Februar 2004: |
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Ich glaube, uns allen ist bewußt, daß dieser Europawahlkampf anders sein wird als alle vorherigen, weil er zu einem historischen Zeitpunkt stattfindet, wo nicht nur für Europa, sondern im Weltmaßstab die Weichen für das Schicksal der gesamten Bevölkerung auf Generationen in die Zukunft hinaus gestellt werden. Wie Friedrich Schiller in den Ästhetischen Briefen schrieb, wird heute "das große Schicksal der Menschheit verhandelt" und, wie er im Prolog zum Wallenstein sagt, um "der Menschheit große Gegenstände, um Herrschaft und um Freiheit", um Krieg und Frieden wird gerungen.
Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) beteiligt sich an diesen Wahlen mit dem Ziel, in das Europaparlament gewählt zu werden und in den nächsten Jahren erstens dafür zu sorgen, daß die Bürgerrechte verteidigt werden, die nicht nur in Deutschland, sondern weltweit und vor allem in Amerika in großer Gefahr sind - in Amerika sind heute viele Bürgerrechte, für die Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung gekämpft haben, praktisch aufgehoben! - , und zweitens das Prinzip Solidarität gegen den blanken Sozialdarwinismus des "Jeder gegen jeden" durchzusetzen, der angesichts eines immer kleiner werdenden Kuchens in der sich zuspitzenden systemischen Zusammenbruchskrise des gescheiterten Modells der neoliberalen "freien" Marktwirtschaft immer mehr zunimmt.
Deshalb muß die BüSo in diesem historischen Augenblick die Geschichte Europas mitbestimmen. Denn wir sind die einzigen, die in dieser Zusammenbruchskrise ein Konzept haben, wie das Gemeinwohl nicht nur der bald 450 Millionen Europäer, sondern für über 6 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt verteidigt werden kann.
Andere Politiker denken durchaus in die richtige Richtung. Der italienische Industrieminister Tremonti hat z.B. mit dem nach ihm benannten Plan die richtigen Schritte unternommen, doch wenn man sich das Sofortstartprogramm der Europäischen Union ansieht - 60 Mrd. Euro Investitionen in den kommenden zehn Jahren - , dann zeigt das die völlige Unzulänglichkeit dieser Ansätze für die Bewältigung des systemischen Kollapses des globalen Finanzsystems in den nächsten Monaten.
Die Regierung Bush wird mit allen Mitteln versuchen, den Zusammenbruch bis nach dem Wahltag am 2. November hinauszuzögern, aber inzwischen teilen viele führende Finanzexperten unsere Einschätzung, daß ihnen dies wahrscheinlich nicht gelingen wird. Der Dollar ist immerhin um über vierzig Prozent von seinem Höchststand von 83 Cent zum Euro auf inzwischen 1,27/1,28 gefallen. Hier geht es eben nicht nur um den Wechselkursverfall einer Währung, denn das gesamte Weltfinanzsystem beruht auf dem Dollar. Alle Handelsverträge, alle langfristigen Abkommen sind in Dollar ausgewiesen. Hinzu kommt noch, daß wir derzeit die parallele Expansion dreier Finanzblasen erleben - einer Aktienblase, einer Anleihenblase und einer Immobilienblase - , die aller Voraussicht nach gleichzeitig platzen werden.
Ich zitiere den Chef eines führenden Investmentfonds, der letztens im privaten Gespräch mit uns sagte: "Die Lage muß man sich vorstellen wie ein Camp, ein Lager, irgendwo in der Savanne in Afrika, das von wilden Tieren umzingelt ist. Greenspan und die anderen Zentralbankchefs als die Wächter des Lagers werfen eine Menge Holz ins Feuer, um die Tiere fernzuhalten. Aber sie wissen ganz genau, daß um neun Uhr abends alles Holz aufgebraucht sein wird. Und was passiert dann mit den Lagerbewohnern?"
Für mich stellt sich die Frage, was geschieht dann mit den Wächtern, mit Greenspan und den Zentralbankchefs? Die werden dann auch gefressen oder es stößt ihnen etwas anderes zu. Vielleicht sind aber diese Wächter in Wirklichkeit die Raubtiere, und das Bild stimmt insofern nicht ganz, da die Wächter das eigentliche Problem darstellen.
Mein Ehemann, der amerikanische Präsidentschaftskandidat Lyndon LaRouche, hat in einer international viel beachteten Erklärung festgestellt, daß diese Parmalat-Pleite wahrscheinlich das Ausmaß des Beinahebankrotts des Hedgefonds Long Term Credit Management LTCM von 1998 noch um einiges übertrifft, weil eine Riesenblase von Derivaten daranhängt. Internationale Banken wie Citigroup, Morgan Stanley, Bank of America und Deutsche Bank waren an illegalen kriminellen Aktivitäten beteiligt, indem sie die Anleihen des Parmalat-Konzerns benutzt haben, um auf deregulierten Finanzmärkten wie den Cayman-Inseln weitere Derivatspekulationen zu machen und dann in großem Umfang Gelder in illegale politische Operationen in aller Welt fließen zu lassen.
All das ist Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen in Italien. Es zeigt, daß die Globalisierung nicht nur nicht funktioniert, sondern tatsächlich auf dem Prinzip beruht, von dem [Bernhard] Mandeville gesprochen hat: private Verbrechen trügen durchaus zum öffentlichen Wohl bei. Hier erleben wir dieses Konzept wirklich in Anwendung.
Ich habe gesagt, daß inzwischen führende Finanzvertreter unserer Einschätzung öffentlich zustimmen. Von großer Bedeutung ist die dramatische Wende des ehemaligen Finanzministers der USA, Robert Rubin, der vor ungefähr zwei Wochen vor dem Brookings-Institute die dramatische Warnung ausgesprochen hat, daß der Kollaps von elf Billionen Dollar, der Schuldenpyramide der USA, bevorstehe. Elf Billionen, das sind 11 000 Mrd. Dollar - das ist schon eine beträchtliche Summe. Er sagte auch, die verschiedenen Defizite der USA seien nicht aufrecht zu erhalten - das Handelsdefizit von etwa einer Billion Dollar und das US-Haushaltsdefizit von mindestens 500 Mrd. Dollar - , und die Frage sei, wie lange die Europäer, die Japaner und die anderen Asiaten noch bereit sind, diese US-Defizite zu finanzieren.
Japan und die japanische Zentralbank haben seit Beginn dieses Jahres 75 Mrd. Dollar dazu aufgewandt, den Yen herunterzudrücken und den Dollar zu stützen. 75 Mrd. Dollar in drei Wochen! Das ist, einzeln genommen, mehr als das Bruttosozialprodukt der meisten Länder dieser Welt.
