November 2002: |
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Bildung von Ballast befreit? - Oder wird man an Goyas Eselbilder erinnert und fragt sich, ob die Menschen nun zu postindustriellen Eseln der Spaß- und Shareholdergesellschaft gemacht werden sollen? - Der folgende Artikel soll Klarheit schaffen.
Schon lange vor der öffentlichen Bestätigung durch die PISA-Studie haben Handwerksbetriebe und Unternehmen feststellen können, daß es mit der Bildung in Deutschland dramatisch abwärts geht. Nicht nur wissen Schulabgänger immer weniger, sie sind auch immer weniger motiviert, etwas zu lernen und zu leisten. Die Auswirkungen auf den gesamten Wirtschaftsprozeß sind nicht zu übersehen. Daher ist es verständlich, daß die Wirtschaftsverbände ungeduldig eine Trendwende herbeisehnen.
Die jetzt vorgelegten schulpolitischen Forderungen der hessischen Wirtschaft werden die Erwartungen allerdings nicht erfüllen, denn sie zielen gar nicht auf Bildung im wirklichen Sinne, sondern eher auf Dressur zum Manager. So spricht die Studie auch nicht von Bildung, sondern bloß von "Profilbildung".
Diese und andere Begriffe aus der Managersprache lassen erahnen, daß man ausgerechnet diejenigen an die Verfassung des Textes gesetzt hat, die noch gar nicht mitbekommen haben, was beim Management der letzten Jahrzehnte so alles falsch gelaufen ist. Blindlings übertragen sie die üblichen betrieblichen Verfahren auf die Schule, nach dem Motto: "Wettbewerb, Autonomie und Profilbildung sind künftig unbestritten die Markenzeichen einer erfolgreichen schulischen Bildungsleistung."
Die "Kernforderungen" des 50-Seiten-Papiers lassen sich zusammenfassend so umreißen:
Schulleiter und Lehrerleistung: Die Rolle des Schulleiters ist zu stärken. Ihm ist eine deutlich stärkere Personalverantwortung und die Verantwortung für das Budget der Schule zu übertragen.
Der Schulleiter muß besondere Lehrerleistungen finanziell belohnen und zu schwache Leistungen sanktionieren können. Dazu gehören finanzielle laufbahnbezogene Auswirkungen bis hin zur Entlassung.
Finanzierung (Privatisierung): Die starre Mittelzuweisung über das Land und die kommunalen Schulträger ist zu Gunsten eines Globalbudjets der Schulen aufzugeben. Die konkrete Ausgestaltung eines modernen Finanzierungssystems an den hessischen Schulen sollte nach dem Beispiel der PISA-Siegerländer erfolgen.
Dortige Erfolgsmodelle basieren auf Abschaffung der Kameralistik und Einführung von Globalbudjets im Sinne eines New Public Managements (NPM). Kosten- und Leistungs-Benchmarking dominieren diesen Ansatz. Fakultativ treten ein Führungskonzept mit der Vergabe von Leistungsaufträgen oder ein Marktansatz mit Privatisierungen und Auswärtsvergaben mit Kontakten hinzu.
Damit ein System des NPM in Hessen funktioniert, ist ein internes strukturelles Qualitäts-Management aufzubauen, das durch entsprechend ausgebildete Schulleitungen auf der Grundlage von Schulprogrammen ausgeübt wird. Ergänzt wird dieses Management durch eine interne wie externe Evaluation in bestimmten Zeiträumen.
Abschlußprüfungen, Leistungstests: Wie die PISA-Spitzenreiter belegen, ist ein inhaltliches Qualitätssicherungssystem der Kern erfolgreicher Schulreformen. Dazu gehören fachliche und überfachliche Qualitätsstandards, Abschlußprüfungen und regelmäßige Leistungstests.
Vor diesem Hintergrund und dem Ziel, Schulabschlüsse stärker vergleichbar zu machen und damit die Aussagekraft von Zeugnissen zu verstärken, fordert die hessische Wirtschaft die Einführung von einheitlichen Prüfungen, z.B. eines Zentralabiturs.
