Februar 2003:
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Ein Leben für die Versöhnung der Kulturen

Zum Tode von Annemarie Schimmel (7. April 1922 - 26. Januar 2003)

Universitätsbibliothek im Marburger Landgrafenschloß
Im Bild das Marburger Landgrafenschloß, in dem noch heute die Bibliothek der Marburger Universität untergebracht ist, an der Annemarie Schimmel ihre Doktorarbeit verfasste. Die Universität Marburg ist bekannt für das Fach Altorientalistik, das dort gelehrt wird.

Das BüSo-Mitglied Muriel Mirak-Weißbach beschreibt die wichtigsten Etappen ihres Wirkens.

Die Nachricht vom Tode der deutschen Orientalistin Annemarie Schimmel löste eine Welle der Anteilnahme aus, nicht nur in Bonn und Berlin, sondern auch in Lahore, Teheran, Kairo und vielen anderen Hauptstädten der islamischen Welt. Prof. Schimmel war nicht nur — wie einige Kommentatoren schrieben — "die einzige Orientalistin von Weltformat", die in über hundert Publikationen ein breites Themenspektrum islamischer Philosophie, Geschichte und Kultur brillant abhandelte. Sie warb vor allem unermüdlich für ein besseres Verständnis zwischen den Religionen und Völkern, wie sie selbst sagte, wenn sie nach ihrem Lebensinhalt gefragt wurde. Mit ihrem außergewöhnlichen sprachlichen Können und ihren kulturellen Kenntnissen brachte sie einem deutschen, amerikanischen und internationalen Publikum die Realität des Islam näher. Ihr Tod zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist um so beklagenswerter, als die Welt Menschen wie sie gerade jetzt dringend braucht. Prof. Schimmel bewies in vorbildlicher Weise, was es heißt, eine Kultur zu verstehen, weil man sie kennt, und von ihr zu lernen, weil man sie liebt. Schon als Kind erwachte ihr Interesse an der orientalischen Literatur. In ihrem letzten Rundfunk-Interview (SWR2, 16. Dezember 2002) berichtete sie: "Ich habe als Kind einmal ein Märchen gelesen — da war ich sieben Jahre alt —, das spielte in dem Grenzgebiet zwischen Islam und Hinduismus. Es war also ein mystisches Märchen. Und da habe ich gewußt: Das ist meine Welt... Da fühlte ich mich viel mehr zu Hause als in unserer deutschen Welt."

Mit 15 Jahren nahm sie ersten Unterricht in Arabisch und war so begeistert, daß sie die Sprache schnell lernte. Später folgten Persisch, Urdu, Türkisch und Paschtu. Diese Sprachkenntnisse ermöglichten ihre zahlreichen Übersetzungen insbesondere poetischer Werke aus diesen Kulturen. Nach dem Abschluß des Orientalistikstudiums in Berlin mit 19 Jahren studierte sie Religionsgeschichte und begann, selbst zu unterrichten. Von 1941 bis Kriegsende war sie im Außenministerium als Übersetzerin beschäftigt, danach machte sie in Marburg ihren Doktor in Religionsgeschichte. 1954 wurde sie als erste Frau und Nichtmuslimin Dozentin an der Universität Ankara, wo sie Vergleichende Religionswissenschaft lehrte. In der Türkei unternahm sie zahlreiche Reisen zu entlegenen islamischen Gemeinschaften, traf aber auch die geistige Elite des Landes. 1961 ging sie nach Bonn, und von 1967-1991 hatte sie einen Lehrstuhl für indo-islamische Kultur an der Universität Harvard in den USA. 1993 kehrte sie nach Deutschland zurück, wo sie in Bonn als Honorarprofessorin tätig war.

Rumi

Prof. Schimmel studierte intensiv die mystische Tradition des Islam, den Sufismus — 1975 erschien Mystische Dimensionen des Islam —, und erforschte besonders den großen mystischen Dichter Maulana Dschelaleddin Rumi (1207-1273). Sie veröffentlichte The Triumphal Sun: Life and Works of Mowlana falaloddin Rumi (1978) und Rumi: Ich bin Wind und du bist Feuer sowie zahlreiche Übersetzungen von Gedichten Rumis.

Ihr Buch Nimm eine Rose und nenne sie Lieder, eine Anthologie der Poesie der islamischen Tradition, enthält Übersetzungen alter und neuerer Werke aus sieben verschiedenen Sprachkulturen. Hinzu kommen Bücher, die als Einführung in verschiedene Aspekte des Islam und seiner Kultur dienen sollen. Ein reizendes Büchlein mit dem Titel Die orientalische Katze (1991) befaßt sich mit dem Thema der Katze in der orientalischen Literatur.