Bemerkenswert ist auch, daß Alan Greenspan, der Vorsitzende der US-Notenbank Federal Reserve, auf einer Tagung in Berlin vor 300 Spitzenvertretern der Banken und Wirtschaftsleuten praktisch eine offene Drohung an Europa richtete. Er sagte dort, entweder verstärke Europa die Privatisierung in allen Bereichen und finanziere weiter die Defizite in den USA, oder die Europäer träfe die Schuld, wenn das ganze System zusammenbreche. Das war eine unmißverständliche Drohung. Zum Glück ist es Herrn Tennenbaum, einem unserer Vertreter, gelungen, Greenspan in der Diskussion zu zwingen, seine Botschaft an die Europäer vor aller Öffentlichkeit zu präzisieren.
Wie lange werden die Europäer, die Japaner und die anderen Asiaten noch das Defizit der USA finanzieren? Eine Antwort auf diese Frage wurde jetzt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gegeben. Dort berichtete der Gouverneur der Bank von China, US-Vizepräsident Cheney habe enormen Druck auf China ausgeübt, die Wechselkursbindung des Renminbi - das ist die chinesische Außenhandelswährung - aufzuheben. Aber dies lehnte der Gouverneur strikt ab. "Alle asiatischen Länder verfügen über große Dollarreserven. Wir haben bisher stillgehalten, aber das ... [wird] bald zu Ende sein. China wird nicht länger deren Handelsbilanzdefizit finanzieren, weil wir unser eigenes Binnenland entwickeln müssen."
Wenn es in den USA auch nur zu einer kleinen Zinserhöhung käme, würde dies wahrscheinlich die Finanzblasen - die Immobilienblase, die Privatschuldenblase - platzen lassen. Diese Tatsache, daß das Weltfinanzsystem unrettbar verloren ist, stellt uns in den nächsten Wochen und Monaten vor die entscheidende Weichenstellung: Werden wir es mit globalem Chaos und der Gefahr eines neuen Finanzfaschismus zu tun haben, oder treffen wir eine andere Entscheidung und setzen mit dem Einfluß, den LaRouche und unsere Bewegung weltweit in dieser Frage in den letzten Jahrzehnten gewonnen haben, ein neues Bretton-Woods-System durch.
Der Paradigmenwandel, der zu dieser Krise geführt hat, weil vor vierzig Jahren die Weichen von einer produzierenden Gesellschaft zu einer Konsumentengesellschaft gestellt wurden, hat in vielen Teilen der Welt unerträgliche Zustände geschaffen. Die seit vierzehn Jahren andauernde Globalisierung und der Zusammenbruch der Sowjetunion hat dies noch verstärkt. Heute erleben wir, daß das Finanzsystem nur aufrechterhalten werden kann, wenn Afrika und andere Kontinente abgeschrieben werden und die Schere zwischen Reich und Arm immer größer wird. Mehr als 2,6 Mrd. Menschen leben in Armut und unter menschenunwürdigen Umständen!
Auf einer Konferenz in Rhodos über den "Dialog der Kulturen" wurde formuliert, in einer mit Waffengewalt verteidigten Konsumgesellschaft versuche man, die Privilegien ganz weniger auf Kosten ganz vieler aufrechtzuerhalten. Manager stecken sich Hunderte von Millionen in die Taschen, während das Recht von Milliarden Menschen auf ein menschenwürdiges Leben mit Füßen getreten wird. Was heute in Deutschland - aber nicht nur in Deutschland - mit dem Gesundheitssystem passiert, läuft auf eine Lebensverkürzung hinaus. Die Renten sind nicht mehr sicher. Soziale Sicherungssysteme, die aufzubauen 130 Jahre dauerte, werden bewußt zerstört.
Was ist der Grund für diese Entwicklung? Ist es denn wirklich ein Naturgesetz, daß die Antwort auf die Krise nur im Sparen liegen kann, was alle Parteien in Berlin behaupten? Ist die Zerschlagung der sozialen Systeme wirklich notwendig? Ist die völlige Privatisierung aller Bereiche, wie Greenspan sie in Berlin gefordert hat, wirklich die Lösung? Und wenn, dann für wen?
Es handelt sich bei dem jetzigen Eingriff in die Politik um den Synarchismus, einer faschistischen Ideologie der Finanzoligarchie, die sich im Laufe der letzten 250 Jahre herausgebildet hat und auch als "Konservative Revolution" bezeichnet wird. Verfechter dieser Ideologie haben mit wechselndem Erfolg in die geschichtliche Entwicklung eingegriffen, um den Einfluß vor allem der Wirtschafts- und Finanzkreise zu verteidigen. In existentiellen Krisen wie heute treten die Vertreter dieser synarchistischen Finanzoligarchie immer zugunsten der führenden Finanzkräfte und gegen das Interesse des Gemeinwohls der Bevölkerung auf, und zwar in verschiedenen Gewändern: als Linke, als Rechte, als Juristen, als Vertreter der Industrie - aber nicht im Sinne traditionellen Unternehmertums, sondern der neuen Managergeneration.
Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie die Umsetzung der neoliberalen, "freien" Marktwirtschaft und Privatisierung bis zum Extrem fordern und dazu offen das Grundgesetz aushebeln wollen. Sie wollen den politischen Prozeß von den Parteien und der öffentlichen Diskussion weg auf private Berater und Denkfabriken verlagern. Diese privaten Institutionen sind dann ebenso wie supranationale Institutionen den Wählern nicht rechenschaftspflichtig.
Diese Privatisierung der Politik ist in Deutschland schon relativ weit fortgeschritten. Schon heute arbeiten zahlreiche Beraterunternehmen die Konzepte aus, die dann von den armen ahnungslosen Hinterbänklern im Bundestag übernommen werden, die überhaupt nicht verstehen, warum plötzlich das "deutsche Sozialsystem ein Gefängnis, ein Korsett ist, aus dem wir uns befreien müssen". Welch ein Unsinn! Aber diese Politiker wiederholen den Quatsch, der von diesen Institutionen ausgekocht worden ist. Ich kann hier nur stellvertretend einige nennen: Was befugt etwa die Bertelsmann-Stiftung oder Leute wie Roland Berger, Michael Stürmer, McKinsey, die Boston Consulting Group, den Council for Public Policy oder das Zentrum für angewandte Politikforschung (ZAP) in München, das transatlantische Verhältnis zu definieren, Konzepte zur Bildung auszuarbeiten und die Nahost- oder Rußlandpolitik festzulegen?
Oder der "linke" sogenannte "Bürgerkonvent" von Meinhard Miegel, von dem die Süddeutsche Zeitung schrieb, er bediene sich derselben Rhetorik wie Robespierre nach dem Staatsbankrott in Frankreich 1792. Wie lautet der Schlachtruf dieses Herrn Miegel: "Die Bevormundung des Staates muß beendet werden, wir brauchen direkte Demokratie!" Direkte Demokratie gibt es aber nicht, das ist eine Illusion. Schon Platon oder Thukydides, der erste Geschichtsschreiber, haben erkannt, daß direkte Demokratie immer nur der Mantel für die Diktatur war. "Den Parteienstaat ersetzen, Sonderinteressen wie die Gewerkschaften abschaffen, der Wahrheit ins Auge sehen, den Lebensstandard senken" - mit diesen Parolen verbreitet dieser Bürgerkonvent protofaschistische Ideen und soll eine neue Massenbewegung werden.
Wer ist dieser Herr Miegel? Er arbeitet u.a. mit Biedenkopf am Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft zusammen und ist Berater des Deutschen Instituts für Altersvorsorge, einer hundertprozentigen Tochter der Deutschen Bank. Und in dieser Eigenschaftt bringt er den Leuten bittere "Wahrheiten" über die gesetzliche Altersversorgung nahe und warum wir die privaten Zusatzversicherungen brauchen!
Auf der eher rechten Seite finden wir die sogenannte Expertenebene, den "Konvent für Deutschland". Und wer sitzt da drin? Herzog, Roland Berger, Glotz, Henkel, Lambsdorff, Oswald Metzger, Dr. Schneider, Robert Scholz, Jutta Limbach, Monika Wulff-Mathissen, Henning Voscherau. Und was fordern sie? Ebenfalls "mehr direkte Demokratie", aber von der rechten Seite. Nach dem Wunsch dieser Leute soll es ein sogenanntes "Benchmarking-Institute" geben. Mit Benchmarking sind Computermodelle gemeint, mit denen das politische Entscheidungssystem in Deutschland permanent durch "unabhängige" Kommissionen überprüft werden soll.
Wir haben es in Deutschland und in Europa derzeit mit einer ganzen Flut synarchistischer Quereinsteiger zu tun, die alle darauf aus sind, das Grundgesetz und das Parteiensystem auszuhebeln, alles und jedes zu privatisieren und letztlich faschistische Regimes einzuführen, die aus dem selben ideologischen Umkreis kommen, der in der Vergangenheit solche Figuren wie Napoleon, Mussolini, Franco und Hitler hervorgerufen hat.
Stellvertretend sei hier nur der Aufruf zum jakobinischen Aufstand erwähnt, den der neokonservative Arnulf Baring am 19. November 2002 in der FAZ unter dem Titel "Bürger auf die Barrikaden" veröffentlichte. Er beginnt mit einem wutschnaubenden Angriff auf Schröders Verweigerung des Irakkriegs, die er als "Entartung in Regierung und Parlament" geißelte. Und dann bedauert Baring, daß das Grundgesetz keinen Artikel 48 wie die Weimarer Verfassung besitze, über den man mit Hilfe von Notverordnungen unpopuläre Veränderungen durchsetzen konnte. Diese Notverordnungen benutzten die Nazis dazu, ihre Herrschaft in Deutschland durchzusetzen. Carl Schmitt, der "Kronjurist" der Nazis, hat sie ausdrücklich befürwortet.
Und um welches Phänomen handelt es sich? Wir sind vor allem den politischen Veränderungen nach dem 11. September 2001 nachgegangen und haben festgestellt, daß fast alle diese Neo-Cons Studenten des sogenannten Philosophen Leo Strauss waren.
Dieser Leo Strauss, der von einigen als Platon-Experte angesehen wird, hat zwei Politiker-Generationen in den USA mit der Ideologie indoktriniert, daß die Tyrannei die beste Staatsform sei, und daß in Platons Werken, insbesondere im Staat, nicht Sokrates' Lehre zum Ausdruck komme - d.h. daß der Mensch aufgrund seiner Vernunft die Wahrheit erkennen kann - , sondern daß Platon sich eher mit Thrasymachos identifiziere, der argumentiert: Macht schaffe Recht, alles sei erlaubt, Lüge sei das beliebteste Mittel der Politik, die Erzeugung von Angst vor einem Feind sei ein perfektes Mittel zur Manipulation der Leute und religiöse Manipulation durch fundamentalistische Sekten gehöre zum Arsenal des guten Politikers; vor allem aber müsse man die "große Lüge" in der Tradition eines Goebbels pflegen und üben.
Ich kann nur empfehlen, dieses Werk von Leo Strauss zu lesen. Wenn Sie dann Herrn Rumsfeld oder Herrn Cheney im Fernsehen reden hören, verstehen Sie gleich viel besser.
Strauss führte eine intensive Korrespondenz mit einem russischen Emigranten namens Alexander Kojève, einem Synarchisten, der in Frankreich lebte. Mit ihm diskutierte er damals darüber, ob eine nationale Diktatur oder universelle Tyrannis die bessere Staatsform sei. Kojève argumentierte, Napoleon, Hitler und Stalin hätten den Beweis geliefert, warum die Weltdiktatur das bessere Modell sei. Diese Auffassung vertreten heute die "Neo-Cons".
Ganz wichtig ist in der faschistischen Ideologie der Synarchisten die Bedeutung der Gewalt als "reinigende" Katharsis, und daraus resultierte ihre perverse Bewunderung für Stalins Massenvernichtungen. Manche Theoretiker dieser Synarchisten, z.B. Joseph de Maistre oder Donoso Cortes, haben über die Gewalt als notwendiges Element der Politik ausführlich geschrieben. Strauss wiederum war ein Schüler von Carl Schmitt und fasziniert von Nietzsche und Heidegger.
Wogegen richtet sich diese Ideologie? Im wesentlichen gegen den absoluten Durchbruch, den die Amerikanische Revolution in der Geschichte repräsentiert. Hier muß ich etwas weiter ausholen.
Friedrich Schiller beschreibt in seiner Schrift Die Gesetzgebung des Lykurg und Solon anhand des griechischen Sparta das oligarchische Gesellschaftsmodell. Dort behandelte die spartanische Elite die Heloten, die damaligen Staatssklaven, wie Untermenschen, die man nach Belieben degradieren, quälen oder töten konnte. Die Sklaven im Römischen Reich besaßen einen vergleichbaren Status, wie eigentlich alle Sklaven, Knechte und Leibeigene in imperialen und feudalen Machtsystemen. Das gibt es heute auch. Wie geht es den Kassiererinnen bei Wal-Mart, die tagsüber Akkord arbeiten und dann abends nach Hause gehen, um in RTL zuzusehen, wie die Stars im Urwald Maden fressen? Das ist eine moderne Form der Sklaverei. Den Leuten ist es vielleicht nicht bewußt, aber faktisch ist es so.
