Elisabeth Hellenbroich ist in ihrer Recherche den Dingen auf den Grund gegangen.
30 Jahre nach dem heißen Herbst 1977 ist in Deutschland eine Debatte über die Frage entbrannt, ob der Staat das Recht hat, die in Haft einsitzenden RAF-Terroristen Klar und Mohnhaupt zu begnadigen. Die Namen der beiden Terroristen sind eng verbunden mit einem dunklen Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik: der spektakulären Mordserie der RAF (Buback, Schleyer, Ponto) im Jahre 1977, die damals das Land tief erschütterten und quasi in einen Ausnahmezustand versetzten. Die entscheidende Frage, die bei der Debatte bisher ausgeblendet wird, ist die nach dem kulturellen und geistigen Umfeld, das zu der Revolte der 68er führte.
Es sind im wesentlichen zwei Kulturoffensiven, die nach dem zweiten Weltkrieg den Boden für die 68er Kulturrevolte bereiteten. (Die Neue Solidarität [unsere Mitgliederzeitung] hat darüber ausführlich im Laufe der letzten Jahre berichtet.)
Zum einen ist es die 1950 erfolgte Gründung des „Kongresses für die Freiheit der Kultur“ (CCF, auch „Kongreß für kulturelle Freiheit“ genannt). Es handelt sich um ein von führenden Mitarbeitern des US-Nachrichtendienstes (u.a.Michael Josselson , James Burnham, Frank Wisner, Mervin Lasky, Tom Braden) in Gang gesetzte Kulturoffensive in der Zeit des Kalten Krieges. Zu den führenden CCF-Publikationen gehörten damals Zeitschriften wie Laskys Monat, Encounter und Preuves. Die Aktivitäten des CCF konzentrierten sich auf Kulturfestivals, darunter Festivals über moderne Musik und spektakuläre Ausstellungen moderner Kunst.
Zur „linken“ Variante der Kulturoffensive gehörte die Frankfurter Schule. Ihre führenden Repräsentanten - ursprünglich dem marxistischen Denken nahestehend - führten im amerikanischen Exil, nach Auflösung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung unter Hitler, in Zusammenarbeit mit der Columbia University und dem OSS wichtige Projekte durch, die zur Unterminierung der christlich-humanistischen europäischen Kultur eingesetzt wurden und die Kulturmatrix der Nachkriegszeit maßgeblich prägten.
Zu den wichtigsten Projekten gehörten das Radio Research Project, an dem neben Paul Lazersfeld von der Columbia University der führende Theoretiker der Frankfurter Schule Theodor Wiesengrund Adorno beteiligt war, zum anderen die vom Institut für Sozialforschung in den USA durchgeführten Studien über „Autorität und Familie“ - speziell Adornos The Authoritarian Personality - sowie über den Antisemitismus. Sie wurden zu Beginn der 50er Jahre, nachdem die meisten Mitglieder des Instituts aus dem Exil nach Frankfurt zurückgekehrt waren, in der umfassenden Serie Studies on Prejudice veröffentlicht.
Einen interessanten Einblick in die Arbeit der Frankfurter Schule liefert das seit 1988 mehrfach neu aufgelegte Handbuch Die Frankfurter Schule (dtv) von Rolf Wiggershaus.
Nach dem Thüringer Seminar erfolgte Anfang 1923 die ministerielle Genehmigung zur Errichtung eines „Instituts für Sozialforschung“ an der Universität Frankfurt als einer „wissenschaftlichen Anstalt, die zugleich Lehrzwecken dient.“
1930 unterschrieben Pollock, seit 1925 Generalbevollmächtigter Felix Weils, für den Vorstand der „Gesellschaft für Sozialforschung“ und Max Horkheimer, seit zwei Monaten Inhaber eines Lehrstuhls für Sozialphilosophie, einen Vertrag. Am 24 Januar 1931 hielt Horkheimer seine öffentliche Rede anläßlich der Übernahme des Lehrstuhls für Sozialphilosophie und der Leitung des „Instituts für Sozialforschung.“
Die führenden Theoretiker des neu gegründeten Instituts für Sozialforschung waren zweifellos Max Horkheimer und Theodor Adorno. Einige dem Institut nahestehende Mitarbeiter, wie z.B Erich Fromm, waren ebenso eng verbunden mit dem 1929 in Frankfurt gegründeten Sigmund-Freud-Institut.
