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Wenn die Geschichte, die sich 1975 im Landgericht Wiesbaden ereignet hat, nicht so entscheidend mit der Glaubwürdigkeit unserer Bewegung zusammenhinge, dann könnte man auch die neuerlichen Vorwürfe über Machenschaften des inzwischen verstorbenen Willy Brandt getrost als unerheblich "unter den Teppich" der politischen Geschichte unseres Landes fegen.
Mancher Sozialdemokrat wird sich verdutzt die Augen gerieben haben, als sein Blick auf die Schlagzeile in der Frankfurter Allgemeinen am Sonntage dem 11. Mai 2003, fiel: "Ein gerne gesehener Agent — Willy Brandt war auch noch nach dem Krieg Informant der Amerikaner. Aber wie lange?" Als hätten die Sozialdemokraten zur Zeit nicht genug Ärger! Der Autor Hanns C. Löhr, Mitarbeiter der "Arbeitsstelle für Kommunikationsgeschichte und interkulturelle Publizistik" der FU Berlin, berichtet über eine bisher unbekannte Akte, die im amerikanischen Nationalarchiv aufgetaucht ist. "Sie belegte" so Löhr, "daß der deutsche Exilpolitiker über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus und wahrscheinlich auch intensiver als bisher bekannt, für den OSS arbeitete."
Gegenstand dieses bislang unbekannten Berichts "sind vier kommunistische Parteiführer aus Norwegen. Die Amerikaner befürchteten zu diesem Zeitpunkt, daß die norwegischen Kommunisten als mögliche fünfte Kolonne das gerade befreite skandinavische Land unterwanderten." Ausdrücklich wird in diesem Bericht, der an die OSS-Zentrale in London ging, "Willy Brandt" als Quelle genannt. Der Sachbearbeiter in der Washingtoner Zentrale machte auf diesem Bericht den handschriftlichen Vermerk:
"Ein Informant, der durch und durch mit den norwegischen Angelegenheiten vertraut ist." Dies weise darauf hin, so Löhr, daß Brandt kein Unbekannter in der Zentrale des Geheimdienstes, des Vorläufers des CIA, war.
Bereits im Herbst 1999 berichtete der Spiegel, übrigens mit fast gleichlautendem Titel ("Ein gern gesehener Agent — Bisher unbekannte schwedische Geheimakten über Willy Brandt im Stockholmer Exil zeigen: Der junge Sozialist war ein geschätzter Informant — besonders bei den Amerikanern"), daß drei Ordner aus den Beständen der Saepo (schwedischer Geheimdienst) vorliegen, aus denen hervorgeht, daß gegen Brandt wegen "geheimdienstlicher Tätigkeit" für die Briten ermittelt wurde.
Der Spiegel berichtet dann manches darüber, wie sich Brandt mit seinen journalistischen Beiträgen und Berichten "in der Grauzone zwischen Spionage und Journalismus" etwas Geld verdiente. So wird auf einen Bericht des amerikanischen Gesandten Herschel V. Johnson verwiesen, der viele Informationen Brandts nach Washington kabelte. Am 12. September 1944, also nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler und nachdem die Todesstrafen gegen einige der Widerständler verhängt waren, hatte Brandt über einen Besuch von Adam von Trott zu Solz bei ihm geschrieben, auch über die Ziele der Widerständler. Johnson war entsetzt über den "großen Schaden", den Brandts Artikel beim Widerstand angerichtet habe; den guten Eindruck über Brandt "müssen wir entsprechend korrigieren", schreibt der Spiegel.
Brandt hat in seinen Erinnerungen (1988) nichts von den Johnson-Berichten geschrieben und war sehr wortkarg über diese Art der Zusammenarbeit mit den amerikanischen Diensten.
Nun kommt Stückchen-für-Stückchen die Wahrheit ans Licht — die Reaktionen der Öffentlichkeit im Jahr 2003 sind mäßig, und die Autoren dieser Veröffentlichungen werden sicher ein gewisses Honorar bekommen haben.
Ganz anders 1975. Damals schlugen Berichte, welche die Neue Solidarität [unsere Mitgliederzeitung] über die "langjährige" Zusammenarbeit Willy Brandts "mit dem CIA" veröffentlicht hatte, hohe Wellen. Es war noch eine Zeit bestimmter Vorrechte der Besatzungsmächte im Umgang mit den Nachkriegspolitikern. Sofort wurde — von Willy Brandts Rechtsvertreter, dem ehemaligen Justizminister Gerhard Jahn — die Justiz auf den Plan gerufen. Anlaß war ein bissiger Kommentar über Willy Brandts Zusammenarbeit mit bestimmten amerikanischen Kreisen sowie weiteres Dokumentationsmaterial zu Brandts Politik im Fahrwasser der damaligen US-Administration, das in der Folgezeit veröffentlicht wurde. Im Kern wurde dabei auf die Rolle des ehemaligen Hochkommissars John J. McCloy in der Beförderung der Karriere Brandts hingewiesen.
Die verantwortlichen Redakteure Anno Hellenbroich und Gabriele Liebig wurden angeklagt. Eine Verfahrenswelle mit einem Dutzend weiterer Anklagen wegen Verleumdung und übler Nachrede ("Majestätsbeleidigung") wurde im ganzen Land gegen Mitglieder der Europäischen Arbeiterpartei (EAP), die entsprechende Flugblätter und Broschüren verteilt hatten, angestoßen. Dabei gab es sogar gewaltsame Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen.
Die Verteidigung legte zum erstenmal vor deutschen Gerichten und in der Öffentlichkeit die Originaldepeschen von Herschel V. Johnson vor. Damals jedoch, zwischen 1975 und 77, war diese Wahrheit offenbar gänzlich verpönt. In allen Verfahren — außer in München — wurden diese sensationellen Dokumente als "beweisunerheblich" vom Gericht abgeschmettert. In den Hauptverfahren wurden hohe Geldstrafen und Bewährungsstrafen verhängt. (Im Verfahren vor dem Wiesbadener Landgericht gegen Hellenbroich hatte die Staatsanwaltschaft sogar zehn Monate Haftstrafe mit Bewährung beantragt, im erstinstanzlichen Urteil war gar von Androhung des Berufsverbots die Rede.)
Am 9. Oktober 1975 ergab sich die Gelegenheit bei einer Pressekonferenz mit Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme direkt die Frage zu stellen, was an den Berichten über CIA-Verbindungen Brandts und über die Rolle der Geldvermittlerdienste für die CIA an sozialistische Parteien dran sei (worüber amerikanische Zeitungen berichtet hatten und die Jusos eine Erklärung haben wollten). Der Korrespondent des International Press Service, der auch für die Neue Solidarität berichtete, wollte eine Antwort. Brandt dementierte vehement.
Bald darauf folgte eine böse Überraschung. Der Verein der Auslandspresse, deren Mitglieder die beiden Journalisten des International Press Service Helga Zepp und Hartmut Seile waren, beschloß, die beiden Journalisten auszuschließen. Vorsitzender der VAP war damals der Amerikaner Don Jordan, dessen grobschlächtige Art noch jüngst bei der Vorbereitung des Irakkriegs, den er vehement befürwortete, im Fernsehen zu bestaunen war.
Ein merkwürdiger Umgang mit der Wahrheit und denjenigen, die sie wissen wollen.
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