Dieses oligarchische Modell steht in engem Zusammenhang mit einem Erkenntnismodell, das Platon in seinem berühmten Höhlengleichnis beschreibt: Der Mensch reduziert sein Verständnis von Wissen auf seine sinnliche Erfahrung. Er hält die von einem Feuer an die Höhlenwand geworfenen Schatten für die Wirklichkeit anstelle der wirklichen Ereignisse, die sich außerhalb der Höhle (d.h. außerhalb der Sinneserfahrung) in Form wirklicher, universeller Prinzipien abspielen.
Wenn der Mensch auf dieses Niveau der rein sinnlichen Erfahrung reduziert ist, ist er natürlich leicht manipulierbar, und das haben alle oligarchischen Systeme immer gemacht - im römischen Reich durch "Brot und Spiele", durch Verrohung, durch Gewalt, durch Versklavung und Furcht.
Teil dieses oligarchischen Systems war der Mißbrauch der Religion, indem man lehrte, Wissen und Glauben seien Gegensätze, und jede Offenbarung müsse blind geglaubt werden. Donoso Cortes - einer von Carl Schmitts Lieblingsautoren, der das Blutopfer als Katharsis propagierte - sah den Menschen so: Er sei unfähig zur Vernunft, offenbarte Religion müsse eine Diktatur errichten, doktrinäre Intoleranz müsse die Welt vor dem Chaos retten, die Vernunft sei nicht geeignet, die Wahrheit zu erkennen. Bestenfalls könne der Mensch das verstehen, was ihm die Obrigkeit erklärt.
Der Mensch ist nach diesem Weltbild grundsätzlich schlecht und die Quelle des Bösen selbst, und deshalb sei das Blutopfer das universellste aller menschlichen Dogmen, weil es eine reinigende Funktion besitze. Das war die Ideologie der Inquisition, das war die Grundlage für die Kreuzzüge und alle Religionskriege, die bisher in der Welt stattgefunden haben. Und dieses Menschenbild führte im letzten Jahrhundert zu Mussolini, Hitler und zwei Weltkriegen. Das ist die eine, die dunkle Seite der europäischen Geschichte.
In dieser Tradition stand z.B. Augustinus, der sagte, Glauben und Wissen dürften nie im Widerspruch zueinander stehen. Als Beweis für die Einheit von Glauben und Wissen führte er an, daß Platon einige Jahrhunderte vor Christus dieselben Ideen formulieren konnte, wie sie später im Christentum auftauchten.
Dieselbe positive Konzeption des Menschen prägte die italienische Renaissance. Es war das Gedankengut von Nikolaus von Kues, seine Idee, daß Konkordanz im Universum, im Makrokosmos, nur existieren kann, wenn sich alle Mikrokosmen, alle Menschen, auf die bestmögliche Weise entwickeln. Auf Nikolaus von Kues, der das repräsentative System als die beste Weise zum Schutz der Rechte des Individuums entwickelte, gehen auch das Konzept des souveränen Nationalstaates und die Idee zurück, daß eine Regierung nur dann Legitimität besitze, wenn sie dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Deshalb müsse jede legitime Regierung den wissenschaftlich-technischen Fortschritt fördern, der die Voraussetzung für die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung sei. Auf die Renaissance folgten 150 Jahre Religionskriege und der Dreißigjährige Krieg.
Die wichtigste Errungenschaft des Westfälischen Friedens waren die Prinzipien, auf denen dieser Vertrag gebaut ist, von denen das erste lautet: "Alle Außenpolitik muß auf Liebe beruhen, und sie muß, um den Frieden zu sichern, das Interesse des anderen wahrnehmen."
Das geht auf Nikolaus von Kues zurück, auf die Idee, daß Konkordanz im Makrokosmos nur möglich ist, wenn jeder Mikrokosmos es als sein ureigenstes Interesse versteht, den anderen Mikrokosmos - egal ob es sich um ein Individuum, oder einen Staat oder ein Volk handelt - auf die bestmögliche Weise zu entwickeln.
Das zweite Prinzip des Westfälischen Friedens lautet: "Um des Friedens willen müssen alle Verbrechen, die die eine oder andere Seite begangen hat, vergessen sein." Und wenn wir dieses Konzept des Westfälischen Friedens nicht weltweit durchsetzen, dann wird die Welt in Chaos absinken, denn im Nahen Osten oder in der Region der Großen Seen in Afrika oder anderen Krisengebieten ist ohne die Anwendung dieses Prinzips keine Lösung in Sicht.
Das dritte Prinzip des Westfälischen Friedens war die Rolle des Staates beim Wiederaufbau, was zur Kameralistik führte, zur physischen Ökonomie, und ich möchte wirklich die These aufstellen, daß diese Konzeption des Westfälischen Friedens - der Beginn des internationalen Völkerrechts - mit die wichtigste Errungenschaft ist, auf die wir in Europa stolz sein können, und womit wir Europäer in einzigartiger Weise zur Universalgeschichte beigetragen haben.
Studieren Sie diese Dokumente - die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die amerikanische Verfassung - , denn sie sind die besten naturrechtlichen Dokumente der Verfassungsgeschichte, die es weltweit gibt. Als ich mich bemühte, das Gründungsdokument oder eine Art Charta für das Schiller-Institut zu verfassen, habe ich sehr viele solche Dokumente gelesen und fand: Es gibt keine andere Verfassung auf der ganzen Welt, die so klar wie die Präambel der amerikanischen Verfassung die Frage der Souveränität und des Gemeinwohls im Hinblick auf das Wohl der Nachkommenschaft formuliert. Nicht als Einzelpunkte, sondern als Maßstab, mit dem alle anderen Gesetzespunkte hinterher bemessen werden müssen, also in gewisser Weise als Auftrag, der bestimmt, wie die Interpretation aller Einzelpunkte danach zu sehen ist.
Mit der amerikanischen Verfassung gab es zum ersten Mal eine Konstitution, die das von Nikolaus von Kues entwickelte, repräsentative System, d.h. das Gemeinwohl als verbindlicher Maßstab für alles staatliche Handeln, als Staatszweck und Staatsaufgabe, verwirklicht hat. Es bestimmt und beschränkt ebenso die Legitimität von Staat und Recht, und es war das erste Mal, das dieses Konzept verwirklicht wurde.
