Januar 2003: |
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Im Bild die Kundgebung auf dem Opernplatz in Frankfurt.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hatte in verschiedenen Städten zum lauten Protest aufgerufen. In Hannover kamen am 24.Januar mehrere tausend Demonstranten, meist mittelständische Unternehmer aus dem Handwerksbereich samt ihrer Beschäftigen, zusammen. Daß Unternehmer demonstrieren, ist etwas Besonderes, und besonders der niedersächsischen Wirtschaftsministerin Knorre stieß es hart auf, daß ausgerechnet zehn Tage vor der niedersächsischen Landtagswahl die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und der "Reformstillstand" angeprangert werden sollten.
Frau Knorre wandte sich im Vorfeld der Proteste in einem Offenen Brief an den Präsidenten des Niedersächsischen Handwerkstages Kurt Rehkopf, worin sie sich behördenaufsichtliche Maßnahmen vorbehielt, weil die halbstaatliche Handwerkskammer unrechtmäßig logistische Unterstützung für die Demonstration gewährt habe. Dabei fiel eine Bemerkung, die viel mehr über die wahren Gründe der Aufregung ausdrückt. Angesichts der Tatsache, daß es sich um die erste Demonstration des niedersächsischen Handwerks seit den 20er Jahren handelt, schrieb die Wirtschaftsministerin: "Einen Hauch von Weimar wollen Sie sicher nicht herbeiführen, nehme ich an. Aber was ist es dann?" (zitiert nach Hannoversche Allgemeine Zeitung, 21. Januar).
Fest steht aber, das Handwerk demonstriert, und wir sind mitten in einer Wirtschaftsdepression. Diese Antwort hätte Frau Knorre selbst finden können, wenn sie denn zur Demonstration gekommen wäre. Mit Schildern wie "Orthopädie-Schuhtechnik hilft - wie lange noch?" und "Erst stirbt Ihr Arzt, dann Sie als Patient" verdeutlichten die Berufe aus dem Gesundheitsbereich ihre Verzweiflung. Oder der Bäcker, der sein Schild hochhielt: "Wir sind das Brot, nicht die Mülltonne!"
Der Demonstrationszug von Hannover war beeindruckend. Und beeindruckend war auch die Stimmung während des Zuges. Denn plötzlich forderte der Redner vom Lautsprecherwagen am Kopf des Zuges den Bau des Transrapid auf langen Strecken. Was die Chinesen können, können wir schon lange! Richtig!! Schade nur, daß dieser Ansatz, Arbeitsplätze durch Investitionen besonders in der Infrastruktur zu schaffen, in den "offiziellen" Reden auf dem Hannoverschen Opernplatz keinen Platz mehr fand.
Kurt Rehkopf beklagte vor den ca. 3000 Demonstranten: Das Handwerk werde ausgequetscht wie eine Zitrone. Er forderte eine transparentere Steuerpolitik, eine Entschlackung des Vorschriften- und Regelwerks und eine konsequente Bekämpfung von Schwarzarbeit. Weitere Redner rechneten der Bundesregierung die Ökosteuer und ihre Folgen an, hielten ihr die Streichung der Eigenheimzulage (Bauwirtschaft), die Streichung des ermäßigten Steuersatzes (Zahntechnik) und vieles andere zutreffend vor. Über Lösungen sprach keiner. Dabei ist die Lage reif wie nie zuvor. Die Mitarbeiter des Mittelstandes können nicht nur verstehen, warum z.B. der Transrapid Arbeitsplätze schafft, sie wollen auch eine solche Politik. Das zeigte sich vor allem daran, daß fast jeder der Demonstranten ein Extra-Blatt der BüSo nahm, um es zu Hause zu lesen: Jetzt produktive Vollbeschäftigung bei uns durch Ausbau der Eurasischen Landbrücke!
