August 2007:

Wer schützt die Demokratie vor den „professionellen Militärs“?

Ein Beitrag zur Wehrpflichtdebatte der SPD

Angesichts der von der SPD aufgebrachten Debatte über die Einführung einer Freiwilligen-Armee anstelle der Wehrpflicht erscheint es notwendig, den Hintergrund dieser Debatte zu beleuchten.
        Letztlich steht hinter der Diskussion, welche Struktur und was für Soldaten die Bundeswehr haben soll, die Frage, wofür diese Bundeswehr künftig gebraucht werden soll: Soll sie der Verteidigung unseres Landes dienen, oder soll sie im Rahmen der Globalisierung vor allem ein Söldnerreservoir darstellen, das zur Verfügung steht, um in aller Welt (in der Regel in fremdem Interesse) Interventionskriege zu führen?
        Tatsache ist, daß die Bundeswehr seit Jahren und mit zunehmender Tendenz in letzterem Sinne mißbraucht wird - was einen Verfassungsverstoß darstellt. Und dafür kann man natürlich keine Wehrpflichtigen begeistern, oder nur einen sehr geringen Teil von ihnen. Diese Stimmung, für die nicht zuletzt sie selbst verantwortlich ist, will die SPD-Führung nun mit ihrem Vorstoß nutzen.
        Betrachtet man jedoch die ideologischen Hintergründe der westlichen Interventionspolitik, dann ist offensichtlich, daß jeder Demokrat - und somit auch jeder Sozialdemokrat - sich energisch gegen jeden Versuch wehren muß, in mitten unseres Landes einen „Staat im Staat“ zu schaffen, eine Söldnertruppe, die als Gefahr für die Verfassung unseres Landes betrachtet werden muß. Die Forderung nach einer „professionellen Armee“ stammt nämlich, wie die folgenden Auszüge aus dem Vorwort der EIRNA-Studie „Brzezinski und der 11. September“ zeigen, gerade aus jenen neokonservativen Kreisen, vor denen uns u.a. nicht zuletzt die „Bürger in Uniform“ schützen sollen.

Alexander Hartmann, Landesvorsitzender BüSo Hessen

Bei dem Versuch, diese Fragen zu beantworten, ist es außerordentlich hilfreich, sich mit der Person und dem Werk Samuel P. Huntingtons zu beschäftigen... Huntington ist nicht nur, was allgemein bekannt ist, einer der wichtigsten ideologischen Urheber der Doktrin des „Clash of Civilizations“ - also der strategischen Stoßrichtung, die dem Putschversuch von 11. September zugrundeliegt. Huntington ist auch der ideologische „Guru“ der „reaktionär-utopischen“ Schule im amerikanischen Militär und den Nachrichtendiensten. Huntingtons Buch The Soldier and the State [Der Soldat und der Staat] ist zu einer Art „Bibel“ einer amerikanischen Militärkaste geworden, die sich als „Staat im Staate“ versteht. Huntingtons The Soldier and the State erschien bereits 1957 und hat seither 18 Auflagen erlebt! ...

„Professionell“ ist Huntingtons Lieblingsbegriff in diesem Buch, den er neben Militärs und Nachrichtendienstlern nur noch Bankiers und Juristen zubilligt. Daß er dies tut, hat tiefgreifende Ursachen, denn Huntington hält die Teile der amerikanischen Verfassung, die sich mit Militär- und Sicherheitsfragen befassen, für fehlgeleitet, überholt und überflüssig. Besonders zuwider ist ihm die in der US-Verfassung niedergelegte Konzeption des Bürgersoldaten [citizen-soldier], die der allgemeinen Wehrpflicht und der Reservistenarmee zugrundeliegt. Die Vorgaben der US-Verfassung seien ein „latentes Hindernis für das Entstehen militärischen Professionalismus’“. Der Bürgersoldat, der Wehrpflichtige und der Reservist, sei zwangsläufig ein „Amateur“, der für die nationale Sicherheit weder geistig noch militärtechnisch tauge. Zur Gewährleistung dieser bedarf es, so Huntington, einer „professionellen“ Militärkaste mit einer eigenen, von der Gesellschaft abgegrenzten „Weltanschauung“, einem eigenen „professionellen Ethos“. Der „professionelle“ Militär wisse und könne, was die Bürger und Politiker nicht wissen und nicht können.

Das in sich geschlossene Weltbild des „professionellen“ Militärs und die daraus abgeleiteten Handlungsmaximen basieren auf Härte und unbedingtem Gehorsam. Der Mensch ist biologisch und psychisch gewaltbereit, machthungrig und besitzgierig. Das Menschenbild des „professionellen“ Militärs ist deshalb „pessimistisch“ und sozialdarwinistisch. Staaten verhalten sich wie die Einzelmenschen, so wie dies Thomas Hobbes in seinem Leviathan postuliert, weshalb Kriege unvermeidbar seien. Geschichtlichen Wandel gibt es, aber es gibt keinen Fortschritt in der Geschichte. Der Geschichtsverlauf ist zyklisch. Hinzu kommen die „unveränderlichen Fakten der Geographie“ - sprich Geopolitik - als Denk- und Handlungsfundament der „professionellen“ Militärs.

