September 2004:
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Der dreifache Schock:
Wie wir die allgemeine Krise betrachten müssen

Jonathan Tennenbaum
Die folgende Rede hielt Dr. Jonathan Tennenbaum auf der Jahreskonferenz des Schiller-Instituts bei Wiesbaden am 26. September 2004. Wir geben seinen Vortrag leicht gekürzt wieder.

Es nähert sich der Augenblick, an dem sich die ganze Weltlage, einschließlich der unmittelbaren persönlichen Lage praktisch aller Menschen auf diesem Planeten, sehr schnell und sehr drastisch ändern wird - weit mehr, als es sich irgendjemand außer vielleicht einer Handvoll Menschen vorstellen kann...

Die sogenannten Insider an den Finanzmärkten stimmen weitgehend mit Lyndon LaRouches Vorhersage überein, daß das Weltfinanzsystem in seiner gegenwärtigen Form nicht zu retten ist und sich sehr bald auflösen wird. Für solche informierten Leute lautet die Frage nicht, ob es dazu kommen wird, sondern wann und wie. Es gibt ganze Gruppen von Finanzspekulanten und Elitefamilien, die auf einen kommenden Finanzkrach historischen Ausmaßes spekulieren und hoffen, irgendwie obenauf herauszukommen und davon zu profitieren.

Man spricht auch offen von der Möglichkeit einer hyperinflationären Explosion der Weltwirtschaft ähnlich wie in der Weimarer Republik. "Angesehene" Finanzinstitutionen wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) unterhalten Arbeitsgruppen, die einen solchen hyperinflationären Zusammenbruch oder eine deflationäre Implosion der Finanzmärkte am Computer simulieren. Und dann gibt es natürlich die Vorbereitungen auf (meist faschistische) Notstandsmaßnahmen oder Notstandsregime, die Helga Zepp-LaRouche in ihrer Rede erwähnt hat (siehe Neue Solidarität Nr.42, 13.10.2004).

Alle diese Berechnungen spiegeln zwar zum Teil die Wirklichkeit wider, aber das eigentliche Wesen des bevorstehenden Schocks wird dabei übersehen. Ein verhängnisvoller Fehler ist beispielsweise, daß man davon ausgeht, die Krise sei rein finanzieller Natur, eine Art innere Angelegenheit des Finanzsystems, die man verstehen könne, wenn man sich darauf bezieht, wie die verschiedenen früheren Finanzblasen in der Geschichte geplatzt sind. Dabei war, nebenbei gesagt, auch das niemals nur eine Frage des Finanzsystems.

Aber wir haben es hier nicht mit einer einfachen Finanzkrise zu tun, sondern mit einem Zusammenbruch des ganzen Systems. Und mit "System" meine ich nicht nur bestimmte vertragliche Vereinbarungen, sondern die ganze Denkstruktur, die Übereinkünfte, Institutionen, formalen oder formlosen Arrangements, nach denen die Welt in den vergangenen Jahrzehnten - und in gewissen Sinne sogar schon seit 1763 - regiert wurde. Wir sprechen von der Gefahr eines Zusammenbruchs der Zivilisation als solcher...

Die gegenwärtige Krise umfaßt nicht weniger als drei verschiedene, miteinander interagierende Wirkungsbereiche. Jeder Bereich hat einen völlig anderen Charakter als die anderen beiden, und jeder setzt der Wechselwirkung zwischen den beiden anderen bestimmte Grenzen. Man kann die Lage weder verstehen noch angemessen auf sie reagieren, wenn man nicht diese drei Bereiche und ihre aufeinander wirkenden Grenzbedingungen kennt. Diese Bereiche sind:

1. Die Realwirtschaft (physische Ökonomie) im Sinne des physischen Prozesses der Produktion greifbarer Güter und physischer Investitionen sowie der Aktivitäten der arbeitenden Bevölkerung (einschließlich der geistigen). Gemeint ist alles, was die physische Grundlage für die gegenwärtige und künftige Existenz der Menschen auf diesem Planeten schafft. Man kann es mit dem Stoffwechsel eines lebenden Organismus vergleichen - mit wichtigen Unterschieden, auf die ich noch eingehen werde.

2. Das Finanzsystem. Das Finanzsystem ist in seiner gegenwärtigen Form im Kern verrückt und entropisch. Es ist im wesentlichen ein algebraisches System im Sinne von Euler und Lagrange. Es besteht aus einem Geflecht von Verträgen und Übereinkünften, u.a. über Ansprüche auf ein gegenwärtiges oder künftiges Einkommen. Vor allem wirkt das Finanzsystem in seiner gegenwärtigen Form wie eine Geisteskrankheit, welche die Realwirtschaft zum Selbstmord verleitet. Aber das Finanzsystem führt natürlich auch kein völlig unabhängiges Eigenleben.

3. Die dritte Wirkungsdimension ist der noetische Prozeß, der sich in den Köpfen der Bevölkerung und in den Führungsinstitutionen abspielt und der darüber bestimmt, wie die Menschen und Institutionen politisch auf Ereignisse reagieren - auch und besonders auf das, was durch die Realwirtschaft und das Finanzsystem ausgelöst wird.

Alle diese drei interagierenden Bereiche befinden sich derzeit in einer turbulenten Übergangsphase. Sie verhalten sich wie ein schlecht konstruiertes Flugzeug, das sich der sog. Schallmauer nähert und von den schockartigen Änderungen zerrissen wird.

Um mehr zu verstehen, müssen wir diese drei Bereiche nicht nur jeweils für sich, sondern auch in ihrer Wechselwirkung betrachten...

Der Bereich der dreifach verbundenen Wirkung

Ich möchte dazu auf den komplexen Bereich eingehen, den "Gauß-Riemann-Wernadskij-LaRouche-Bereich". Es mag etwas technisch klingen, aber es ist notwendig für eine bessere Vorstellung, wie diese dreifach verbundene Wirkung die historischen Umwälzungen, die wir z.T. schon jetzt erleben, hervorbringt.

Ich will nur drei Punkte hervorheben: erstens den Begriff der Geometrie, zweitens das Konzept einer mehrfach verknüpften Wirkung und drittens die Entstehung von sog. Singularitäten oder Diskontinuitäten durch mehrfach verknüpfte Wechselwirkung, und wie diese in den laufenden Prozeß eingebunden werden (das sog. Dirichlet-Prinzip)...

