September 2003:
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Kein Lobgesang auf Theodor W. Adorno

Theodor Wiesengrund Adorno
Ein Adorno-Denkmal in Frankfurt? - Adorno hat wie kaum ein zweiter zur Zerstörung des Verständnisses und der Komposition klassischer Musik beigetragen.
Theodor W. Adorno - der Name steht für die Methode, wie der Schrott ins Fernsehen und ins Theater kommt.


Sind Sie bestürzt, wenn Ihnen täglich über die elektronischen Medien immer ekelhaftere Fratzen der "gewalttätigen Bestie Mensch" entgegengeschleudert werden? Sorgen Sie sich um den Verstand derer, die sich New Wave, Rap, Trash oder Techno bis zur Besinnungslosigkeit hingeben? Belächeln Sie die Sinnlosigkeit moderner, postmoderner und antimoderner Kunst? Vielleicht fragen Sie auch, wie es eigentlich dazu kam, daß in unserer Gesellschaft eine solcher Kult der Häßlichkeit vorherrscht.

Die Frankfurter Schule

Wenn Ihnen aber nun jemand antwortete, daß dies alles etwas mit dem Wirken Theodor Wiesengrund Adornos zu tun habe, würden Sie das natürlich ungläubig zurückweisen. Adorno, dem letzte Woche am 11. September anläßlich seines 100. Geburtstags ein Denkmal in Frankfurt errichtet wurde? Ist das nicht der große Philosoph der "Kritischen Theorie" und der "Neuen Musik", der geistige Kopf der Frankfurter Schule, der Lehrer der 68er Studentenbewegung, die gegen Vietnamkrieg, Notstandsgesetze, das kapitalistische System und den autoritären Staat protestierte? Was hat der mit unserer Kultur der Häßlichkeit zu tun? Sehr viel, Sie werden sich wundern. Denn es ging Adorno und seinen Mitstreitern der Frankfurter Schule wie Max Horkheimer, Erich Fromm, Herbert Marcuse, auch Walter Benjamin, später Jürgen Habermas u.a. um mehr als eine politische, wirtschaftliche und soziale Veränderung - es ging um eine Kulturrevolution, eine grundlegende Veränderung im Denken und Handeln einer ganzen Generation, die sich auf alle Bereiche der Gesellschaft auswirken sollte. Alle axiomatischen Wertvorstellungen der Errungenschaften der abendländischen Zivilisation in Wissenschaft und Kunst, der griechischen Klassik, des Christentums, der italienischen Renaissance, der Wiener und Weimarer Klassik sollten negiert und "aufgehoben" werden.

Georg von Lukács brachte bereits Anfang der 20er Jahre auf dem Treffen (Erste Marxistische Arbeitswoche), das zur Gründung des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt führte, die Absichten des Instituts auf den Begriff. Da die christlich-humanistische Kultur für das Scheitern der sozialistischen Revolution im Westen verantwortlich wäre, müßte sie beseitigt werden, und zwar durch die "Aufhebung der Kultur". Die Finanzierung des Instituts übernahm Hermann Weil, der im argentinischen Getreidehandel zum Millionär geworden war und der Deutschland im Zweiten Weltkrieg zu größeren imperialen Zielen anstachelte. Auf der Grundlage von Kant, Hegel, Marx, Nietzsche und Freud entwickelten Adorno und Horkheimer eine radikal kulturpessimistische "negative Dialektik", um das klassisch- humanistische Menschenbild zu zerstören. Sie behaupteten, das entscheidende Problem der Geschichte sei die Denkfähigkeit des Menschen, die "Geschichte des Denkens als Organ der Herrschaft".

Die menschliche Fähigkeit, die Gesetze des Universums zu erforschen, als technisch-industriellen Fortschritt anzuwenden und dadurch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Menschheit sicherzustellen - das, was den Menschen zum lebendigen Abbild Gottes macht und woraus sich seine Würde und Unantastbarkeit ableitet - , genau das wollten die Frankfurter "aufheben".

Diese rationale Ordnung diene zwar zur dauerhaften Selbsterhaltung des Menschen, behaupteten sie, führe aber notwendig zu einer Verhärtung, einem regelrechten Zwang zur Naturbeherrschung, der schließlich in der Selbstzerstörung durch Kapitalismus, Faschismus und Totalitarismus enden müsse.

