Wirklich überraschend kommt die ratenweise "Amtsenthebung" Edmund Stoibers nicht, denn schon seit einiger Zeit ist deutlich, daß sich gegen den CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten an der Parteibasis und innerhalb der Parteihierarchie etwas zusammenbraut. Dabei sind gerade die nicht spezifisch bayerischen Aspekte dieser Krise von Interesse. Betrachtet man nämlich die Lage nicht aus der Fürther Froschperspektive, wie es bei jener Gabriele Pauli, dem Medienstar der Stoiber-Berichterstattung dieser Tage, der Fall ist, sondern von einem übergreifenden Standpunkt, so fällt schon einmal der zeitliche Gleichklang der bayerischen Entwicklungen mit der neuen Deutschland-Offensive der radikalen Neocons von der Federalist Society auf. Da sitzt Society-Kontaktmann Friedrich Merz als christdemokratischer Hauptkoordinator zur Gesundheitsreform in einer Schlüsselposition im Bundestag, die darüber entscheidet, ob die Reform wie geplant am 1. April 2007 (ohnehin ein schlechter Scherz...) in Kraft tritt oder ob sie scheitert und damit die Große Koalition zum Kippen bringt. Am vorletzten Wochenende, gerade als die Krise um Stoiber zum vollen Ausbruch kam, gab Merz noch einmal zu erkennen, daß er die Reform grundsätzlich nicht mag.
Assistiert wurde ihm dabei vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der mit dem Veto seiner Landesregierung drohte. Damit traten zwei der Hauptrivalen von Angela Merkel ins Rampenlicht, und der Neocon Koch ist vermutlich derjenige, der am direktesten von der Demontage Stoibers profitieren wird. Warum das? Sollte Merkels Kanzlerschaft vorzeitig zuende gehen, wäre Stoiber als der Kanzlerkandidat von CDU-CSU von 2002, als er nur mit wenigen tausend Zweitstimmen gegen den damaligen Kanzler Gerhard Schröder verlor, Merkels natürlicher Nachfolger. Scheidet Stoiber jedoch aus, kommt es zu einem Rennen zwischen den "Territorialherren" der CDU: Christian Wulff (Niedersachsen), Günter Oettinger (Baden-Württemberg) und eben Roland Koch (Hessen), und letzterer dürfte die stärkste Ausgangsposition haben.
Einen großen Sprung nach oben auf der Karriereleiter machte Koch übrigens im Verlauf der gleichen CDU-Krise, die gegen Ende 1999 schließlich zur Demontage Helmut Kohls und zum Aufstieg Angela Merkels an die Parteispitze führte. Koch war direkter Nutznießer einer Kampagne gegen den damaligen hessischen CDU-Chef Manfred Kanther, die Ähnlichkeiten mit der laufenden Kampagne gegen Stoiber zeigt. Nicht einmal ein Jahr nach seinem Amtantritt als neugewählter hessischer Ministerpräsident geriet Koch dann allerdings in große Schwierigkeiten, als Anfang 2000 die "Schwarzgeldaffäre" Schlagzeilen machte. Da gab es monatelange Enthüllungen über einen Wust an parteigesetzwidrigen Finanzgeschäften des hessischen CDU-Schatzmeisters Kasimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein. Der hatte 17 Millionen D-Mark an "Spenden" nach Liechtenstein und zurück nach Deutschland geschleust und behauptete pfiffig, als nachgefragt wurde, das seien Spenden jüdischer Familien, die aber anonym bleiben wollten.
Diese Ausrede hatte aber, obwohl sie von einem führenden Vertreter des ansonsten recht einflußreichen hessischen Hochadels kam, nicht den gewünschten "politisch korrekten" Effekt, sondern sie löste erst recht weitere, in gewissen Finanzkreisen unerwünschte Nachforschungen in Richtung Liechtenstein aus. Als führende europäische "Steueroase" zählt Liechtenstein zu jenem Netz, das anglo-holländische Finanzkreise, denen auch das Adelshaus Nassau (Niederlande, Luxemburg) angehört, auf dem Kontinent gesponnen haben. Vermutlich ist es auf politische Interventionen jener Kreise zurückzuführen, daß es in der "Schwarzgeldaffäre" schließlich zu einem rechtlichen Vergleich kam, der zwar Koch und die CDU nicht ohne Blessuren beließ, aber den Skandal stillegte.
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