1. Zunächst also: Was ist eine Geometrie? Das ist sehr schwer zu erklären. Vor allem ist eine Geometrie keine Ansammlung von Objekten. Es ist eine Vorstellung, der man sich mit verschiedenen Methoden nähern kann, die alle mehr oder weniger kongruent sind. Wir nennen diese Vorstellung "Grenzbedingung". Das ist etwas, was den Ablauf eines Vorganges bestimmt, ohne daß es selbst daran sichtbar beteiligt ist. Etwas, was darüber entscheidet, warum ein Vorgang mit vielen möglichen Wegen und Varianten doch unausweichlich immer nur zu einem von wenigen, vorherbestimmten Ergebnissen führt.

Ein anderer Ausdruck hierfür ist der russische Begriff Organisowanost, "Organisiertheit", auf den Wernadskij sich bezog - die Vorstellung, daß ein Vorgang immer auf eine bestimmte Weise organisiert ist. "Organisation" ist hier nicht im Sinne der Systemanalyse gemeint - "das hängt mit dem zusammen, das mit dem usw." Sondern es ist ein Prinzip hinter den sichtbaren Wechselwirkungen des Prozesses. Das kann z.B. das Prinzip des Lebens sein.

Wernadskij hatte auch die Vorstellung von bestimmten örtlichen Zuständen der Raumzeit. So meinte er z.B., man könne sich vorstellen, daß ein lebender Vorgang immer in einem Zustand der Raumzeit existiert, der vom Prinzip des Lebens bestimmt ist.

In einer Hinsicht ist all dies zusammengefaßt in Riemanns Begriff der "Geistesmassen". Wenn man sich nämlich fragt: Woher kommen diese Geometrien?, ist die Antwort: Sie entstehen so, wie Riemann die Entstehung der Geistesmassen im menschlichen Geist beschreibt. Es ist die Vorstellung, daß das Universum und alle Ereignisse darin für unsere menschliche Praxis von transfinit geordneten Absichten geschaffen und geprägt sind. Die Geometrien sind nicht einfach nur so da - es stecken Absichten dahinter. Man kann sagen, jede dieser Absichten ist ein Bestreben, einen bestimmten Zustand des Universums zu schaffen - womit nicht notwendigerweise statische, unveränderliche Bedingungen gemeint sind, sondern eher eine bestimmte Art der Veränderung.

Wirkliche Geometrien oder Absichten lassen sich niemals aus einzelnen Ereignissen erklären, sondern nur durch die Verhältnisse zwischen den Ereignissen. Dazu müssen wir die menschliche schöpferische Geisteskraft anwenden. Nur der menschliche Geist kann eine Absicht wirklich erkennen...

2. Wie ich schon sagte, sind die verschiedenen Wirkungen im Universum auf vielfache Weise miteinander verknüpft. Riemann behandelt das in seiner "Theorie der Abelschen Funktionen". Einer tierhaften Sinneswahrnehmung erscheint die Wirklichkeit als Wechselwirkung zwischen Objekten. Eine Katze frißt eine Maus - das ist eine Wechselwirkung zwischen Objekten. Aber die Wirklichkeit, wie sie die Menschheit bis heute entdeckt hat, läuft eigentlich nicht so ab. Es gibt vielmehr eine Wechselwirkung von Geometrien oder Absichten, die sich gegenseitig ganz oder teilweise bedingen und verändern.

Wie kann man sich diese interagierenden Geometrien vorstellen? Ein gutes Schulbeispiel ist Archytas' Lösung des Problems der Verdoppelung des Würfels... Wie konstruiere ich aus einem gegebenen Würfel (z.B. mit einer Kantenlänge von einem Meter) einen zweiten, dessen Volumen doppelt so groß ist wie das des ersten? Das scheint ein recht einfaches Problem der sichtbaren Geometrie zu sein. Aber die Lösungsmethode des Archytas fördert etwas zutage, was nicht direkt sichtbar ist, wenn man nur die beiden Würfel betrachtet.

In Abbildung 1 sehen wir seine berühmte Konstruktion. Man findet die gesuchte Seitenlänge durch den Schnitt dreier Oberflächen - eines Torus, eines Zylinders und eines Kegels. Jede dieser Oberflächen, man könnte sagen, jede dieser Geometrien, verkörpert eine bestimmte Form der Wirkung. Alles beruht auf dem universellen Begriff der kreisförmigen Drehwirkung.

Wir sehen, wie drei verschiedene Geometrien, die hier graphisch dargestellt sind, durch ihre Überlagerung gemeinsam ein Ereignis bestimmen. Betrachten wir Bruce Directors animierte Grafik.

Wir sehen eigentlich zwei Kreise: Der eine dreht sich in der senkrechten Ebene und erzeugt einen Torus, während die Linie, die vom Punkt P senkrecht nach oben führt, einen Zylinder erzeugt. Gleichzeitig erzeugt ein dritter Prozeß einen Kegel. Dieser doppelte Prozeß erzeugt dort, wo sich Torus und Zylinder überschneiden, eine Kurve, die sowohl auf dem Torus als auch auf dem Zylinder liegt und gewissermaßen die Wirkung von beiden verkörpert - eine ganz besondere, nichtalgebraische Kurve...

3. Kommen wir nun zum dritten Punkt: die Art und Weise, wie die vielfach verknüpfte Wirkung Ereignisse eines bestimmten Typs, sog. Singularitäten, hervorbringt. Die reale physische Wirkung erzeugt manchmal Ereignisse, die als absolute Diskontinuitäten erscheinen, wenn man versucht, sie mathematisch formal darzustellen. D.h., in einer formalen Beschreibung erscheinen sie als Riß oder Bruch oder etwas mehr oder weniger Gewaltsames. Es kommt zu scheinbar ganz abrupten Veränderungen in den Abläufen - so wie dem dreifachen Schock, über den ich spreche.

Akustische Schockwellen

Ich möchte das veranschaulichen, indem ich etwas aus der Geschichte erzähle, das mit Riemanns Durchbruch bei den sog. "akustischen Schockwellen" oder "Stoßwellen" zusammenhängt. Das ist für von großer Bedeutung, weil die kommenden Schocks in den drei genannten Bereichen ganz ähnliche Eigenschaften haben werden.

In den 30er und 40er Jahren entstand der Mythos von der "Schallmauer". Man dachte, es gäbe für Flugzeuge eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit, wie eine Mauer, die man durchbrechen muß. Dieser Mythos kam zustande, weil sich in Großbritannien und den USA viele, teilweise tödliche Unfälle von Hochgeschwindigkeitsflugzeugen ereignet hatten. Wenn diese Flugzeuge - gewöhnlich im Sturzflug - versuchten, höhere Geschwindigkeiten zu erreichen, und in die Nähe der Schallgeschwindigkeit kamen, gerieten sie außer Kontrolle, und viele stürzten ab. Die überlebenden Piloten berichteten, daß das Flugzeug nicht mehr normal auf die Steuerung reagierte, ja, manchmal genau das Gegenteil tat. Wenn man den Steuerknüppel zog, um höher zu steigen, sank das Flugzeug statt dessen tiefer. Wer versuchte, das Flugzeug so zu steuern, wie er es als Pilot gewohnt war, mußte abstürzen.