Zugleich gelang noch ein anderer Durchbruch, nämlich der Alexander Hamiltons mit seinem Konzept der Nationalbank - ein revolutionärer, beispielloser Durchbruch, durch den die Kontrolle über die Kreditschöpfung und damit das Instrumentarium, mit dem das Gemeinwohl letztlich bestimmt wird, unter die Kontrolle einer souveränen Regierung gestellt wurde.
Seitdem existiert diese Tradition in Amerika, und trotz verschiedener Versuche imperialer Kreise, die Amerikanische Revolution rückgängig zu machen - etwa durch den Krieg von 1812, den Bürgerkrieg der Südstaatenkonföderation gegen Lincoln, durch Teddy Roosevelt, Woodrow Wilson oder jetzt die Neo-Cons - , ist sie nicht völlig verschwunden. Mein Ehemann Lyndon LaRouche kann diese Tradition neu beleben und sagen: "Wir müssen zur Politik der Gründerväter Washington, Alexander Hamilton und John Quincy Adams, zu Lincoln, Franklin D. Roosevelt und Martin Luther King zurückkehren." Das ist ein sehr wichtiger Punkt.
Das britische Empire sah sich damals durch die Amerikanische Revolution in seiner Existenz bedroht und wurde unter Führung des üblen Lord Shelburne und seiner britischen East India Company zum Hauptdrahtzieher der Bemühungen, eine Wiederholung der Amerikanischen Revolution auf dem europäischen Kontinent zu verhindern.
Shelburne organisierte einen systematischen Gegenangriff, vor allen Dingen durch die Manipulation der politischen Lager in Frankreich, den Verbündeten der gerade erst entstehenden amerikanischen Republik. Er dirigierte subversive Agenten in der Schweiz und in Frankreich selbst. Er beauftragte Adam Smith, eine Verteidigungsschrift des Freihandels - auch 1776 - über den sogenannten Wohlstand der Nationen zu schreiben, in der dieser die These aufstellt, der wirtschaftliche Wohlstand entstehe durch die "unsichtbare Hand", d.h. wenn jeder selbstsüchtig seine Interessen vertrete, befördere er das Allgemeinwohl - im Grunde also eine Variante Mandevilles. Es war dann die Zusammenarbeit von Shelburne, Jeremy Bentham mit dem Genfer Geldadel um Jacques Necker, der 1777 französischer Finanzminister wurde, und dem "Martinistenorden" von Lyon, die bei der Destabilisierung Frankreichs zwischen 1780 und 1790 eine entscheidende Rolle spielte.
Gleichzeitig wurde durch den britischen Premierminister William Pitt Druck auf Frankreich ausgeübt, alle Maßnahmen zum Schutz der französischen Wirtschaft in der Tradition Colberts aufzugeben, und Frankreich vollkommen ungeschützt der englischen Freihandelspolitik auszuliefern. Im Prinzip muß man sich das genau so vorstellen wie das Vorgehen des IWF heute gegenüber Ländern in Lateinamerika wie Argentinien oder in Afrika.
Internationale Bankhäuser führten Wirtschaftskrieg gegen Frankreich. Bald kam es zum Kollaps der Landwirtschaft und des Handels, es gab Hungersnöte, und im Jahr 1789 wurden der Regierung Kredite versagt. Ludwig XVI. mußte aufgrund des Drucks der internationalen Bankenkreise Jacques Necker wieder als Finanzminister einsetzten, um das Vertrauen der Banken zurückzugewinnen. Wenn man sich heute ansieht, wie der IWF und die Weltbank darauf bestehen, daß bestimmte Politiker bestimmte Posten kriegen, dann hat man ein ähnliches Konzept.
Es wurde eine ganze Reihe von Skandalen, darunter die sogenannte "Halsbandaffäre" Cagliostros gegen Königin Marie Antoinette, organisiert, und während in Amerika am 30. April 1789 George Washington zum ersten Präsidenten der USA gewählt wurde, ging die Entwicklung in Europa sieben Wochen später leider in die entgegengesetzte Richtung.
Hätte diese Entwicklung Erfolg gehabt, wäre das der Beginn einer "amerikanischen Revolution" in Europa gewesen. Aber so kam es eben nicht. Zunächst wurde über gezielt ausgestreute Gerüchte am 14. Juli der Sturm der Bastille durch die Jakobiner ausgelöst - jene Jakobiner, die dann den Terror einführten und schließlich 1792 den Kampf gegen die Republikaner gewannen. Der Terror wurde als Mittel der Politik eingeführt. Der Guillotine fielen viele Wissenschaftler und andere führende Köpfe zum Opfer, und so wurde diese Chance vertan.
Ein gewisser Jacques Mallet du Pan, einer der Vertreter des synarchistischen Geldadels von Genf, schrieb in einer Reihe von Artikeln, daß der Kronrat nach dem Vorbild des britischen parlamentarischen Systems sicherstellen müsse, daß die Ausgabe von Krediten unabhängig in der Hand der Zentralbank, also von privaten Interessen, bleiben müsse. Das war ein direkter Angriff gegen die hamiltonische Konzeption der Nationalbank.
Bekanntermaßen folgte dem Jakobinerterror der Thermidor, der Terror von rechts, der Aufstieg Napoleons, der Europa bald mit Kriegen überzog. Die Revolution in Frankreich war gescheitert. Die oligarchischen Interessen hatten sich durchgesetzt.
Humboldt meinte, daß bestimmte Lehrinhalte besser als andere geeignet seien, diese schöne charakterliche Entwicklung hervorzubringen. Dazu gehörte die Beherrschung der eigenen Hochsprache, geschult an den besten Blüten der eigenen Literatur - Dichtung, große Dramen, Lyrik - , aber natürlich auch Universalgeschichte, der Nachvollzug entscheidender wissenschaftlicher, qualitativer Fortschritte, um alle Kinder und Jugendlichen mit der kreativen Methode der Hypothesenbildung vertraut zu machen. Damit ist das Humboldtsche Bildungssystem eigentlich genau das, was heute von der LaRouche-Jugendbewegung praktisch umgesetzt wird.
Für kurze Zeit gab es den Hoffnungsschimmer, daß diese Ideen in Europa, in Deutschland, hätten wirksam werden können. Dann kam 1812 der Rußlandfeldzug Napoleons. Die preußischen Reformer spielten eine große Rolle dabei, Napoleon zu besiegen. Schillers Schwager von Wolzogen war einer von denen, die den Plan entwarfen, Napoleon ruhig in die Weiten Rußlands marschieren zu lassen, wo ihn die logistische und materielle Überdehnung ruinieren würde. Wolzogen studierte Schillers Schriften über den Dreißigjährigen Krieg und den Abfall der Niederlande und machte sich diese Erkenntnisse zunutze.
