Januar 2006:

Schluß mit der Casino-Wirtschaft!

einige der Kandidaten auf der Liste zur Stadtratswahl
Bei der Mitgliederversammlung der BüSo Wiesbaden am 7. Januar wurden 27 Kandidaten für die Stadtverordnetenwahl am 26. März 2006 aufgestellt. Hier neun der Kandidaten im Bild mit der Bundesvorsitzenden Helga Zepp-LaRouche (oben, 3.v.l.).

"Anhand der Wiesbadener Probleme und Mißstände lassen sich die Fehler des vorherrschenden Denkens aufzeigen, die sich auch in der Bundespolitik und weltweit auswirken. Und wir wollen dauerhaft mitreden in Wiesbaden und in die Stadtverordnetenversammlung einziehen. Das ist ein sehr realistisches Ziel: Da es keine 5 %-Klausel gibt, brauchen wir dazu nur etwa 1 200 Wähler. Und bei den Wahlen in den letzten vier Jahren haben die Direktkandidaten der BüSo in Wiesbaden trotz der 5 %-Klausel regelmäßig zwischen 579 und 701 Stimmen erhalten", erklärte Spitzenkandidat Alexander Hartmann anläßlich der Aufstellung der Kandidatenliste der BüSo für die Wahl der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung am 26. März 2006.

27 Kandidaten im Alter von 18 bis 65 Jahren treten für die BüSo an, darunter alteingesessene Wiesbadener und EU-Bürger, Hausfrauen, Schüler und Familienväter, Selbständige und Arbeitslose. Einige der Kandidaten sind in der Stadt für ihre politischen und kulturellen Aktivitäten oder ihr jahrelanges Engagement im Bildungsbereich bekannt, wie z.B. der frühere OB-Kandidat Hartmann, Lutz Schauerhammer von den "Dichterpflänzchen" oder Elternsprecher Tillmann Müchler. Ein großer Teil der Kandidaten sind langjährige Mitglieder der BüSo. Angeführt wird die Liste von drei Mitgliedern des hessischen Landesvorstands der BüSo, Alexander Hartmann, Michael Weißbach und Andrea Andromidas.

Die Mitgliederversammlung, an der auch die BüSo-Bundesvorsitzende Helga Zepp-LaRouche teilnahm, wurde dazu genutzt, ausführlich über die Probleme Wiesbadens zu diskutieren. Da ist vor allem die Wirtschaftslage zu nennen: Mit 12,1 % liegt die Arbeitslosigkeit deutlich höher als in Hessen (9,4 %) und bundesweit (9,5 %), wobei davon auszugehen ist, daß die tatsächliche Arbeitslosigkeit noch höher liegt. Hinter der glänzenden Fassade des scheinbaren Wohlstands der Kur- und Casinostadt lebt also eine große Zahl von Armen.

Das ist vor allem eine Folge der zunehmenden "Entindustrialisierung" Wiesbadens. Traditionsunternehmen wie die Linde-Kühltechnik, die Dyckerhoff-Zementwerke und die Glyco-Metallwerke (jetzt Federal Mogul) sind von teilweiser oder gänzlicher Schließung bedroht, soweit diese nicht schon erfolgt ist, während die früheren Hoechst-Werke Kalle und Albert inzwischen in einen von der Aventis-Tochter Infraserv betriebenen "Industriepark" verwandelt wurden, in dem sich zahlreiche Einzelbetriebe angesiedelt haben, die nur noch durch eine Art Immobilienverwaltung miteinander verbunden sind. Nur noch Geschichte sind die Wiesbadener Didierwerke, die im Jahr 2000 abgerissen wurden - hier gibt es nur noch die Büros der Direktion dieses Unternehmens, das inzwischen einem österreichischen Konzern angehört.

Alleine in den großen Industriebetrieben am Rhein ging die Beschäftigung von einem Höchststand von rund 18 000 auf inzwischen etwa 6 000 zurück. Wiesbaden braucht also, ähnlich wie Deutschland insgesamt, eine Reindustrialisierungsoffensive. So, wie sich die Bundesregierung das Ziel stecken muß, acht bis zehn Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, so muß sich Wiesbaden entschließen, wieder eine Industriestadt zu werden. Und damit ergebe sich ganz automatisch die Gelegenheit, auch im Kommunalwahlkampf über die notwendige Neuordnung des Weltfinanzsystems durch ein Neues Bretton Woods, über das Ende der Globalisierung und über einen globalen Wiederaufbauplan zu reden.

Eine Uni für Wiesbaden!

Für einen solchen Wiederaufbau braucht Wiesbaden vor allem viele junge Menschen, die bereit sind, in einer solchen Industriegesellschaft als Facharbeiter, Wissenschaftler und Unternehmer tragende Rollen zu übernehmen. Derzeit wandern die jungen Menschen jedoch ab, nicht zuletzt weil es in Wiesbaden keine angemessenen Ausbildungsmöglichkeiten gibt. Wiesbaden ist mit mehr als 270 000 Einwohnern eine der größten und eine der wenigen Landeshauptstädte ohne Universität, während die Universität im nahegelegenen Mainz aus allen Nähten platzt: Für 18 000 Studenten gebaut, studieren hier 35 000 Menschen, allein für das laufende Semester wurden 10 000 Bewerber abgewiesen.

