Januar 2002: |
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Zu Beginn deckte Cheminade schonungslos die Krise des gegenwärtigen Weltwährungssystems auf. Wie ein Kartenhaus sei das ganze System dabei zusammenzubrechen, sagte er. Die sog. "argentinische", "japanische" oder "türkische" Krise seien allesamt nichts als Metastasen derselben Krebserkrankung: dem Zusammenbruch des Dollarsystems. Unter diesen Bedingungen kandidiere er, weil keiner der anderen Kandidaten bereit sei, die Krise wirklich anzugehen, erklärte er, "denn keiner der anderen Kandidaten denkt auch nur daran, dieses System zu ändern und mit den Regeln des neoliberalen Spiels zu brechen". Cheminade versprach mit seiner Kampagne die französischen Bürger "aufzuwecken", denn diese seien vor ihren Fernsehern wahre "Untertanen" geworden.
Der Kandidat machte einen Streifzug durch die aktuelle wirtschaftliche Situation und prangerte an zwei Beispielen den völligen Zusammenbruch der Finanzglobalisierung an: Der von der Wall Street noch kürzlich so hochgelobte Energiekonzern Enron mache gerade den größten Firmenbankrott der Geschichte und Argentinien den größten Staatsbankrott. "Wenn wir es uns genau ansehen weisen alle aktuellen Statistiken auf eine Krise hin, die schwerer ist als die von 1929-30" betonte Cheminade und fügte hinzu: "Das Finanzsystem ist wahrhaftig eine 'lebende Leiche' geworden wie man in Süditalien sagen würde. Damit die Menschen leben können, muß man diesen Toten so schnell wie möglich begraben!"
Das neue System
"Wie kann man dieses System ändern?", fragte Cheminade. Man müsse die Lage schon jetzt aus der Sicht der Zeit nach der Krise "des neuen Systems, das es aufzubauen gelte" betrachten. In diesem neuen System müsse man darauf abzielen, die heutigen Grenzen der Wissenschart zu überwinden. So sei es durchaus möglich, bald mit biophotonische Techniken die Krankheit AIDS zu besiegen oder Nuklearantriebe für die Erforschung des Weltraums zu entwickeln. "Das wäre ein dynamisches Konzept von der Republik, welches über die Gegenwart hinaus auf die großen Aufgaben der Zukunft weist." Andere Kandidaten wie Chevenement stünden hingegen für eine Art "Mumienrepublik" für Vergangenheitsnostalgiker.
Der neue Präsident müsse Frankreich aus einer "dreifachen Falle" herausholen, in der es heute gefangen sei. Diese dreifache Falle bestehe aus dem System des Weltwährungsfonds, dem Europa der Maastrichter und Amsterdamer Verträge und der NATO.
Gegen die bankrotte IWF-Ordnung müsse ein neues Bretton-Woods-System geschaffen werden, das die finanzielle Regulierung wieder einführt: Kapitalkontrollen, Devisenkontrollen, Eindämmung der Spekulation, Goldreservestandard, Rückkehr zu einer Nationalbank sowie langfristige Investitionen in große Infrastrukturprojekte.
Europa habe sich mit Maastricht und Amsterdam "an die Kette des anglo-amerikanischen Monetarismus legen lassen", von der man es befreien müsse. An die Stelle hiervon müsse eine neue politische Koalition treten: eine Allianz zwischen Europa und den drei großen eurasischen Mächten Rußland, China und Indien. Die Verwirklichung umfassender Infrastrukturprojekte in dieser Region mit dem größten Bevölkerungsanteil der Erde werde es erlauben, das Geld wieder an realer Produktion und Arbeit zu orientieren.
Doch sei Frankreich im augenblicklichen Zustand nicht in der Lage, dies zu erreichen, sagte Cheminade. Nach jahrelanger Unterdrückung durch den "großen Pseudoflorentiner" Mitterrand und später den "im Chiracschen Sumpf festgefahrenen Gaullismus" sei der Nationalstaat Frankreich heute leider nicht mehr als eine Erinnerung aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit.
Um das zu ändern, schlägt Cheminade vor, sich auf drei positive historische Beispiele zurückzubesinnen und sie wiederzubeleben: die Wende, die de Gaulle mit seinem Aufruf vom 18. Juni 1940 auslöste, das entschlossene soziale Christentum der Päpste Leo III. und Paul VI. und schließlich der Sozialismus von Jean Jaures.
Ein solches neues Bündnis sollte sich auf der Grundlage der drei fundamentalen französischen Verfassungstexte formieren:
Nur wenn Frankreich sich selbst wiederfinde, indem es wieder eine "dynamische und lebendige Idee" werde, könne es die katalytische Rolle auf der internationalen Bühne , die es zu de Gaulles Zeit hatte, wieder spielen. Heute nähmen sich nur Rußland, die USA und England das Recht, mit einer globalen Sicht zum Guten oder zum Schlechten zu handeln und den Lauf der Weltgeschichte zu verändern.
