Juli 2004:
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Physik zum Anfassen

Otto von Guericke Magdeburger Kugel
Auch wenn der große Versuch mit den nachgebauten Magdeburger Halbkugeln mißlang, war Jung und Alt vom Physikparcours und Guerickes Vakuumexperimenten in Frankfurt begeistert.

Der Fachbereich Physik der Frankfurter Universität war vor 90 Jahren aus dem noch einmal 90 Jahre älteren Physikalischen Verein Frankfurt (am Main) hervorgegangen. Dieses Doppeljubiläum wurde Ende Juni und Anfang Juli mit einer Ausstellung, der Vorführung grundlegender Experimente, Vorträgen und Laborbesichtigungen begangen, wozu die Öffentlichkeit und insbesondere die Jugend eingeladen wurde.

Alte und junge Bürger konnten auf einem eingerichteten Physikparcours ihr persönliches "kleines Physik-Vordiplom" erwerben. Dazu mußte man Fragen aus den Bereichen Wasser und Luft, Elektrizität und Magnetismus, Optische Phänomene und Bewegung und Wärme beantworten. Damit man das sachkundig tun konnte, wurden in verschiedenen Räumen die Experimente aufgebaut und von Mitarbeitern und Studenten des Fachbereichs betreut, mit denen sich die Fragen klären ließen.

In den Räumen der Ausstellung, der Experimente und der Vorträge drängten sich interessierte Bürger, Familien mit kleineren Kindern und Schüler, die vielleicht schon die anstehende Entscheidung für eine Berufsperspektive im Hinterkopf plagte.

Den Höhepunkt der Festwoche bildete neben der Jubiläumsfestveranstaltung am 2. Juli mit einem Vortrag über den Stand der astrophysikalischen Forschung die spektakuläre Sondervorführung eines für die Entstehung der Industriegesellschaft entscheidenden Experiments. Es handelte sich um das berühmte Experiment mit den Magdeburger Halbkugeln, das der Forscher, Ingenieur, Apotheker, Stadtplaner, Diplomat und "worthaltende Bürgermeister" der Stadt Magdeburg, Otto von Guericke (1602-86), im Jahre 1656 in seiner Heimatstadt öffentlich durchgeführt hatte.

Guericke widerlegt Aristoteles

Dazu war "Guericke" mit seinen zwei Gehilfen in historischen Kostümen von der Otto-von-Guericke-Gesellschaft e.V. eigens aus Magdeburg angereist. Auf einem sonst als Parkplatz benutzten Stück nackter Erde zwischen den Institutsgebäuden drängten sich an einer Barriere ringsum die Menschen. Guericke erzählte zunächst aus seinem Leben und berichtete vom Horror vacui - der aristotelischen Annahme, daß es das Nichts, die Leere, nicht geben könne - und wie er aufgrund der neueren Erkenntnisse der damaligen Astronomie über die enormen Entfernungen der Himmelskörper von der Erde zu der Ansicht gelangt sei, daß das All unendlich sei und es in ihm die Leere geben müsse.

In seinen Experimenta nova magdeburgica de vacuo spatio hatte Gericke (wie er eigentlich hieß) 1663 geschrieben: "Was mochte das All wohl sein, umfaßt es doch alles und gewährte ihm die Stätte seines Seins und Bleibens? Ist es irgendein feuerartiger Himmelsstoff, fest oder flüssig? Oder ist es eine durchsichtige Quintessenz? Oder doch jener stets geleugnete, jeder Stoffheit bare leere Raum?"

Um den leeren Raum auf Erden nachzuweisen, hatte Guericke nach dem Ende des 30jährigen Krieges viele mißglückte Versuche durchgeführt. Zum Beispiel hatte er ein extra stabiles Eichenfaß auspumpen wollen. Doch es hielt nicht dicht, immer drang die Luft durch das Holz in das Faß. Schließlich wollte er es unter Wasser leer pumpen. Als er es öffnete, war es restlos mit Wasser gefüllt. Der Horror vacui hatte das Wasser durch das harte Eichenholz gedrückt. Er mußte auf wirklich luftdichte Werkstoffe zurückgreifen - auf Metall und später auch auf Glas. 1654 gelang es ihm, auf dem Reichstag zu Regensburg Kaiser und Reich die ersten Vakuumexperimente vorzuführen.