Tatsächlich wurden die Flugzeuge durch die veränderten Eigenschaften der Luft bei diesen Geschwindigkeiten zerrissen. Die Veränderung wirkte sich nicht auf alle Teile der Flugzeuge gleichzeitig aus; während sich einige Teile schon im "Überschallbereich" befanden, waren andere noch im "Unterschallbereich".

Dabei hatte der deutsche Physiker Adolf Busemann schon 1935 auf einer Konferenz den Entwurf eines Flugzeuges vorgestellt, das durch diese "Mauer" vom Unter- in den Überschallbereich problemlos hindurchfliegen konnte. Dieser Entwurf bildete dann die Grundlage für viele Entwicklungen in Deutschland, u.a. für die Raketenpläne in Peenemünde.

Die Ironie liegt darin, daß an dieser Konferenz auch Leute aus den USA teilgenommen hatten, allen voran ein Herr von Karman, den amerikanische Synarchistenkreise aufgebaut hatten. Und obwohl sie Busemann gehört hatten, setzten sie sich weiter für eine untaugliche Methode für den Entwurf von Überschallflugzeugen ein, und deshalb mußten Piloten unnötig sterben.

Wie kam Busemann zu dem richtigen Ergebnis? Er hatte sich gründlich mit Riemann beschäftigt, insbesondere mit dessen Schrift Über die Fortpflanzung ebener Wellen mit endlicher Schwingungsweite aus dem Jahre 1860.

Einfach ausgedrückt: Während sich das Flugzeug fortbewegt, drückt es auf die Luft vor sich und erzeugt Wellen, die sich fortpflanzen. Wenn das Flugzeug langsamer als der Schall fliegt, bewegen sich diese Wellen vom Flugzeug aus nach vorne. Deshalb hören wir ein Flugzeug auf uns zukommen, wenn es langsamer als der Schall ist. Aber wenn das Flugzeug beschleunigt, holt es die sich fortpflanzenden Wellen ein und erzeugt einen neuen, anderen Vorgang, den wir eine Schockwelle nennen. Riemann nannte es Verdichtungsstöße, bei denen sich die scheinbaren Parameter oder Eigenschaften der Luftwelle in diskontinuierlicher Weise verändern. Riemann zeigte auch, daß in der Natur ständig spontan solche Erscheinungen auftreten.

Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei - ich werde darauf im Zusammenhang mit der Wirtschaft zurückkommen - die Zeit. Denn bei der "Erzeugung von Wellen" (ob wir die Welle nun sehen können oder nicht) gibt es auch einen "Vorläufer", wie man es manchmal nennt. Gemeint ist, daß schon vor dem eigentlichen Vorgang der Wellenbildung ein bestimmter organisierter Vorgang abläuft. Die Zukunft wird sozusagen auf die Fortpflanzung der Welle vorbereitet. Und bei der Schockwelle ändert sich das Verhältnis zwischen dem Vorgang und seiner Zukunft.

Ein ganz entscheidender Punkt, den Riemann betont, ist: Wenn man die von Euler und Lagrange entwickelte Mathematik verwendet, um die Fortpflanzung von Wellen zu beschreiben, dann versagt diese Mathematik genau an dem Punkt, an dem sich die Schockwelle bilden müßte. Man erhält dann unendliche Werte usw. Die Mathematik versagt, wird gewissermaßen zerstört - aber die Welle, der Prozeß geht weiter.

Und Riemann meinte: Also gut, es gibt diese Diskontinuitäten wirklich, und deshalb sollten wir ihre Gesetzmäßigkeiten erforschen - es ist ein neuer Bereich, der durch diesen Vorgang entsteht.

Dieses Werk Riemanns ist natürlich im Zusammenhang mit seiner Vorstellung der Geistesmassen zu sehen. Wir haben hier die Vorstellung eines Entwicklungsprinzips, durch das der Prozeß gesetzmäßig von einer "physischen Geometrie" in eine andere überführt wird. Die physische Geometrie verändert sich, nach einem höheren Prinzip, das selbst eine höhere physische Geometrie darstellt.

So etwas geschieht im Universum ständig. Das Universum steht nicht einer bestimmten Mathematik zuliebe einfach still, sondern es zerstört diese Mathematik und lebt weiter. Und der Mensch tut gut daran, diese Schwierigkeit zu meistern, denn manchmal macht das Universum dies auf eine Weise, die für uns Menschen nicht sehr angenehm ist.

Das Problem, das Busemann löste, war dies: Wie muß ein Flugzeug beschaffen sein, das diese Änderung der physischen Geometrie übersteht? Dieses Flugzeug muß konkret ein höheres Prinzip verkörpern, das in beiden Geometrien funktioniert.

Abb. 2: Schlieren-Photographie der Schockwellen, die ein Flugzeug in 4000 m Flughöhe bei einer Geschwindigkeit von 1,1 Mach auslöst .
Die Schwierigkeit war dabei, daß Mathematiker und andere eine Art Goldfischmentalität hatten, wie das Beispiel von Karman zeigt. Sie bestritten, daß es so etwas wie Schockwellen geben könne. Einer von ihnen, der britische Mathematiker Lord Rayleigh, sagte ausdrücklich: Riemann hat sich geirrt, es gibt keine Schockwellen. Boltzmann entwickelte daraus die sog. "kinetische Gastheorie". Danach besteht Gas, Luft aus Molekülen, die nach feststehenden Gesetzen interagieren. Wo kann da eine Schockwelle sein, eine Veränderung? Es bleibt immer alles gleich, nur die kleinen Bälle, die Moleküle, bewegen sich etwas anders. "Nichts Neues unter der Sonne."

Das ist auch typisch für unsere Gesellschaft, eine Realitätsverweigerung: "Nein, nein! Es gibt keine Änderung, es geschieht nichts. Es bleibt immer alles gleich." Und davon gehen manche Leute selbst dann nicht ab, wenn ein Schock nach dem anderen kommt. Das kann tödlich sein!

