November 2005:

Warum Schiller unsterblich ist

Applaus für die Darsteller
Im Bild erscheinen die Künstler bei der Schlußrede nach dem Applaus des Publikums. Gabriele Liebig, (Darstellerin, 3.v.r.) berichtet.

Dichterpflänzchen, Schiller-Institut: In Form eines Rechtstreits wurde am Sonntag, 13. November im Bürgerhaus Sonnenberg in Wiesbaden darüber gestritten, ob Friedrich Schiller tot und passé sei, oder ob er lebt, weil seine Ideen auch heute von Menschen geliebt und weitergetragen werden.

- Friedrich Schiller, 1790, ins Stammbuch für Johannes Groß "In diesem Jahr jährt sich zum 200. Mal Schillers Todestag. Schiller ist tot", sagt der trockene Anwalt 1. Doch die Anwältin 2 hält sogleich dagegen: "Wir feiern wie jedes Jahr Schillers Geburtstag. Schiller lebt." Er lebe in seinen Werken weiter. Aber dieses Argument läßt der andere nicht gelten: Auch Schillers Werk sei längst begraben, wie Schiller selbst. Doch als beide Anwälte dann ihre Zeugen aufrufen - den Dichter Percy Shelley, Theodor Fontane oder Conrad Ferdinand Meyer, doch vor allem natürlich Schiller selbst - da wird ziemlich schnell klar, wie lebendig, wie notwendig und gegenwärtig die Ideen und Ideale unseres großen Dichters sind. "Anwälte" und "Zeugen" in diesem "Prozeß" verkörperten die "Dichterpflänzchen", am 12. November im Mainzer Kurfürstlichen Schloß und am 13. November im Bürgerhaus Sonnenberg in Wiesbaden. Das Publikum, in der Rolle der "Geschworenen", lauschte gespannt.

Zur Debatte steht die Idee der Unsterblichkeit, die freilich kein anderer Dichter so tief ergründet und so schön verewigt hat wie eben Schiller. Vom finsteren Herrscher Ozymandias bleibt nichts weiter übrig als ein kaputtes Riesendenkmal in der Wüste (Shelley). Böse Taten wirken zwar auch in die Zukunft, aber nur zerstörend. Dagegen lebt auch die kleinste gute Tat weiter, und sei es jene havelländische Birne, die Fontanes Herr von Ribbeck mit ins Grab nimmt, damit die Kinder auch in Zukunft im Herbst etwas zu naschen haben.

Was ist dabei die Hauptsache? Was altert nicht, wenn die Menschen auch alt und grau werden (siehe J.P. Hebels Geschichte Unverhofftes Wiedersehen)? Das mächtigste Band zwischen den Menschen - ob sie nun beieinander leben oder ob Jahrtausende sie trennen - ist nun einmal die Liebe. "Dich schuf das Herz, du wirst unsterblich leben", schreibt Schiller über Johanna, sein Mädchen von Orleans. Und die Liebe macht sich fest an Taten, die liebenswert sind.

"Die Tugend, sie ist kein leerer Schall, der Mensch kann sie üben im Leben", sagt Schiller in den Worten des Glaubens. Im Gedicht Resignation oder in den Philosophischen Briefen macht Schiller sehr deutlich, daß er von Verheißungen irgendwelcher Belohnungen "in einem anderen Leben" wenig hält. Die Hoffnung auf das ewige Leben hat für ihn einen anderen Sinn. Was das endliche Erdenleben des einzelnen Menschen auf Erden transzendiert, ist zum einen der schöpferische "Götterfunke" und zum anderen, daß man "im Ganzen lebt".

Dieses Ganze ist die Universalgeschichte; das Lebenswerk der Bewohner aller Weltregionen und Zeitalter bildet jene "unvergängliche Kette, die durch alle Menschengeschlechter sich windet", an die wir unser eigenes fliehendes Dasein befestigen. Und je größer das Werk, das einer in Angriff nimmt, desto seltener wird er allein es vollenden können. Er braucht, wie der alte Baumeister in C.F. Meyers Ballade Das Münster, Helfer und Nachfolger, die "sein Werk forttreiben" - auch wenn dies heute nur noch selten die eigenen Kinder sind. "Etwas dazusteuern können Sie alle!" rief der Professor Schiller seinen Jenenser Studenten zu: "Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgetan, zu der wahren Unsterblichkeit, meine ich, wo die Tat lebt und weiter eilt, wenn auch der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte."

