Dezember 2005:

"Der Mensch lebt nicht von Brot allein"

Amelia Boynton Robinson
Amelia Boynton Robinson war im Moslemischen Frauenzentrum in Darmstadt zu Gast. Der Abend war von tiefem moralischen und intellektuellen Ernst gekennzeichnet.

Nach Auftritten und Begegnungen in verschiedenen deutschen Städten, denen ein hochrangiger politischer Aufenthalt in Italien vorangegangen war, war die große alte Dame der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den Tagen vor Weihnachten auch im Rhein-Main-Gebiet zu Gast.

Für Mittwoch, den 21. Dezember hatte die BüSo zu einem Abend mit Frau Robinson nach Frankfurt geladen, der von 70 Mitbürgern wahrgenommen wurde. Ohne daß ihr eine große Anstrengung anzumerken war (immerhin befindet sie sich im 94. Lebensjahr), hielt sie nicht nur ihren Vortrag über die Geschichte der US-Bürgerrechtsbewegung (in dem ihre kürzlich verstorbene Freundin Rosa Parks völlig zu Recht eine prominente Rolle einnahm), sondern stand auch noch weitere zwei Stunden für Fragen und Antworten bereit. Auch nicht religiös engagierte oder gar bibelfeste Teilnehmer fanden sich unwillkürlich erinnert an die Wahrheit des Satzes: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein."

Am darauffolgenden Tag war Amelia zu Gast im Moslemischen Frauenzentrum Darmstadt. Dieser Abend beeindruckte durch tiefen moralischen und intellektuellen Ernst sowie große Liebenswürdigkeit. Die versammelten moslemischen Frauen äußerten später, daß sie sich durch Amelias Auftritt gestärkt und ermutigt fühlten. (Es ist interessant, daß auch Menschen, die Amelia bisher gar nicht kannten, sie beim Vornamen nennen, um ihre Wertschätzung und Zuneigung zu unterstreichen, drückt doch die Verwendung des Familiennamens eine in diesem Fall einfach nicht aufkommende "formale" Distanz aus.) So sagte die Vorsitzende des Zentrums, Saffa Adam: "Mich beeindruckt Amelias Persönlichkeit. Noch in diesem hohen Alter ist sie von ihrer Lebensaufgabe ganz erfüllt. Diese Lebensaufgabe, und das machte sie sehr deutlich, besteht darin, andere Menschen zu stärken, eigene Rechte zu verteidigen und die Persönlichkeit zu entwickeln, auch gegen Widerstände. Damit beschäftigen wir uns als moslemische Frauen in der deutschen Gesellschaft, starke Persönlichkeiten zu entwickeln, nicht aufzugeben und sich nicht entmutigen zu lassen."

Begonnen hatte der Abend mit Ausführungen einer der anwesenden Muslima über die Idee der Gerechtigkeit, wie sie der Koran lehrt. In ihrer bestechenden Klarheit erinnerten diese Darlegungen an Passagen aus Platons Dialog Die Republik, besonders dann, wenn es um die Zurückstellung eigener, egoistischer Wünsche gegenüber der höherstehenden Idee der Gerechtigkeit und des Guten geht. Amelia spannte in ihrem Vortrag einen weiten Bogen vom Kampf gegen die Sklaverei im 19. Jh. über die Bürgerrechtsbewegung des 20. Jh. bis in die heutige Zeit, wobei sie immer wieder die Realität dieses Kampfes ansprach, die Angst zu überwinden und im Glauben stark zu sein.

Natürlich kam in der Diskussion die Frage auf, was die Bürgerrechtsbewegung heute mache, was wiederum Anlaß zu Darlegungen über die aktuelle, innenpolitische Situation der USA gab, nicht zuletzt über die im öffentlichen Bewußtsein der USA um sich greifende Einsicht in die Notwendigkeit der Amtsenthebung von Vizepräsident Cheney.

Die Leitung des Frauenzentrums hatte in der Vorbereitung der Veranstaltung ausführliche Internetrecherchen betrieben, die sie durch Aushang den Mitgliedern des Zentrums zugänglich gemacht hatte. Damit war von vornherein ein hoher Informationsgrad gegeben. Abgerundet wurde der Abend durch ein ausgezeichnetes und reichhaltiges Essen, das unter Leitung einer Meisterin der arabischen Küche zubereitet worden war. Als Gastgeschenk bekam Amelia eine englischsprachige Ausgabe des Korans, und sie gestand, daß Zuhause in den USA ihre beste Freundin, eine Nachbarin, moslemischen Glaubens ist.

Ein Vorstandsmitglied des Frauenzentrums äußerte sich zusammenfassend über den Abend so: "Die Veranstaltung hat mir gezeigt: Man kann doch etwas verändern, wenn man sich engagiert."


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