Fromm, der sich intensiv mit Bachofen auseinandergesetzt hatte, gehörte Wiggershaus zufolge neben Wilhelm Reich und Siegfried Bernfeld zu den Linksfreudianern, die den Versuch unternahmen, die Freudsche Trieblehre mit der Marxschen Klassentheorie zu kombinieren. Fromm war praktizierender Psychoanalytiker in Berlin sowie Dozent am Frankfurter Psychoanalytischen Institut und sozialpsychologischer Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung.
Zu seinen ersten größeren Abhandlungen gehörte Die Entwicklung des Christusdogmas. Eine psychoanalytische Studie zur sozialpsychologischen Funktion der Religion ( 1930). Sie war das Gegenmodell zur ideengeschichtlich orientierten, psychoanalytischen Deutung des Christusdogmas, in dem sich Fromm scharf gegen das christliche Menschenbild wandte. Im Machtgefälle der Klassengesellschaften wiederhole sich für die Beherrschten die infantile Situation: „Sie erleben die Herrschenden als die Mächtigen, Starken, Anerkannten, gegen die sich aufzulehnen vergeblich, deren Schutz und Wohlwollen durch Unterwerfung und Liebe zu erlangen vernünftig scheint. Die Gottesidee fordert noch die Bereitschaft, sich noch als Erwachsener Vaterfiguren zu unterwerfen und die Herrschenden in einem Verklärenden Licht zu sehen... Gewaltsame Aufstände, ohnmächtiger Haß auf die Herrschenden und masochistische Selbstverleugnung erschienen als gleichwertige Formen eines für Arme und Unterdrückte je nach Situation psychisch vernünftigen Verhaltens“, heißt es bei Wiggershaus. Für Fromm bedeutete der Katholizismus des Mittelalters eine „verhüllte Rückkehr zur Religion der großen Mutter“; er habe den infantilisierten Massen die Phantasiebefriedigung des von der Mutter geliebten Säuglings geboten. Genau davon aber müßten die neurotischen Massen befreit werden, indem man die unterdrückenden Lebensbedingungen aktiv verändere, so Fromms Kernthese.
Adorno war ein Bewunderer Arnold Schönbergs, des Begründers der Zwölftonmusik: „Alles Schönbergische ist heilig“, schrieb Adorno im März 1925 an Kracauer, „sonst gilt vom heutigen nur Mahler, wer dagegen ist, wird zerschmettert.“ Weiter über Schönberg: „Sein Gesicht ist das Gesicht eines dunklen, vielleicht eines bösen Menschen... nichts ,Abgeklärtes’ (er hat auch kein Alter), sondern besessen von oben und unten. Darüber sind zwei gewaltige, fast schon starre Augen und eine mächtige Stirn. Der ganze Kerl hat etwas Unheimliches und Beklemmendes, und zwar um so mehr, je konzilianter er sich gibt. Nimmt man noch die Schrift dazu, die mir Berg gab und die ich, ohne zu wissen, wessen sie ist, zu analysieren ablehnte, weil sie meiner eigenen unerhört ähnelt; an der ich dann aber doch auch das Gesagte und zugleich Gesammelte fand, so wird es mit ihm wohl seine Richtigkeit haben.“
Einer der ersten, die in die USA gingen, war Max Horkheimer, der mit seiner Frau am 26. April 1934 in die USA überwechselte. Zum gleichen Zeitpunkt fuhr auch Erich Fromm in die USA; in New York eröffnete er eine Praxis und übernahm eine Gastprofessur an der Columbia University. Horkheimer ließ damals als erstes Herbert Marcuse, den einstigen Assistenten Martin Heideggers, aus Genf nachkommen - als Partner für philosophische Gespräche. Adorno kam erst 1938 dazu.