Konsequent zielten sie auf eine radikale Abkehr von der Vernunft, um die Gewalt animalischer Triebe zu entfesseln, eine "Rebellion als Rache der Natur an der Zivilisation" zu entfachen und die "Fähigkeit zu unmittelbarer Lust" zu steigern, die "durch die idealistische Predigt der Veredelung und Selbstverleugnung geschwächt, vergröbert, in vielen Fällen ganz verdorben" worden sei. Sie bevorzugten "dunkle" Schriftsteller, denen sie "die kräftige Einsicht in die Nachtseite des Natürlichen" verdankten, z.B. de Sade, Nietzsche und die Romantiker, die sich offen zum Egoismus bekannten, "zum Genuß, zum Höchstmaß an Glück, in das die Befriedigung grausamer Regungen eingeschlossen ist". 1941 schrieb Adorno über die Absichten dieser angestrebten Kulturrevolution: "Das bezieht sich vor allem auf die Vorstellung der Geschichte als permanenter Katastrophe, die Kritik an Fortschritt und Naturbeherrschung und die Stellung zur Kultur ... die Identität von Barbarei und Kultur." Und später hieß es, es gebe überhaupt nichts Positives, die "Versessenheit aufs Positive" sei "ein Deckbild des unter der dünnen Hülle wirksamen Destruktionstriebes", und "die am meisten vom Positiven reden, sind einig mit zerstörender Gewalt". Hätten Sie gedacht, daß der gefeierte Philosoph Theodor W. Adorno ein solch teuflischer Kerl war? Ihm wurde sogar 1963 die Goethe-Plakette verliehen - etwa weil er den Mephisto in der Wirklichkeit so perfekt verkörperte?

Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht: denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär's, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, Mein eigentliches Element.

Diabolus in Musica

Auf Adorno entfiel die Aufgabe, insbesondere in der Musik die Kulturrevolution gegen das Denken voranzubringen. Seine Mutter, Maria geb. Calvelli-Adorno delle Piane, war eine Sängerin, seine Tante Agathe, die er seine "zweite Mutter" nannte, hatte als Pianistin die berühmte Sängerin Adelina Patti begleitet. Mit 16 Jahren bekam er seinen ersten Kompositionsunterricht, er studierte neben Philosophie und Psychologie Musikwissenschaft. Er nahm 1925 in Wien bei Alban Berg Kompositions- und bei Eduard Steuermann Klavierunterricht und war als Musikkritiker publizistisch tätig. Die "Aufhebung" der klassischen Musik betrieb er hauptsächlich durch zwei negative Methoden: "Dekonzentration" und "Dekomposition". Dafür bediente er sich der Kulturindustrie, die über die elektronischen Medien die Massen- bzw. Popkultur verbreitete, und der "Neuen Musik" von der freien Atonalität bis zur waghalsigsten Geräuschakrobatik, die die Fähigkeiten zur klassischen Komposition in der künstlerischen Elite ausmerzen sollte.

Mancher wird überrascht fragen: Wieso der Kulturindustrie? Hat er nicht immer gegen die Verdummung und Entpolitisierung der Bevölkerung durch die populäre Massenkultur gewettert? Gut, den Tango ließ er vielleicht noch gelten, er war eben romantisch und liebte die Frauen, aber die Popkultur haßte er doch?

Um Adornos negative Dialektik richtig zu verstehen, muß man sich vor Augen führen, worum es eigentlich bei einer klassischen musikalischen Komposition von Bach oder Beethoven geht. Es geht dabei nicht um Töne oder Noten! Sondern um die schöpferischen Ideen, die der Komponist entwickelt, um bestimmte musikalische Probleme zu lösen und das tonale wohltemperierte System der polyphonen Mehrstimmigkeit, das mit den Naturgesetzen des Universums und der menschlichen Belcanto-Stimme übereinstimmt, gesetzmäßig zu erweitern. Ein klassisches Musikstück repräsentiert in seiner Ganzheit eine bestimmte Idee, eine nur mit dem Geist erfaßbare Metapher, die den Verlauf, den Anfang und das notwendige Ende einer Komposition bestimmt. Eben "so streng, wie frei", wie Beethoven unterstrich.

Das Komponieren, Aufführen und Anhören einer klassischen Komposition erfordert eine enorme geistige Anstrengung, die mit einer langandauernden Konzentration verbunden ist. Nur so ist das Stück und die ihm zugrunde liegende musikalische Idee, die positive Lösung eines musikalischen Problems, erfaßbar und vermittelbar.

