April 2002: |
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Der strategische Rückzug der Großbanken aus dem Firmenkundengeschäft hat begonnen und droht das Gesicht der deutschen Wirtschaft radikal zu verändern. Unzählige mittelständische Unternehmen erfahren in diesen Tagen von ihrer langjährigen Hausbank, daß der Kreditrahmen plötzlich halbiert oder gar die Geschäftsbeziehung vollständig aufkündigt wird. Bei ihrer konsequenten Neuausrichtung auf das Interesse von "Shareholdern" wollen die privaten Großbanken die wenig gewinnabwerfende Vergabe von Firmenkrediten möglichst rasch beenden und statt dessen das Glück auf den internationalen Finanzmärkten suchen. Daß sie sich dabei in den letzen zwei Jahren mit platzenden Spekulationsblasen erst einmal eine blutige Nase geholt haben, hat ihren diesbezüglichen Ehrgeiz offenbar nur noch weiter angestachelt.
Während die Tageszeitungen mit Einzelschicksalen mittelständischer Unternehmen angefüllt sind, ist es wegen fehlender Mittelstandsstatistik weiterhin schwierig, den dramatischen Prozeß der Abkehr der deutschen Großbanken von den kleinen und mittleren Unternehmen in Zahlen zu fassen. Ein qualitatives Bild vermittelt die im Sommer 2001 veröffentlichte Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) bei 326 über das gesamte Bundesgebiet gestreuten Sparkassen, Diese berichteten übereinstimmend über einen Ansturm neuer, von ihrer bisherigen Hausbank verprellten Firmenkunden. Bei dem Versuch, mittelständische Firmenkunden aus der Geschäftsverbindung herauszudrängen, zeigen die privaten Großbanken laut DSGV eine "fast schon bemerkenswerte Vielfalt".
Die Instrumente reichen von offener "Abschiebung" bis hin zu "rigiden und subtilen Methoden". So werde beispielsweise der Service für mittelständische Firmenkunden gezielt zurückgeführt, um die Kunden zu "vergraulen". Entscheidungen über Kredite werden übermäßig in die Länge gezogen, es werden Nachbesicherungen gefordert, und bei jeder sich bietenden Gelegenheit werden die Kreditlinien gekürzt. Nach Angaben der Bundesbank wurden im Jahr 2001 insgesamt rund 28 Mrd. Euro neuer Kredite an Unternehmen und Selbständige vergeben und 86% davon weit mehr als doppelt so viel wie in der Vergangenheit üblich entfielen auf Sparkassen und Landesbanken.
Eines der Argumente, mit der die Großbanken den Rückzug aus dem
Firmenkundengeschäft begründen, sind die neuen Eigenkapitalrichtlinien,
genannt Basel II, die vermutlich im Jahr 2006 international eingeführt
werden sollen. Einerseits handelt es sich hier um eine bequeme Ausrede,
denn einige Einzelheiten werden noch verhandelt und niemand zwingt die
Banken, die Richtlinien jetzt schon anzuwenden. Andererseits sind die
neuen Eigenkapitalrichtlinien, zumindest in der jetzigen Fassung, in der Tat ein anglo-amerikanischem Finanzdenken verschriebenes Konstrukt, das in Zukunft die Kreditvergabe von Banken an mittelständische Unternemen, insbesondere in Deutschland, erheblich erschweren wird.
Im Jahre 1988 wurden international verbindliche Vorschriften eingeführt, um nach einer Serie von Bankenkrisen in Zukunft exzessive Kreditvergaben von Banken zu verhindern. Diese Vorschriften waren von einem Ausschuß innerhalb der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel erarbeitet worden und werden daher heute Basel I genannt. Durch die Verpflichtung, 8% ihres Kreditvolumens mit Eigenkapital zu unterlegen, wurden die Banken mit einer pauschalen Kreditbremse versehen.
Bekanntlich können die größten japanischen Banken diese Auflagen schon seit einigen Jahren nur noch durch massive Bilanzfälschung erfüllen, wobei Regierung und Aufsichtsbehörden beide Augen zudrücken. Auch amerikanische und europäische Großbanken müssen in letzter Zeit massive Abschreibungen bei ihren Mega-Krediten an untergehende Telekom- und Medienunternehmen vornehmen, Jeweils auf Kosten ihres Eigenkapitals. Die Neufassung der Eigenkapitalrichtlinen wird von ihnen daher sehnsüchtig erwartet.
Anders als bei Basel I sollen bei Basel II die Eigenkapitalanforderungen nicht mehr pauschal, sondern in Abhängigkeit von der jeweiligen Kreditwürdigkeit des Kunden gestellt werden. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Die Frage lautet nur: Wer oder was entscheidet über die Kreditwürdigkeit? Da gibt es zunächst die Ratingagenturen. Tatsächlich sollen diese laut Basel II zum Schiedsrichter über die Kreditvergabe an die großen Unternehmen in der Welt werden, auch wenn sie mit ihren Benotungen in letzter Zeit oft katastrophal daneben lagen. So müssen Kredite an Unternehmen mit erstklassigem Rating fortan nur noch mit 2% Eigenkapital unterlegt werden. Hat das Unternehmen gar kein Rating, werden wie bisher 8% Eigenkapital angerechnet, bei ausgesprochen schlechtem Rating sogar 12%.