Im Juli 1934 bot die Columbia University Horkheimer an, das Haus 429 West 117th Street zunächst für 3- 4 Jahre zu übernehmen. Behilflich war dabei Nicholas Murray Butler, seit 1902 Präsident der Columbia-Universität. Zu den wichtigsten Studien Horkheimers und seines Instituts in den USA gehörten die über „Autoritäre Strukturen“. Mitte 1935 war die Kollektivarbeit über „Autorität und Familie“ - genauer gesagt, der erste Sammelband zu diesem Thema - abgeschlossen.
Weitere Untersuchungen des Instituts in den 30er Jahren waren die „Untersuchung über die Autoritätseinstellung von Studentinnen (anhand einer Gruppe von Studentinnen am Lawrence College, 1935-38), die „Untersuchungen über den Einfluß der Arbeitslosigkeit auf die Autoritätsstruktur in der Familie“ etc.
Unter der Leitung von Lazersfeld sollten „die Rolle des Rundfunks im Leben verschiedener Typen von Hörern, der psychologische Stellenwert des Rundfunks und die verschiedenen Gründe, warum Leute gerne Radio hören“ erforscht werden, also die Frage, wie beeinflussen einander Nachrichtenhören im Radio und Zeitungenlesen? Inwieweit würden die durch das Radio möglichen neuen akustischen Effekte die weitere Entwicklung der Musik beeinflussen?
Als Mitarbeiter des „International Institute of Social Research“ führte Adorno zunächst seine in England begonnene Studie über Wagner zu Ende und verfaßte den Aufsatz Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens. Er studierte, wie bei Wiggershaus nachzulesen ist, Hörerpost an Rundfunkanstalten und machte Interviews.
Im Frühjahr/Sommer 1938 schrieb er ein 160seitiges Memorandum über Musik im Rundfunk. Zusammen mit Lazersfeld arbeitete er eine Hörertypologie aus, die aufgrund von Fragebögen die zahlenmäßige Verteilung dieser Typen feststellte. Dazu legte er die Beschreibung des „emotionalen Hörertyps“ vor, in der es hieß, daß das „Weinen“ („cry baby cry“) eines der wichtigsten Objekte für die Analyse der emotionalen Aspekte der Musik sei. Lazersfeld veröffentlichte 1941 den Aufsatz The Radio Symphony. Außerdem erschienen drei Abhandlungen, darunter A Social critique of Radio Music, ein vor Mitarbeitern des Radio Projects gehaltener Vortrag, der Adornos grundsätzliche Überlegungen enthielt. Adornos Aufsatz On Popular Music wurde 1941 in SPSS (Studies in Philosophy and Science) publiziert.
In seiner Abhandlung On Popular Music bezeichnete Adorno diese als eine Art Unterhaltungsmusik: „Der Verleger will ein Musikstück, das im Grunde das gleiche ist wie alle anderen derzeitigen Hits, und sich gleichzeitig von ihnen fundamental unterscheidet. Nur wenn es das gleiche ist, hat es eine Chance, sich automatisch zu verkaufen, ohne irgendwelche Bemühungen des Kunden und ohne sich als eine musikalische Institution zu präsentieren. Und nur, wenn es anders ist, kann es von anderen Songs unterschieden werden. Eine Voraussetzung dafür, daß man sich daran erinnert und es somit auch ein Erfolg wird.” (SPSS, 1941). Weiter hieß es darin: „Die Standardisierung der Hitsongs hält die Kunden in der Reihe, indem man ihnen sozusagen das Hören abnimmt; eine Pseudo-Individualisierung, denn ihr Anteil hält sie in der Reihe, indem er sie vergessen läßt, was sie da anhören, es wurde für sie bereits angehört oder vorverdaut.”
Auf der Grundlage der Analyse der objektiven Seite der Produktion und des Marketing und der Struktur der Populärmusik entwickelte Adorno in der zweiten Hälfte seiner Arbeit eine „Theorie über den Hörer“, u.a. die These, daß das Wiedererkennen eines Stücks bei der Populärmusik schon der Höhepunkt des Verstehens sei, während bei „guter ernster Musik“ das Verstehen über das Wiedererkennen hinausgehe zum Erfassen von etwas fundamental Neuem.