Aber derzeit versuchen die Wiesbadener Stadtväter, Wiesbaden auf billigem Wege zur "Universitätsstadt light" zu machen, indem sie mit der im Rheingau ansässigen und hochgelobten Managerschmiede European Business School (EBS) verhandeln, einen zusätzlichen Fachbereich in Wiesbaden einzurichten. Aber die EBS wird gerade von denen gelobt, die jenen Managertypus suchen, der sich ohne Gewissensbisse an der Demontage produktiver Unternehmen zugunsten der spekulativen Finanzmärkte beteiligt und im Volksmund als "Nieten im Nadelstreifen" verrufen ist. Als Motto des Wahlkampfs wurde daher vorgeschlagen: "Schluß mit der Casino-Wirtschaft!" Was wir wirklich brauchen - in Wiesbaden und in Deutschland überhaupt - sind wieder Unternehmer vom Schlage eines Carl von Linde, Heinrich Albert, Fritz Kalle oder Eduard Fresenius.

Aber trotz des Niedergangs seiner Industrien ist Wiesbaden immer noch ein Zentrum der Medizin und der Chemie. Das legt es nahe, die Schwerpunkte einer künftigen Wiesbadener Universität im naturwissenschaftlichen Bereich zu setzen: Medizin, Biologie, Chemie und Physik. Es gilt, nicht nur Krankheiten wie AIDS, Grippe, Krebs oder Alzheimer zu besiegen, sondern auch grundsätzliche Fragen zu klären, etwa die offensichtliche - was ist Leben? Die Öl- und Gaskrise wirft die Frage auf, wie die für die Zukunft der Menschheit notwendigen Rohstoffe erzeugt oder durch andere ersetzt werden können. Wir müssen in absehbarer Zeit in der Lage sein, Rohstoffe zu produzieren, anstatt sie nur zu suchen.

Ein weiteres Problem, das angesprochen wurde, war die Verkehrsmisere und der drohende Kollaps der Infrastruktur überhaupt. Ein großer Teil der bestehenden Infrastruktur stammt entweder aus der Nachkriegszeit oder sogar noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Der Zustand vieler Straßen Wiesbadens ist katastrophal, und am Beispiel der Schiersteiner Autobahnbrücke, die nach offizieller Einschätzung in zehn Jahren nicht mehr passierbar sein wird und bis dann ersetzt sein muß, zeigt sich, daß immense Anstrengungen notwendig sind, um solche großen Infrastrukturanlagen rechtzeitig zu erneuern.

Aber die Infrastruktur muß nicht nur instandgehalten, sie muß auch ausgebaut werden, um die Probleme unter Kontrolle zu bringen, insbesondere, wenn mit der Verlagerung des Hauptquartiers der US-Truppen in Europa von Heidelberg nach Wiesbaden weitere 5 000 Soldatenfamilien zuziehen und die Infrastruktur in Anspruch nehmen werden. Das S-Bahnnetz muß ausgebaut und bis in die Innenstadt verlängert werden, um den Anteil des öffentlichen Nahverkehrs am Verkehrsaufkommen zu erhöhen, wozu ein rund 2,5 km langer S-Bahn-Tunnel notwendig wäre. Eine durchgehende Bahnverbindung zwischen den Innenstädten von Mainz und Wiesbaden würde die Zahl der Nutzer nach offiziellen Untersuchungen von 7 000 auf 42 000 Personen täglich erhöhen. Das stauanfällige Busliniennetz sollte z.T. durch eine im Innenstadtbereich ebenfalls unterirdisch anzulegende Stadtbahn abgelöst werden.

Hier muß die öffentliche Hand aktiv werden und die entsprechenden Summen investieren. Die derzeitige Wiesbadener Stadtregierung hält sich jedoch streng an die neoliberale Philosophie, wonach die Initiativen "vom Markt" ausgehen sollen. Stadtplanung im eigentlichen Sinne findet kaum noch statt, man wartet auf Investoren und deren Ideen. Und weil viele dieser Ideen sich als nicht realisierbar erweisen, mehren sich nach und nach die Konkursverfahren und die Brachflächen in der Stadt.

Gleichzeitig übernimmt die Stadt unter ihrem Kämmerer Dr. Helmut Müller, der im kommenden Jahr die Nachfolge von Oberbürgermeister Diehl antreten will und zu diesem Zweck aus dem Büro des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ins Rathaus wechselte, eine Vorreiterrolle bei der Demontage des sozialen Systems: Die städtische Wohnungsbaugesellschaft wird mit Mieterhöhungen offenbar "privatisierungsfit" gemacht, während die städtischen Verkehrsbetriebe ein eigenes Tochterunternehmen gegründet haben, um durch den Einsatz von Billigfahrern die Gehälter der Busfahrer um bis zu 300 Euro/Monat zu drücken - und dadurch private Konkurrenzunternehmen auszubooten! Anstatt also das Gemeinwohl gegen die Kräfte "des Marktes" zu schützen, überholt Müller den Markt sogar noch beim Lohndumping mit seiner asozialen, neoliberalen Politik.

Themen genug also für einen Kommunalwahlkampf.


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