Vorstandssprecher Ackermann (r.) und Aufsichtsratsvorsitzender Breuer wurden zwar auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank "entlastet", aber es scheint, als habe die Bank, die sich gerne als erfolgreicher "global player" sieht, erhebliche Verluste bei der Derivatspekulation und im "Eigengeschäft" einstecken müssen. Zudem muß Ackermann fürchten, daß der Bundesgerichtshof den Freispruch im Mannesmann-Prozeß aufhebt. Lothar Komp berichtet.
Bei Zentralbanken und Aufsichtsbehörden herrscht roter Alarm. Die schockartige Abstufung des 453 Mrd. Dollar schweren Schuldenbergs von General Motors und Ford Motor auf Ramschniveau hat an den Derivatmärkten eine Kettenreaktion ausgelöst. Zahlreiche Hedgefonds stehen vor dem Zusammenbruch. Insbesondere eine Reihe von Kreditderivaten - das sind Finanzwetten auf den Kurs von Schuldentiteln aller Art - wurden ihnen zum Verhängnis.
Dazu gehören sogenannte "Collateralized Debt Obligations" (CDOs): Wertpapiere, die jeweils durch ein Bündel von Anleihen oder Krediten einer Vielzahl von Unternehmen abgesichert sind. Solange die Kurse dieser unterliegenden Schuldentitel stabil bleiben, kassiert der in CDOs engagierte Fonds eine satte Rendite. Kommen aber die Kurse ins Rutschen, etwa durch eine Abstufung oder einen Zahlungsausfall, dann fährt der Fonds große Verluste ein.
Noch viel verheerender entwickelte sich die Lage für die Käufer einer anderen Form von Kreditderivaten: "Capital Structure Arbitrage" (CSA). Es handelt sich hierbei gewissermaßen um den letzten Schrei der Derivatmärkte. Sie werden erst seit wenigen Jahren in großem Stil gehandelt. Und zwar haben Hedgefonds auf empirischem Wege herausgefunden, daß fast immer, wenn ein Unternehmen in Schieflage gerät, der Aktienkurs viel stärker als der Anleihekurs des betreffenden Unternehmens abrutscht. Mit einem CSA-Kontrakt wettet man auf die Differenz von Anleihe- und Aktienkurs. Und weil man die Ramschabstufung von General Motors über kurz oder lang absehen konnte, legten zahlreiche Hedgefonds einen erheblichen Teil ihres eingesammelten Kapitals in CSA-Wetten bezüglich General Motors an.
Nun passierte aber etwas sehr Überraschendes, das eigentlich dieser Marktlogik widerspricht. In der Woche, in der Standard & Poor's die Abstufung vornahm, krachte zwar wie erwartet der Anleihekurs von GM zusammen, aber der GM-Aktienkurs schoß um 18% in die Höhe. Hintergrund dieser Entwicklung war die Bekanntgabe des Investors Kirk Kerkorian, einen erheblichen Teil der Aktien von GM aufkaufen zu wollen. Für die in CSAs exponierten Hedgefonds bedeutete diese höchst ungewöhnliche Scherenentwicklung den Super-GAU.
Seit dem 10. Mai, als die Angst vor einer Neuauflage der LTCM-Katastrophe von 1998 zum bestimmenden Thema an den Finanzmärkten wurde, mehren sich die Anzeichen für "Notschlachtungen" seitens angeschlagener Hedgefonds. Um ihre Verluste abzudecken, sind sie gezwungen, Investitionen in anderen Marktsegmenten zu liquidieren. Der Zwang zu Notverkäufen wird noch dadurch verstärkt, daß viele Fondsanleger durch die seit dem 10. Mai herrschende Nachrichtenlage in Panik geraten und ihr Geld aus den Hedgefonds abziehen - soweit sie dazu noch in der Lage sein sollten. Vor allem Fremdwährungs- und Rohstoffkontrakte werden aufgelöst. Die starken, kaum durch irgendwelche Wirtschaftsdaten erklärbaren Zugewinne des US-Dollars und die ebenso überraschenden Einbrüche des Ölpreises an den Terminmärkten sprechen hier eine deutliche Sprache. Auf diese Weise breitet sich aber die Kettenreaktion nun auch auf die Märkte für Währungs- und Rohstoffderivate aus.
