Mai 2002: |
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Gemeinsam mit dem Deutsch-Iranischen Theaterforum und anderen Kultureinrichtungen veranstaltete das Schiller-Institut zwei erfolgreiche Symposien unter dem Motto "Lebendiger Dialog statt Krieg der Kulturen". Hier die Vorführung in Wiesbaden.
Führe Dialog, stets und immer wieder!
Sei auf der Suche, wieder und wieder!
Dieser gute Rat des persischen Dichters Rumi faßt die Grundidee des Festivals persischer und deutscher Dichtung zusammen, das am 20. April in Düsseldorf und eine Woche später in Wiesbaden stattfand. Die beiden erfolgreichen Veranstaltungen richteten sich bewußt gegen den heute von anderer Seite propagierten "Kampf der Kulturen".
Das Echo war groß: In Düsseldorf war der Saal mit weit über hundert Besuchern hoffnungslos überfüllt; in Wiesbaden kamen etwa 80 Gäste zum Symposion und mehr als doppelt so viele zum Kulturabend. In Düsseldorf waren zwei Drittel, in Wiesbaden fast die Hälfte von ihnen in Deutschland lebende Iraner, die sich freuten, an die großen Dichter ihrer Heimat erinnert zu werden.
Nach der Begrüßung durch Birgit Vitt vom Schiller-Institut in Düsseldorf und Gabriele Liebig vom Schiller-Institut in Wiesbaden, sowie dem Vorsitzenden des Deutsch-Iranischen Theater-Forums Madjid Fallahzadeh, eröffnete die Sängerin Berokh Hossein Babai das Symposion mit einem persischen Lied nach einem Gedicht von Forough Farokhzad. Grundthema der fünf Referate war die Bedeutung der Poesie für den Dialog der Kulturen, mit dem Schwergewicht natürlich auf der persischen und der deutschen Dichtkunst und deren Wechselwirkung.
Helga Zepp-LaRouche, die Präsidentin des Schiller-Instituts, stellte diese Diskussion in den Rahmen der gegenwärtigen Weltlage. Gewisse anglo-amerikanische Kreise versuchten, die Welt in einen globalen "Krieg der Zivilisationen" zu stürzen. Ausdrücklich wies sie Samuel Huntingtons These von der Unausweichlichkeit des Konflikts zwischen Christentum, Judentum und Islam zurück, die auf Huntingtons offensichtlicher Unkenntnis der betreffenden Kulturen beruhe.
Huntingtons irriger These stellte sie das von Nikolaus von Kues in seinem Dialog De pace fidei entwickelte Konzept der "einen Religion" hinter den vielen religiösen Gebräuchen gegenüber: Nach dem Fall Konstantinopels hatte Cusanus ein fiktives Gespräch zwischen Vertretern von 17 Religionen mit dem "Wort Gottes" verfaßt, in dem festgestellt wird, daß sich alle Weisen einig seien, daß es nur eine Wahrheit geben könne, die man nicht mit dem Wort der Propheten verwechseln dürfe. Diese Wahrheit sei die "eine Religion", auf welche alle "religiösen Gebräuche" mehr oder weniger unvollkommen hinstrebten. Tatsächlich, so Zepp-LaRouche, finde man diesen Bezug auf die Wahrheit in allen großen Religionen, auch im Hinduismus, wo schon in frühesten Schriften von dem "einen Gott mit den vielen Namen" gesprochen werde. Ähnliches gelte für den Konfuzianismus.
Das zweite für den Dialog der Kulturen entscheidende Konzept habe Friedrich Schiller mit der Idee der "Universalgeschichte" entwickelt: denn die Hauptzentren der kulturellen Entwicklung der Menschheit lagen zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Regionen - von den Anfängen in China, Indien, Mesopotamien und Ägypten, das starken Einfluß auf die spätere Blüte des klassischen Griechenlands ausübte. Unter dem Einfluß des Römischen Reichs verfiel die europäische Kultur, und viele Leistungen Griechenlands seien heute nur noch bekannt, weil sie in den Zentren der islamischen Renaissance, vor allem Bagdad, gesammelt und ins Arabische übersetzt wurden. Die persisch-arabische Renaissance habe dann ihre Fortsetzung in der italienischen Renaissance gefunden, so daß die verloren gegangenen Ideen der Griechen in Europa wieder wirksam wurden. Auch die deutsche Klassik habe sehr bewußt auf den Leistungen anderer Kulturen - der Griechen, aber auch der Perser, aufgebaut.
