April 2003:
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"Groß denken!"

Die Wochenzeitung der BüSo Neue Solidarität veröffentlichte in der Ausgabe vom 30. April ein Interview mit dem Wiesbadener OB-Kandidaten Alexander Hartmann


Hartmann bei Propagandaarbeit Hartmann: Wenn es bei Wahlen nur darum ginge, Ämter zu verteilen, könnte ich mir den Aufwand sparen, denn die beiden großen Parteien werden das Rennen wohl unter sich ausmachen. Aber wie bei allen Wahlen geht es auch hier um mehr - nämlich um Ideen. Alle etablierten Parteien beten heute die neoliberalen Wirtschaftsdogmen nach, die die Weltwirtschaft ruiniert haben. Inzwischen ist die Wirtschaftskrise so groß, daß die Kriegspartei in den Vereinigten Staaten die Flucht nach vorne angetreten hat - mit unabsehbaren Folgen.
Um einen Ausweg aus dieser Krise zu finden, muß ein völliges Umdenken stattfinden. Ich will am Beispiel der Probleme Wiesbadens die Herangehensweise demonstrieren, mit der wir auch auf Bundes- und Landesebene und weltweit die Probleme meistern können. Und ich will zeigen, daß die großen Parteien sich nicht von den neoliberalen Dogmatikern in der FDP oder bei den Grünen abhängig zu machen brauchen. Wenn ich trotz unserer bescheidenen Mittel ein ordentliches Wahlergebnis erreiche, dann wird das die vernünftigen Leute in den Volksparteien ermutigen, in ihren Parteien einen Bruch mit der neoliberalen Politik voranzutreiben. Hartmann: Mit zwei Worten gesagt: Groß denken! Wir haben heute so große Probleme, daß wir sie nur durch große Lösungen in den Griff bekommen werden. Die Leser der Neuen Solidarität kennen ja das Programm der BüSo - die Eurasische Landbrücke, die Idee des Neuen Bretton Woods und den Lautenbachplan. Man muß die Wirtschaft wieder in Gang bringen. Nicht im Sinne von John Maynard Keynes, der mit seinen Maßnahmen einfach nur Geld unters Volk bringen will, das dann verkonsumiert wird und nur Schulden und Inflation erzeugt, sondern im Sinne von Wilhelm Lautenbach, der gerade in Krisenzeiten große Investitionen vorschlägt, die man sowieso vornehmen müßte. Lautenbach spricht hier von volkswirtschaftlicher Kapitalbildung. Diese Projekte beschäftigen dann nicht nur kurzfristig die Menschen und Maschinen, sie verbessern langfristig die Gesamtproduktivität der Gesellschaft und stellen so die Volkswirtschaft wieder auf ein solides Fundament. Hartmann: Das größte Problem in Wiesbaden ist derzeit das Verkehrschaos. Eng damit verbunden ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Die hohen Mieten treiben vor allem die jungen Familien mit Kindern aus der Stadt. Sind diese Familien dann ins Umland "ausgewandert", kommen sie mit dem Auto nach Wiesbaden, um hier zu arbeiten oder einzukaufen. Mit der S-Bahn kommt man zwar gut nach Frankfurt, aber Wiesbaden hat in diesem Netz nur eine Randlage. Auch die Menschen, die in Wiesbaden wohnen, sind vom Auto abhängig. Mein Ansatz ist deshalb, einerseits das Schnellbahnnetz so auszubauen, daß die Menschen auch ohne Auto auskommen können, und dies mit der Schaffung vieler preisgünstiger Wohnungen vor allem für junge Familien zu verbinden. Hartmann: Schon ohne besondere Baumaßnahmen könnte man das Umland, auch auf der anderen Seite des Rheins, durch häufigere und direkte Zugverbindungen besser an Wiesbaden anbinden. Darüber hinaus muß einiges in den Ausbau des Schienennetzes gesteckt werden, um die Bahn zu einer wirklichen Alternative zu machen. Das vorhandene Schienennetz könnte durch Schaffung zusätzlicher Haltepunkte an den bestehenden Linien besser ausgenutzt werden. Dann gibt es eine stillgelegte Bahnstrecke, die von Wiesbaden in den Taunus führt, also das nördliche Umland mit der Stadt verbindet - die Aartalbahn. Sie sollte reaktiviert und ebenso wie die bisher einspurige Strecke nach Niedernhausen zweispurig ausgebaut und elektrifiziert werden. Über diese Linien könnte ein S-Bahn-Betrieb bis Diez und Limburg eingerichtet werden. Entlang der A66 sollte eine neue S-Bahnstrecke über Kriftel und Höchst nach Frankfurt gebaut werden. Außerdem sollte man mit der Bahn direkt ins Zentrum von Wiesbaden gelangen können. Dazu müßte die S-Bahn vom Hauptbahnhof unterirdisch über die Rhein-Main-Halle bis zum Kureck verlängert werden. Dieses S-Bahnnetz könnte längerfristig durch den Bau einer Stadtbahn ergänzt werden, die jedoch zumindest im Bereich der Innenstadt als U-Bahn verkehren sollte. Ich bin auch für den Bau einer Transrapidlinie von Frankfurt zum Flughafen Hahn, auch daran sollte Wiesbaden angeschlossen werden. Hartmann: Man hat in den letzten Jahrzehnten in Wiesbaden nur wenige Flächen für den Wohnungsbau ausgewiesen, das hat die Mieten in die Höhe getrieben. Um das Problem in den Griff zu bekommen, müssen neue Stadtviertel gebaut werden, und zwar am besten an neu einzurichtenden Stationen an den schon bestehenden Bahnstrecken. Ich denke da an insgesamt rund 20000 neue Wohnungen in den kommenden sechs Jahren. Diese Stadtviertel müssen sowohl schön als auch zweckmäßig sein, keine "Plattenbauten".
Um das durchzuführen, schlage ich vor, das Gesetz über den gemeinnützigen Wohnungsbau, das 1990 außer Kraft gesetzt wurde, wieder in Kraft zu setzen. Man hat da ohne Not einen für sehr viele Menschen sehr wichtigen Sektor den Kräften des Marktes ausgeliefert. Ähnliches gilt auch im Versorgungssektor, in der Strom- und Wasserversorgung oder dem Verkehr. Der kleine Mann zahlt die Zeche. Da muß ein Oberbürgermeister beim Gesetzgeber vorstellig werden, daß sich das ändert. Hartmann: Letztendlich bezahlen die Projekte sich selbst. Das sind Investitionen für 50 bis 100 Jahre - genug Zeit also, um die Baukosten zu amortisieren, wenn die Zinsen nicht zu hoch sind. Wenn wir die Menschen für eine produktive Rolle in einer Industriegesellschaft ausbilden und dafür sorgen, daß sie ihre Fähigkeiten auch im Beruf nutzen können, dann macht sich das allemal bezahlt. Das gleiche gilt für den Bau von Wohnungen oder der Verkehrsinfrastruktur. Gerade die langfristigen Projekte sorgen dafür, daß der Staat "schwarze Zahlen" schreibt, wir haben heute Defizite, weil wir hier zu wenig tun.
Die Bundesregierung hat uns im Hartz-Programm einen kleinen Finger gereicht, und wir sollten die ganze Hand nehmen. Die Stadt sollte Gesellschaften für den Wohnungsbau gründen oder bestehende Unternehmen nutzen, diese Projekte durchzuführen. Diese könnten ihr Eigenkapital durch Mittel und Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau aufstocken. Da die KfW-Kredite niedrig verzinst und langfristig sind, kann man da einiges in Gang setzen. Noch besser wäre natürlich eine Nationalbank, die das Geld, das sie in Umlauf bringt, von vornherein gezielt in produktive Projekte lenkt. Dazu müßte jedoch der Maastricht-Vertrag revidiert werden, das ist eine Aufgabe der Bundesregierung.

