Februar 2005:

Ein gigantischer Schwindel

Pinochet und Bush
Die Rentenprivatisierung soll weltweit im Schnellverfahren durchgesetzt werden - angefangen mit den USA. George W. Bush hat den Auftrag, das amerikanische Rentensystem zu privatisieren. Als "großes Vorbild" dient ihm dabei die chilenische Rentenprivatisierung unter dem Diktator Pinochet. Im Bild die Broschüre, die in zig-tausenden in den USA verbreitet wird.

Mit Feuereifer machte George W. Bush sich im Januar an die beiden Hauptaufgaben seiner zweiten Präsidentschaft: einen Krieg gegen den Iran vom Zaun zu brechen und das amerikanische Rentensystem zu privatisieren. Letztere Absicht taten Bush und Vizepräsident Cheney bereits auf dem Wirtschaftsgipfel des Weißen Hauses am 14.-15. Dezember 2004 kund. Die Rentengelder sind als Ersatz für die ausbleibenden ausländischen Geldflüsse in die USA gedacht. Die Dollarkrise setzt Bush enorm unter Druck - das erklärt, warum er sich in der Frage der Rentenprivatisierung derart ins Zeug legt.

Das Modell, das Bushs Berater vom Cato-Institut und anderen neoliberal-neokonservativen "Denkfabriken" der US-Regierung zur Nachahmung empfehlen, ist die Rentenprivatisierung in Chile während der Diktatur des Generals Pinochet. Am 1. Dezember 2004 sagte Bush beim APEC-Gipfeltreffen in Chile: "Chile liefert ein großartiges Beispiel einer Rentenreform."

1981, unter der faschistischen Militärjunta des Generals Augusto Pinochet, wurde das Rentensystem Chiles privatisiert. Das Konzept dazu lieferte die von Milton Friedman und Friedrich von Hayek geprägte neoliberale "Chikagoer Schule". Die 22 Mrd. Dollar der staatlichen Rentenversicherungen in Chile wurden 18 privaten Investmentfonds übergeben, die man "Rentenfondsverwalter" (Administradoras de Fondos de Pensiones, AFP) nannte.

Augusto Pinochet, der chilenische Diktator von 1973-90, der sich mit Rückendeckung des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger an die Macht putschte, muß sich demnächst vor einem Gericht für Verbrechen im Rahmen der "Operation Condor" verantworten. "Operation Condor" sorgte für die Ausschaltung jeglicher Opposition, von Gewerkschaftern bis hin zu Christdemokraten, so daß in den 80er Jahren der Weg frei war für die Art Finanz- und Sozialpolitik, welche die "Chicago Boys" und ihre Auftraggeber von Pinochets Regime erwarteten.

Arbeitsminister unter Pinochet und führender Kopf der Rentenprivatisierung war der an der Universität Harvard ausgebildete Ökonom José Pinera. Heute ist er einer der Leiter des Projekts zur Privatisierung der Sozialversicherung am Cato-Institut in den USA. Eine weitere neoliberale Heldentat Pineras war die Abschaffung des Mindestlohns.

Nachdem die Opposition in Chile zum Schweigen gebracht worden war, bombardierten Pinera und die "Chicago Boys" die Chilenen mit einer viele Millionen Dollar schweren Propagandakampagne, die "sichere Renten" versprach. Die große Zahl der Bewerber für die private Verwaltung der Rentengelder, bei denen es sich im wesentlichen um internationale Versicherungen oder Banken handelte, gebe dem chilenischen Arbeitnehmer zum ersten Male eine richtige Wahlmöglichkeit, wie und wo sie ihr Geld investieren wollten, ohne von einem staatlichen Zwangssystem bedrängt zu werden. Natürlich wurden den Renteneinzahlern hohe Auszahlungen versprochen. Sie müßten nur zustimmen, daß ab jetzt 12,5% monatlich von ihrer Gehaltszahlung einbehalten und an ihren AFP überwiesen werde, der sich dann um alles kümmere und "weise" investiere. Sehr wichtig ist, daß es anders als im alten System nun keine Arbeitgeberbeiträge mehr gab. Millionen Chilenen folgten diesem Lockruf.

Auch in Deutschland läuft die Kampagne für die "Privatrente" auf vollen Touren. Eine Gesellschaft von "Eigentümern" sollen wir werden. Lauter Millionäre! Mit solchen Medienkampagnen soll auf dem Nährboden der Eigensucht eine Ideologie gezüchtet werden, die sich auf den Nenner bringen läßt: "Wer clever ist und die nötigen Ellenbogen hat, kann reich werden. Und wenn ich reich bin, was schert mich dann gesetzliche Rentenversicherung oder das Gemeinwohl?"

