März 2005:

GM: Überschuldeter Mutterkonzern gefährdet Opel

Die Euphorie über den "Zukunftsvertrag" zur Rettung der Arbeitsplätze bei Opel ist verfrüht, denn der gesamte Mutterkonzern steht vor dem Bankrott.

Infostand in Rüsselsheim
Wenn GM den Bankrott erklären sollte, sind die in Rüsselsheim unterschriebenen Verträge Makulatur. Das wissen sowohl Betriebsrat als auch Management, daher ist es vollkommen unverständlich, warum sie sich selbst so in die Tasche lügen.

Hier ein Infostand der BüSo in der Fußgängerzone von Rüsselsheim. Frank Müchler berichtet.

Trotz der euphorischen Meldungen in den Ruhrgebietsmedien über den erfolgreichen Abschluß der wochenlangen Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Management bei Opel ist eigentlich überhaupt noch nichts klar. Man sprach von "Neuanfang" bei Opel, von erfolgreichem Krisenmanagement, es hieß, der "Zukunftsvertrag" würde "stehen" und die deutschen Standorte seien gesichert. Nichts von alledem ist wahr.

Zum ersten muß die Belegschaft von Opel in Bochum über diesen Zukunftsvertrag noch abstimmen, und eine Mehrheit dafür ist keineswegs sicher. Kommt diese nicht zustande, fällt der Vertrag für ganz Deutschland, und es müßte neu verhandelt werden. Die Stimmung in Bochum ist auf dem Nullpunkt, weil das Weihnachtsgeld gestundet wurde und alte Vereinbarungen einfach gebrochen wurden, und so sehen viele Arbeiter in diesem Zukunftsvertrag nur einen oberfaulen Kompromiß.

Zum zweiten haben wir die Leser unserer Zeitung nie über den wahren Charakter der Krise bei General Motors/Opel im Unklaren gelassen - daß nämlich General Motors sich in den letzten 20 Jahren von einem Automobilhersteller zu einem Finanzdienstleister gewandelt hat, der nebenbei auch Autos produziert, aber das Geld hauptsächlich mit Immobilien- und Derivatspekulation "macht".

Deswegen werden unsere Leser auch den Beteuerungen des Gesamtbetriebsrates von Opel keinen Glauben geschenkt haben, nach den wochenlangen Verhandlungen mit dem Management sei jetzt alles in Butter, nach den Entlassungen von ein paar Tausend Mitarbeitern und teils erheblichen Lohnkürzungen seien die Standorte in Deutschland zumindest bis zum Jahr 2010 gesichert.

Überhaupt nichts ist sicher. Die dunklen Wolken des Bankrotts schweben über dem gesamten Konzern, und diese können sich durchaus zu einem Gewittersturm für das Weltfinanzsystem verdichten. Denn General Motors ist kein Einzelfall, auch die Ford Motor Company hat sich in der gleichen Weise entwickelt, und auch die Zulieferfirmen für beide (die teilweise einfach nur Auslagerungen von GM und Ford sind) sind bis zum Anschlag verschuldet. Insgesamt ergibt das die stolze Summe von einer halben Billion Dollar Schulden, die sich aus 300 Mrd. Dollar Schulden von GM, 170 Mrd. Dollar Schulden von Ford und 30 Mrd. Dollar Schulden der Zulieferer zusammensetzt. Etwa 90 Prozent der ca. 300 Mrd. Dollar Schulden von GM entfallen auf dessen Finanzunternehmen General Motors Acceptance Corporation (GMAC). Diese 300 Mrd. Dollar - vielleicht sind es auch mehr - sind höher als die irgendeines anderen amerikanischen Unternehmens außer der Hypothekenbank Fannie Mae. Das übersteigt die Verluste aus den Bankrottwellen bei den Fluggesellschaften und der Stahlindustrie in den USA um ein Vielfaches und stellt genau die Dimension dar, mit der man ein Finanzsystem, das ohnehin schon strauchelt, zum Fallen bringen kann.

Die Neue Zürcher Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 26. Februar, daß das industrielle Herzland in und um Detroit in seiner Existenz bedroht ist, weil die industriellen Aktivitäten aufgrund der dramatisch sinkenden Verkaufszahlen - im Januar und Februar dieses Jahres alleine jeweils um 10% - immer weiter abnehmen. Dazu kommen noch die Verluste, die durch die absurden, wirklich an die Substanz gehenden Rabattschlachten entstehen, die GM unter Rick Wagoner selber ausgelöst hatte, und die zu Preisnachlässen von bis zu 5000 Dollar pro Auto führen. Wegen der Explosion der Rohstoffpreise - vor allem auf dem Ölsektor und im Stahlbereich - werden die hohen Verkäufe des Jahres 2004 mit 750 000 Autos in den nächsten beiden Jahren nicht wieder erreicht werden.