Adorno gelangte schließlich zur Unterscheidung zwischen zwei sozialpsychologischen Typen des Massenverhaltens gegenüber der Musik im Allgemeinen und der popular music im Besonderen. Der „rhythmically obedient type“ (rhythmisch gehorsame Typus), nach Adornos Überzeugung vor allem unter Jugendlichen verbreitet, halte unbeirrt von Synkopierungen an den durchgängigen Schlageinheiten fest und bringe dadurch seine Lust zum Gehorchen zum Ausdruck. Das entsprach der in Adornos Jazzaufsatz behaupteten masochistischen Unterwerfung des Jazzfans unter das autoritäre Kollektiv (Wiggershaus).
Der „emotional type“ (emotionale Typus) nutzte sentimentale Musik zur Abfuhr von Gefühlen, vor allem des Gefühls der eigenen Glücklosigkeit und Frustration. Beide Typen, so Adorno, fanden sich mit ihrer gesellschaftlichen Misere ab: der eine marschierend (stampfend), der andere weinend. Von hier zieht sich auch eine Linie zu den Studien über die „Autoritäre Persönlichkeit“, die für die Revolte der 68er prägend werden sollte.
So arbeitete Theodor Wiesengrund Adorno nicht nur maßgeblich am Radio Research Project (einer Studie über die stereotypen Hörgewohnheiten, mit der er u.a. die Grundlage für die Rock- und Popkultur legte, siehe Neue Solidarität 6/2007); er war auch an der Studie über Autoritäre Persönlichkeit und Familie (Authoritarian Personality) beteiligt und schrieb zusammen mit Horkheimer im Exil 1942 das bekannte Buch Dialektik der Aufklärung - eine auf den Ideen Nietzsches und Schopenhauers aufbauende radikale Kritik am wissenschaftlich-technologischen Fortschritt. Die Existenz einer transzendenten metaphysischen Wahrheit zurückweisend, richtet sich die Kritik der beiden Autoren vor allem gegen die christlich-humanistische Kultur und damit verbundene Kulturwerte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, die Idee des Guten, Schönen und Wahren, welche als „affirmative“ Werte im Gegensatz zur kritisch-skeptischen Theorie der Frankfurter Schule abgelehnt werden.
Für das Projekt Authoritarian Personality wurden, wie der Autor Wiggershaus darlegt, zwischen Januar 1945 und Juni 1946 von diversen Personengruppen - zum überwiegenden Teil Studierende und Vertreter der Mittelschicht - insgesamt 2099 Fragebögen beantwortet. Jeder der drei Fragebögen bestand aus drei Skalen, deren Items im Fragebogen vermischt waren, damit der Eindruck einer allgemeinen Meinungsumfrage gewahrt blieb:
Wesentliche Merkmale des faschistischen Charakters waren Adorno zufolge: eine Bindung an herrschende Werte, in erster Linie konventionelle Werte der Mittelschicht wie äußerlich korrektes und unauffälliges Benehmen und Aussehen, Tüchtigkeit, Sauberkeit, Erfolg bei gleichzeitig menschenverachtender pessimistischer Anthropologie, der Bereitschaft, an gefährliche Vorgänge in der Welt zu glauben und überall sexuelle Ausschweifungen zu wittern; ein ausgeprägt hierarchisches Denken, Abwehr von Selbstreflexion, Sensibilität und Phantasie, bei gleichzeitiger Neigung zum Aberglauben und stereotyper Fehlwahrnehmungen der Realität.