Manuel Riesco vom Vorstand des privaten "Zentrums für alternative nationale Wirtschaftsstudien" (CENDA) sagte am 9. Dezember in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur EIR, das chilenische Privatrentensystem sei nach 25 Jahren eindeutig gescheitert: "Es funktioniert einfach nicht." Riesco bezog sich auf den im Januar 2004 veröffentlichten CENDA-Bericht Chile: Grundlagen für eine Reform des Rentensystems. In der chilenischen Regierung, den Gewerkschaften, den Denkfabriken und selbst bei der Weltbank und den AFPs sei man einhellig der Ansicht, daß Pineras System ein völliger Fehlschlag ist.

Die Folgen des Fiaskos: Nur 20% der 6,1 Millionen chilenischen Arbeitnehmer schaffen die Hürde, über 20 Jahre jeden Monat ihre Beiträge an die privaten Rentenfonds zu leisten. Wer keine 240 Beiträge eingezahlt hat, bekommt nicht einmal die gesetzliche Mindestrente von 110$ im Monat.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 10%. Weitere 26% der Arbeitskräfte werden der halblegalen bis illegalen Schattenwirtschaft zugerechnet. A und B zahlen nicht in das Rentensystem ein und erhalten auch nichts. Weitere 16% sind höchstens ein paar Monate im Jahr beschäftigt. Davon erwirbt so gut wie keiner einen Rentenanspruch. Diese 52% haben von dem privaten Rentensystem also gar nichts.

Die übrigen 48% zahlen zwar mehr oder weniger regelmäßig in die privaten Rentenfonds ein, aber bei 28% reicht es nicht für einen Anspruch auf die gesetzlich vorgeschriebene Mindestrente von 110$ im Monat. Sie können bei Erreichen der Altersgrenze die angesparten Gelder abheben. Wenn das Geld weg ist oder wenn sie ihre Bedürftigkeit nachweisen können, können sie theoretisch die staatliche "Sozialrente" von etwa 50$ in Anspruch nehmen. Aber die dafür vorhandenen Haushaltsmittel reichen nur für 300 000 Renten dieser Art, und die Warteliste ist lang.

Chiles privates Rentensystem ist ein gigantischer Schwindel, ein Mechanismus, wie man die Arbeitnehmer und die Volkswirtschaft als ganze ausplündern kann. Auch das kennzeichnet das chilenische Rentenmodell, das die Neocons jetzt weltweit einführen wollen: Chiles Privatrentenfonds (AFP) bestehen zu 94% aus ausländischen Finanzinteressen. Sie erheben Verwaltungsgebühren in Höhe von 25% oder mehr der eingezahlten Rentenbeiträge. Eine Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) vom Mai 2002 berichtet in Übereinstimmung mit chilenischen Experten, daß die AFPs jährlich Gebühren in Höhe von 500 Mio.$ einstreichen. Zwischen 1981 und Dezember 2000 kassierten die AFPs auf diese Weise 6,2 Mrd.$. Schätzungen der Aufsichtsbehörde der AFPs vom März 2002 zufolge fließen bis zu 32% der Einzahlungen als Gebühren oder Kommissionen direkt an die AFPs.

In der gleichen Studie ist auch davon die Rede, daß die AFPs 2001 einen Gewinn von 33,8% erzielten, der im folgenden Jahr trotz Rezession auf 50,1% stieg. Einer der größten Fonds schaffte sogar einen Gewinn von 209,8%, was den chilenischen Rechtswissenschaftler Juan Gumucio zu der Bemerkung veranlaßte, die AFPs machten mehr Geld als die Drogenhändler. Der durchschnittliche Jahresgewinn der AFPs 1997-2004 betrug 50%.

Ein Desaster ist die Rentenprivatisierung auch für den chilenischen Fiskus - die Steuerzahler: Im Jahr 2000 mußte die chilenische Regierung 41,5% aller Sozialausgaben aufwenden, um die auf den Staatshaushalt abgewälzten Defizite der privaten Rentenversicherer auszugleichen. Das sind fast 7% des chilenischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder 5,5 Mrd.$ - mehr als die Ausgaben für das Gesundheits- und Bildungswesen.


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