Reform der Lehrerausbildung: Lehrer müssen in Deutschland wegkommen vom dozierenden Frontalunterricht, bei dem die Fachkompetenz Vorrang hat und die Methodenkompetenz nur stark begrenzt am Rande steht. Am Anfang der Laufbahn soll eine Eignungsprüfung stehen und während des Studiums die theoretische und praktische Ausbildung wesentlich stärker miteinander verbunden werden.
Die Lehramtsausbildung für das Fach Politik und Wirtschaft ist zu reformieren, indem betriebs- und volkswirtschaftliche sowie wirtschaftspolitische Vorlesungen und Seminare verpflichtend im Grund- und Hauptstudium gehört werden müssen. Die Absolvierung von mehreren Praxisphasen in der Wirtschaft, z.B. durch Lehrerbetriebspraktika sollte auch für die Lehramtsausbildung Gymnasium verpflichtend sein.
Ökonomische Bildung: Die hessische Wirtschaft hält an ihrer Forderung nach Einführung eines eigenen Fachs Ökonomie im gymnasialen Bildungsgang fest. Eine langfristig angelegte ökonomische Bildung sollte sogar bereits im Elementarbereich beginnen.
Die Hinführung zur Arbeitswelt ist in den Schulen praxisnah zu gestalten. Schulen müssen durch Schüler- und Lehrerbetriebspraktika und Betriebserkundungen ständig Kontakt zur Wirtschaft halten. Betriebspraktika für Schüler sollten in enger Abstimmung mit den Unternehmen durchgeführt werden.
Allgemeinbildende Fächer an Berufsschulen sollen reduziert werden.
Naturwissenschaftliche Bildung: Die hessische Wirtschaft fordert, naturwissenschaftliche Inhalte frühzeitiger und durchgängig in den schulischen Fächerkanon aufzunehmen, um das Interesse an Naturwissenschaften und die Qualität der naturwissenschaftlichen Bildung zu erhöhen.
Hochbegabte sollen gefördert werden.
Soweit die Forderungen der hessischen Wirtschaft, bei denen zwei Aspekte besonders ins Auge fallen: die aufdringliche Forderung nach Praxisnähe und der geplante Gestaltungszugriff der Wirtschaft auf die Lehrinhalte nach Maßgabe betriebswirtschaftlicher Managementmethoden. Dies macht diese Schulpolitischen Positionen - obwohl eine Reihe der darin enthaltenen Vorschläge durchaus sinnvoll sind - vom Konzept her untauglich für die Aufgabe, um die es hier geht: Nach dreißig Jahren Abwärtstrend brauchen wir nichts Geringeres als eine Renaissance desjenigen Bildungssystems, für das Deutschland einmal in der ganzen Welt berühmt war - unter heutigen Vorzeichen, versteht sich.
Das Humboldtsche Bildungssystem, das mit Willy Brandts Schulreformen der 70er Jahre abgeschafft wurde, war das bisher unerreicht erfolgreichste Modell der Welt. Sein Erfolg bestand gerade darin, daß es nicht an der späteren Berufspraxis der Schüler ausgerichtet war, sondern auf Erziehung zum Menschen, auf Charakterbildung abzielte. Es leistete neben einer soliden Allgemeinbildung genau das, was auf dem Wunschzettel der hessischen Wirtschaft ganz oben steht, nämlich die Entwicklung so löblicher Eigenschaften wie: stabile Persönlichkeit, selbständiges Lernen, Verantwortungsbereitschaft, Motivation, Zielstrebigkeit, Kreativität usw.