Dieses Experiment wiederholte unser Guericke nun mit Freiwilligen aus den Zuschauern. Er hatte zwei genau aufeinander gepaßte Metallhalbkugeln mit einem Durchmesser von 20 cm fertigen lassen und sie mit einem dünnen, stabilen Dichtungsring verbunden. An den Enden der beiden Halbkugeln war je ein langes Seil befestigt. Nachdem die Kugel leergepumpt war, ließ unser Guericke immer mehr Freiwillige möglichst gleichmäßig auf beide Seile verteilt kräftig ziehen. Sie schafften es nicht. Immer mehr junge und ältere Gäste mußten zupacken, ehe die beiden Halbkugeln mit einem gut vernehmlichen Knall auseinanderflogen.

Dann sollte der spektakuläre historische Versuch von 1656 nachgestellt werden. Zwei dem damaligen Original genau nachgebaute Kupferhalbkugeln mit einem Innendurchmesser von 60 cm wurden aufeinander gelegt, nachdem man auf die Ränder ein Ölhoniggemisch als Dichtung aufgebracht hatte. Danach wurde der Hohlraum zwischen ihnen leergepumpt. Das geschah allerdings nicht mit den historischen, schweißtreibenden Pumpen, die Guericke damals erst hatte entwickeln müssen, sondern mit einer schnelleren Motorpumpe moderner Bauart. Kräftige Kaltblutpferde wurden eingespannt. - Dazu eigneten sich keine Pferde, die Brauwagen ziehen, belehrte uns unser Guericke, weil diese gelernt hätten, bei deutlichem Bremswiderstand sofort stehenzubleiben. Es mußten also "ritterliche" Pferde sein, die vielleicht an schwere Rüstungen, aber nicht an Wagen gewöhnt waren.

Die Vorbereitungen wurden mit großer Spannung verfolgt. Doch der Versuch mißglückte. Die Pferde zogen zu kräftig an. Die Kugel schnellte hoch, fiel wieder zu Boden und schlug so hart auf, daß sie sich verformte und die Naht zwischen den Hälften undicht wurde. Luft strömte ein und die Hälften fielen von alleine auseinander. So blieb den Zuschauern der Effekt vorenthalten, der damals das Volk sehr beeindruckte, wenn ein kleiner Junge die beiden Hälften, die 16 Pferde nicht auseinanderziehen konnten, mühelos trennte, indem er das Ventil öffnete, durch das die Luft zischend in den Hohlraum fuhr.

Unser Guericke entschädigte die Zuschauer, indem er einen Plastikbehälter leerpumpte, der sich dabei zusammendrehte, so daß sich seine Wände fest aufeinanderlegten. Bei einer Fünf-Liter-Bierbüchse aus Metall zeigte sich lange nichts. Doch als sie zu 97% leergepumpt war, implodierte sie mit lautem Knall sehr eindrucksvoll.

Großvater der Dampfmaschine

Der damalige Guericke hatte seine Versuche über die Jahre immer weitergetrieben und verfeinert, bis er die wetterbedingt wechselnde Stärke des Luftdrucks genau messen und mit dem "Magdeburger Wettermännchen" Wettervorhersagen machen konnte. Bei einem dieser Versuche benutzte er einen in einem Zylinder beweglichen Kolben, so daß der Luftdruck den Kolben in den leergepumpten Zylinder drückte und über eine Hebemaschine Gewichte hochhob. Auf diese Weise ließ er den Luft-/Gasdruck Arbeit verrichten und wurde so zum Großvater der Dampfmaschine, zu deren Verwirklichung nach ihm die Gelehrten Huygens, Papin und die Ingenieure Newcomen und Watt beitrugen.

Guericke führte u.a. auch anhand von Schwefelkugeln Elektrisierexperimente durch und entdeckte die Ladungsübertragung mit Hilfe einer elektrischen Leitung. 1666 wurde er als Anerkennung seiner vielfältigen Verdienste vom Kaiser Leopold I. in den Erbadelsstand erhoben und heißt seitdem "von Guericke".

Handgreifliche Versuche und Experimente zum Anfassen sind besser als die schönsten Darstellungen auf Papier oder im Cyberspace des Computers geeignet, Kinder zur fragenden Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Wirklichkeit anzuregen, statt sie nur darüber widerwillig zu belehren. Und nur so können wir sie zu selbstbewußten Menschen (und nicht nur kooperativen Befehlsausführern) erziehen. Schon deshalb wünscht man sich mehr solcher Ereignisse für Kinder und Erwachsene fast jeden Alters.


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