Hier sehen wir eine sog. "Schlierenphotographie" (Abbildung 2). Es ist eigentlich keine Photographie, sondern eine Methode, die Wirkung der Schockwellen, die ein Überschallflugzeug auslöst, sichtbar zu machen. Man sieht eine ganze Menge Wellen, die sehr weit vom Flugzeug entfernt und für das normale Auge unsichtbar sind.

Abb. 3: Ein Überschallflugzeug durchbricht die Schallmauer. Diese Aufnahme stammt aus einem Film, den Dr. Tennenbaum vorführte: Ein Flugzeug der US-Marine vom Typ F/A-18 "Hornet" erzeugt beim Durchbrechen der Schallmauer eine Schockwelle, die kurzfristig als "Wolke" sichtbar wird.
Wir sehen nun einen Film mit einem Überschallflugzeug, das an einem Flugzeugträger vorbeifliegt. Erst sieht man gar nichts, und dann etwas, das wie eine weiße Wolke aussieht, die sich um das Flugzeug herum bildet (Abbildung 3). Dies ist die Folge von Schockwellen. Das Flugzeug bewegt sich in den Überschallbereich hinein und wieder hinaus... Die weiße Wolke ist keine gewöhnliche Wolke. Das ganze Phänomen dauert nur etwa eine Zehntelsekunde. Es entsteht an dem Punkt des Phasenübergangs der Schockwelle...

Was ist Realwirtschaft?

Wenden wir dies alles nun auf den "dreifachen Schock" der Weltkrise an. Ganz entscheidend ist, daß den drei Bereichen [Realwirtschaft, Finanzsystem und noetischer Prozeß] sehr unterschiedliche Vorstellungen der Beziehung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugrundeliegen - insbesondere was die Beziehung des Menschen zu seiner Zukunft angeht. (Wer sich näher dafür interessiert, dem empfehle ich die Bekenntnisse des Hl. Augustinus. Darin gibt es eine sehr schöne und wichtige Betrachtung der Zeit und der Fehler, die mit der falschen Betrachtungsweise der Beziehung des Menschen zur Zukunft zusammenhängen.)

Betrachten wir nun also die Realwirtschaft. Man muß ein ganz konkretes Verständnis für die greifbare Seite der Realwirtschaft gewinnen. Man muß sich an Dinge erinnern, die Existentialisten entweder nie kennengelernt haben oder gerne vergessen - Leute, die glauben, sie seien einfach in eine Welt hineingeworfen worden, die mit ihnen gar nichts zu tun hätte.

Das Wesentliche ist, daß unsere menschliche Existenz von bestimmten materiellen Voraussetzungen abhängt, die erschaffen und aufrechterhalten werden müssen. Dazu gehören nicht nur Essen, Wasser und Wohnung, sondern auch vieles, was weit über "grundlegende biologische Bedürfnisse" hinausgeht, aber für die Fähigkeit der Gesellschaft, das Lebensnotwendige für die Menschen bereitzustellen, nicht weniger wesentlich ist. Die Fähigkeit, die menschliche Bevölkerung heute auf der Erde zu erhalten, hängt dabei ganz entscheidend von der akkumulierten Wirkung der menschlichen Aktivitäten in der Vergangenheit ab, die damals auf die Zukunft abzielten. In diesem Sinne leben wir in einer Zukunft, die unsere Vorfahren geschaffen haben.

Sobald die Bevölkerungszahl der Menschheit die kleine Zahl übersteigt, die eine Horde existentialistischer Affen erreichen könnte, brauchen wir nicht nur Dinge, sondern Veränderungen der Umwelt. Wir müssen unsere Umgebung verändern, wie das am klarsten im Begriff "Infrastruktur" zum Ausdruck kommt. Wir müssen das Land erschließen, mit moderner Landwirtschaft, dem Bau von Dörfern und Städten, Wasserwegen und Wasserversorgung usw.

Abbildung 4 zeigt "Eurasien bei Nacht". Natürlich kann nicht überall in Eurasien gleichzeitig Nacht sein, aber dieses Bild setzt sich aus echten Satellitenfotos von verschiedenen Teilen Eurasiens bei Nacht zusammen. Man sieht die Wirkung der menschlichen Infrastruktur - in diesem Fall anhand der Lichter. Man sieht die Transsibirische Eisenbahn. Wer unsere Karten der Eurasischen Landbrücke kennt, sieht hier die Spuren einer sehr langen Entwicklung der eurasischen Gesellschaft und Zivilisation über Hunderte und Tausende von Jahren. Und man sieht die Bevölkerungskonzentration.

Aber die angesammelten Änderungen beschränken sich nicht auf die physische Umwelt, die für unsere heutige Existenz notwendig ist. Hinzu kommt die Entwicklung der Arbeitskräfte, der Produktivkräfte, die in den Menschen, in ihren Köpfen, ihrer Bildung zum Ausdruck kommt. Auch dies ist ein Ergebnis einer sehr großen Zahl von Änderungen, Entdeckungen und ausgearbeiteten Geistesakten vieler Menschengenerationen. Dies schlägt sich in den Fertigkeiten der Menschen nieder, in den Einsichten der Arbeiter, der Wissenschaftler usw., die das produzieren, was wir heute brauchen. Dazu gehören auch die Sprache und die elementaren Weisheiten, die Eltern an ihre Kinder weitergeben sollten, wie etwa den Unterschied zwischen richtig und falsch etc. - kurz: die Kultur.

Man erkennt die paradoxe Rolle der Zeit: Alles, was die Gesellschaft heute tut, hängt ab von den zuvor existierenden Arbeitskräften, der Infrastruktur, den Produktionsstätten, den Vorräten an Material und Gütern, die durch die Aktivitäten der Gesellschaft in der Vergangenheit entstanden. Und die Zukunft der Gesellschaft hängt davon ab, daß wir heute einen großen Teil unserer Arbeit und Mittel für Dinge einsetzen, die streng genommen für unser gegenwärtiges Überleben nicht notwendig sind. LaRouche erwähnt als Beispiel die Ausbildung eines jungen Menschen: Das ist eine Investition über 25 Jahre, die zunächst eine Belastung ist. Ähnlich langfristig sind große Infrastrukturbauten. Aber es gibt auch kürzere Investitionszyklen. Nehmen wir beispielsweise den Landwirt, der Weizen aussät und so die Zukunft vorbereitet, in der dieses Nahrungsmittel herangereift sein wird.

Es gibt also eine ganze Anzahl von Investitionszyklen als Beziehung der gegenwärtigen Wirtschaft zu ihrer Zukunft.