In akute Bedrängnis geraten ebenso die führenden Banken. Es ist kein Geheimnis, daß die explosionsartige Vermehrung der Hedgefonds während der letzten zwei, drei Jahre vor allem aus den Bankzentralen heraus erfolgte. Diese neuen Hedgefonds, die keiner Aufsicht unterliegen und ihre Risikopositionen nicht durch eigenes Kapital abdecken müssen, bilden dabei den verlängerten Arm der Banken. Während die Großbanken in Deutschland für die hiesigen mittelständischen Unternehmen gerade das "Hausbanken"-Prinzip abschaffen, haben die gleichen Banken für in London, New York oder auf den Cayman Islands angesiedelte Hedgefonds eine Art Rundumbetreuung, man spricht von "prime brokerage", eingerichtet. Sie reicht von der Kreditgewährung bis hin zur Überlassung der bankeigenen Handelsplattformen.
Zu den weltweit führenden Banken im Prime-Brokerage-Geschäft zählt die Deutsche Bank. Die hat nun ein Problem. Schon am 10. Mai mußte die Deutsche Bank Gerüchte dementieren, sie sei durch eigene Spekulationsverluste und die verbundener Hedgefonds in Bedrängnis geraten. Am 17. Mai veröffentlichte die US-Investmentbank Merrill Lynch einen Bericht, demzufolge die Deutsche Bank nicht in der Lage sein wird, ihre Gewinne vom ersten Quartal zu wiederholen. Ein Grund sei der Einbruch im Geschäft mit Unternehmensanleihen. Hinzu komme noch, daß die Deutsche Bank aufgrund der gegenwärtigen "Turbulenzen" bei Kreditderivaten beträchtliche Verluste im Eigenhandel eingefahren habe. "Die Deutsche Bank muß zur Zeit einige Schmerzen ertragen", resümiert der Bericht. Einen Tag später deutete Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann auf dem jährlichen Aktionärstreffen an, er werde bald seinen Hut nehmen.
Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland ist bereits in den vergangenen Wochen eine Debatte zu diesem Thema ausgebrochen, wenn diese auch zumeist auf die Abwehr feindlicher Firmenübernahmen durch spekulative Fonds begrenzt war. Plötzlich mehren sich die Stimmen, welche die "Heuschrecken" mit einer finanziellen Systemkrise in Verbindung bringen. So warnte der Vizegouverneur der Bank von England, Andrew Large, am 18. Mai auf einer Konferenz von Finanzaufsichtsbehörden in Istanbul, der rasch wachsende Markt für Kreditderivate stelle eine Bedrohung für das Finanzsystem dar. Durch Kreditderivate würden die bestehenden Kreditrisiken auch noch auf Hedgefonds und Versicherungsunternehmen ausgedehnt. Das Wachstum, die Hebelkraft, die Volatilität sowie die Undurchsichtigkeit dieses Marktes hätten die "Gefahr von Instabilität" ansteigen lassen. Es sei wichtig, ein besseres Bild über Konzentrationen von Kreditrisiken zu erhalten. Die Spitze des britischen Industrieverbandes CBI fordert zugleich explizit die Regulierung des Hedgefondssektors.
In Deutschland ist der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BAFin), Jochen Sanio, vorgeprescht. "Hedgefonds sind die schwarzen Löcher des internationalen Finanzsystems", betonte Sanio am 19. Mai. Schon beim Zusammenbruch von LTCM habe er sich im Basler Aufsichtsausschuß für die Regulierung von Hedgefonds ausgesprochen. Seine Bestrebungen seien aber systematisch hintertrieben worden. Inzwischen sei die Zahl und das Kapital der Hedgefonds noch größer als damals. Sanio schloß dabei das heikle, aber untrennbar verwandte Problem der Offshore-Zentren ausdrücklich mit ein. Man könne nicht länger die Augen davor verschließen, daß die meisten dieser Fonds "nur pro forma auf den Cayman-Inseln gemeldet" sind. Im BAFin-Jahresbericht heißt es sodann: "Das Wachstum wirft die Frage auf, ob Hedgefonds die Stabilität des Finanzsystems gefährden können."
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