Das Bild zeigt die Lebensmittel-Sortieraktion des Wiesbadener Stadtratskandidaten Matthias Becker im "reichen Wiesbaden".
Es ist 17:30 Uhr, es dämmert bereits, und Nebel zieht auf. Als wir auf den Parkplatz in der Siedlung Hochfeld im Wiesbadener Stadtteil Erbenheim kommen, warten dort bereits sieben Personen auf uns. Es sind Mitglieder der "Initiative Lebenshilfe", eines Vereins, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen in Not zu helfen.
Hier im Hochfeld, einer Siedlung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, gibt es viele Menschen, die in Not sind. Matthias Becker schätzt die Zahl der Armen in diesem Stadtteil auf "mindestens die Hälfte" der Bewohner - kinderreiche Familien, Arbeitslose, Kleinrentner, viele davon Ausländer, ein echter "Brennpunkt". Laut offizieller Statistik liegt die Zahl der Arbeitslosen in Wiesbaden über 12 %, hier im Hochfeld dürften es weit mehr sein. Und bei den meisten von ihnen reicht das Geld "hinten und vorne nicht".
Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, daß inzwischen etliche Bewohner der Siedlung - dank Hartz IV - wieder einen "Job" haben. "Man sieht das daran, daß viele, die früher lange arbeitslos waren, jetzt morgens zur Bushaltestelle pilgern. Nur, daß sie dafür nicht mehr Geld bekommen als früher. Das ist reine Sklaverei", kommentiert der Mann, der uns in den kommenden beiden Stunden durch Wiesbaden dirigiert. "Die billigen Arbeitskräfte übernehmen Arbeiten, die sonst von gutbezahlten Leuten verrichtet würden. Die einzige Wirkung ist die, die Löhne zu senken."
Matthias Becker muß es wissen - war er doch, als gelernter Maler und Lackierer, selbst lange Zeit arbeitslos, mit Ein-Euro-Job-Erfahrung. Wer einen solchen Job ablehnt, dem werden die Bezüge gekürzt. Und wenn das Geld sowieso schon knapp ist, dann kann man sich das gar nicht leisten. "Diese Ein-Euro-Jobs kosten schon durch den Verwaltungsaufwand eine Menge Geld, und dann bekommen die Unternehmen noch monatlich 500 Euro, damit sie solche Arbeitskräfte nehmen. Würde man diese zusätzlichen Ausgaben investieren, wäre allen mehr geholfen."
Becker dirigiert uns zum Hintereingang eines Erbenheimer Supermarktes. Dort wartet bereits der Lieferwagen eines Mitglieds der Initiative. Der Marktleiter kommt persönlich heraus und bringt mehrere Kisten mit ausgemusterten Produkten und Lebensmitteln. "Das Fleisch hier ist schon aufgetaut, das muß heute noch verbraucht werden", sagt er. Bei anderen Waren ist das Verfallsdatum abgelaufen oder die Packung beschädigt, und so würden sie auf den Müll wandern. Aber nun sorgt die Initiative Lebenshilfe dafür, daß sie bedürftigen Familien gebracht werden, die sie noch verwerten können. Das ist die Grundidee der Initiative.
Gleich am Ort wird - mit Plastikhandschuhen - aussortiert, was nicht mehr brauchbar und verdorben ist. Nicht ohne Stolz sagt Becker: "Wir hinterlassen alles sauber, und so sparen wir den Märkten auch Arbeit."
Dann geht es weiter. Noch zwei weitere Supermärkte fahren wir an, einen im Westen der Stadt, dann einen anderen, kleineren, im Norden. Unterwegs erzählt uns Becker, daß er die Idee, die nicht mehr verkäuflichen Waren einzusammeln und einem gemeinnützigen Zweck zuzuführen, eigentlich schon lange hatte. Aber zunächst mußte er andere finden, die mitmachen, bevor es losgehen konnte, und Märkte, die bereit waren, zu helfen. Dann mußte der Verein gegründet werden, inzwischen ist die Gemeinnützigkeit beantragt.
Der Verein lebt von seinen freiwilligen Helfern, denn an jedem Werktag sind mehrere Supermärkte in der Stadt anzufahren, die Waren durchzusehen, die bereits verdorbenen Lebensmittel auszusortieren und fortzuwerfen, dann die brauchbaren auf die bedürftigen Familien aufzuteilen. Das alles dauert rund zwei Stunden. Und der harte Kern ist jeden Abend dabei. 30 Mitglieder hat der Verein inzwischen. Mit ihren Beiträgen finanzieren sie die Benzinkosten.
Becker hofft, daß es bald mehr werden, damit sie auch für Bedürftige in anderen Teilen Wiesbadens etwas tun können. Derzeit bekommen 17 Familien im Hochfeld Lebensmittelhilfe von der Initiative, zusammen rund 100 Menschen. "Es werden immer mehr, je mehr sich die Sache herumspricht. Wir bekommen Hinweise, wer etwas braucht. Zum Glück wächst auch die Zahl der Märkte, die unsere Arbeit unterstützen."
Manche bekommen mehr, manche weniger, je nach Größe der Familie, und da auch Moslems unter den Empfängern sind, gibt es einige Kisten, in die kein Schweinefleisch kommt. Und beim Verteilen der Süßigkeiten wird darauf geachtet, in welchen Familien viele Kinder sind. Es brauchen auch nicht immer alle gleich viel. "Bei manchen sieht es am Anfang des Monats noch gut aus, aber in der zweiten Monatshälfte brauchen sie dann unsere Hilfe."
Das Problem hat sich durch den "Teuro" verschärft. "2,99 für einen Kopf Blumenkohl - wer hätte denn früher dafür sechs Mark bezahlt?" Und mancher, der sich früher frisches Gemüse und Obst leisten konnte, kann es inzwischen nicht mehr. "Das ist das besondere an unserer Arbeit - was wir den Leuten bringen, ist immer frisch. Es gibt zwar auch noch andere Einrichtungen in Wiesbaden, die Lebensmittelhilfe bieten, aber da müssen die Leute hin, um es sich abzuholen. Und das kann nicht jeder."
Eine besonders volle Kiste geht an ein Ehepaar mit zwei eigenen und fünf Pflegekindern. Mit den Unterstützungsgeldern, die sie vom Amt bekommen, können sie zwar alle satt bekommen - aber dafür reicht es gerade so eben. Matthias Becker bringt ihnen mehrmals im Monat etwas vorbei. "Dank dieser Hilfe können wir mit den Kindern auch mal was unternehmen, und das ist wichtig für die Kinder", bedanken sie sich.
Matthias Becker weiß, daß neben der unmittelbaren sozialen Hilfe auch weitergehende Maßnahmen notwendig sind, denn wenn die Wirtschaftspolitik nicht grundlegend verändert wird, dann vermehrt sich die Zahl der Bedürftigen schneller als die Möglichkeit, ihnen zu helfen. Und deshalb kandidiert Matthias Becker für die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung - auf der Liste der Bürgerrechtsbewegung Solidarität.
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