Tatsächlich ging Adorno auf Einladung Max Horkheimers von England nach New York und wurde 1938 der musikalische Leiter des sog. "Radioprojekts". Das nationale Radio Research Project an der Princeton University wurde von der Rockefeller-Stiftung finanziert und sollte die sozialen Wirkungen der neuen Massenmedien, speziell des Radios, erforschen. Paul Lazarsfeld, der seit Anfang der 30er Jahre mit der Frankfurter Schule zusammenarbeitete, leitete es.

Ihm zur Seite stand Frank Stanton, Forschungsdirektor der Rundfunkanstalt CBS, Dr. für industrielle Psychologie und späterer Präsident von CBS. 1957-67 war Stanton Aufsichtsratschef der RAND Corporation, einer in Kalifornien ansässigen, von der Air Force finanzierten Denkfabrik, die geheime Forschungen über Techniken des Gegenaufstandes, Befragungsmethoden Gefangener, und elektronische Polizeiüberwachung anstellte. Er war auch zusammen mit den Chefs der Elektronikriesen ITT, AT&T und RCA Mitglied des von Lyndon Johnson 1965 ins Leben gerufenen "Committee of Communications" sowie Aufsichtsratsmitglied von Radio Free Europe.

Adorno lernte in den USA eine Kulturindustrie kennen, die dabei war, alle Mittel zur sozialen Kontrolle der Bevölkerung zu entwickeln. Er kam zu dem Schluß: "Die gesamte U-Musik hätte schwerlich ihren Umfang und ihre Wirkung ohne das, was man in Amerika plugging nennt. Die zu Bestsellern auserkorenen Schlager werden in die Hörer wie mit Eisenhämmern solange hineingerammt, bis sie sie wiedererkennen müssen, wie die kompositorischen Reklamepsychologen richtig ausrechnen, und darum lieben."

Er erkannte die Bedeutung von Schlagerbörsen, Hitparaden, Musikzeitschriften usw. als Mittel zur Schaffung einer Popkultur - die Mittel, die dann für die Rock-Dogen-Sex-Gegenkultur zum Einsatz kamen. Er entwarf eine "Typologie des Hörens", die vom Experten bis zum Antimusikalischen reichte. Für eine Manipulation schien ihm der Unterhaltungshörer am interessantesten zu sein, dessen Hörweise Adorno als die der Zerstreuung und Dekonzentration bezeichnete.
"Am Gegenpunkt zum Fetischismus der Musik vollzieht sich eine Regression des Hörens. Damit ist nicht ein Zurückfallen des einzelnen Hörers auf eine frühere Phase der eigenen Entwicklung gemeint, ... vielmehr ist das zeitgemäße Hören das Regredierter, auf infantiler Stufe Festgehaltener. ... Sie fluktuieren zwischen breitem Vergessen und jähen, sogleich wieder untertauchendem Wiedererkennen; sie hören atomistisch und dissoziieren das Gehörte, entwickeln aber eben an der Dissoziation gewisse Fähigkeiten, die in traditionell-ästhetischen Begriffen weniger zu fassen sind als in solchen von Fußballspielen und Chauffieren. Sie sind nicht kindlich, wie etwa eine Auffassung es erwarten möchte, die den neuen Hörertyp in Zusammenhang bringt mit der Einbeziehung ehedem musikfremder Schichten in das Musikleben. Sondern sie sind kindisch: ihre Primitivität ist nicht die des Unentwickelten, sondern des zwanghaft Zurückgestauten."

Adorno beobachtete, wie durch die Popkultur die klassische Musik dekomponiert werden konnte. Für die regredierten Hörer "wird eine Art musikalischer Kindersprache präpariert, die sich von der echten dadurch unterscheidet, daß ihr Vokabular ausschließlich aus Trümmern und Einstellungen der musikalischen Kunstsprache besteht".