Nichts von alledem hat etwas mit Geld zu tun, außer im Sinne eines meist recht mangelhaften Verwaltungsinstruments. Es ist nicht das Geld, das die jungen Leute ausbildet, sondern die Lehrer. Es ist nicht das Geld, das Güter herstellt, sondern Werkzeugmaschinen und die Menschen, die sie bedienen. Entsprechend steht der wahre Wert oder Gewinn dessen, was die Gesellschaft mit ihren physischen Investitionen tut, nicht automatisch in einem vernünftigen Verhältnis zu dem damit verbundenen finanziellen Gewinn - schon gar nicht im gegenwärtigen System.

Eine gesunde Wirtschaft lebt fast völlig in der Zukunft. Nur ein immer kleinerer Teil der realwirtschaftlichen Handlungen hängt mit dem zusammen, was wir jetzt brauchen, das meiste betrifft das, was wir in der Zukunft brauchen.

So gesehen ist die Wirtschaft mit einer Lokomotive vergleichbar, die auf einem Gleis fährt, während davor ständig Arbeiter am Werk sind, die das Gleis weiterbauen. Nur ein kleiner Teil der Arbeitskräfte sitzt in der Lokomotive; sie müssen die Kohle schaufeln und die Lok in Bewegung halten. Der größte Teil der Arbeit findet vor ihr statt.

So entsteht eine Palette von Aktivitätszyklen, von Investitionen in die Zukunft, mit dem 25jährigen Generationenzyklus im Mittelpunkt. Wie im Sonnensystem gibt es darin innere Zyklen, die viel kürzer sind, wie z.B. das Kraftwerk, das die Spannung von Sekunde zu Sekunde aufrecht erhalten muß. Und auf der anderen Seite gibt es die äußeren Planeten - Zyklen, die sich über ein ganzes Leben und oft sogar noch viel länger erstrecken.

Die Realwirtschaft sammelt eigentlich nicht nur Kapital an, sie durchläuft auch eine Reihe geometrischer Veränderungen, wie ein Tier, das in einer Schale lebt und sich sozusagen sein eigenes Haus baut. Es baut ständig an seiner nächsten Schale - für den Menschen sind das technische Geometrien der künftigen menschlichen Existenz.

Wenn wir in einer gesunden Wirtschaft lebten, arbeiteten die meisten von uns an Forschungsprojekten, Prototypen usw. für die wirtschaftlichen Geometrie der Zukunft. Wie das Tier, das ständig sein nächstes Haus baut.

Das gleiche sehen wir in Wernadskijs Evolution, wo man die Aktivität der Biosphäre bei der Evolution niemals aufgrund ihrer bloßen Existenz verstehen kann; vielmehr arbeitet sie stets daran, die Voraussetzungen für die nächste Stufe der Evolution zu schaffen...

Wirtschaftliche Kannibalisierung

Nun kommen wir zur Schockwelle. Man kann diese Palette der Investitionen im Verhältnis zur Zeitleiste als eine Art Welle betrachten, deren größter Teil in einer gesunden Wirtschaft vor dem liegt, was wir die Gegenwart nennen. Er ist ein Vorläufer.

Dann kann man die Änderungen sehen, insbesondere das Problem, mit dem wir es heute zu tun haben: Was geschieht, wenn die Menschen aufhören, das Gleis vor der Lokomotive weiterzubauen? Wenn die Lokomotive die mangelnden Investitionen in die Zukunft einholt? Wenn die Arbeiter aus irgendwelchen finanziellen Gründen anfangen, das Gleis vor der Lokomotive herauszureißen und zu verkaufen? Was geschieht, wenn das noch zur Hauptquelle des nominellen Profits in der Wirtschaft wird?

Dann haben wir das, was LaRouche die Kannibalisierung der Wirtschaft nennt. Es ist eine Kannibalisierung der Zukunft, die manche Menschen nicht so klar sehen, weil es die gegenwärtige Existenz der Gesellschaft nicht zu beeinträchtigen scheint.

Inzwischen ist dieser Kannibalisierungsprozeß so weit verbreitet, daß man ihn, sobald man seine Natur einmal verstanden hat, überall sieht - sogar in den persönlichen Beziehungen zwischen den Menschen.

In Abbildung 5 sehen wir ein Beispiel dafür, wie die Infrastruktur langfristig verfällt. Brücken halten nicht ewig. Wenn man nichts tut, stürzen sie irgendwann ein. Das ist eine der üblichen Methoden der Ausbeutung, die in den meisten Teilen der Welt weit verbreitet ist. Infrastruktur wird privatisiert - sagen wir, eine Eisenbahn. Der Spekulant kauft sie und sagt: "Ich habe bestimmte laufende Ausgaben, die ich bezahlen muß. Aber da sind noch die langfristigen Investitionen, wie z.B. die Reparatur von Brücken usw., die ich nicht gleich tätigen muß. Die zahle ich einfach nicht. Den Teil der Einkünfte, mit dem normalerweise diese Kosten beglichen würden, zahle ich als Gewinn aus. Dann steigen die Aktien meines Unternehmens, und ich kann darauf eine Finanzblase aufbauen. Nach einiger Zeit verkaufe ich dann die Eisenbahn - gerade noch rechtzeitig, bevor alles zusammenbricht." Dieses Prinzip zeigt bereits die Interaktion mit dem Finanzsystem, über die ich auch sprechen will.

Eine andere Methode ist, den Wettbewerb auf dem freien Markt als Mittel einzusetzen, um das physische Kapital der Welt massiv auszubeuten, indem man Preise bezahlt, die unter den tatsächlichen Produktionskosten liegen. Heute ist die Milch in den Läden oft billiger als Mineralwasser. Aber um Mineralwasser zu erzeugen, brauche ich keine Kuh zu füttern und zu versorgen. Auf diese Weise wird die Landwirtschaft ausgeplündert.

Eine weitere Methode ist Outsourcing. Jemand wird einwenden: "Aber wenn wir die Produktion nach China verlagern, beschäftigen wir dann nicht auch Menschen? Bauen wir dann keine Fabriken?" Das ist schon richtig. Aber was verlieren wir, wenn wir die hiesigen Fabriken schließen? Wieviel kostete die Entwicklung der hiesigen Arbeitskraft, die wir zerstören? Was kostet es, diese Arbeitskräfte zu ersetzen? Alles das muß man von dem scheinbaren Gewinn durch die Nutzung billiger Arbeitskräfte abziehen. Und man muß auch betrachten, was es China wirklich kostet, diese Produktion aufrechtzuerhalten. Das sind Kosten, die normalerweise bei der scheinbar billigen Produktion nicht mitgerechnet werden.

