Juli 2004: |
Pfad: |
Erklärung von Helga Zepp-LaRouche, der Bundesvorsitzenden der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, zum Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament.
Als am 1. Mai anläßlich der EU-Erweiterung vielerorts von EU-Politikern Reden geschwungen wurden, diese Vergrößerung auf nunmehr 455 Mio. Menschen in Europa sei das wichtigste Ereignis in dieser Epoche, da mußte jedem klar denkenden Menschen deutlich sein, daß diesem Selbstlob der EU-Bürokratie leider jegliche Substanz fehlt. Kein einziger der Festredner hatte auch nur eine Annäherung an eine Vision, wie denn die Rolle Europas bei der Lösung der dramatischen Probleme in der Welt des 21. Jahrhunderts realistisch aussehen könnte. Und über die mögliche Antwort auf die realen Probleme innerhalb Europas wurde auch kein relevantes Wort gesagt.
Nur sechs Wochen später, bei der Wahl zum Europaparlament am 13. Juni, erwies sich die gloriose Selbstdarstellung der EU als eine der vielen Blasen, die in diesen Wochen nicht nur auf den Finanzmärkten platzen. Die Wahlbeteiligung, insgesamt nur bei 45 Prozent, lag in den neuen Mitgliedsländern in Osteuropa um die 20 Prozent. In Polen gewannen die drei anti-europäischen Parteien die meisten Stimmen - eine nicht zu überhörende Sturmwarnung vor kommenden Entwicklungen, wenn die selbstmörderische Kombination von Maastrichter Sparpolitik und Outsourcing in die neuen Billigproduktionsländer im Osten nicht durch eine klare Wachstumspolitik ersetzt wird.
Aber auch in den alten EU-Mitgliedsstaaten war das Ergebnis eine Quittung für die Tatsache, daß sich die Bevölkerung nicht mehr durch die Regierungen repräsentiert fühlt: Alle amtierenden Regierungen - mit Ausnahme Spaniens und Griechenlands, deren Regierungen gerade neu gewählt worden waren - wurden empfindlich abgestraft. Die SPD sank auf das niedrigste Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik, Tony Blairs Labour Party sogar auf den niedrigsten Stand seit 1918. Aber auch das generelle Wahlergebnis reflektiert eine Mischung von Zukunftsangst, Flucht vor der Realität und wachsender Irrationalität in der Bevölkerung, die sich mehr und mehr in ihren existentiellen Problemen allein gelassen fühlt. Die Tatsache, daß die Grünen inzwischen in Berlin, München und Köln zur zweitstärksten Partei geworden sind, und in einzelnen Wahlbezirken bis an die 40 Prozent bekommen haben, reflektiert die Realitätsverdrängung der 68er Generation und ihrer Kinder, die jeglichen Bezug dazu verloren haben, wie die Lebensgrundlagen der Gesellschaft überhaupt zustandekommen. Die PDS bekam in Brandenburg 30 Prozent und wurde stärkste Partei, und eine ganze Reihe von sogenannten "single issue"-Parteien erhielt verstärkten Zulauf. Weimar läßt grüßen.
Dieser Dialog, der dem Bürger die Chance gibt, sich über die axiomatischen Grundlagen seines eigenen Denkens und das der anderen klar zu werden, ist heute die dringendste Angelegenheit überhaupt. Denn nur so ist es möglich, über einen Zustand hinauszugelangen, der seit geraumer Zeit den politischen Prozeß in Deutschland lähmt, daß es - pointiert gesagt - nämlich beinahe unmöglich ist, zu welchem Thema auch immer, auch nur zwischen zwei Personen einen Konsens zu finden. Denn in den Köpfen der meisten Leute befindet sich nicht etwa eine kohärente Weltsicht, sondern eine Minestrone, die jeden italienischen Koch in Erstaunen versetzen würde.
Diese gegenwärtige Meinungs-Minestrone ist nur zu verstehen, wenn man die verschiedenen Wellen der Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Nachkriegsdeutschland in Betracht zieht: die totale Erschütterung der meisten Menschen 1945, die sich fassungslos fragten, wie es zu diesem Absturz Deutschlands hatte kommen können; die nachfolgende Umerziehung durch die Besatzungsmächte, die gleichzeitig wichtige Elemente der Nazi-Struktur in ihren Apparat übernahmen; die Umwertung der Werte, sprich Umerziehung, durch Ideologen, die von den Besatzungsmächten nach ihren Interessen ausgesucht wurden, wobei die Frankfurter Schule als Erzieher der 68er Generation eine ganz entscheidende Rolle spielte; und schließlich die 68er Revolution selbst, die bewußt die Werte in Frage stellte, die die Grundlage des Wiederaufbaus nach Kriegsende gebildet hatten.