1995 wurde Annemarie Schimmel für ihre Verdienste um einen Dialog der Kulturen der Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels verliehen. Die Fraktion, die einen "Kampf der Kulturen" will, überzog Prof. Schimmel damals mit einer bösartigen Verleumdungskampagne. Es wurde behauptet, sie habe die Fatwah (Todesurteil) radikaler iranischer Kleriker gegen Salmon Rushdie unterstützt; Rushdie, eine Marionette britischer Geheimdienstkreise, ist der Autor des blasphemischen Buches Satanische Verse, das sich gegen den Islam und den Propheten Mohammed richtet. In Wahrheit hatte Frau Schimmel jedoch Ajatollah Khomeinis Fatwah verurteilt und lediglich erklärt, Rushdies Buch könne die Gefühle religiöser Menschen verletzen. Monatelang ging die Auseinandersetzung hin und her, aber weder Schimmel noch der Börsenverein noch der damalige Bundespräsident Roman Herzog gaben den Stimmen nach, welche die Preisverleihung an sie verhindern wollten. Und Herzog wandte sich in seiner Rede bei der Preisverleihung ausdrücklich gegen den Kult der political correctness und gegen Samuel Huntingtons Szenario vom "Kampf der Kulturen".

In ihrer Rede bei der Preisverleihung in der historischen Frankfurter Paulskirche betonte Prof. Schimmel, ein Verständnis zwischen Religionskulturen sei nur möglich, wenn man die andere Kultur kenne. Sie nehme trotz aller Anfeindungen den Preis entgegen, weil sie sich allen Orientalisten, die sich dem stillen Dialog verschrieben haben, verpflichtet fühle, allen Menschen guten Willens in der islamischen Welt und "dem Werk der Verständigung, für das ich ein halbes Jahrhundert gelebt habe".

"Der Mensch ist der Feind dessen, was er nicht kennt", zitierte Annemarie Schimmel ein bekanntes griechisches und arabisches Sprichwort, und dann den hl. Augustinus: "Man versteht etwas nur so weit, wie man es liebt." Weiter beschrieb sie den besonderen Stellenwert der Dichtung, des gesprochenen und geschriebenen Wortes, in der islamischen Kultur — vom Koran über die große Tradition der mystischen Dichtung bis hin zu modernen Formen, welche auch in den politischen Bereich reichen, wie im Fall des Dichters Mohammed Iqbal, der als geistiger Vater Pakistans gilt.

Schimmel sah in dem Friedenspreis eine Ehrung für alle deutschen Orientalisten. Diese repräsentierten eine 200 Jahre lange Tradition klassischer Orientalistik; sagte sie gegenüber der Frankfurter Allgemeinen. Als Edward Said in seinem Buch Orientalism die englischen und französischen Orientalisten als Pioniere und Interpreten des Kolonialismus verurteilte; habe er dasselbe nicht von den deutschen Orientalisten behaupten können; weil sie sich — zumindest die überwiegende Mehrheit davon — aus der Politik herausgehalten hatten. Die deutsche Orientalistikschule habe immer als die Schule der klassischen Philologie gegolten.

Friedrich Rückerts Werk fortgesetzt

Annemarie Schimmel hat im 20. Jahrhundert das Werk des 1866 verstorbenen genialen Friedrich Rückert wiederbelebt und weitergeführt. Rückert beherrschte 40 Sprachen und widmete sein Leben der Übersetzung unzähliger Meisterwerke des Orients ins Deutsche — von Konfuzius und den Sanskrit-Epen bis zur arabischen und persischen Literatur. Er war dabei überzeugt davon; daß man beim Lesen insbesondere der poetischen Werke anderer Kulturen erkennen werde; daß die Sprache der Kreativität, die Dichtung; universal ist. Rückerts Motto "Weltpoesie allein ist Weltversöhnung" war das Ideal; von dem auch Annemarie Schimmel sich leiten ließ und das sie immer wieder gern zitierte.

An dieser Aufgabe arbeitete sie ein Leben lang unermüdlich. "Es gibt nichts Schöneres; als am Schreibtisch oder an einer Schreibmaschine oder in einer Bibliothek zu sitzen und zu arbeiten", sagte sie in dem erwähnten letzten Interview im Dezember 2002. Ihr Arbeitstag habe 12-13 Stunden. Und auf ihre Zukunftspläne angesprochen; antwortete die 80jährige mit einem Zitat Rückerts: "Wenn ich noch zehn Jahre leben soll; zu arbeiten hab ich genug. Wenn ich morgen sterben soll; gearbeitet hab ich genug."


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