Noch eine Methode: die Zerstörung technischer Kapazitäten. Auch dies ist nicht offensichtlich. Aber ich habe die nichtlineare Entwicklung der Wirtschaft schon erklärt. Es gibt in einer Gesellschaft Aktivitäten, die das Leben der Zukunft betreffen. Das ist z.B. die Arbeit von Mittelstandsunternehmen, Firmen wie dem deutschen Luft- und Raumfahrtunternehmen MBB, das nur zum Teil ein Produktionsbetrieb war. Es verwendete wahrscheinlich neben der Produktion mehr als die Hälfte seiner Aktivitäten darauf, alle möglichen neuen Dinge wie den Transrapid oder neue Raumfahrzeuge zu entwickeln. Sie dachten sogar über Antigravitationsfahrzeuge nach, sozusagen fliegende Untertassen. Was geschah? MBB wurde von Daimler-Benz übernommen, und die Manager kamen und sagten: "Was tun alle diese Leute hier? Wir brauchen sie nicht, um unseren Hubschrauber zu bauen. Entlaßt sie!" Man entließ gerade die Leute, die für die Zukunft arbeiten, die dafür sorgen, daß wir Zukunftstechnologien produzieren können. Auf diese Weise wird die Zukunft kannibalisiert.

Ein letzter Punkt ist die Ersetzung von Arbeitskräften durch Computer. Ein Beispiel ist der berühmte Stromausfall vom 14. August 2003 in Amerika, als 50 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten und in Ontario in Kanada ohne Strom dastanden. Der Hintergrund ist gut dokumentiert: 15 Jahre lang hatte man nichts in die Hochspannungsleitungen investiert und fast nichts in Kraftwerke. Man legte Kraftwerke still und ersetzte sie durch computerisierte Systeme, die den Strom mit Hilfe des sog. real time computer monitoring blitzschnell von einem Ort zum anderen leiten.

Wenn sich ein Mangel an Strom abzeichnet, ein kleines Loch, das in früheren Zeiten vielleicht zu einem begrenzten Spannungsabfall oder geringen Stromausfall geführt hätte, wird nun aus allen Teilen des Landes Strom in die betroffene Region geholt. Diese scheinbar clevere Lösung schuf erst die Voraussetzungen für einen kettenreaktionsartigen Zusammenbruch des Stromnetzes. Wären nicht einige Zufälle eingetreten, hätte sogar ein noch viel größeres Gebiet betroffen sein können, denn im Versuch, das entstandene Loch zu stopfen, werden andere Löcher aufgerissen, so daß es zu einer Kettenreaktion kommt, die das ganze Netz lahmlegt.

Ich sage das, weil wir gleich zu den Derivaten kommen und das eine ähnlich "clevere Idee" im Finanzbereich ist.

Eine andere Form der Ausbeutung, um das noch zu erwähnen, ist die Bildung. Man zog eine ganze Generation von Menschen heran, die - wenigstens in ihrem gegenwärtigen Zustand - keine moderne Industriegesellschaft erhalten kann. Die Medien haben Massenwahn verbreitet. Das Phänomen der "68er" (Babyboomer) ist ein entscheidender Aspekt, weil dies eine kulturelle Matrix ist, unter der die Menschen die massive Kannibalisierung ihrer eigenen Zukunft widerstandslos hingenommen haben. Die "Jetzt-Generation" lebt nur im Heute und kümmert sich nicht um die Zukunft.

Die wirtschaftliche Schockwelle

Wir bewegen uns weltweit auf eine physische Schockwelle zu. Die Vorläufer sind schon zu spüren, u.a. wenn bestimmte Teile der Infrastruktur zusammenbrechen. Aber was das alles noch gefährlicher und mörderischer macht, ist die Wechselwirkung zwischen diesem realwirtschaftlichen Vorgang und dem bevorstehenden Zusammenbruch der größten Spekulationsblase der Weltgeschichte.

Im Finanzsystem als solchem herrscht eine völlig andere Beziehung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als in der Realwirtschaft. Einerseits ist es wie ein Euler-Lagrangesches System: Es gibt ein gewaltiges Netz von Regeln und Vertragsbeziehungen, Papieren, auf denen geschrieben steht: "Ich zahle Ihnen", "Sie zahlen mir" oder "Sie haben das Recht, zukünftig diesen Besitz auszubeuten." Das Hauptkennzeichen ist eine riesige Anhäufung finanzieller Forderungen an die Zukunft. "Die Schulden müssen bezahlt werden."

Das nimmt kultische Formen an. Wenn man die offiziellen Derivatschulden verteilt, entfallen auf jeden Amerikaner, Mann, Frau und Kind 130 000 Dollar Schulden. Die Kinder werden gewissermaßen schon mit mehr Schulden geboren, als sie jemals zurückzahlen können. Es besteht keine Verbindung mehr zwischen der tatsächlichen Schaffung von Werten in der Wirtschaft und diesem Berg finanzieller Forderungen an die Zukunft. Der Schuldenberg kann gar nicht bezahlt werden.

Damit verbunden ist die "Blasenmentalität". Selbst bei realen Objekten steht der Wert, der ihnen zugeschrieben wird, in keinem Verhältnis mehr zu ihrem tatsächlichen Wert für die Zukunft der Wirtschaft. Ähnlich wie die "Tulpenblase" in Holland im 17. Jahrhundert, als eine einzige Tulpenzwiebel mehr kostete als das Lebenseinkommen eines Arbeiters. Auch das zeigt, daß dies alles keine finanzielle Frage an sich ist, sondern etwas mit der geistigen Einstellung zu tun hat...

In Abbildung 6 sehen Sie die Beanie Babys, kleine Puppen oder Teddybären von einem Mann namens Ty Warner, um die sich Ende der 90er Jahre verrückte Spekulationen entwickelten. Diese Plüschtiere wurden für 600 oder 1000 Dollar das Stück gehandelt, weil die Leute damit spekulierten. Sie haben sie gesammelt und warteten darauf, daß sie im Wert weiter stiegen, damit sie mit dem Erlös aus dem Verkauf die Collegeausbildung ihrer Kinder bezahlen könnten!

Ein wichtiger Aspekt des Finanzsystems sind die spekulativen Derivate. Ich möchte hier nur erwähnen, daß die mathematische Grundlage dieser Derivate die gleiche ist wie die Tradition von Euler und Lagrange, Boltzmann und von Neumann. Merton und Scholes entwickelten Methoden zur vermeintlichen Stabilisierung des Finanzsystems. Sie wollten damit örtliche Zusammenbrüche verhindern, schufen aber dadurch gerade erst die Lage, in der das ganze System zusammenbrechen kann. [Die Wirtschaftsnobelpreisträger Merton und Scholes arbeiteten für den Spekulationsfonds LTCM, dessen Pleite 1998 um ein Haar das Weltfinanzsystem zum Einsturz gebracht hätte.]...