Anschließend skizzierte Dr. Mohammad Assemi, der seit vielen Jahren die deutsch-persische Kulturzeitschrift Kaweh herausgibt, den Gleichklang der Ideen von Hafis und Friedrich Schiller. Er begann seinen Vortrag, indem er "das wohl ,persischste' Gedicht Schillers" - die Ode an die Freude - rezitierte. Schiller sei wie Hafis ein Aufklärer gewesen, dessen Werke von Idealismus und Moral und vom Wunsch nach Freiheit getragen seien. Dies sei in allen Werken Schillers zu spüren, vor allem in seinen Dramen wie Don Carlos, der Jungfrau von Orleans und Wilhelm Tell. Schiller sei sozusagen "Deutschlands Ersatz für eine bürgerliche Revolution". Wie Schiller habe Hafis sich gegen Bigotterie verwahrt und sei deswegen angefeindet worden.
Der persische Schriftsteller Dr. Ahmed Nawardamouz Rahimi behandelte in seinem Vortrag die Rolle der Poesie in der persischen Gesellschaft. "Ein Iraner drückt seine Gefühle zur Liebe und Trennung in poetischer Form aus." Im Iran begegne man "Dichtern, die in ihrem Leben keine Dichtung von sich vorzeigen können. Sie sind trotzdem Dichter, weil sie den Geist des Wortes kennen." Diese Dichter erbauen "die grenzenlose Welt der Menschheitsgeschichte". Leider sei dieses Bewußtsein dabei, in Vergessenheit zu geraten, der heutige Mensch wisse nicht mehr, "daß ein Dichter nicht nur zu seiner Zeitepoche gehört, sondern in allen Zeitepochen der Geschichte lebt." Rahimis Vortrag war selbst eine Demonstration der sehr poetischen persischen Sprache: Für den des Persischen Unkundigen hörte es sich so an, als rezitiere er ein Epos.
Als letzte Referentin stellte Muriel Mirak-Weißbach die besondere Bedeutung der Übersetzer dar. Ohne gute Übersetzungen könne man keine anderen Kulturen kennenlernen, und ohne Übersetzungen wären manche Werke der Weltliteratur unwiederbringlich verloren. Besonders Deutschland habe viele begabte Übersetzer hervorgebracht. Philologen wie Wilhelm von Humboldt oder Franz Bopp untersuchten die Verwandtschaft der Sprachen, andere, wie der Wiener Diplomat Hammer-Purgstall, übersetzten systematisch die Poesie anderer Völker. Der wichtigste dieser deutschen Nachdichter sei Friedrich Rückert gewesen, der mehr als 100000 Verse aus 40 verschiedenen Sprachen, darunter Türkisch, Arabisch, Persisch, Sanskrit und Chinesisch, ins Deutsche übertrug. Rückert habe fremde Formen wie z.B. das Ghasel in die deutsche Literatur eingeführt. Eine Nachfolgerin habe er heute in Annemarie Schimmel gefunden.
In Düsseldorf hatte sich die Podiumsdiskussion vor allem um das empörende Vorgehen der israelischen Armee gegen die Palästinenser bewegt, und warum von Seiten der deutschen und der amerikanischen Regierung nicht mehr dagegen unternommen werde. Frau Zepp-LaRouche entwickelte in Antworten auf mehrere Fragen die Notwendigkeit, von möglichst vielen Seiten her auf die US-Regierung einzuwirken, denn in Washington liege der Schlüssel für die Politik der Regierung Scharon. Es gelte, weltweit eine "Allianz der Vernunft" zu organisieren.
In Wiesbaden wurde die Frage aufgeworfen, ob denn, wie von manchen erwartet, ein hundertjähriger Krieg der Religionen drohe. In ihrer Antwort verwies Frau Zepp-LaRouche auf den weltweiten Finanzkollaps als Hintergrund der weltweiten Konflikte. Vorbild für die Überwindung dieser Konflikte müsse der Westfälische Frieden sein, der ausdrücklich feststelle, alle Außenpolitik müsse auf Liebe beruhen. Der Staat müsse die Initiative zu Wiederaufbau der Wirtschaft übernehmen, z.B. im Nahen Osten durch den "Oasenplan", und durch die Verwirklichung umfassender Entwicklungskonzepte wie der "Eurasischen Landbrücke. Ansonsten bestehe nicht nur die Gefahr eines hundertjährigen Religionskrieges, sondern eines völligen Zusammenbruchs der Zivilisation.
Eine Teilnehmerin betonte, Poesie sei wichtig, um andere Kulturen nicht nur theoretisch, sondern auch emotional begreifen zu können. Wenn selbst Eiskristalle unter dem Einfluß schöner Musik schöner wüchsen - eine japanische Entdeckung - müsse die Wirkung beim Menschen noch viel stärker sein. Eine andere Dame aus dem Publikum wandte ein, die Menschen seien erst aufnahmefähig für Poesie, wenn ihre materiellen Bedürfnisse befriedigt seien. Ein weiterer Diskutant wandte ein, die Poesie könne immerhin Menschen, die keine materiellen Sorgen hätten, dazu bewegen, die übrigen nicht zu vergessen und für die Verbesserung der Lage der anderen zu sorgen. Eine resolute Dame meinte hingegen: Wer den Krieg und die schlechte Zeit erlebt habe, wisse wohl, daß es gerade in der größten Not oft die Poesie und die Musik waren, die den Menschen die Kraft zum Überleben gaben.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Schulpolitik. Müsse der Dialog der Kulturen, also die Beschäftigung mit den Kulturen anderer Völker, nicht schon in der Grundschule beginnen? Frau Zepp-LaRouche antwortete zustimmend, wenn es zu einer solchen Verständigung zwischen den Kindern verschiedener Kulturen käme, dann wäre dies zweifellos das Ende des Rassismus. Und sie skizzierte ihr Projekt eines zu diesem Zweck zu gründenden internationalen Kinderparlaments. Herr Zohari von der Theatergruppe Paradies verwies darauf, daß gegenwärtig leider vor allem in diesem Bereich gespart werde. Er biete im Rahmen eines Lehrauftrags Seminare für Lehrer über die Behandlung von Märchen im Unterricht an, was eine sehr gute Möglichkeit sei, Kinder mit anderen Kulturen bekannt zu machen; aber sein Etat sei so beschnitten worden, daß er statt vier Seminaren nur noch ein Seminar im Jahr durchführen könne.
Die Wiesbadener Diskussion stand deutlich unter dem Eindruck der Erfurter Schultragödie, die sich am Vortag ereignet hatte und auf die Frau Zepp-LaRouche zu Anfang ihrer Rede Bezug genommen hatte. Das Problem der "Neuen Gewalt" in der Gesellschaft und an den Schulen müsse sehr ernst genommen werden. In den USA komme es inzwischen fast täglich zu Gewaltdelikten an Schulen. Es sei ein Symptom einer sterbenden Gesellschaft, wenn sie Angst vor der eigenen Jugend habe. Gerade hier sei die veredelnde Wirkung der Kunst notwendiger als sonst irgendwo.
Im Wechsel mit Liedern folgten nun persische und deutsche Gedichte. Frau Berokh Hossein Babai sang mit voller, ausdrucksstarker Stimme persische Lieder, u.a. Die Veilchen setzt in Verwirrung nach Hafis, sowie ein Volkslied aus ihrer Heimat Aserbeidschan. Sie wurde am Klavier begleitet von Kurosh Zanjani, der die Lieder selbst arrangiert hatte und Zwischenspiele improvisierte.
Die Gedichte wurden von Mitgliedern der "Dichterpflänzchen" aus Düsseldorf und Wiesbaden rezitiert, Iradj Zohari trug mit dem lebendigen Vortrag von Werken Saadis und Hafis' im persischen Original bei, die man mit der deutschen Übersetzung vergleichen konnte.