Durch seine "negative Dialektik" konnte er auch dem regredierten Hören noch etwas abgewinnen: "Positives liegt beschlossen allein in ihrer Negativität. Die fetischisierte Massenmusik bedroht die fetischisierten Kulturgüter." In diesem Punkt, der Dekomposition der klassischen Musik, kreuzten sich populäre Massenkultur und "Neue Musik" und verbündeten sich gegen die Klassik:
Die Neue Musik "setzt es sich vor, der Erfahrung des regressiven Hörens bewußt standzuhalten. Der Schrecken, den Schönberg und Webern heute wie einst verbreiten, rührt nicht von ihrer Unverständlichkeit her, sondern davon, daß man sie nur allzu richtig versteht. Ihre Musik gestaltet jene Angst, jenes Entsetzen zugleich, jene Einsicht in den katastrophischen Zustand, dem die anderen bloß ausweichen können, indem sie regredieren."

Salto mortale

In Adornos Philosophie der Neuen Musik geht es nicht mehr um die Hörer, sondern um das Komponieren selbst. Ginge es nach ihm, dürfte heute niemand mehr wie Haydn, Mozart und Beethoven komponieren. Die "Neue Musik" Schönbergs, Bergs und Weberns, die er kräftig unterstützte, hat mit der Tonalität des wohltemperierten Musiksystems vollständig gebrochen: "Was vor dem Bruch galt, die Konstitution musikalischen Zusammenhangs durch Tonalität, ist unwiederbringlich dahin." "Die Musik kennt kein Naturrecht", von jetzt an "läßt sich nicht mehr ein für allemal ,lernen', was gute oder schlechte Musik sei." Die "Neue Musik" der Schule Schönbergs kündete nach Adorno von einer "Art Leere höherer Ordnung": "Das eigentlich umstürzende Moment an ihm (Schönberg) ist der Funktionswechsel des musikalischen Ausdrucks. Es sind nicht Leidenschaften mehr fingiert, sondern im Medium der Musik unverstellt leibhafte Regungen des Unbewußten, Schocks, Traumata registriert." "Die seismographische Aufzeichnung traumatischer Schocks wird aber zugleich das technische Formgesetz der Musik. Es verbietet Kontinuität und Entwicklung. Die musikalische Sprache polarisiert sich nach ihren Extremen: nach Schockgesten, Körperzuckungen gleichsam, und dem gläsernen Innehalten dessen, daß Angst erstarren macht. Es ist diese Polarisierung, von welcher die gesamte Formwelt des reifen Schönberg, und ebenso Weberns, abhängt. Sie zerstört die von ihrer Schule zuvor ungeahnt gesteigerte ,Vermittlung', den Unterschied von Thema und Durchführung, die Stetigkeit des harmonischen Flusses, die ungebrochene melodische Linie."

Diese "Macht der Dissoziation", die zur Zerstörung der klassischen Musik führt, hat Adorno durch einen seiner teuflischsten Salto Mortale ausgerechnet von Beethoven "abgeleitet". Beethoven reiße seine späten Streichquartette und seine Missa Solemnis durch diese "Macht der Dissoziation" auseinander, Beethovens Spätwerk beweise, "in der Geschichte von Kunst sind Spätwerke die Katastrophen". Fragen Sie jetzt aber nicht nach dem Sinne eines Kunstwerkes, denn in den Kunstwerken einen Sinn erkennen zu wollen, ist nach Adorno gerade deshalb unfruchtbar, weil die modernen Kunstwerke ja "gegen den Begriff des Sinns und die Behauptung rebellieren, das Dasein sei sinnvoll".

Ironie

Auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte 1968 drückte Adorno seinem Freund Max Horkheimer ein Flugblatt in die Hand, in dem die Studenten die "Frankfurter Lehrer" ernst nahmen und ihnen ihre Lehren um die Ohren schlugen, und sagte entsetzt: "So weit haben wir's gebracht." Als im Januar 1969 die Räume des Instituts für Sozialforschung von Studenten in Beschlag genommen wurden, ließ Adorno sie kurzerhand von der Polizei räumen. Im April 1969 mußte er wegen des "Busenattentats" durch den "Weiberrat" seine Vorlesung entnervt abbrechen. Kurz darauf starb er in der Schweiz.

Das Denkmal für Adorno in Frankfurt zeugt freilich von einer gewissen ironischen Fähigkeit des russischen Künstlers: Ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Metronom im Glaskasten - und wo ist nun Adorno? Deuten wir es doch so: 100 Jahre Adorno sind passé, und uns steht es frei, eine kulturelle Renaissance einzuleiten, die naturrechtlichen Grundlagen der klassischen Musik wieder herzustellen und uns auf die neuen Haydns, Mozarts und Beethovens zu freuen.


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