Oktober 2001:
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Nikolaus von Kues

Dialog der Kulturen nötiger denn je

Von Helga Zepp-LaRouche, Vorsitzende des Schiller-Instituts und der Bürgerrechtsbewegung Solidarität

Einladung zur Teilnahme an einer internationalen Korrespondenz über einen "Dialog der Kulturen" im Sinne des Nikolaus von Kues.



Die Horrorvision eines "Kriegs der Kulturen" ist seit den Anschlägen in den USA und den Militärschlägen gegen Afghanistan leider bereits dabei, eine Realität zu werden. Was auch immer über Tat vom 11. September aufgedeckt werden mag, und wer die Urheber waren, eine Spirale der Gewalt hätte einen Absturz der Menschheit in ein neues finsteres Zeitalter zur Folge.

Um so dringender ist es, die Grundlagen der Vernunft und die universellen Prinzipien neu zu definieren, die statt dessen einen "Dialog der Kulturen" und eine ökumenische Verständigung zwischen den Religionen auf höchster Ebene ermöglichen. Ein solcher Dialog wäre auch nötig, wenn es nach einer Periode fortgesetzter Gewalt, nach Jahrzehnten oder gar einem "Jahrhundert des Krieges" darum ginge, die Völkergemeinschaft erneut zu einen und die Staaten aus Trümmerfeldern wieder aufzubauen.

Doch wenn solches unsagbare Leid von vielen Millionen Menschen abgewendet werden soll, dann ist zu hoffen, daß ein solcher Dialog mithelfen kann, die Verständigung zwischen den Kulturen rechtzeitig so zu vertiefen, daß es nicht zum Schlimmsten kommt.

Auch wenn es viele Unterschiede zum Fall von Konstantinopel 1453 und seiner Eroberung durch Mohammed II. gibt, und die Hintergründe der Anschläge in den USA ein völlig anderes Phänomen darstellen, so ist der Bezug auf dieses Datum unter einem Gesichtspunkt dennoch sinnvoll.

In einem Moment, als geringere Geister nach Rache und Vergeltung schrien, schrieb Nikolaus von Kues, dessen 600. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, unter dem Eindruck der Schreckensmeldungen vom Bosporus die großartige Schrift De pace fidei - "Über den Frieden im Glauben". Dieser Dialog, an dem Nikolaus Vertreter von siebzehn Religionen und Nationen teilnehmen läßt, kann auch heute den Weg weisen.

Nikolaus beginnt De pace fidei mit den folgenden Worten:

"Die Kunde von den Grausamkeiten, die kürzlich in Konstantinopel vom Türkenkönig verübt worden sind und jetzt bekannt wurden, hat einen Mann, der jene Gebiete einstmals sah [Nikolaus spricht hier offensichtlich von sich selbst und seiner Reise in diese Stadt], so mit Inbrunst zu Gott erfüllt, daß er unter vielen Seufzern den Schöpfer aller Dinge bat, er möge die Verfolgung, welche wegen der verschiedenen Religionsausübung mehr denn je wütete, in seiner Güte mildern. Da geschah es, daß dem ergriffenen Mann nach einigen Tagen - wohl aufgrund der täglich fortgesetzten Betrachtung - eine Schau zuteil wurde, aus der er entnahm, daß es möglich sei, durch die Erfahrung weniger Weiser, die mit all den verschiedenen Gewohnheiten, welche in den Religionen über den Erdkreis hin wohl vertraut sind, eine einzige und glückliche Einheit zu finden, und durch diese auf geeignetem und wahrem Weg einen ewigen Frieden in der Religion zu bilden."

Nikolaus präsentiert dann die Vertreter der siebzehn Religionen und Nationen im Gespräch mit dem "göttlichen Wort", das um Klärung gebeten wird, weil aller Streit zwischen den Religionen immer in seinem Namen geführt werde. Da die meisten Menschen in Armut, unter großer Mühsal und in sklavischer Abhängigkeit von ihren Herrschern lebten, hätten sie gar nicht die Muße, ihren freien Willen zu gebrauchen und zu eigener Erkenntnis zu gelangen. Die Sorgen um das tägliche Leben lenke sie zu sehr ab, um den "verborgenen Gott" zu suchen. Wenn aber eine Versammlung von weisen Männern der verschiedenen Religionen zusammenkäme, dann sei die Lösung "einfach".

Nikolaus' Lösung ist vom Standpunkt der coincidentia oppositorum oder des "Zusammenfalls der Gegensätze", also "von oben her" gedacht. Ein Fehler sei es, nicht zwischen den Propheten und Gott selbst zu unterscheiden, und andererseits die Traditionen, an die man gewöhnt sei, mit der Wahrheit zu verwechseln. Indem Gott in diesem Dialog die Religionsvertreter als Weise anspricht, gelingt es ihm leicht, sie davon zu überzeugen, daß es nur eine Weisheit und eine Wahrheit gibt.

Der älteste der teilnehmenden Religionsvertreter, ein Grieche, fragt, wie man die Vielfalt der Religionen zusammenbringen solle, da sie wohl kaum eine neue, vereinte Religion akzeptieren würden, nachdem sie ihre eigene mit Blut verteidigt hätten. "Gottes Wort" antwortet, daß sie keine neue Religion einführen sollten, sondern daß die wahre Religion vor allen anderen Religionen liegt. Die friedensbringende neue Einheit der Religion ist kein synthetischer neuer Glaube, sondern das, was der Vernunft einsichtig ist, sobald sie sich ihrer Prämissen bewußt wird. Der griechische Vertreter reagiert begeistert auf die Idee des "vernünftigen Geistes" (spiritus rationalis), der "zu wunderbaren Künsten fähig" (capax artitium mirabilium) ist, woraus sich die menschliche Vervollkommnungsfähigkeit ergibt.

Wenn dieser Geist auf wachsende Weisheit orientiert ist, kann er sich dieser immer mehr annähern. Er wird niemals die absolute Weisheit erreichen, ihr aber immer näher kommen, und sie wird ihm "wie eine ewige Speise" wohlschmecken. Die Einheit ist dann erreichbar, wenn sich alle Geister auf Weisheit und Wahrheit beziehen, und diese Wahrheit als primär und grundlegend erkannt wird.

Der cusanische Ansatz unterscheidet sich also vollkommen von den modernen pantheistischen oder phänomenologischen Formen des ökumenischen Dialogs, bei dem die Existenz der einen wißbaren Wahrheit zugunsten einer demokratischen Vielheit religiöser Meinungen geleugnet wird. Der Dialog kann aber nur Erfolg haben, wenn alle Beteiligten von einem Menschenbild ausgehen, das den Menschen als "lebendiges Abbild Gottes" (imago viva Dei) versteht, dessen Gottähnlichkeit darin besteht, daß er seine kognitiven Fähigkeiten immer weiter vervollkommnen und die Gesetzmäßigkeiten der Schöpfungsordnung immer besser verstehen kann, so daß er durch Anwendung dieser Erkenntnisse die Lebensbedingungen für alle Menschen verbessern und das Bevölkerungspotential der Erde erhöhen kann.

Papst Johannes Paul II. hat nicht zuletzt durch seine jüngsten Reisen betont, daß es zu einem solchen ökumenischen Dialog auf höchster Ebene keine Alternative geben kann.


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