Auf dem Programm standen u.a. O Liebende vernehmt: Ich liebte schon und Steh auf! Nur heut gehört uns diese Welt von Maulana Dschalaladin Rumi in der Übersetzung Rückerts, Heinrich Heines Belsazar und Conrad Ferdinand Meyers Mit zwei Worten (die beide einen historischen Hintergrund haben), Der Perserteppich des kürzlich verstorbenen Walter Diez aus Wiesbaden sowie Goethes imaginärer Dialog mit Hafis, Beiname.
Köstlichen Humor bietet die autobiographische Geschichte Vom Regen in die Traufe aus dem Rosengarten von Moschareff ad-Din Saadi, worin der Dichter aus der Knechtschaft der fränkischen Kreuzfahrer freigekauft wird, nur um als Knecht eines zänkischen Weibes zu enden. In Düsseldorf wurde auch Heines Der Dichter Firdusi mit verteilten Rollen wirkungsvoll vorgetragen. Für viele war es überraschend, wie sehr sich die deutschen Dichter mit den persischen Meistern befaßten, Goethes West-Östlicher Divan ist nur das berühmteste Beispiel von vielen.
Zuletzt folgten Gedichte über den Wein, der im Bilde der Dichter die Menschen den Göttern näherbringt: Hafis' Ich und dem Wein entsagen, Goethes Solang man nüchtern ist und Schillers Dithyrambe.
Den Abschluß bildeten drei Lieder nach Goethes Divan: Geheimes von Franz Schubert, das Lied der Suleika "Wie mit innigstem Behagen" von Robert Schumann und das Duett Hatem und Suleika von Fanny Mendelssohn. In dem Duett kamen die lyrischen Stimmen von Lotta-Stina Thronell-Hartmann (Sopran) und Stephan Marienfeld (Tenor) besonders schön zur Geltung. Die deutschen Lieder begleitete Werner Hartmann am Klavier.
Das Stück hat eine hochinteressante Geschichte, die der Bearbeiter und Regisseur Zohari dem Publikum kurz erläuterte (siehe Neue Solidarität Nr. 51 vom 19.12.2001). Es beruht auf einer Geschichte aus dem lyrischen Epos Haft peykar (Sieben Bildnisse) des Hakim Elias ben Nezami aus dem Jahr 1198. Zohari hat diese nach der deutschen Erstübersetzung von Rudolf Gelpke (Die sieben Geschichten der sieben Prinzessinnen, 1958) für die Bühne bearbeitet. Dabei wählte er den Titel Turandot, obwohl Nezamis Prinzessin eigentlich namenlos ist, weil der Stoff unter diesem Namen bei Derwisch Mokhless, Gozzi, Schiller oder Puccini ein Begriff ist.
Das Stück erzählt die Geschichte der Prinzessin Turandot, die ihre zahlreichen lästigen Freier durch Zauberschwerter töten läßt, bis ein Prinz sich in ihr Bildnis verliebt, aber zuerst bei einem Weisen in die Lehre geht und seine irdischen Begierden abwirft, bevor er sich Turandots Burg naht. Er erwirbt sich die Liebe des Volkes und schließlich auch Turandots, und indem er ihre für den Zuschauer mysteriösen Zeichen meisterhaft beantwortet, kann er sie schließlich heiraten, und Turandots Hartherzigkeit ist überwunden.
Der im Iran und in Deutschland erfahrene Theatermann Iradj Zohari spielte selbst den König und den Dichter, der am Anfang und Ende des Stückes (selbst begleitet auf einer persischen Laute) Gott um Beistand anruft. Großartig spielte Bettina Lück die Rote Prinzessin, die Turandots Geschichte als Stück im Stück erzählt, sowie große Teile der Rolle Turandots. Mahshid Nahavandi als Vertraute und Amir Saeidi als Prinz trugen zum Gelingen des Ganzen bei, das vom Publikum mit langanhaltendem Applaus honoriert wurde.
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