Für den deutschen Leser ist besonders festzuhalten, daß Huntington seine Konzeption der „professionellen“ Militärkaste dadurch zu legitimieren versucht, indem er Scharnhorst, Clausewitz und Moltke als ihre angeblichen Urheber präsentiert. Dabei geht er wohl davon aus, daß seine englischsprachigen Leser die Schriften Scharnhorsts nicht kennen und er deshalb die abstrusesten Behauptungen aufstellen kann. Absurder kann man kaum argumentieren, wenn man den Schöpfer der Armee der „Bürgersoldaten“ (Landwehr) in Preußen und Deutschland mit ihrem im Sinne der Klassik und des Humanismus hochgebildeten Offizierskorps als geistigen Urheber einer „professionellen“ Militärkaste und einer Berufsarmee in Anspruch nimmt. Voller Verachtung läßt sich Huntington über die Bundeswehr und die „Innere Führung“ aus. Letztere bezeichnet er als „Regression“ in „primitivere Formen zivil-militärischer Beziehungen“, die „zwangsläufig“ die Bundeswehr verpolitisiert und „ihre Kampfkraft reduziert“. Daß Huntington dem militärischen Widerstand gegen Hitler vorwirft, die Offiziere des 20. Juli 1944 hätten ihren militärischen „Professionalismus zugunsten der Politik aufgegeben“, kann dann kaum noch verwundern...

„Professionelle“ Militärs sind „unpolitisch“, die widerspruchslos jeden Befehl ausführen - für Huntington idealtypisch vom amerikanischen Marine Corps oder der französischen Fremdenlegion repräsentiert. Aber, schreibt Huntington, wenn Politik und Gesellschaft zusehends verweichlichen und degenerieren, dann kommt der „professionellen“ Militärkaste zwangsläufig die ultimative Verantwortung für den Staat zu. Im Zweiten Weltkrieg, behauptet Huntington, habe der Generalstab in den Vereinigten Staaten nicht nur die Militärpolitik bestimmt, sondern faktisch die gesamte Außenpolitik und weite Teile der Wirtschaftspolitik kontrolliert. „Die Vereinigten Generalstabschefs unterstehen gegenwärtig keiner irgendwie gearteten zivilen Kontrolle“, zitiert Huntington zustimmend eine Äußerung Admiral Leahys aus dem Jahre 1945...

Huntington beschreibt den Gegensatz zwischen dem Geist der „professionellen“ Militärkaste einerseits und der zivilen, politischen und „liberalistischen“ Welt andererseits in den letzten Seiten von The Soldier and the State, indem er in einer geradezu mythischen Vision die amerikanische Militärakademie West Point mit der nahegelegenen Kleinstadt Highland Falls vergleicht:

„Die Gebäude [von Highland Falls] sind nicht Teil eines Ganzen: sie sind einfach nur eine bunte Ansammlung unzusammenhängender Konstruktionen, die zufällig nebeneinander stehen, weil ihnen der gemeinsame, einigende Zweck fehlt. Im militärischen Sperrgebiet [von West Point] hingegen, auf der anderen Seite des Südtores, existiert eine andere Welt. Dort herrscht geordnete Ruhe. Die Teile existieren nicht für sich alleine, sondern akzeptieren ihre Unterordnung unter das Ganze... Der Standort ist durchströmt vom Rhythmus und der Harmonie, die sich ergibt, wenn der kollektive Wille die individuelle Willkür ersetzt. West Point ist eine Gemeinschaft des strukturierten Zwecks, eine, in der das Verhalten der Menschen durch einen Kodex geregelt ist, das Produkt von Generationen. Es gibt wenig Raum für Vermessenheit und Individualismus. Die Einheit der Gemeinschaft führt niemanden dazu, sich für mehr zu halten, als er ist. Im Befehl findet man Frieden; in der Disziplin Erfüllung; in der Gemeinschaft Sicherheit...

West Point verkörpert das militärische Ideal im besten Sinne; Highland Falls den amerikanischen Geist in seinem gewöhnlichsten. West Point ist eine graue Insel in einer vielfarbigen See, ein Stückchen Sparta inmitten von Babylon. Aber kann man bestreiten, daß die militärischen Werte - Loyalität, Pflichterfüllung, Zurückhaltung, Hingabe - diejenigen sind, die Amerika heute am dringendsten braucht? Daß die disziplinierte Ordnung von West Point mehr zu bieten hat als der grelle Individualismus der Hauptstraßen? Auf den Soldaten, den Schützern der Ordnung, lastet eine schwere Verantwortung.“ ...

Interessanterweise hat... in Deutschland auch Prof. Wilfried von Bredow auf die Gefahr des militärischen „Neoprofessionalismus“ in den Vereinigten Staaten aufmerksam gemacht. In einem Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Januar 2002 weist er darauf hin, daß das „neoprofessionelle“ Modell „auf den Politikwissenschaftler Samuel Huntington zurück[geht]“. Von Bredow sieht die Gefahr, daß die amerikanischen Streitkräfte immer mehr zu einer Art „Black Box“ würden. Die Politik habe den Willen und die Fähigkeit zur Kontrolle der Streitkräfte zunehmend verloren und überlasse dem Militär „seinen eigenen Raum“. So „in Ruhe gelassen“ wachse die Distanz der „professionellen“ Militärs zur Gesellschaft immer mehr.

Die US-Streitkräfte seien dabei, zu einer „liberal-freien Organisation“ zu werden, die mit Verachtung und Verbitterung auf die degenerierende Zivilgesellschaft blicke, schreibt von Bredow. Während der militärische „Professionalismus“ behauptet, unpolitisch und unparteilich zu sein, „hat sich der Neoprofessionalismus der neunziger Jahre deutlich politisiert. Das heißt, es besteht die für eine Demokratie nicht besonders günstige Aussicht, daß sich in den Streitkräften ein die Werte und Normen der zivilen Gesellschaft verachtendes Bild von ihrer eigenen Rolle verfestigt. Hat die soziale Distanz erst einmal eine gewisse Breite erreicht, wird die Reintegration von Streitkräften in die Gesellschaft immer schwieriger.“

Aus der EIRNA-Studie: „Brzezinski und der 11. September“


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