Ob Schiller lebt, das hängt vor allem davon ab, ob wir heute seine Werke und Ideen lieben, lebendig halten und forttreiben. Deshalb kam nach der Pause im zweiten Teil, abgesehen von Goethes Hommage auf den verstorbenen Dichterfreund, dem Epilog zu Schillers Glocke, Schiller selbst zu Wort: Gedankengedichte wie Die Gunst des Augenblicks ("Alles Göttliche auf Erden ist ein Lichtgedanke nur"), Die Worte des Glaubens und die Worte des Wahns und die schönen Balladen Die Teilung der Erde, Der Handschuh, Der Graf von Habsburg und (besonders schön vorgetragen) Pegasus im Joche. Von einem zum anderen leitete jeweils eine kurze Zwischenmusik über, erdacht vom Komponisten unter den "Dichterpflänzchen", der auch selbst am Klavier saß.

Besondere Erwähnung verdient Orpheus in der Unterwelt: Das Fragment von Schillers Hand enthält den detaillierten Plan eines Gedichts: Orpheus fordert vom Schattenbeherrscher seine Gattin Eurydike zurück und setzt alle Hoffnung in die "Macht der Leier". Hades fordert, daß Orpheus seine Macht besingen soll. Orpheus weigert sich, den Tod zu preisen, aber dem Leben stimmt er jetzt ein Lied an. Zuerst singt er von Licht, Farbe und Schönheit, dann von Schall, Melodie und Leidenschaft, schließlich von Leben, Lieben, Beleben. Sogar Persephone ist zu Tränen gerührt, doch Hades greift zu der bekannten Intrige: Eurydike darf ihrem Gatten nur solange folgen, wie er sich nicht nach ihr umwendet. Ein begabtes "Dichterpflänzchen" hat das Gedicht vollendet (nachzulesen in Neue Solidarität>P> Nr. 39/2004) und vorgetragen. Ein schönes Geburtstagsgeschenk für unseren Friedrich!

Als guter Einfall erwies sich auch die Sammlung "Geflügelter Worte" aus Schillers Dramen und Gedichten, die so sehr in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen sind, daß man sie oft kaum noch als Schiller-Zitat empfindet, wie etwa "Welcher Glanz in meiner Hütte?" (Die Jungfrau von Orléans), "Was tun? spricht Zeus" (Die Teilung der Erde), "Daran erkenn' ich meine Pappenheimer" (Wallenstein), "Das eben ist der Fluch der bösen Tat" (Wallenstein), "Raum ist in der kleinsten Hütte" (Der Jüngling am Bache), "Der Mohr hat seine Schuldigheit getan, der Mohr kann gehen" (Die Verschwörung des Fiesko zu Genua) oder "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt!" (Tell)

Als einzige szenische Darstellung wurde die berühmte Kammerdienerszene aus Kabale und Liebe gespielt. Als Schiller in Bauerbach daran arbeitete, war der amerikanische Unabhängigkeitskrieg gerade glücklich beendet worden. In der Szene erzählt ein alter Kammerdiener der Lady Milford, für die Juwelen aus Venedig, die der Herzog ihr zur Hochzeit schicke, habe der Herzog "siebentausend Landeskinder" als Söldner an das Königreich Großbritannien verkauft, um in der Neuen Welt gegen die Armee George Washingtons zu kämpfen. ("Edelsteine wie diese - ich hab auch ein paar Söhne darunter!") Wegen ihrer politischen Brisanz wurde die Szene 1784 bei der Frankfurter Uraufführung gestrichen.

Zum Schluß waren Auszüge aus Schillers Neunten Brief über Die ästhetische Erziehung des Menschen zu hören: "Die Menschheit hat ihre Würde verloren, aber die Kunst hat sie gerettet und aufbewahrt in bedeutenden Steinen", gemeint sind die Skulpturen der Bildhauer des klassischen Griechenland. "Die Wahrheit lebt in der Täuschung fort, und aus dem Nachbilde wird das Urbild wieder hergestellt werden."

Schiller rät dem jungen Künstler: "In der schamhaften Stille deines Gemüts erziehe die siegende Wahrheit, stelle sie aus dir heraus in der Schönheit, daß nicht bloß der Gedanke ihr huldige, sondern auch der Sinn ihre Erscheinung liebend ergreife." Wenn auch der Ernst seiner Grundsätze den Menschen Angst mache, "im Spiele ertragen sie sie noch; ihr Geschmack ist keuscher als ihr Herz, und hier mußt du den scheuen Flüchtling ergreifen... Wo du sie findest, umgib sie mit edeln, mit großen, mit geistreichen Formen, schließe sie ringsum mit den Symbolen des Vortrefflichen ein, bis der Schein die Wirklichkeit und die Kunst die Natur überwindet."

Kann man es schöner sagen?


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