Das allerdings erreicht man nicht durch ein Lernprogramm, das ausschließlich nach Nützlichkeitskriterien zusammengestellt ist und nichts anderes im Sinn hat als die Heranführung an die Arbeitswelt. Auch die Naturwissenschaft hat, richtig verstanden, erst einmal gar nichts mit Nützlichkeit zu tun, sondern ist schon alleine deshalb wertvoll, weil sie die Tätigkeit des menschlichen Geistes herausfordert. Johann Gottfried Herder, ein Wegbereiter der Humboldtschen Erziehungsreform, betonte ausdrücklich den Vorrang der Allgemeinbildung vor dem Erlernen besonderer Fähigkeiten: "Was das Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewebe erheischt, muß abgesondert und nach vollendetem allgemeinen Unterricht erworben werden. Durch die allgemeine Bildung sollen die Kräfte d.h. der Mensch selbst gestärkt, geläutert und geregelt werden; durch die spezielle soll er nur Fertigkeiten zur Anwendung erschaffen haben."
Mit dieser Grundlage war der Schulabgänger (auch der Hauptschule) befähigt, sich jederlei Fachwissen in der Berufsausbildung anzueignen. Im übrigen wäre ohne dieses Bildungswesen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland mit der großen Bedeutung des Mittelstands gar nicht denkbar gewesen.
In dem Papier heißt es: "Um eine systematische und qualitativ hochwertige Vermittlung wirtschaftlicher Inhalte und Zusammenhänge zu gewährleisten, hält die hessische Wirtschaft an der Forderung nach der Einführung eines Fachs Ökonomie im gymnasialen Bildungsgang fest... und fordert betriebs-und volkswirtschaftliche Vorlesungen im Grund- und Hauptstudium der angehenden Lehrer.
Welche wirtschaftlichen Inhalte und Zusammenhänge will man denn - und dazu noch qualitativ hochwertig - vermitteln?
Wenn es überhaupt einen Grund gäbe, dieses Fach in den Schulunterricht einzuführen, dann müßte man zuallererst einmal darüber reden, welche verheerenden Fehler den gegenwärtig rapiden Verfall der Weltwirtschaft verursacht haben. Aber davon ist hier wohl nicht die Rede. Denn bis heute haben die deutschen Wirtschaftsverbände sich zu der gegenwärtigen Zusammenbruchskrise der Finanzmärkte und der Weltwirtschaft nicht geäußert. Von Blindheit geschlagen, hofft man auf den nächsten Aufschwung, und es deutet nichts darauf hin, daß man an der Spitze dieser Gremien den seit langem währenden Zerrüttungsprozeß unseres Wirtschaftsgefüges auch nur annähernd versteht.
Das Problem liegt nicht bei den Handwerksbetrieben und den mittelständischen Unternehmen. Des Übels Wurzel ist vielmehr die ruinöse Ideologie der globalisierten Shareholder Value-Gesellschaft, die räuberische Geldgeschäfte an den Finanzmärkten zur Hauptsache machte. Diese Ideologie wurde aber von den sogenannten Experten der Wirtschaft mitgetragen, die lauthals verkündete, die New Economy sei unsere Zukunft.
Und was war die Folge? Man trug diesen Irrsinn in die Schulen und veranstaltete dort Börsenkurse, die natürlich wegen der angestrebten Praxisnähe Wettbewerbscharakter haben mußten. Soll dafür nun ein eigenes Unterrichtsfach eingerichtet werden?
Wenn die Wirtschaftsverbände nicht schnellstens die groben Fehler der letzten 30 Jahre erkennen, steht auch der Fortbestand unserer gesamten mittelständischen Industrie mit dem Löwenanteil an Arbeits- und Ausbildungsplätzen auf dem Spiel.
Wollte man das in den Schulpolitischen Positionen verlangte "Qualitätscontrolling" auf das Management der Konzerne und auf Finanz- und Wirtschaftsminister anwenden, dann wären "laufbahnbezogene Auswirkungen bis hin zu Entlassungen" reihenweise angesagt.
Wir sollten das Pferd nicht vom falschen, sondern vom richtigen Ende her aufzäumen: Bringen wir lieber wirkliche Bildung in die Schulen, dann werden die zukünftigen Wirtschaftsexperten wieder wissen, wie man volkswirtschaftlichen Reichtum erzeugt und auf Dauer erhält, anstatt ihn an der Börse zu verspielen.
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