Juni 2003: |
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Die Palette der Verdachtsmomente gegen Michel Friedman, die sich dem Beobachter auftun, ist weit gefächert: Sie erstreckt sich von Drogenmißbrauch über Mitwisserschaft beim organisierten Menschenhandel bis hin zur Einflußnahme auf Behörden. Unstrittig dokumentiert sind jedenfalls die Kontakte zum frankfurter Milieu. Ob diese nicht etwas über den "Eigenbedarf" hinaus gehen, dürfte noch von der Justiz zu klären sein.
Bisher hat Michel Friedman nur mit einer Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluß und die Entnahme einer Haarprobe, die sein Anwalt bei der Berliner Justiz eingereicht hat, reagiert. Ein normaler Bürger, der sich nichts vorzuwerfen hat, hätte sich längst gegen die Durchsuchungen, das Auffinden dreier Tütchen mit Resten eines Kokaingemischs usw. öffentlich zur Wehr gesetzt: "Will mir jemand etwas anhängen?" — Warum nicht Herr Friedman? Immerhin ist er Vorsitzender des Europäischen Jüdischen Kongresses, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, CDU-Funktionär (war im Vorstand), Mitglied des ZDF-Fernsehrats (obwohl seine Sendung Vorsicht: Friedman von der ARD
produziert wird) und Wirtschaftsanwalt.
Natürlich gilt auch für eine so herausgehobene Persönlichkeit die Friedman die gleiche Unschuldsvermutung wie für jeden, der in das Räderwerk der Justiz gelangt. Aber einiges gibt zu denken: Der Stern schreibt, bereits vor drei Jahren hätten Friedmans Objekt- und Personenschützer an höhere Stellen gemeldet, er sei in seinem Wohnort Frankfurt von zweifelhaften Damen besucht worden. Friedman wurde als Zeuge vernommen. Bei der Überprüfung der Frauen durch die Frankfurter Polizei seien Spuren ins osteuropäische Zuhältermilieu gefunden worden. Die Fahnder stellten danach die Ermittlungen ein. Hätte Friedman da nicht gewarnt sein müssen?
Jetzt waren offenbar neue Verdachtsmomente entstanden: Über Monate hinweg hatten Ermittler der Bundesgrenzschutz-Abteilung "Kriminalitätsbekämpfung" polnisch-ukrainische Schlepperbanden ins Visier genommen, die Prostituierte aus Osteuropa nach Deutschland brachten. In den Abhörprotokollen der Polizei sei Michel Friedmans Telefonnummer aufgetaucht, und auch seine Stimme sei erkannt worden, wie der Stern schreibt.
Die Bild-Zeitung meldete, am 11. März sei während einer Vorbesprechung im Berliner Grenzschutzpräsidium mit GSG-9-Beamten, die einen Schlag gegen die Bande planten, das auf dem Besucherparkplatz geparkte Zivilfahrzeug der GSG-Beamten aufgebrochen und ein Laptop sowie alle Papiere gestohlen worden. Niemand wollte etwas bemerkt haben, obwohl dies am hellichten Tag geschah. Absicht?
Der Verdacht könnte entstehen, daß vielleicht jemand diese bisher ermittelten Einblicke in die Organisation der Schlepperbanden, vielleicht auch "Kompromitate", verschwinden lassen wollte. War zu viel "Erpressungsmaterial" über "angesehene Persönlichkeiten" in Händen der "Banden"? Warum hat die Berliner Justiz "aus Versehen" die Frankfurter "Kollegen" zu spät über die bevorstehende Durchsuchungsaktion informiert?
Zeitungen berichten, daß die Durchsuchung der Wohn- und Büroräume Friedmans deswegen erfolgte, weil einige der festgenommenen Prostituierten unabhängig voneinander ausgesagt hätten, von Friedman aufgefordert worden zu sein, Kokain zu nehmen. (Dies ist strafbar, Eigenverbrauch ist nicht strafbar.)
Friedman wird sich zu erklären haben. Denn gerade seine Talkshow hatte bei bestimmten Personen den Charakter eines Verhörs angenommen, wobei sich Friedman geradezu in der Rolle eines modernen Inquisitors gerierte. Auf dem Höhepunkt der öffentlichen Auseinandersetzung um das Vorgehen Scharons in Israel und den besetzten Gebieten (gezielte Liquidierungspolitik) wurde Christian Ströbele, ein Kritiker der Politik Scharons, wie der Stern schreibt, "im Stile eines Staatsanwalts ... geprügelt: 'Ist dieser Krieg völkerrechtswidrig? Ja oder Nein? Ich will von Ihnen nur wissen: Ja oder nein! JA ODER NEIN!'" Diese Frage des Krieges im Nahen Osten war ja auch der reale Hintergrund der unsäglichen Auseinandersetzung mit Jürgen W. Möllemann, ein Tabubruch, den die "Elite" nicht tolerieren wollte — bis zum bitteren Ende.
Muß Friedman, der sich in einem Interview als "geistiger Anarchist" bezeichnete, nicht jetzt wenigstens den Mut aufbringen, Licht in die von den Ermittlern untersuchten Vorgänge zu werfen, selbst wenn es seinen Nimbus des "nur fragenden Moralisten" zerstören könnte?
Manch einer mag in diesen Tagen an das alte Sprichwort gedacht haben: "Wer ändern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein." Der nachfolgende Vers der Worte des Predigers Salomo, denen das Sprichwort entlehnt ist, lautet: "...und wer eine Mauer niederreißt, den beißt die Schlange".
Hat Friedman zu oft in den "öffentlichen Verhören" Mauern eingerissen?
Oder ergeht es ihm so wie demjenigen, den der Philosoph Leo Strauss, dessen "Schüler" in hohen amerikanischen Ämtern — Wolfowitz, Perle und andere — gegenwärtig im Kreuzfeuer internationaler Kritik stehen, als "Sophisten" beschrieben hat, dem wirklichen "Insider"?:
"Der Sophist ist ein Mensch, der der Wahrheit gegenüber gleichgültig
ist und die Weisheit nicht liebt. Obgleich er besser als die anderen Menschen weiß, daß Wissenschaft oder Weisheit der erhabenste Vorzug der
Menschen ist. Er ist sich des einzigartigen Wesens der Weisheit bewußt
und weiß, daß die dadurch verliehene Ehre die höchste ist. So befaßt er
sich mit der Weisheit nicht um ihrer selbst willen, und nicht weil ihm die Lüge zutiefst und über alles verhaßt wäre, sondern aus Gründen der Ehre und des Prestiges, die mit ihr einhergehen. Er lebt oder handelt nach dem Grundsatz, daß das Ansehen, die Überlegenheit über andere oder
das Mehrhaben als andere das höchste Gut ist... Das höchste Gut des
Sophisten ist der von der Weisheit hergeleitete Nimbus. Um sein höchstes Gut zu erlangen, muß er seine Weisheit entfalten. Dies ist gleichbedeutend mit der Ansicht, das naturgemäße Leben des Weisen bestehe darin, tatsächliche Ungerechtigkeit mit dem Anschein der Gerechtigkeit zu verbinden." (Leo Strauss, Naturrecht und Geschichte)
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