Hinzu kommen noch die enormen Schuldendienste, die GM und Ford 2006 leisten müssen: GM muß 44,7 Mrd.Dollar zurückzahlen, Ford 37,1 Mrd.Dollar. Die NZZ rechnete dann süffisant vor, daß GM bei einem Profit von 2 Mrd.Dollar pro Jahr mindestens 150 Jahre brauchen würde, um die Schulden abzutragen.

Die Financial Times meldete, daß inzwischen die Rating-Agenturen die Kreditwürdigkeit von GM in Frage stellen. Noch haben die Firmenanleihen ein Rating, das eine Stufe über den Ramschanleihen steht, aber die letzten Verkaufszahlen des Unternehmens machen eine neue Bewertung notwendig. Diese Diskussionen sorgen für erhebliche Spannungen auf den Anlagemärkten; denn würden die GM-Unternehmensanleihen auf Ramschstatus herabgestuft, müßten nicht nur die Investmentfonds, die keine Ramschanleihen verwalten dürfen, diese Anleihen sofort abstoßen, sondern es käme auch allgemein zu Panikverkäufen.

Aber GM ist noch von ganz anderer Seite bedroht. Die Regierung Bush will ein neues Rentenreform-Gesetz durchsetzen, das Unternehmen mit unterfinanzierten Rentenfonds hohe Geldstrafen auferlegt, um auf diese Weise die baldige Abschaffung der Betriebsrenten zu bewirken. Dies würde bedeuten, daß GM der Pension Benefit Guarantee Corp. doppelt so viel für jeden Arbeitnehmer zahlen muß wie bisher. Wird das Gesetz verabschiedet, ist GM ebenso pleite wie vorher schon USAir und United Airlines oder die US-Stahlkonzerne.

Vor Jahren haben GM und Ford ihre beiden größten Zulieferer von Fahrzeugteilen, Delphi und Visteon, ausgegliedert, damit sie mit ihnen neue Schulden machen können. Am 18. Februar hat Moody's Investors seine Bewertung für Visteon auf Ba1 gesenkt, was in Moody's Bewertungssystem zwei Grade unter dem Investment-Status liegt. Visteon setzt seinerseits seine Zulieferer unter Druck, die Preise zwischen 25 und 50% zu senken, zusätzlich haben sie ein zweigleisiges Lohnsystem eingeführt, neu eingestellte Arbeiter bekommen wesentlich weniger Geld als bereits eingestellte. Eine andere Rating-Agentur, Fitch Ratings, hat Delphi, dem weltgrößten Autoteilehersteller, bereits wegen "fehlerhafter" Bilanzführung auf Ramschstatus herabgestuft, weil Gewinne massiv "hochgerechnet" worden waren. Insgesamt wurden in den sechs Jahren, in denen diese Firma existiert, die Profite mit 166 Mio. Dollar überbewertet.

Als neuen Finanztrick hat jetzt ein GM-Berater angekündigt, daß man, bevor GM Ramschstatus erhält, den Finanzbereich GMAC aus der Firma ausgliedern will, damit sie nicht in diesen Abwärtsstrudel hineingezogen wird. Noch vor Ablauf dieses Jahres will GM deshalb eine neue Holding gründen, die sie Residential Capital Corporation nennen wollen, die dann GMAC und ein anderes GM-Unternehmen namens Residential Funding, Inc. zusammenfaßt. Durch diesen Schritt erhofft sich GMAC eine bessere Bewertung.

Wer in dieser Situation von einem "Zukunftsplan" bei Opel spricht, leidet unter schwerem Realitätsverlust. Innerhalb des völlig maroden Finanzsystems ist eine Lösung einfach nicht machbar, wie die Situation bei GM ja eindrucksvoll zeigt. Da kann man herumtricksen, so viel man will, man gerät immer tiefer in den Sog des finanziellen Zusammenbruchs. Wenn GM den Bankrott erklären sollte, sind die in Rüsselsheim unterschriebenen Verträge Makulatur. Das wissen sowohl Betriebsrat als auch Management, daher ist es vollkommen unverständlich, warum sie sich selbst so in die Tasche lügen.


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