Der finanzielle Zusammenbruch

Wir produzieren derzeit netto keinen Wohlstand, und deshalb haben die finanziellen Forderungen des künftigen Finanzsystems keine Grundlage.

Es ist eine wechselseitige Beziehung. Man kann nur auf zweierlei Weise versuchen, die Geldforderungen des Finanzsystems zu erfüllen. Entweder indem man die Realwirtschaft noch mehr ausplündert, was den Zusammenbruch der Wirtschaft noch weiter beschleunigt. Oder indem man Geld druckt, was zu einer hyperinflationären Explosion führt, weil die laufenden, kurzfristigen Kosten durch den Raubbau an der Realwirtschaft und ihrer künftigen Kapazitäten in die Höhe schnellen.

Denn die Infrastruktur und die langfristigen Kapazitäten der Wirtschaft sind bereits geschwächt, und es wird real gesehen immer teurer, die Gesellschaft auf einem gegebenen Niveau aufrechtzuerhalten. Es gibt tatsächlich eine realwirtschaftliche Kostenexplosion in dem Maße, in dem versucht wird, ein bestimmtes Niveau der Realwirtschaft aufrechtzuerhalten. Das treibt uns in eine Hyperinflation.

Es baut sich also eine Lage auf, wo alle möglichen Wege innerhalb der gegebenen Wechselwirkung zwischen der Realwirtschaft und dem Finanzsystem in eine Katastrophe führen. Sie führen auf verschiedenen Wegen dorthin, aber in die Katastrophe führen sie alle.

Abbildung 7 ist meine letzte Metapher hierfür. Sie zeigt, wie eine Sturzwelle (Brecher) entsteht, vergleichbar mit einer Schockwelle. Leonardo da Vinci hat das schon lange vor Riemann gut erfaßt. Seine Zeichnung zeigt den Übergang von einer gewöhnlichen Welle, die einer Sinuskurve ähnelt, zur Sturzwelle. Die Sinuswelle entspräche dem, was die Ökonomen heute als "Konjunkturzyklus" bezeichnen würden. Aber nun kommt es zu einer Wechselwirkung mit der Realwirtschaft, die in der Skizze als Änderung des Küstenverlaufs dargestellt ist. Die Kosten für den Erhalt der Gesellschaft steigen marginal, und das löst den Zusammenbruch des Finanzsystems aus. Umgekehrt verursacht der Versuch, das Finanzsystem zu erhalten, den Zusammenbruch der Realwirtschaft...

Der noetische Prozeß

Der einzige Ausweg besteht darin, ein neues Prinzip einzuführen. Die menschliche Vernunft muß eingreifen, um eine radikale Veränderung herbeizuführen: in der Realwirtschaft, im Finanzsystem, in deren Wechselwirkung und vor allem bei den vorherrschenden Prinzipien und Axiomen der Gesellschaft. Diese Änderung ist es, für die Lyndon LaRouche und seine Bewegung seit langem kämpfen: das Neue Bretton Woods, die Eurasische Landbrücke, die "Super-TVA" und die LaRouche-Jugendbewegung.

Dies bringt uns zu der dritten der vielfach miteinander verknüpften Wirkungen, von denen ich zu Beginn sprach: zum noetischen Prozeß. Das ist das, was im menschlichen Geist geschieht: die geistige Reaktion der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft und ihrer führenden Institutionen auf die kombinierte Zusammenbruchskrise von Realwirtschaft und Finanzsystem, die wiederum das Ergebnis einer falschen Politik und der damit verbundenen kulturellen Axiome ist.

Was heißt noetisch? Betrachten wir die gegenwärtige Geschichte der Menschheit nicht "objektiv" als Abfolge einzelner Ereignisse, sondern so, wie die Menschen, die sie machen und erleben, diese Geschichte erfahren - wie sie selbst sie beurteilen und daraufhin ihr Handeln beschließen. Das ist das, womit sich die klassische Tragödie beschäftigt.

Der menschliche Geist ist kompliziert, er steckt voller Absichten, voller Impulse zu bestimmten Handlungen. Platon spricht nun von der Frage: Wie muß man seinen Geist regieren und lenken? Auch Tiere werden von ihren Absichten geleitet, auch das Sonnensystem wird durch seine Absicht geleitet, wie Kepler eindeutig gezeigt hat. Aber sie können sich nicht darüber bewußt werden, den eigentlichen Inhalt und die Ursache der Absichten, die sie erfüllen, können sie nicht erkennen - das kann nur der Mensch.

Ein Tier handelt instinktiv, hinter seinem Verhalten steckt eine bestimmte Absicht, aber es weiß nichts von der Quelle und dem Inhalt dieser Absicht.

Heute verhalten sich viele Menschen, als würden sie von einer unsichtbaren Hand gesteuert, sie folgen Absichten, die sie nicht selbst ausgedacht haben. Diese Absichten entstanden nicht durch einen souveränen Geistesakt. Die Menschen erkennen nicht, daß diese Absicht in ihren Untergang führt. Unsere jungen Leute nennen solche Menschen "Lemminge": Leute, die einem halb instinkthaften Verhalten folgend in ihren eigenen Untergang marschieren.

Wir haben über das alles schon gesprochen: Konsumdenken, Umweltideologie usw. - die "Goldfischglasgeometrie" in den Köpfen der Menschen und ihren Institutionen, die dazu führt, daß die Menschen gerade die Veränderungen, die retten könnten, vehement ablehnen und bekämpfen! Dies ist verbunden mit einer ganz bestimmten Form der Blindheit, die meiner Meinung nach sehr wichtig ist: der Unfähigkeit oder zumindest vorübergehenden Unfähigkeit des Geistes, eine Geometrie zu erkennen oder zu sehen. Es fehlt auch die Ausbildung und Übung dafür.

Stellen Sie sich drei Punkte nebeneinander vor. Jemand fragt: "Was sehen Sie hier?" "Ich sehe drei." Eine andere Person, die unter dieser Blindheit leidet, sagt: "Ich sehe Punkt, Punkt, Punkt." Sie sagen: "Nein, es sind drei." - "Wo? Ich sehe einen Punkt, noch einen Punkt, und den anderen Punkt. Wo ist die drei? Ich sehe sie nicht."