Das deutsche Volk war sich in den Freiheitskriegen von 1813 zum erstenmal seiner nationalen Einheit und Identität bewußt geworden. Es hatte einen großartigen Sieg errungen, die Fremdherrschaft abgeschüttelt. Das deutsche Volk fühlte sich als eine Nation, und wollte eine einheitliche Verfassung als selbstverständliches Ergebnis dieses großartigen Freiheitskrieges.
Wilhelm von Humboldt war der erste, der sich ernsthaft mit vom Steins Vorschlägen beschäftigte, und stellte ihnen einen eigenen Verfassungsplan gegenüber. Im Dezember 1813 verfaßte er die Denkschrift, in der er das große nationale Erlebnis der Einheit des deutschen Geistes in humanistischem Geiste formulierte. Aus Frankfurt schrieb er an vom Stein, er sei nun "in der Lage, mit mehr Ruhe und Ernst über die wichtigste Angelegenheit zu reden", die ein Deutscher behandeln könne.
Und genau das war es. Die Verfassung ist die Ausgangsbasis, wie sich ein Volk selbst regiert, was z.B. Alexander Hamilton in den "Federalist Papers" formuliert hat. Kann sich ein Volk, kann sich eine Nation Gesetze geben, mit denen es sich selber wohl regieren kann? Das ist ja keine selbstevidente Frage, und die Verfassungsfrage ist der Schlüssel dazu.
Vom Humboldt schrieb: "Man muß sich wohl hüten, bei dem beschränkten Gesichtspunkt stehen zu bleiben, Deutschland gegen Frankreich sichern zu wollen. Deutschland muß frei und stark sein - nicht bloß, damit es sich gegen diesen oder jenen Nachbarn oder überhaupt gegen einen Feind verteidigen könne, sondern deswegen, weil nur eine nach außen hin starke Nation den Geist in sich bewahrt, aus dem auch alle Segnungen im Inneren strömen. Es muß frei und stark sein, um das - auch wenn es nie einer Prüfung ausgesetzt würde - notwendige Selbstgefühl zu nähren, seiner Nationalentwicklung ruhig und ungestört nachzugehen und die wohltätige Stelle, die es in der Mitte der europäischen Nationen für dieselben einnimmt, dauernd behaupten zu können." Die Rolle Deutschlands in der Mitte Europas!
"Auch läßt sich das Gefühl, daß Deutschland ein Ganzes ausmacht, aus keiner deutschen Brust vertilgen, und es beruht nicht bloß auf Gemeinsamkeit der Sitten, Sprache und Literatur, sondern auf der Erinnerung an gemeinsam genossene Rechte und Freiheiten, gemeinsam erkämpften Ruhm und bestandene Gefahren, auf dem Andenken einer engen Verbindung, welche die Väter verknüpfte, und die nur noch in der Sehnsucht der Enkel lebt."
Von Humboldt und schließlich auch vom Stein sahen es damals als unmöglich an, die vertraglich zugesicherte Souveränität der Rheinbundstaaten abzuschaffen, die mittelstaatlichen Territorien - die Schöpfungen Napoleons - wieder aufzulösen und ihre Despoten wieder unter eine starke kaiserliche Übermacht zu beugen. Das war vom Steins Konzeption.
Deshalb konzentrierte sich vom Stein stattdessen auf das Ziel, die Freiheit der Person und des Eigentums durch verfassungsmäßige Garantien gegen fürstliche Willkür zu schützen, was verständlich war, denn diese Fürsten herrschten voller Willkür. Aber es war natürlich ein zu geringes Ziel. Der Geist der Restauration herrschte schon, und der fürstliche Absolutismus des ancien régime und der Dualismus eines halb fürstlichen und halb vaterländischen Staatswesens kam in diesen Dokumenten zum Ausdruck.
Im Dezember 1813 bat vom Stein den Zaren, eine offizielle Kommission zur Beschäftigung mit der deutschen Verfassungsfrage einzuberufen. Leider hatte der Zar keinerlei Interesse, die internen Spannungen der Koalition gegen Napoleon durch vorzeitige Diskussion der deutschen Frage zu verschärfen, und auch alle anderen Beteiligten hatten ganz andere Tagesordnungen im Sinne. Die kleinen Staaten z.B. wollten sich niemals dem Vorrang Bayerns und Hannovers beugen, Bayern und Württemberg hatten ohnehin vollkommen andere Konzepte, und schließlich gelang es Metternich und Castlereagh, die deutsche Frage vollkommen zu sabotieren.
Jeder Versuch, eine leistungsfähige Zentralgewalt zu schaffen, stieß auf unabsehbare Hindernisse. Die Bevölkerung hatte hochgespannte Erwartungen und hoffte nach wie vor, daß ein einheitlicher deutscher Staat dabei herauskommen würde, aber die Partikularinteressen der Einzelstaaten waren zu stark. Nach dem Willen der Bevölkerung sollte die mit Strömen von Blut besiegelte Einheit auch praktisch in einer nationalen Verfassung für die Zukunft besiegelt werden, aber die Gegensätze waren zu groß. Mit vom Stein und von Humboldt war Deutschland durch zwei der besten Staatsmänner, die ich in der gesamten Geschichte weltweit kenne, vertreten, aber auch das war nicht ausreichend gegen die fürstliche Willkür.
In einer Denkschrift an den Zaren beklagte vom Stein "das Schicksal des deutschen Volkes, nach heldenhaften Leistungen im Kriege einer ebenso erniedrigende Tyrannei durch einige jeder persönlichen Achtung beraubten Individuen [der Rheinbundfürsten] unterworfen zu sein." Vom Stein entwarf ein dramatisches Bild der Verzweiflung des Volkes über diesen Ausgang, die Verworfenheit der Despoten, die das Volk aussaugen, bedrücken und quälen. "Sie verschonen nur diejenigen, welche ihren Leidenschaften schmeicheln, z.B. in Darmstadt die Komödianten und Musikanten, in Stuttgart die Günstlinge und die Wildschweine." Die von Humboldt und vom Stein gewünschte Verfassungskommission wurde niemals einberufen.
Die Verfassung, die dann schließlich dabei herauskam, besaß einen oligarchischen Charakter. Es gab keine leistungsfähige Exekutivgewalt, keine eigene Finanzquelle für den Bund, und keine wirtschaftliche Einheit. Auf dem folgenden Wiener Kongreß setzten sich schließlich Österreich und England durch, es gab nur Intrigen, politische Kämpfe und Manipulationen, Mißtrauen, Haß, ein wirres Treiben kleinlicher Sonderinteressen, Eitelkeiten, Schachern um politische Besitztitel.