Ich habe noch ein weiteres Großprojekt im Auge. Ich meine nämlich, daß Wiesbaden eine Universität bekommen sollte. Wir müssen Deutschland wieder zu einer Industriegesellschaft machen, und dazu brauchen wir Facharbeiter, Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure - auch in Wiesbaden. Eine solche Universität hätte auch eine gesunde Wirkung auf die soziale Struktur unserer Stadt, der Dienstleistungs- und Verwaltungssektor hat heute ein zu großes Übergewicht. Außerdem platzen die bestehenden Universitäten wie Frankfurt oder Mainz schon aus den Nähten. Das tut dem Studium nicht gut.

Ein weiteres Problem, was ich durch einen solchen Neubeginn angehen möchte, ist die vorherrschende Wissenschaftskultur. Unser Wissenschaftsbetrieb ist heute genauso doktrinär wie die Wirtschaftspolitik - man denke an die Reaktion der etablierten Physik auf ein Phänomen wie die Kalte Fusion oder auf Kritik an der These von der Klimakatastrophe. Mit einer solchen Haltung kommen wir nicht weiter. Die Neugründung einer Universität könnte helfen, aus dieser Sackgasse herauszufinden. Man denke an die Beispiele Göttingen im 18. und Berlin im 19. Jh., ohne die Deutschland niemals das Land der Dichter und Denker - und zeitweilig die führende Industrienation der Welt - geworden wäre.

Wir haben hier Traditionen, an die wir anknüpfen können: In den Albertwerken in Biebrich wurde im 19. Jh. zeitweilig die halbe Weltproduktion an Phosphordünger erzeugt, was wesentlich dazu beigetragen hat, die Not der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland zu beheben. Carl von Linde hat mit der Erfindung der Kältetechnik ebenfalls Enormes geleistet. Das reicht ja weit über den heute selbstverständlichen Kühlschrank hinaus, man denke nur an die vielen medizinischen Präparate und Impfstoffe, die gekühlt werden müssen. Wiesbaden könnte da auch seine Stärken als Gesundheitsstadt einbringen.


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