Wenn LaRouche vom anglo-holländischen System redet, ist das nicht irgendeine formale Sache: Es ist eine Geometrie, die überall ist! Sie wirkt überall. Sie verkörpert eine Absicht. Und diese Absicht steuert das Verhalten eines großen Teils der Welt - aber die Menschen sehen es nicht. Sie tun so, als gäbe es diese Geometrie nicht. "Ja, wir sehen dieses Problem, wie sehen jenes Problem." Sie sehen diesen oder jenen Punkt, aber sie sehen nicht die Geometrie, nicht die dahinterstehende Absicht. Sie erkennen die Symptome, aber sie weigern sich, die Krankheit zu erkennen.

Es gibt also auch eine Blase im noetischen, im geistigen Bereich. Menschen halten an bestimmten feststehenden Vorstellungen fest, obwohl sich die Beweise dafür anhäufen, daß diese Vorstellungen falsch sind. Statt zu sagen: "Moment mal, da stimmt was nicht mit meinem Denken", denken sie sich ein Geflecht falscher Erklärungen und Reaktionen aus, das zu einer Blase wird. Das ist unsere heutige Gesellschaft. Wir leben im Zustand der Realitätsverweigerung.

Das Erwachen des Prinzips der Vernunft

Wo führt das hin? Man kann sagen: Es führt zu einem noetischen Schock. Es ähnelt einer Schockwelle. Es kommt zu einem Zusammenstoß zwischen dieser Blase falscher Axiome und der Wirklichkeit, die sich durchsetzt.

Das Ergebnis kann unterschiedlich sein. Manche Leute werden buchstäblich verrückt. Sie drehen durch. Dies ist bei der Bevölkerung, mit der wir es zu tun haben, eine reale Gefahr.

Aber zum Glück gibt es noch eine andere Möglichkeit, und wir sehen in der Bevölkerung und in den Institutionen schon Anfänge. Unsere Vereinigung ist dabei ein entscheidender katalytischer Faktor. Es nimmt in den Köpfen der Menschen langsam Gestalt an, sie sehen die Fäulnis des Systems. Meistens ist es eine bestimmte Sache, oft ein kleines Ereignis, das dieser Gestalt sozusagen einen Namen gibt, wie wir es bei der Revolte gegen Hartz IV in Deutschland gesehen haben. Die Menschen sagen: "Moment mal! Das ganze System ist verrottet! Ändern wir es!" Mit dieser Erkenntnis beginnt, jedenfalls implizit, das Erwachen des Prinzips der Vernunft...

Der menschliche Geist hat die Fähigkeit, Absichten zu erkennen - die Absichten, die in einem Prozeß wirken, auch in unserem eigenen Geist. Er kann Ursprung, Geschichte und Inhalt dieser Absichten erkennen. Was hat sie hervorgebracht? Wann, wo und unter welchen Umständen entstanden sie? "Wie bin ich dazu gekommen, so zu denken, wie ich denke?" Und der menschliche Geist hat die Fähigkeit, diese Absichten bewußt zu ändern, auf sie im Sinne des Guten - man könnte es die "abgeleitete Absicht Gottes" nennen - einzuwirken.

Er hat die Fähigkeit, einzugreifen, um ein großes Unrecht zu beseitigen. Der Mensch kann Wesentliches beitragen - sei es die Entdeckung eines wissenschaftlichen Prinzips oder eine entsprechende Änderung der Prinzipien der Gesellschaft - , etwas, das dem Universum bisher fehlte und was nun notwendig geworden ist.

Große Musik spricht diese Fähigkeit im Menschen an. Diese Fähigkeit ist immer da, aber sie ist nicht immer stark genug. Manchmal scheint sie nicht da zu sein, aber sie ist doch vorhanden, sie muß nur wachgerufen werden. Die entscheidende Frage hier ist wohl: Wie erwecken wir dieses Vernunftprinzip, das wirken muß, um die Gesellschaft zu verändern?

In einer schwierigen Zeit haben wir einmal über eine Art Theorie diskutiert, die zum Teil richtig ist, bei der mir aber nie ganz wohl war. Wir nannten es kurz "den brennenden Kittel". Erst wenn der Kittel richtig brennt, bewegen sich die Menschen. Vorher sind sie zu bequem, sie sagen sich: "Es ist ja alles in Ordnung." Aber wenn es brennt, dann bewegen sie sich. Das Problem ist natürlich: In welche Richtung bewegen sie sich? Der "brennende Kittel" führt nicht notwendigerweise zu einer rationalen Reaktion - manchmal zum Gegenteil. In einer solchen Lage reicht es im allgemeinen nicht, nur Lösungen vorzuschlagen. Die Lösung wird nicht erkannt oder sogar zurückgewiesen.

In diesem entscheidenden Moment muß man den Menschen das Vernunftprinzip an sich zeigen. Wir tun das durch die Musik und auf andere Weise, weil wir die höheren Kräfte des Menschen erwecken müssen. Wir lassen die Trompete der Vernunft erschallen.

Wir haben heute einen Menschen unter uns, Lyndon LaRouche, der dieses Vernunftprinzip in höherem Maß verkörpert als irgendein anderer lebender Mensch. Es ist konsubstantiell, d.h. es ist kein abstraktes Prinzip, sondern etwas historisch Spezifisches. Es ist individuell. Es definiert das Selbstverständnis des einzelnen.

Das bringt uns zur Jugendbewegung. Wir sehen jetzt einen wahren "Zukunftsschock". Nicht als Ausbruch von Wahnsinn, wovon gerade auch die Rede war. Sondern in einer Generation von Menschen, die aus ganz bestimmten Gründen klar verstehen, daß diese Gesellschaft sich mit diesem ganzen Unsinn zum Untergang verurteilt.

Warum verstehen sie es so gut? Ich glaube, weil diese jungen Leute eine innere Erfahrung mit ihrer eigenen Entwicklung haben, der Entfaltung ihrer eigenen geistigen und physischen Kräfte. Sie haben erfahren, was Entwicklung bedeutet, und damit vergleichen sie den Charakter, die Geometrie der Gesellschaft.

Aber das muß verbunden werden mit der Erkenntnis, mit dem Wissen, wie diese Gesellschaft verändert werden muß. Die Jugendbewegung, die wir aufbauen, ist nicht nur frech, froh und begeistert, sie bildet sich auch selbst dazu heran, das Prinzip der menschlichen Vernunft zu verkörpern und auszustrahlen, sowohl im konkreten Augenblick der Geschichte als auch universell.

Denken wir an Bachs Prinzip der großen klassischen Kunst und Musik - einem entscheidenden Mittel für unsere Bewegung, für unsere Fähigkeit, das Vernunftprinzip auszustrahlen. Laßt die Trompete der Vernunft erschallen!

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