September 2003:
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Dringend gesucht: Neue Finanzpolitik und neuer Finanzminister

Die Schuldenuhr in Wiesbaden
Steuersenkung als Allheilmittel? "Die Verbraucher konsumieren trotz gefüllterer Taschen nicht mehr, und die Unternehmen stellen für die eingesparten Steuern nicht mehr Arbeitskräfte ein. Als Folge nimmt der Staat noch weniger Steuern ein. Manche wollen offenbar einfach nicht dazulernen!".
Rainer Apel kommentiert die politische Lage.

Im Bild: Die Schuldenuhr in Wiesbaden, auf der man den aktuellen Stand der deutschen Staatsverschuldung ablesen kann. Eine brauchbare Lösung wird nicht gleichzeitig angeboten!

Das Ergebnis der Klausursitzung, zu der sich das Bundeskabinett jüngst in Neuhardenberg traf, ist mehr als enttäuschend, und auch die Tatsache, daß der Kanzler der Opposition mit seinem Steuersenkungsvorstoß den Wind aus den Segeln nahm, ändert nichts daran.
Zum einen wurde die angeblich so "entspannte" Atmosphäre in Neuhardenberg wesentlich durch die Notrettung der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen geschaffen - wozu nur wenige Stunden vor der Klausursitzung ausgerechnet der Metrorapid geopfert wurde. Zum anderen wird sich auch in Deutschland wiederholen, was in anderen Ländern nach Steuersenkungen zu beobachten ist: Die Verbraucher konsumieren trotz gefüllterer Taschen nicht mehr, und die Unternehmen stellen für die eingesparten Steuern nicht mehr Arbeitskräfte ein. Als Folge nimmt der Staat noch weniger Steuern ein. Manche wollen offenbar einfach nicht dazulernen!

Im übrigen wird es 2004 weder ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent geben, noch werden die Arbeitslosenzahlen sinken, und die generellen Einnahmeverluste aus Steuern werden auch nicht weniger. Zu erwarten sind 2004 außer zusätzlicher Neuverschuldung von 7 Mrd. Euro vermutlich Einsparungen im Gesundheits- und Rentenbereich, vielleicht sogar eine Mehrwertsteuererhöhung. Jedenfalls, wenn es keine Wende zum Schlechten (Finanz-GAU) oder zum Guten gibt.

Die Bundesregierung hat in Neuhardenberg unter dem Einfluß von Finanzminister Eichel eine Mogelpackung gebastelt, die nicht um einen Deut besser wird, weil jetzt Teile der Christdemokratie und der Freidemokraten plötzlich Positives darin finden.

Die Neuhardenberger Sitzung ist vor allem deshalb enttäuschend, weil sie einen Rückschritt gegenüber positiveren Tendenzen in der Regierungsdiskussion in den zwei Wochen davor darstellt. Immerhin hatte am 23. Juni selbst Finanzminister Eichel öffentlich zugeben müssen, daß sein italienischer Amtskollege Tremonti mit seinem Vorschlag für ein Europa-Infrastrukturprogramm "grundsätzlich richtig" liege. Es hätte demnach Sinn gemacht, in Neuhardenberg eine ähnliche deutsche Initiative auszuarbeiten. Statt dessen zog es die Regierung vor, so weiterzuwursteln wie bisher, und der Bund erhöht nicht die Investitionen, sondern nur die unproduktive Schuldenaufnahme. Das ist eben "grundsätzlich falsch".

Die offiziellen Statistiken zeigen, wo die Regierung eigentlich handeln müßte: Im ersten Quartal 2003 sind die Unternehmenspleiten um nahezu 10% gegenüber dem ersten Quartal 2002 gestiegen; die stärksten Exportsteigerungen wurden nicht in Europa, sondern in Asien (China +19,6% in 2002) und Rußland (+10,6%) erzielt.

Weil die Regierungen in China und Rußland größeres Gewicht auf den Ausbau der eigenen Industrieproduktion und der Infrastruktur legen, können deutsche Exporteure dort mehr verkaufen. Mehr als ein Viertel der chinesischen Importe aus Deutschland sind Maschinen. Die Exportmärkte wandern, das hat der italienische Finanzminister Tremonti gerade wieder erwähnt, nach China aus, weil Europa nicht mehr investiert. Die Europäer bauen ihre eigene Produktionsgrundlage ab, deshalb nehmen die Pleiten im produktiven Gewerbe einschließlich der Bauwirtschaft stetig zu - in Deutschland ebenso wie in anderen europäischen Ländern. Und daß die Bundesregierung jetzt auch noch den Metrorapid kippt, ist ein Signal in die völlig falsche Richtung.