Autokorso in Frankfurt und Düsseldorf
Neben Hannover waren auch Düsseldorf, Frankfurt und Nürnberg Schauplatz großer Demonstrationen des Mittelstands. In Düsseldorf hatten die Firmen gleich ihren Fuhrpark mitgebracht. Schwere Baumaschinen wurden auf Tiefladern vor dem Landtag geparkt. Insgesamt kamen für den Autokorso der Handwerker und des Baugewerbes 1000 Fahrzeuge zusammen. Während sich ca. 7000 Teilnehmer zur Protestkundgebung auf dem Düsseldorfer Burgplatz versammelten, um anschließend in einem Demonstrationszug zum Landtag zu marschieren, legten die vielen Fahrzeuge dort bereits den Verkehr lahm. Die Stimmung war kämpferisch. Die meisten machten an diesem Tag ihre ersten Demonstrationserfahrungen. Mittendrin agierte eine Gruppe von BüSo-Mitgliedern und Unterstützern, die Transparente und Schilder mit Slogans wie "Statt Maastricht produktive Kreditschöpfung für große Infrastrukturprojekte" oder "Transrapid Düsseldorf-Moskau-Peking und die Bauwirtschaft floriert" trugen.
Der letzte Slogan fand sogar Eingang in die Berichterstattung der Westdeutschen Allgemeinen, der größten Zeitung des Ruhrgebiets. Andere verteilten das Extrablatt der BüSo. Auch hier waren die Reaktionen sehr offen und interessiert - ein Zeichen, daß die Stunde für grundsätzliche programmatische Aussagen gekommen ist. Leider kamen diese Ideen in den Reden der Vertreter von Handwerk und Bauwirtschaft auch in Düsseldorf zu kurz. Die kurzsichtige Ansicht, daß lediglich durch Veränderungen im Steuersystem und durch den Abbau bürokratischer Überfrachtungen ausreichend Freiraum entstehen werde, um wieder produktive Arbeitsplätze zu schaffen, hält sich sehr hartnäckig.
Josef Zantis, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Bauindustrie, forderte zwar mehr Investitionen in den Erhalt und den Ausbau der Verkehrswege, in Bildungseinrichtungen, in Wohnungen sowie in die Sanierung der Ver- und Entsorgungssysteme. Die Bauwirtschaft habe in den letzten acht Rezessionsjahren über eine halbe Million Arbeitsplätze verloren, davon mehr als 80000 in NRW, sagte Zantis. Die Zeichen für die Wirtschaft stünden jedoch auf Sturm, die internationale und nationale Finanzkrise sei mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr zu lösen.
Dennoch wird der systemische Charakter der Krise nicht erkannt. Bestes Beispiel dafür war Harald Schartau, Arbeitsminister von NRW. Er begann seine Rede damit, daß er an dieser Stelle über die Krise der Weltwirtschaft und der europäischen Wirtschaft nicht sprechen wolle, sondern nur über die Lage in NRW. Für den CDU-Landesvorsitzenden Rüttgers existiert die Weltwirtschaftskrise noch nicht einmal.
In der Bankenstadt Frankfurt kamen ca. 5000 Handwerker und Baugewerbevertreter mit ihren Angestellten zusammen. Die Banner der BüSo "LaRouche hatte recht - der Finanzkollaps ist da" und "Statt Maastricht und IWF - Neues Bretton Woods" prangten an einem Tieflader und fuhren mit dem Autokorso durch die Frankfurter Innenstadt mit. Der Transrapid erfreut sich größerer Beliebtheit, als unsere Politiker glauben, denn auch in Frankfurt gefiel die Idee, eine Trasse von Frankfurt nach Peking zu bauen. "Selbstmord durch Totsparen" wollte erst recht keiner. Das Extra der BüSo fand auch hier reißenden Absatz.
Damit der wohlorganisierte und berechtigte Protest einer der Säulen der deutschen Wirtschaft nicht verpufft, wäre zu wünschen, daß in Berlin bei der zentralen Kundgebung am 10. Februar das Thema "Produktive Kreditschöpfung" in der Tradition von Lautenbach und Woytinsky zur Auflösung des öffentlichen Investitionsstaus auf die Tagesordnung gesetzt wird.
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