Gerade für die kleineren und mittleren Unternehmen sollen alternativ auch sogenannte "interne Ratings" der kreditgebenden Banken als
Bemessungsgrundlage zugelassen werden. Der springende Punkt hierbei ist
aber, daß dabei nicht mehr die aus langjähriger Geschäftsbeziehung
resultierende Kenntnis der Fähigkeiten des Unternehmensführers eine Rolle spielt, sondern eine Reihe "objektiver" Parameter, die unweigerlich eine systematische Benachteiligung langfristig erfolgreicher Mittelständler verursachen werden. Die großen Banken, die sich ohnehin aus der Flache zurückziehen und das Unternehmen vor Ort kaum noch kennen, werden Datenbanken anlegen, die zwar die typischen Kennzahlen aus kurzfristiger "Shareholder-Value"-Sicht beinhalten, aber gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen überhaupt nichts über die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens aussagen.
Anders als bei Kapitalgesellschaften steht und fällt der Erfolg eines
Personenunternehmens mit den unternehmerischen Fähigkeiten einer
einzigen Person, des Inhabers, der sich auch selbst seine wichtigsten
Mitarbeiter ausgewählt hat. Es war gerade die Stärke des erfolgreichen
deutschen Hausbankenmodells, daß die kreditgebende Bank durch
langjährige Tätigkeit vor Ort mit den Inhabern der kreditnehmenden
Unternehmen ausreichend vertraut war, um eine realistische Einschätzung
der Kreditwürdigkeit treffen zu können. Irgendwelche externen oder
internen Ratings bilden dafür keinen Ersatz.
Schlimmer noch: Der typische Familienbetrieb legt es nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung an, sondern darauf, seinen Kundenstamm mit überzeugender Qualität langfristig zu binden und dadurch den Betrieb zumindest bis zum nächsten Generationswechsel am Leben zu erhalten.
Hinzu kommt die trübe Wirtschaftslage, die dazu führt, daß ein Drittel aller mittelständischen Unternehmen in Deutschland im Jahre 2001 überhaupt keinen Gewinn machte. Um seine unternehmerischen Entscheidungen unabhängig von kurzfristig orientierten Geldgebern treffen zu können, pfeift der typische Inhaber einer Personengesellschaft zudem auf Beteiligungskapital. Die Steuerpolitik tat ein übriges, um die Ansammlung von Eigenkapital aus erwirtschafteten Gewinnen zu behindern.
Die Folgen: Die meisten mittelständischen Unternehmen in Deutschland weisen nur magere Gewinnrenditen und ein im internationalen Vergleich sehr geringes Eigenkapital auf. Ein schlechtes Rating ist damit für die überwiegende Mehrheit des deutschen Mittelstands von vornherein festgelegt. Das bedeutet aber: entweder gar keine Bankkredite mehr oder solche zu deutlich höheren Zinsen.
Weiterhin soll mit Basel II auch noch eine Bevorzugung kurzfristiger gegenüber langfristigen Krediten durchgesetzt werden. Die Logik dahinter lautet: je länger die Kreditdauer, desto höher das Ausfallrisiko. In Deutschland handelt es sich aber bei Bankkrediten an Unternehmen traditionell zumeist um langfristige Kredite. Und diese haben sich, wie der DSGV betont, durchaus "als stabilisierendes Element im Finanzsystem erwiesen". Dagegen hätten die von den USA vorgelegten Vorschläge zur höheren Risikogewichtung von langfristigen Krediten "unweigerlich eine Flucht in den Kurzfristbereich zur Folge. Dies würde zu immer kurzfristigeren Finanzierungsströmen auch auf dem Kreditmarkt führen, welche in der Vergangenheit bereits zu erheblichen Systemrisiken geführt haben." Schließlich geht es auch noch um Sicherheiten, die für Kredite hinterlegt werden. Gerade bei mittelständischen Unternehmen in Deutschland spielen dabei Grundstücke, Gebäude und Maschinen eine herausragende Rolle. Es gibt Bestrebungen, bei Basel II statt dessen nur noch Wertpapiere als Sicherheiten zuzulassen.
Der Rückzug der Banken aus der Finanzierung des Mittelstands und die Neufassung der internationalen Eigenkapitalrichtlinien für die Banken laufen parallel und entstammen der gleichen ideologischen Wurzel: Einem "Shareholder-Value"-Fundamentalismus, für den die mittelständische Struktur der deutschen Wirtschaft nur einen lästigen Fremdkörper darstellt.
Eine Katastrophe bahnt sich an und hat, da die nächsten Wahlen nicht mehr fern sind, inzwischen selbst den deutschen Bundeskanzler aufgeschreckt:
Um das Schlimmste zu verhindern, sollen demnächst konkrete Vorschläge
für die Gründung einer "Mittelstandsbank" vorgelegt werden. Im
wesentlichen soll es dabei um eine Ausweitung der Mittelstandsaktivitäten der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gehen. Schon jetzt gewährt die KfW Kredite an den Mittelstand, wobei sie aber, wegen fehlender Filialen, bislang auf die Geschäftsbanken als Vermittler angewiesen ist. Durch Zusammenlegung mit der staatlichen Deutschen Ausgleichsbank und der Industrie-Kreditbank (IKB) erhielte die KfW ihre eigenen Filialen. Eine derartige Ausweitung der KfW-Aktivitäten ist in jedem Fall zu begrüßen, kann aber den Verlust Hunderter Filialen und Tausender Firmenkundenbetreuer seitens der Geschäftsbanken nicht wettmachen.
Wenn dem alles niederwalzenden "Shareholder-Value"-Wahn kein größerer Widerstand entgegengesetzt wird, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Sparkassen und Landesbanken aus der Finanzierung des Mittelstands herausgebrochen werden.
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