Die Drogen-Rock-Sex-Gegenkultur der 60er Jahre, die Brandtschen Bildungsreformen, die sich bewußt gegen das Humboldtsche Ideal der Universalbildung richteten, die manipulierte Umwandlung der 68er in die Ökologiebewegung, der Angriff der neoliberalen Globalisierung auf den Sozialstaat - alle diese Paradigmenwandel haben das Bewußtsein eines großen Teils der Bevölkerung maßgeblich beeinflußt und dazu beigetragen, daß sich diese Bevölkerung als klein und unbedeutend empfindet. "Man kann ja doch nichts machen." "Gegen diese Machteliten kommt man ja doch nicht an." So oder ähnlich lautet die resignierte Ansicht einer Großzahl von Bundesbürgern.
Die BüSo geht den schwierigeren Weg, die Bevölkerung aus ihrer Lethargie und ihrem Kulturpessimismus aufzuwecken, und sie zu aktiven Staatsbürgern zu machen.
Das ist aber nur möglich, wenn die Bürger die Realität genauso begreifen, wie sie ist, wenn sie sich keinen Illusionen über die historische und strategische Lage hingeben und über die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. In diesem Europawahlkampf, der, wie gesagt, im unmittelbaren Nachfeld der EU-Erweiterung stattfand, wurden von allen anderen Parteien eine ganze Reihe von gravierenden Fehlannahmen verbreitet:
1. Das absolute Versagen der EU-Regierungen, aber auch der Oppositionsparteien, den wahren Zustand des globalen Finanzsystems zuzugeben - was in den oberen Etagen sehr wohl hinter verschlossenen Türen getan wird - : daß nämlich dieses Finanzsystem hoffnungslos bankrott ist, und der Ausbruch der Kernschmelze des Systems nur noch eine Frage sehr kurzer Zeit ist. Da die Bevölkerung aber andererseits sehr wohl am eigenen Leib erfährt, daß wir vor dem Bankrott und der Unregierbarkeit stehen, blieben 55 Prozent der Wähler in Deutschland und mehr als 80 Prozent in Polen zu Hause.
2. Dieselben Regierungen und Parteien vermieden alles, um der Bevölkerung das Gefühl der Dringlichkeit zu vermitteln, das sich aus der strategischen Lage ergibt. Die Illusion, daß wir uns in einer Art Interregnum bis zur US-Wahl im November befinden, in dem "schon nichts passieren wird", und nach dem dann eine Abwahl von Bush das Problem irgendwie lösen wird, bedeutet nichts anderes, als den Leuten Sand in die Augen zu streuen. Die Realität ist vielmehr, daß die Welt heute von denselben geopolitischen Gefahren bedroht ist, die im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts zum Zweiten Weltkrieg führten. Ein Wahlsieg Kerrys, der angesichts seiner gegenwärtigen Imitation der Politik Bushs keineswegs sicher ist, würde das Problem nicht lösen. Nur wenn das verstanden wird, wird deutlich, daß die Anstrengungen des demokratischen Vorkandidaten Lyndon LaRouche auf jede Weise unterstützt werden müssen.
3. Die Annahme, daß das Gemeinschaftssystem der EU einen Fortschritt gegenüber dem souveränen Nationalstaat und damit den Prinzipien des Westfälischen Friedens darstellt, ist ein weiterer Irrtum, der nur verschleiern soll, daß jede Form supranationaler Bürokratie immer die Gefahr oligarchischer und imperialer Strukturen beinhaltet. Nur der souveräne Nationalstaat garantiert die unveräußerlichen Rechte des Individuums, weil nur in ihm die Rechenschaftspflicht der gewählten Regierungen gewährleistet ist.
4. Die gegenwärtige EU hat absolut keine Vision und nicht die geringste Vorstellung, wie etwa das Verhältnis Europas in 50 Jahren z.B. zu Rußland oder China oder der arabischen Welt oder Afrika oder den USA etc. aussehen soll. Die Politik der EU geht derzeit nicht über eine Politik Europas eigener "Interessen" hinaus, sondern im Endeffekt auf die Staatsvorstellungen von Hobbes zurück. Was heute stattdessen gebraucht wird, ist die Idee einer übergeordneten Prinzipiengemeinschaft, die von den gemeinsamen Zielen der Menschheit geleitet wird.
5. Wer davon ausgeht, daß wir weder wirtschaftlich oder finanziell noch strategisch vor einer potentiellen Katastrophe stehen, der sieht auch keine Notwendigkeit, den Kurs zu ändern und die Fehler der letzten 40 Jahre zu korrigieren.
Zu all diesen Fragen hat nur die BüSo etwas zu sagen. Deshalb werden wir den Dialog mit der Bevölkerung verstärken, in Wahlkämpfen und in diesen Wochen und Monaten, die kein Interregnum sind, sondern der Zeitraum, in dem sich unser aller Schicksal entscheiden wird.
Zurück zur Politik-Hauptseite: