Januar 2003: |
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Jenseits der Kulisse bloßer Wahlkampftaktik: Die augenblickliche Diskussion in der internationalen Diplomatie zeigt, daß die Mittel für eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts noch lange nicht ausgeschöpft sind.
Die Bundesregierung hat für ihre kritische Haltung zu den amerikanischen Kriegsplänen gegen den Irak international großen Zuspruch erhalten, zumal unter den drei ebenfalls kritischen ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat Frankreich, Rußland und China. Und es hat sicherlich besonders mit engen Rücksprachen zwischen Paris und Berlin zu tun, daß die Bundesregierung in einer bisher nicht dagewesenen Weise ihre diplomatische Offensive für eine friedliche Lösung des Irakproblems verstärkt hat. Auch die französische Regierung ist der Ansicht, die diplomatischen Mittel seien längst nicht erschöpft, ein Krieg gegen Bagdad sei absolut nicht zwingend, und ein anglo-amerikanischer Alleingang ohne Mandat der UNO verstoße gegen geltendes Völkerrecht.
Der erste Vorstoß in der Berliner diplomatischen Offensive kam mit einem international stark beachteten Gastkommentar des deutschen Botschafters in Washington, Wolfgang Ischinger, in der Washington Post vom 17.Januar.
Dort schrieb er, die größte Herausforderung für den Westen insgesamt im kommenden Jahrzehnt werde sein, "wie er seine Beziehung mit der Großregion Nahost - der riesigen Region vom Mittelmeer bis zum Indischen Subkontinent - gestaltet... Wie die fortdauernden Reibungen über Krieg mit dem Irak zeigen, hat der Westen noch keine umfassende politische Strategie für diese wichtige Region entwickelt. Elemente einer solchen Strategie existieren zwar, doch es herrscht mangelnde Klarheit über unsere Prioritäten und Ziele."
Daß ein Krieg gegen den Irak gewonnen würde, sei kaum zu bezweifeln, fuhr Ischinger fort, aber "viele Europäer sind zutiefst besorgt darüber, daß wir im Zuge davon zwei größere Kriege verlieren könnten: den gegen den Terrorismus und die Schlacht um die Herzen und Köpfe hunderter Millionen Araber und Muslime. Das ist einer der Gründe dafür, daß viele in Europa heute immer noch gegen einen Krieg gegen den Irak sind."
Ischinger skizzierte dann fünf Kernelemente einer Strategie, wie sie der Westen formulieren müsse: 1) Ernsthafte transatlantische Anstrengungen müsse es nicht nur hinsichtlich eines "Fahrplans" für einen israelisch-palästinensischen Frieden, sondern auch für dessen Umsetzung geben. Besondere Bedeutung komme dabei dem "Quartett" USA, EU, UN, Rußland zu. 2) Neben fortgesetzter Terrorismusbekämpfung sei die Schaffung solider Aussichten auf Stabilität und Wohlstand für Afghanistan, insbesondere durch Friedenssicherung und wirtschaftlichem Wiederaufbau, dringlich. 3) Eine gemeinsame westliche Strategie gegenüber dem Iran, die nach Meinung der Europäer in Zusammenarbeit mit dem aufgeschlossenen Präsidenten Chatami bestehen sollte, sei auszuarbeiten. 4) Politische Schritte gegen die Verbreitung von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen und Abrüstungsabkommen seien nicht nur mit dem Irak, sondern auch mit anderen Ländern anzustreben. 5) Man müsse einen intensiveren Dialog zwischen dem Westen und Ländern der Großregion Nahost führen, um einen "Kampf der Kulturen" zu vermeiden. Dabei könne die Erfahrung Europas mit der KSZE ein Bezugspunkt sein.
Abschließend mahnt Ischinger: "Der Westen sollte seine Prioritäten klären. Transatlantische Reibungen lassen sich am besten vermeiden, indem wir auf der Grundlage einer gemeinsamen Vision handeln. Wenn wir uns nicht ernsthaft bemühen, eine kohärentere langfristige Strategie gegenüber dieser Region zu definieren, könnte der Westen - und ebenso die Großregion Nahost - in Schwierigkeiten geraten."
Ischingers Dienstherr, Bundesaußenminister Fischer, äußerte sich am gleichen Tag in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ähnlich und forderte eine umfassende Entwicklungsstrategie für die arabisch-muslimische Welt als wirksame Perspektive gegen Terrorismus und gegen einen "Kampf der Kulturen".
In einem Vortrag auf einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York am 20.Januar verstärkte Fischer die deutsche Argumentation. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, wie er nach den Ereignissen vom 11.September 2001 geführt werde, dürfe man nicht nachlassen, aber es gebe eines dabei zu bedenken:
"Dieser Terrorismus will uns zu einer unüberlegten Reaktion zwingen, uns in einen Krieg der Zivilisationen verstricken. Exakt dem darf unsere Antwort nicht entsprechen. Wir müssen so reagieren, daß wir den Terrorismus schwächen. Dabei gibt es keine einfachen Antworten." Neben Krisenprävention, diplomatischer Lösung von Konflikten seien auch "Armutsbekämpfung, Bildungsförderung und Dialog der Zivilisationen" erforderlich, sagte Fischer. "Terroristische Taten zu verhindern ist unverzichtbar. Noch besser ist es aber, zu verhindern, daß neue
Täter heranwachsen."
Deutschland sei gegen militärische Maßnahmen gegen den Irak wegen der "fatalen Konsequenzen für die langfristige regionale Stabilität", fuhr Fischer fort. Der Rahmen, um mit solchen Konflikten wie jenem um den Irak umzugehen, werde von den Vereinten Nationen dargestellt, und der Kampf gegen Terrorismus und militärische Bedrohungen müsse rechtlich legitimiert sein, sagte Fischer. "Er muß nationales und internationales Recht, die Menschenrechte und die Charta der VN respektieren."
"Die internationalen Instrumente der Rüstungskontrolle, der Abrüstung und Nichtverbreitung dürfen keinesfalls geschwächt, sondern müssen ganz im Gegenteil gestärkt werden", sagte der Bundesaußenminister. "Auch dem Dialog mit anderen Zivilisationen, hier vor allem mit der islamischen Welt, messen wir besondere Bedeutung zu." In Interviews, die er im Rahmen seiner Reise zu den Vereinten Nationen gab, fügte Fischer hinzu, er verstehe überhaupt nicht, wie jemand dem Krieg Priorität einräumen könne, während die UNO-Inspektionen im Irak ein solch umfangreiches Ausmaß erreicht hätten. Die Kontrollen liefen gut, sie müßten verstärkt werden. Die Diplomatie sei noch längst nicht am Ende, sagte Fischer.
Nicht zuletzt wegen der Tatsache, daß Deutschland (das seit Jahresbeginn für zwei Jahre nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat ist) im Februar den Ratsvorsitz innehat, sind Fischers Äußerungen international stark beachtet und in vielen Ländern begrüßt worden. Wie die Dinge stehen, wird sich vermutlich im Februar entscheiden, ob es Krieg gibt oder ob er abgewendet werden kann.
Was das weitere Vorgehen und Abstimmungsverhalten Deutschlands im
Sicherheitsrat angeht, so legte der Bundeskanzler selbst, anläßlich einer Wahlveranstaltung der SPD im niedersächsischen Goslar, am 21.Januar fest, ein deutsches "Ja" für eine Krieg autorisierende Resolution werde es nicht geben.
"Ich habe speziell unseren französischen Freunden gesagt und den anderen auch, und ich sage das jetzt hier ein Stück weitergehend als das, was ich in dieser Frage sonst formuliert habe: ,Rechnet nicht damit, daß Deutschland einer den Krieg legimitierenden Resolution zustimmt - rechnet nicht damit.'" Das irakische Rüstungspotential könne über die UNO ausreichend kontrolliert werden. "Wir wissen um die Möglichkeit, das ohne Krieg zu schaffen, und wir kämpfen für diese Möglichkeit!" Der Kanzler weiter: "Wer immer etwas entscheidet - der Folgen wegen und der Bedingungen wegen wird sich Deutschland unter meiner Führung an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen!"
Und sicherlich mit dem Kanzler, der ja auch Parteivorsitzender ist, abgestimmt begannen Sozialdemokraten in Hessen und in Niedersachsen in der vergangenen Woche, neue Wahlplakate und Aufkleber anzubringen mit dem Slogan "Nein zum Krieg!" Somit hat sich die SPD kurz vor dem Wahltag zwar spät, aber vielleicht doch nicht zu spät, der Haltung der BüSo angenähert. Deren schon seit Wochen hängende Wahlplakate zeigen die Bundesvorsitzende Helga Zepp-LaRouche mit dem zentralen Wahlslogan Finanzkrach und Kriegsgefahr - Ich weiß was zu tun ist!
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