Die Gedanken Adornos zusammenfassend, schreibt Wiggershaus: „Der faschistische Charakter war gekennzeichnet durch ein schwaches Ich, ein externalisiertes Über-Ich und ein ich-fremdes Es. Sein Ich ging an den Krücken der Stereotypie, der Personalisierung, des diskriminierenden Vorurteils; er identifizierte sich mit der Macht und berief sich auf Demokratie, Moral, Rationalität nur im Dienste ihrer Zerstörung; er befriedigte seine Triebe im Namen ihrer moralischen Verwerfung und ihrer Unterdrückung bei Außengruppen und Außenseitern. Die Strukturen wurden in der Sozialisation herausgebildet: Eltern, die in einem Verhältnis von Herrschaft und Unterwerfung standen. Festgelegte Rollen von Pflichten und Rechten hatten, vom Kind unkritisch Gehorsam verlangten.“
Derselbe Adorno arbeitete mit anderen Institutsmitgliedern auch über viele Jahre hinweg an diversen Projekten über Antisemitismus. Die Erhebungen zum Project on Anti-Semitism and Labor dauerten von Juni bis November 1944 und wurden in verschiedenen Industriezentren der USA (New York, Philadelphia, Detroit, Pittsburgh, Los Angeles und San Francisco) durchgeführt. Sie erfolgten gemäß einer von Pollock ausgearbeiteten „participant interview“-Technik: 270 Arbeiter, die sich einen Katalog von 14 offenen Fragen eingeprägt hatten, erkundeten in Alltagsituationen die Einstellungen ihrer Kollegen zu Juden und zum Antisemitismus und hielten die Ergebnisse in anschließenden Protokollen fest.
Zu den führenden Themenschwerpunkten während der Eröffnungskonferenz 1950 gehörten „Wissenschaft und Totalitarismus“, „Die Bürger in einer freien Gesellschaft“, „Freie Kultur in einer freien Welt“. Zu den Ehrenpräsidenten des CCF gehörten damals Bertrand Russell und der italienische Monarchist Benedetto Croce.
Seit seiner Gründung 1950 in Berlin bis 1967 stand der CCF unter Leitung des CIA-Mitarbeiters Michael Josselson. Er verfügte über Außenstellen in 35 Ländern und beschäftigte eine Vielzahl von Mitarbeitern und veröffentlichte mehr als 20 angesehene Zeitschriften, darunter Der Monat, Encounter (England), die französische Zeitschrift Paris Review und die lateinamerikanischen Cuadernos. In Zusammenarbeit mit dem New Yorker Museum of Modern Art veranstaltete der CCF damals Kunstausstellungen in Europa, er besaß eine eigene Nachrichtenagentur und richtete diverse Kulturveranstaltungen aus. Die Ziele des Kongresses bestanden darin, der westeuropäischen Intelligenz ihre möglicherweise latente Sympathie für Marxismus auszutreiben, die auf Platon, Leibniz, Schiller usw. aufbauende klassisch-humanistische Kultur zu untergraben und durch die Kultur das „American Way“ zu ersetzen.
Nach dem Kriege durchleuchteten die für die psychologische Kriegführung des amerikanischen Nachrichtendienstes arbeitenden Amerikaner Michael Josselson und Nicolas Nabokov die deutsche Presse, Unterhaltungsmedien und Musikszene. Als Teil der Umerziehung in Deutschland erstellten die amerikanischen Besatzungsbehörden u.a. eine Liste der politisch korrekten Literatur; nicht korrekt waren griechische Klassiker, Shakespeares „Julius Caesar“ und „Coriolan“ sowie Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“.
Dank der Gelder begann das Institut bereits im Sommer 1950 mit seiner ersten großen empirischen Untersuchung: einer Studie über das politische Bewußtsein der Deutschen, deren Ergebnisse später in dem Band Gruppenexperiment veröffentlicht wurden. Ziel dieses Meinungsforschungsprojektes war es, die Einstellung der deutschen Bevölkerung zum Ausland und zu den Besatzungsmächten, zum Dritten Reich und zur Frage der Mitverantwortung für dessen Untaten, zur Demokratie und zur Stellung Deutschlands in der Welt zu erkunden. Alles war, wie Wiggershaus hervorhebt, sehr an Aspekten der „Authoritarian Personality“, wie Ethnozentrismus, Schuldkomplex, Autoritätskomplex usw., orientiert. Die Erhebungen des IfS für diese Pilotstudie zur Ermittlung wichtiger Aspekte des politischen Bewußtseins der Deutschen wurden im Winter 1950/51 in den Stadt- und Landbezirken von Hamburg, Frankfurt, München und Augsburg durchgeführt.