All das erstickte die Hoffnung auf eine nationale Verfassung. Der Kongreß endete mit einer ungeheuren Enttäuschung für alle, die mit vom Stein und Humboldt eine starke Zentralgewalt und gesicherte Freiheitsrechte der Nation erhofft hatten. Tief enttäuscht und verbittert verließ vom Stein am 28. Mai 1815 den Kongreß. Was folgte, waren die Heilige Allianz und die Wiedereinführung von Feudalismus, Ständestaat, Restauration und Reaktion. Dann wurde in den Karlsbader Beschlüssen von 1819 selbst Friedrich Schillers Werk verboten.
Stattdessen erfolgte nun die Einigung Deutschlands durch Bismarck im Kontext des Krieges gegen Frankreich von 1870-71. Der Grund, warum die Einheit Deutschlands letztlich durch den Krieg gegen Frankreich zustandekam, lag daran, daß das oligarchische Problem in Deutschland eben nicht gelöst war, und das war auch der Grund für die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert.
Deshalb sage ich jedem, der versucht, Deutschland in ein "neues" und ein "altes" Europa zu spalten: Genau wegen dieses historischen Tatbestandes ist die Freundschaft zwischen de Gaulle und Adenauer und der historische Elyséevertrag, der die Freundschaft dieser beiden Staaten besiegelt, absolut entscheidend für die Zukunft und die Lösung der Probleme Europas heute.
Blicken wir zurück: Was ist in der europäischen Geschichte schief gelaufen? Diese Frage ist von großer Aktualität, weil in naher Zukunft die Zuspitzung der systemischen Finanzkrise so dramatisch verlaufen wird, daß die Entscheidung - kommt es wieder zu einer Entscheidung zugunsten der oligarchischen Finanzkräfte oder können wir eine Entscheidung im Sinne des Gemeinwohls für die Bevölkerung durchsetzen? - an dieser Frage der Verfassung hängt, an der Hoheitsgewalt über die Kreditschöpfung usf.
Deshalb ist es notwendig, diesen Punkt zu korrigieren, und an der amerikanischen Verfassung und dem Konzept der Nationalbank, die aber in Europa durch die Französische Revolution, Napoleon und den Wiener Kongreß sabotiert wurde, wieder anzuknüpfen und die Entwicklung in eine andere Richtung lenken.
Eine solche Konferenz muß in der Tradition von Franklin D. Roosevelts altem Bretton-Woods-System die folgenden Maßnahmen beschließen: Vorrangig muß ein großer Teil der Schulden der Welt reorganisiert oder gestrichen werden. Darüberhinaus muß die gesamte Derivatspekulation, die das Finanzsystem flügellahm macht, durch ein Abkommen zwischen Staaten verboten werden. Wir brauchen ein System fester Wechselkurse. Wir brauchen ein System souveräner Nationalbanken, die produktive Kreditschöpfung vornehmen können, und wir brauchen die Verwirklichung der Eurasischen Landbrücke über den Zeitraum der kommenden 25 bis 50 Jahre.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn einige führende Manager unserer großen Industrieunternehmen haben jetzt das Chinageschäft oder Indien oder Asien generell als Absatzmärkte entdeckt. Aber wir reden nicht von ein "bißchen" Infrastruktur, von einer Investition, damit die Investoren irgendwo direkt zum Flughafen kommen und wieder abfliegen können, also von einer Wiederbelebung der kolonialistischen Auffassung von Infrastruktur - und ich versichere Ihnen, daß es das ist, was einige dieser Topmanager im Kopf haben. Nein, wir reden davon, über ein bis zwei Generationen, über einen Zeitraum von 25 bis 50 Jahren, Verträge auf multilateraler Ebene zwischen den verschiedenen Staaten zu schließen, die zum Ziel haben, die Arbeitsproduktivkraft in den eingeschlossenen Regionen dramatisch anzuheben, die Kaufkraft zu steigern und damit eine Transformation nicht nur des eurasischen Kontinents, sondern letztlich der ganzen Welt hervorzurufen, weil wir diese Landbrücke auf Afrika und Lateinamerika ausdehnen wollen.
Europa, das bald 450 Millionen Menschen umfaßt, kann und muß eine wichtige Rolle bei der Entwicklung Eurasiens, Afrikas und Lateinamerikas spielen. Aber Europa kann diese Rolle doch nur übernehmen, wenn wir einen dramatischen Wandel unserer Werte vornehmen. Wir müssen wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt wieder bejahen. Wir müssen wieder ein Volk - nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa - der Dichter und Denker werden. Wir müssen die großartige Wissenschaftstradition Deutschlands und Europas wiederbeleben und "Science Driver"-Projekte in Gang setzen, die zum einen wissenschaftliche Entdeckungen im Produktionsprozeß anwenden und zum anderen selbst wieder die Wissenschaft beflügeln. Das heißt, wir müssen die Tradition von Platon, Nikolaus von Kues, Kepler, Leibniz, Gauß, Mendelejew, Wernadskij, wiederbeleben und in diesem Geist, in dieser Tradition Crashprogramme zur Lösung der wichtigsten Herausforderungen der Welt definieren.
Das kann nicht auf der Ebene der Molekularbiologie geschehen, wir brauchen vielmehr einen neuen Ansatz, der von der Fragestellung ausgeht: "Was ist das wesentliche Prinzip des Lebens überhaupt?" Dabei müssen wir eine Herangehensweise wählen, die wie Wernadskij Leben und Lebewesen nicht als ein Phänomen an sich, als partikuläres Ereignis, betrachtet, sondern die Frage stellt: Wie verhalten sich lebende Organismen im Kontext der Ganzheit der Biosphäre und der Noosphäre?
Nur durch so eine grundlegend neue Fragestellung können wir auf solche dringenden Probleme wie den Alterungsprozeß, degenerative Krankheiten, Krebs, AIDS, Tuberkulose, MS, antibiotikaresistente Erreger und neue Krankheiten wie SARS und viele andere finden. Wir brauchen eine Revolution in der Präventivmedizin.
Es gibt viele neue Anwendungsmethoden für "gerichtete Energie", wie sie z.B. für die SDI konzipiert war, die im medizinischen Bereich eingesetzt werden können, z.B. eine Weiterentwicklung der MRI-Technologie (magnetisches Resonanz-Bildverfahren). Es gibt die Möglichkeit zur Erkennung und Behandlung von Krankheiten mit Hilfe abgestimmter Energieimpulse, nichtlinearer Spektroskopie und anderer Techniken - die man z.B. in der Astrophysik entwickelt hat, um entfernte Galaxien zu erforschen - , die modifiziert werden können, um biologische Prozesse besser zu verstehen, die jetzt noch unerklärlich sind.