Ein besseres Bildungsmodell
Cheminade entwickelte dann die Hauptpunkte seines Programms. Zur Erziehung sagte er: "Man muß mit allen Mitteln die für unser Land typische formalistische Erziehung beenden" und durch eine Bildung ersetzen, die sich auf die Entwicklung der schöpferischen Kräfte des Kindes mittels Paradoxen, sokratischen Dialogs und einer gute künstlerische Erziehung konzentriert. Cheminade prangerte an, daß das soziale Element im Schulwesen immer schwächer werde. Während 1950-55 noch 27% der Schüler an höheren Schulen aus armen Familien stammten, sind es heute nur noch 7%.
Ein Ärgernis im politischen System Frankreichs sei die häufig praktizierte "Kohabitation", wobei sich ein Staatspräsident und ein Ministerpräsident aus zwei gegnerischen Parteien dauernd gegenseitig die Macht streitig machen. Cheminade zitierte Charles de Gaulle, dies stünde ganz im Gegensatz zum Geist der Fünften Republik.
Cheminade schloß mit einer Aufforderung an die Franzosen, sich von den so außerordentlichen aktuellen historischen Bedingungen nicht einschüchtern zu lassen. Er erinnerte daran, wie wenig Menschen de Gaulle anfangs nach dem 18. Juni beistanden "und das noch mehr aus Angst vor dem Verlust ihrer materiellen Güter als vor der Besetzung durch die Nazis. De Gaulle sagte dazu: "Die Besitzenden werden von dem besessen, was sie besitzen." Unter den gegenwärtigen Umständen brauche man den Mut eines Sokrates oder einer Jeanne d'Arc, eines Charles de Gaulle oder der Widerstandskämpfer des Krieges Mitstreiter, die sich von der Größe eines Zieles inspirieren lassen, wo in der Krise die Vernunft größer werde als die Angst.
Würdigung von Cheminades Kompetenz
Es hagelte sofort Fragen aus dem Saal. Ein Freund des Wirtschafts-Nobelpreisträgers Maurice Allais unterstützte in dessen Namen Cheminades wirtschaftliche Analyse. Die Situation im Nahen Osten war eines der Hauptthemen der Debatte: Spielt Arafat falsch oder nicht? Hat der israelische Geheimdienst eine Rolle bei den Angriffen vom 11. September gespielt?
Cheminade sprach länger über die Kandidatur von Jean-Pierre Chevenement. Dieser sei auf dem Gebiet der Realwirtschaft inkompetent, was man schon daran sehen könne, daß er in der Wochenzeitschrift Marianne, die ihn unterstützt, einen Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft im Jahr 2002 vorhersagte. Jacques Cheminade kritisierte auch, daß Chevenements Unterstützer ein völlig inkohärente bunte Mischung bilden. Man finde dort sogar Leute, die gegenteilige Ziele verfolgen, so etwa einerseits die Organisatoren des PACS-Gesetzes (das Homosexuellen eheähnliche Partnerschaften gestattet) und andererseits die Anführer des Kampfes gegen dieses Gesetz.
Andere Gäste hatten Fragen zur Position des Kandidaten bezüglich der europäischen Verfassung, Probleme der Polizei, zum öffentlichen Dienst u.v.a.
Am Nachmittag gab die Schatzmeisterin von Solidarité et Progrès, Odile Mojon, einen Überblick über die Parteifinanzen und Aktivitäten im vergangenen Jahr. U.a. hat die Bewegung zwei programmatische Bücher veröffentlicht, deren Verkauf sehr gut angelaufen ist. Es wurden auch auf die politischen Durchbrüche der LaRouche-Bewegung der letzten Zeit in Rußland, Indien und Iberoamerika erwähnt.
Wichtig war dann natürlich der Bericht über den Stand der Kampagne für Jacques Cheminades Präsidentschaftskandidatur. In Frankreich darf für die Präsidentschaft nur kandidieren, wer eine bestimmte Anzahl von Unterstützerunterschriften offizieller Volksvertreter erhält. Karel Vereycken gab einen optimistischen Bericht über die derzeit laufende Kampagne zur Sammlung dieser Unterschriften meist von Bürgermeistern kleinerer Gemeinden, die parteipolitisch nicht so fest gebunden sind.
Als Cheminade 1995 erstmals kandidierte, unterstützten ihn viele Bürgermeister hauptsächlich aus einem Gefühl demokratischer Fairneß heraus sie wollten, daß ein "Außenseiter" eine Chance hat, waren aber nur begrenzt an seinem Programm interessiert. Dieses Mal jedoch wollen viele auch in die Tiefe gehend über seine politischen Ideen diskutieren. Vereycken verlas als Beispiel einen besonders gelungenen Unterstützerbrief eines nominell "sozialistischen" Bürgermeisters aus der Region Rhone-Alpes.
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