November 2003: |
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Es begann mit Musik - in Erinnerung an eines der "Dichterpflänzchen", Romie Schauerhammer, die im April ganz unerwartet gestorben war. Beim letzten Schillerfest hatte Romie Schillers Nänie zur Klavierbegleitung vorgetragen. Diese Melodie nahm Werner Hartmann als Thema einer neuen, wunderschönen Komposition für Geige und Klavier, die er zusammen mit Martin Buck vortrug.
Dann setzte Helga Zepp-LaRouche das Thema des Abends: Wir wollen Schillers Ideen nicht wie das Regietheater banal modernisieren, "sondern wir wollen uns fragen, wie wir heute eigentlich vor Schillers Maßstab dastehen?" Ein Zitat aus Schillers Anmut und Würde machte deutlich, daß es in einer Welt, wo nur die sinnliche Begierde und das materielle Bedürfnis herrschen, weder Schönheit noch Freiheit geben kann. Der lüsterne Mensch, der seinen Geist ausgeschaltet hat, stößt nicht nur den moralischen, sondern auch den ästhetischen Sinn ab.
Ein Beispiel für Unfreiheit trotz aller formalen Bildung gibt Schiller in seiner Antrittsrede vor den Jenaer Studenten in der Gestalt des Brotgelehrten, den jeder Fortschritt in seiner eigenen "Brotwissenschaft beunruhigt..., weil sie ihm neue Arbeit zusendet oder die vergangene unnütz macht; jede wichtige Neuerung schreckt ihn auf, denn sie zerbricht die alte Schulform, die er sich so mühsam zu eigen machte, sie setzt ihn in Gefahr, die ganze Arbeit seines vorigen Lebens zu verlieren... Beklagenswerter Mensch, der mit dem edelsten aller Werkzeuge, mit Wissenschaft und Kunst, nichts Höheres will und ausrichtet, als der Taglöhner mit dem Schlechtesten! der im Reiche der vollkommensten Freiheit eine Sklavenseele mit sich herumträgt!"
In einer Szene aus Maria Stuart zeigten Ulla Apel als Elisabeth und Gabriele Liebig als Maria, wohin es führt, wenn die handelnden Personen in der großen Politik, wie hier die beiden Königinnen, es nicht schaffen, den Gefühlshorizont ihres egoistischen Eigeninteresses zu verlassen und ein höheres gemeinsames Ziel zu entdecken. "Meine Güte, haben die sich aber gezofft!" hatte ich dazu auf der Bühne zu sagen.
Kann der Mensch die Ebene des sinnlichen Eigeninteresses verlassen und zur erhabenen "Geisterwelt" aufsteigen? Damit befaßt Schiller sich in all seinen Dramen. Im Don Carlos zeigt er, wie ein Mensch sich durch den Ansporn einer größeren Aufgabe über nur momentane "Gelüste" erheben und den Aufgaben, welche die gesamte Menschheit betreffen, zuwenden kann. Hier gelingt es Elisabeth von Valois, Don Carlos aus seiner Schwärmerei zu ihr - seiner ehemaligen Verlobten, die aber jetzt seine Stiefmutter ist - herauszubekommen und ihm seine historische Verantwortung für das bedrängte Flandern und für Spanien bewußt zu machen. Diesen Dialog zwischen Carlos und Elisabeth spielten Johanna und Stefan, beide von der LYM in Berlin - so gut, daß die Zuschauer begeistert applaudierten. "Sind Sie Schauspieler?" wurden sowohl die jugendlichen Darsteller der Don Carlos-Szene wie die älteren Darsteller der "Zoffszene" aus Maria Stuart hinterher gefragt.
Zwischendurch stellten die zwei mitwirkenden Jugendlichen, Felix und ich, immer wieder genau die Fragen, die auch den Zuschauern im Kopf herumschwirrten. So fragt Felix, warum Schiller denn "Dichter der Freiheit" genannt werde. Don Carlos verzichte um der größeren Sache willen auf seine Liebe zu Elisabeth, das sei richtig, "aber wo bleibt hier die Freiheit?" Das war sicher für viele Leute ein Paradox, das noch aufgeklärt werden mußte.
Bei dieser Erziehung spielt die Kunst, das klassische Theater, eine wichtige Rolle. Die wahre Kunst sei kein Spiel, "es ist ihr Ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu machen". Indem das "künstliche Unglück" der Tragödien auf der Bühne sie mit den Härten des Schicksals vertraut macht, werden sie darauf vorbereitet, in schwierigen Lagen verantwortlich und erhaben zu handeln. Erhaben heißt, daß man sich selbst als Sinnenwesen dabei vergißt. Ziel ist, "das Materielle durch Ideen zu beherrschen".
Neben dem Drama sei es das Studium der Universalgeschichte, die Geschichte der Menschheit selbst, die zur Ausbildung des "historischen Individuums" beiträgt, dessen Empfindungsvermögen auf die Generationen vor und nach ihm und auf alle Kulturen der Welt ausgedehnt ist. Schiller sagt auch:
"Groß ist, wer das Furchtbare überwindet. Erhaben ist, wer es, auch selbst unterliegend, nicht fürchtet."
Es hätte wohl keinen besseren Abschluß geben können als die anschließende Diskussion mit dem Publikum. Denn wir hatten es ja ehrlich gemeint, als wir die Gedichte vortrugen: Es geht um die Größe der Menschheit. In Mainz wurde darüber diskutiert, ob das Programm nicht zu anspruchsvoll sei, doch die Aufgabe ist ja, Schiller zu studieren, um schließlich Schillers "Niveau" zu erreichen. Die Menschen weltweit müssen wieder zum wahrheitsverbundenen Denken finden, damit wir bei der nächsten Revolution die Fehler der Französischen Revolution vermeiden. Helga forderte durch dieses Stück alle auf, diesen Goldschatz der deutschen Kultur zu bergen, ihn zu studieren und im Herzen zu verankern, um selbst die Geschichte der Menschheit zu erkennen und in sie eingreifen zu können.
Alle Zuschauer und Akteure verließen denkend den Saal. Und ich glaube, das ist, was Schiller wollte: den Menschen in seiner Seele berühren. In jedem Menschen wohnt ein "idealischer Mensch", sagt Schiller. Wir müssen ihn nur herauskitzeln, sage ich!
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