Erfreulich ist jedoch, daß das Aus für den Metrorapid die Diskussion um andere Transrapid-Projekte wiederbelebt. So forderte Hessens Regierungschef Koch den Bau der Strecke Frankfurt-Hahn, sein niedersächsischer Amtskollege Wulff die Strecke Hamburg-Groningen, die Hamburger Bürgerschaft mit Ausnahme der Grünen den Bau dieser Strecke sowie deren Verlängerung nach Berlin, und Hessens Landtagsfraktion der FDP stellte den Antrag, Frankfurt-Hahn nach Luxemburg und Brüssel zu verlängern. Bundesverkehrsminister Stolpe setzt sich für die Trasse Berlin-Leipzig ein, allerdings nur, wenn Leipzig den Olympia-Zuschlag für 2012 erhält.

Hans Eichel ließ aber erst einmal erklären, er habe überhaupt kein Geld für irgendwas. Daß Eichel nicht einmal willens war, Bürgschaften für die relativ kleine Summe von 250-300 Mio. Euro jährlich für den Metrorapid zu geben, ist eine offene Bankrotterklärung seiner Finanzpolitik. Das so "eingesparte" Kleingeld im Bundeshaushalt wird ihm auch nicht helfen, die Maastrichter Kriterien einzuhalten, statt dessen wird ein Pilotprojekt, ein Hoffnungsträger der deutschen Hochtechnik, eliminiert. Innerhalb des Maastrichter Systems ist eine sinnvolle Finanzpolitik - und dazu gehören insbesondere Maßnahmen zum Abbau der den Haushalt belastenden Arbeitslosigkeit durch Erhöhung der Produktion - einfach nicht möglich.

Eben deshalb wäre ein Vorgehen wie das von Tremonti empfohlene vorerst sinnvoll. Über die dem Maastrichter System nicht unterliegende Europäische Investitionsbank EIB, die der EU gehört, ließen sich ohne größere Probleme, wie Tremonti es vorschlägt, jährlich projektgebundene Kredite im Umfange von 50-70 Mrd. Euro beschaffen. Die EIB kann ähnlich der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau zinsverbilligte Kredite mit mehrjährigen Zahlungsfristen (Laufzeit bis zu 35 Jahre) vergeben.

Veranschlagt man die über die EIB der Bundesrepublik zufließenden Mittel auf 10 Mrd. Euro jährlich, so ließe sich hiermit schon einiges bewirken. Man könnte zwei größere Transrapid-Strecken dafür bauen und den Metrorapid dazu. Man könnte die Wasserstraße von Berlin bis zur Oder und die Bahnstrecke von Berlin bis Frankfurt/Oder sowie den Bahngüterverkehr von Odessa nach Nürnberg ausbauen. Außerdem könnte man daran gehen, die Donauschiffahrt durch Flußbaumaßnahmen auf den modernsten Stand zu bringen. Ginge man über den von Tremonti angestrebten Rahmen hinaus und erhöhte das Kreditvergabevolumen der EIB, könnte man mehr in Gang bringen.

Nach Berechnungen der Van-Miert-Kommission würden die am 30. Juni von ihr vorgeschlagenen 22 neuen Projekte für transeuropäischen Verkehrsinfrastrukturausbau 325 Mrd. Euro kosten - in einem Zeitrahmen von 17 Jahren bis Ende 2020. Mit dem Tremonti-Plan ließe sich das schon auf 5-6 Jahre beschleunigen, wenn die EIB-Mittel für jene 22 Projekte bereitstünden. Unklugerweise hat die deutsche Regierung die Transrapid-Technik bei ihren Eingaben an die Miert-Kommission gar nicht berücksichtigt, so daß ein Magnetschwebebahnprojekt unter den 22 Projektvorschlägen nicht erwähnt wird. Die Italiener haben mit dem Pionierprojekt der Messina-Brücke ihre nationalen Interessen da besser vertreten.

Die Europapolitik der Bundesregierung wird durch ihre engstirnige Finanzpolitik eingeschnürt. Die Finanzpolitik muß sich ändern, und wie es scheint, muß ein neuer Finanzminister her. Die Tatsache, daß gerade dieser Tage zwei frühere Finanzminister (Lafontaine und Ehrenberg) ihr Interesse am Tremonti-Plan ausdrücklich bekundet haben, zeigt, daß es selbst unter Sozialdemokraten Politiker gibt, die Besseres als Eichel leisten könnten. Der Kanzler wird noch einmal in Klausur gehen müssen, und man kann ihm nur raten, nicht so lange zu warten, bis die Arbeitslosenzahl die Fünf-Millionen-Grenze erreicht. Das wird wahrscheinlich passieren, noch ehe die jetzt beschlossene vorgezogene Steuersenkung im Januar in Kraft tritt.

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