die Infrastruktur, dann die Bevölkerung und erst ganz außen die Streitkräfte. Diese Struktur ist weder räumlich noch zeitlich festgelegt, sie ist ganz abstrakt und paßt deswegen immer und auf alles. Genau wie Douhet und die Vertreter der ACTS behauptet Warden, der Angriff auf dieses "Staatsringsystem" müsse von innen nach außen geführt werden. Warden spricht vom center of gravity - wenn es gelänge, das Gravitationszentrum zu zerstören, fliegt seiner Meinung nach das ganze System auseinander. Wardens Theorie behauptet, man könne den Sieg ganz ohne Kampf mit der Armee erringen, wenn man es schaffe, den Gegner durch einen "Enthauptungsschlag" zu paralysieren. Die Ausdrucksweise, mit der gedankenlos ein Individuum mit einem Staatswesen gleichgesetzt wird, unterstreicht das Systemanalysesyndrom. Wenn man ein Wirbeltier "enthauptet" oder ihm "ins Gehirn schießt", wie Cyberwar-Vertreter gerne sagen, dann ist es tot; die Führung, das "Haupt" eines Staatswesens wird sich jedoch normalerweise "regenerieren", indem andere Personen diese Aufgabe übernehmen.

Wardens Theorie wurde im Golfkrieg in die Praxis umgesetzt. Warden entwarf Operation Instant Thunder, womit er bewußt auf Rolling Thunder aus dem Vietnamkrieg anspielte und ausdrücken wollte, daß man nur alle Ziele möglichst "parallel" aus der Luft angreifen müsse: Enthauptung statt Daumenschrauben. Warden wurde jedoch schnell von Generalleutnant Charles Horner in Saudi-Arabien aus der Wüste geschickt, weil dieser Wardens Konzept ablehnte. In einem Interview mit der Washington Post erklärte Horner 1998, worum es ging, indem er auf die Frage "Hatte der Luftkrieg von 1991 politische Fehler?" antwortete: "Ich kann darauf nicht anders antworten als zu sagen, daß viele dachten, wir hätten Saddam Hussein töten sollen. Ich kann nicht sagen, daß ein solches Ziel völlig abzulehnen wäre, aber ich bin auch nicht sicher, was wir dadurch erreicht hätten. Wenn sein Sohn nachfolgt, um so schlimmer. Wenn das Militär die Führung übernimmt, muß man sich fragen, ob es die Republikanischen Garden sind oder die reguläre Armee, denn zwischen beiden besteht ein großer Unterschied."

Trotzdem wurde der Golfkrieg von 1991 als Durchbruch der Bomberstrategen dargestellt, und die "Enthauptung" wurde zur gedanklichen Grundlage von Dokumenten wie Joint Vision 2020 und Nuclear Posture Review.

Das strategisch-moralische Dilemma

Der britische Militärtheoretiker Liddell-Hart, der ursprünglich die Bombardierung der Zivilbevölkerung befürwortet hatte, nannte später strategische Bombardierung "barbarisch und dumm", und der Physiker Freeman Dyson bezeichnet sich wegen seiner Arbeit für das Luftfahrtministerium als "Schreibtischtäter". Das zeugt von einer intellektuellen Integrität, von der bei Vertretern der RMA wie Boyd und Warden nichts zu sehen ist. Diese hochmütigen Strategen behaupten, ihre Theorie gehe über Clausewitz und dessen veraltetes Werk Vom Kriege hinaus. Sie erklären, die technologische Entwicklung - insbesondere Computer, Mikroelektronik und künstliche Intelligenz - ermögliche es heute, in neue Regionen der Kriegsführung vorzustoßen. Sie beziehen sich bei diesem Vorstoß oft und gerne auf den "großen chinesischen Theoretiker" Sun Tsu, der seine Kriegskunst vor etwa 2500 Jahren in eine Reihe kurzer Lehrsätze faßte, die in jedes systemanalytisch geschulte Hirn passen; die komplexeren Begriffe des Clausewitzschen Werkes dagegen gehen dort wohl in irgendeinem der Loops zwischen OCR-System und CPU verloren.

Das Dilemma der Vertreter der Denkschule der strategischen Bombardierung ist offensichtlich. Die strategische Bombardierung hat in der Praxis niemals funktioniert. Sie kann auch gar nicht funktionieren, denn sie geht von einem falschem Menschenbild aus. Diese Tatsache bleibt systemanalytischem Denken und den im Hobbesschen Weltbild befangenen Geistern unbegreiflich. Wer jedoch die Verfassung der USA und die Schriften der amerikanischen Gründerväter unvoreingenommen liest, versteht es sofort; doch dafür sind diese RMA-Strategen leider zu dumm.

Anmerkungen:

1. Ein ausführlicher Bericht über Generalmajor Butler und den geplanten Staatsstreich gegen FDR findet sich im American Almanac vom 27.6.1994, 4.7.1994, 11.7.1994 und 25.7.1994, der in der amerikanischen Wochenzeitung New Federalist erschien.

2. Philip Towle, Pilots and Rebels. The Use of Aircraft in Unconventional Warfare 1918-1988.

3. LaRouches Memorial Day Webcast vom 28.5.2002.

4. Siehe Die Welt vom 8.7.2002.

5. Siehe Air Power Journal, Frühjahr 1995.


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