1967 hielt Marcuse in London, Berkeley und Berlin Konferenzen zum Thema „Dialektik der Befreiung“ ab, wo der einstige OSS-Mitarbeiter mit seinen Büchern Der eindimensionale Mensch und Eros and Civilization als Held der 68er gefeiert wurde. Seine Botschaft richtete sich damals gegen technologischen Fortschritt und Wissenschaft, gleichzeitig warb er für eine postindustrielle Gesellschaft und Bevölkerungsreduktion. So sagte er z.B. über den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt, dieser sei verbunden mit der Idee der Intensivierung der Unfreiheit. Wissenschaft und Technik würden das Realitätsprinzip über das Lustprinzip erheben, und die Ablehnung der Triebenergie bedeute nichts anderes als die Fortdauer monogamer patriarchischer Familienstrukturen. Symbol des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts war für Marcuse Prometheus. Er sei der Kulturheld der Mühsal, der Produktivität und des Fortschritts. Dem setzte er Orpheus und Narziß entgegen, denn diese stünden für eine andere Wirklichkeit und seien der Figur des Dionysischen sehr viel verwandter.
In einer Welt der begrenzten Ressourcen, wie Marcuse erklärte, müsse man zur Rebellion schreiten. Er forderte die totale Umwertung der Werte, ein qualitativ anderes Leben, eine neue Sensibilität, welche Marcuse zufolge eine neue Sprache, und zwar die der Hippie-Subkultur, erforderte. Dabei wird der Drogentrip als neue Wahrnehmung angesehen. Zeitgenössische Kunst und Zwölftonmusik sind gemäß Marcuse nicht nur Rebellion gegen diesen oder jenen Stil, sie sind Anti-Kunst gegen die traditionelle Bedeutung von Kunst. Die heutigen Rebellen gegen die etablierte Kultur rebellieren ebenso gegen das Schöne in der Kunst, gegen seine allzu ordentlich-harmonisierenden Formen. „Was wir brauchen,“ so Marcuse, „ist Anti-Kunst im Bündnis mit befreiender Kunst.“
Am 22. Mai 1966 hielt Marcuse auf dem vom SDS veranstalteten Kongreß „Vietnam - Analyse eines Exempels“ an der Frankfurter Universität das Hauptreferat. Mehr als 2000 Studenten und eine Reihe von Professoren und Gewerkschaftern nahmen an dem Kongreß teil. Den Abschluß bildete die bis dahin größte Demonstration in der Bundesrepublik gegen den Krieg der USA in Vietnam. Marcuses Vortrag war die Quintessenz seiner Interpretation der Gegenwart: „Was meint Vietnam? ... Vietnam meint alle nationalen Befreiungsbewegungen im Bereich der überentwickelten Industriegesellschaft; Befreiungsbewegungen, die die Vernunft, die Institutionen und die Moralität dieser überentwickelten Industriegesellschaft in Frage stellen und bedrohen. Vietnam ist zum Symbol geworden für die Zukunft der ökonomischen und politischen Repression, zum Symbol geworden für die Zukunft der Herrschaft des Menschen über den Menschen.“
Am 12. Juli 1967 hielt Marcuse auf einer weiteren vom SDS organisierten Veranstaltung Vorlesungen über das „Ende der Utopie“ und „Das Problem der Gewalt in der Opposition“. Die Studenten, so Marcuse, seien nicht als Subjekte revolutionärer Umwälzungen zu sehen. Was er stattdessen forderte, war die Entwicklung einer neuen Anthropologie, verbunden mit der Schaffung einer freien, sozialistischen Gesellschaft, deren Hauptmerkmal die „ästhetisch-erotische Dimension“ sei. Dabei hob er vor allem die Bedeutung der „Beatnik-Hippie-Bewegung“ hervor: „Was wir da haben, ist doch immerhin ein interessantes Phänomen, nämlich einfach die Weigerung, an den Segnungen der Gesellschaft im Überfluß teilzunehmen. Das ist auch schon eine der qualitativen Veränderungen des Bedürfnisses.“
Wer die kulturelle Entwicklung der letzten Jahrzehnte beobachtet hat, wird zugeben müssen, daß CCF und IfS sich mit ihrer Politik der Umwertung der Werte durchgesetzt haben - zum Schaden aller.
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