Die BüSo muß ins Europaparlament, damit ein solches Crashprogramm für die biologische Verteidigungsinitiative verwirklicht werden kann, weil 100 Prozent der Weltbevölkerung medizinische Versorgung brauchen, und nicht nur die zehn Prozent der Reichen in den Industrienationen. Präventivmedizin ist langfristig viel billiger als die Behandlung von Krankheiten, die als Folge verkürzter Diagnosen und verschleppter Behandlungen auftreten. Wir brauchen ein biologisches Crashprogramm für 6 Mrd. Menschen. Das ist eine, aber eine sehr wichtige Aufgabe Europas für die Welt.
Ähnliche Crashprogramme brauchen wir für die Raumfahrt. Erinnern wir uns: Jede Investition in das Apollo-Programm brachte für einen Dollar Investition 14 Dollar Profit im zivilen Bereich. Teflonpfannen, Computerchips - all das war das Resultat dieses Apollo-Programms. Genauso wäre es in der Zukunft. Wir brauchen neue revolutionäre Modelle der Kernphysik, neue Generationen von Überschallflugzeugen usf.
Das heißt, wir brauchen Investition von jährlich zwei Billionen Dollar oder Euro an neuen Krediten - davon entfallen alleine 1 000 Mrd. auf Europa pro Jahr. Das ist machbar, wenn wir so herangehen, wie Kennedy es beim Apolloprogramm gemacht hat. Er wandte sich an den Kongreß und erklärte: "Wir brauchen das, und wir bewilligen das jetzt".
Die Problemstellung wird sich völlig verändern. Die Leute werden nicht mehr Gefängnisse bauen wie Schwarzenegger, sondern wir werden Probleme der bemannten Raumfahrt zu entfernteren Zielen, die Schaffung von lebensgerechten Bedingungen in tropischen und arktischen Regionen der Welt und andere, produktive Probleme erörtern. Und ich kann Ihnen eines versprechen: Es wird einen Haufen Spaß machen.
Es wird allerdings nur möglich sein, wenn wir es zu revolutionären Veränderungen in Europa bringen, in der Tradition der Amerikanischen Revolution, und neu anknüpfen an die Ideen von 1789, am Ballhausschwur, aber mehr noch an Schillers "Ode an die Freude" - Freude, schöner Götterfunken!
Aber in der FAZ erschien vor kurzem ein Artikel von Ernst Wolfgang Böckenförde unter der Überschrift "Die Würde des Menschen war unantastbar - Abschied von den Verfassungsvätern. Die Neuorientierung vom Artikel 1 des Grundgesetzes markiert einen Epochenbruch". Böckenförde beschreibt, wie die Neukommentierung des Grundgesetzes und des Artikel 1 im Jahre 2001 durch einen gewissen Matthias Herdegen eine gravierende Änderung in unserem Grundgesetz bewirkt. Der Artikel 1 über die Menschenwürde sei von den Vätern des Grundgesetzes nach dem Zweiten Weltkrieg als Damm gegen die Schrecken der Naziherrschaft intendiert worden, damit ein naturrechtlich begründeter Anker da wäre, damit sich solche Schrecken nie wiederholen könnten. Doch dieser Damm, schreibt Böckenförde, sei jetzt eingerissen. Genau das ist leider der Fall.
Der Schlüsselsatz dieser neuen Kommentierung lautet: "Trotz des kategorialen Würdeanspruchs aller Menschen sind Art und Maß des Würdeanspruchs für Differenzierungen durchaus offen," - das ist schon einmal ein vollkommen schwachsinniger Satz, denn entweder gibt es einen kategorialen Anspruch, oder es gibt Differenzierungen, aber man kann nicht dasselbe in einem Satz bringen - "die den konkreten Umständen Rechnung tragen." Das bezieht sich einerseits auf das ungeborene Leben - Reproduktivmedizin, Embryonenforschung u.a. - aber natürlich auch auf die Sterbephase des Menschen, auf lebensverkürzende Maßnahmen, aktive Sterbehilfe und ähnliche Fragen. Mein Vorschlag ist deshalb, daß wir bei der ursprünglichen Interpretation dieses Artikels 1 des Grundgesetzes bleiben und die neue Kommentierung ersatzlos streichen.
Dieser Begriff heißt eben nicht "Glück", denn Glück ist leicht mißzuverstehen - der eine empfindet Lotto als ein Glück, der andere empfindet es schon als Glück, wenn er lange schlafen kann. Sondern es geht um den Begriff, von dem Leibniz oft spricht - das Streben nach Glückseligkeit - , und es ist sehr klar, was Leibniz damit meint.
Diese Streben bezieht sich nämlich auf die Tatsache, daß der Mensch fundamental verschieden ist vom Tier. Der Mensch ist das Ebenbild des Schöpfers. Das ist eine strikt wissenschaftliche Definition, in dem Sinne, daß nur der Mensch in der Lage ist, universelle wissenschaftliche Prinzipien zu entdecken. Deswegen hat Lyn [LaRouche] die korrupten Angriffe Eulers auf Leibniz auch so stark angegriffen, weil Euler dort die beweisbare Existenz universeller Prinzipien zurückweist. Denn damit negiert Euler zugleich die Qualität im Menschen, die ihn vom Tier unterscheidet, nämlich das Prinzip der kreativen Hypothese. Es ist aber unmöglich, die Unsterblichkeit der Seele des Menschen von dieser Fähigkeit zur Entdeckung universeller Prinzipien zu trennen.
Was heißt es also, nach Glückseligkeit zu streben? Unser aller Leben ist kurz. Wir werden geboren, wir sterben. Wenn unser Leben etwas bedeuten soll, was über unsere kurze physische Existenz als sinnliches Wesen hinausgeht - und auf der Ebene sind wir in der Tat den Tieren sehr ähnlich - , dann müssen wir die universellen Prinzipien verstehen und weitere entdecken, deren Anwendung die Voraussetzung für eine bessere Zukunft für die Menschheit bilden. In diesem Sinne proklamieren wir das Streben nach Glückseligkeit für alle Menschen auf diesem Planeten als eines der unveräußerlichen Menschenrechte, die "droben in den Sternen hängen", wie Schiller sagen würde. Und in diesem Sinne: Lassen Sie uns die Liebe zur Menschheit zur Grundlage der europäischen Politik machen.
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