Januar 2003: |
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Parteiprogramme zu lesen, gehört sicherlich nicht zu den interessantesten Tätigkeiten. Wenn hier trotzdem auf das SPD-Programm eingegangen werden soll, dann, um klinisch zu analysieren, warum die älteste Partei Deutschlands - wenigstens momentan - unfähig ist, das Wesen und Ausmaß der Krise zu erkennen und gangbare Lösungsansätze zu formulieren.
Die Landtagswahl in Hessen findet in einer Zeit statt, in der eine Periode der jüngeren Geschichte zu Ende geht. Diese Periode begann Ende der 60er Jahre und war von zwei grundlegenden Entscheidungen gekennzeichnet: erstens, mit der Abkopplung des Dollars vom Gold die Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg zu beenden und das Bretton-Woods-System zugunsten eines deregulierten Finanzsystems aufzugeben, und zweitens, mit der Gründung des Club von Rom und Studien wie Die Grenzen des Wachstums den Übergang von der Industriegesellschaft zur nachindustriellen Dienstleistungsgesellschaft einzuleiten.
Die damals bewußt herbeigeführte Neuorientierung, für die der Aufstieg der grünen Bewegung in die Zentren der Macht Sinnbild ist, erweist sich heute als weder zukunftsfähig noch "nachhaltig". Die Finanzblasen - allen voran die jahrelang hochgejubelte Blase der New Economy - zerplatzen seit Anfang 2000 wie Seifenblasen, während Deutschland immer vehementer in den Strudel der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise hineingezogen wird: Die Arbeitslosigkeit wächst, die Zahl der Bankrotte steigt auf Rekordhöhen, die Steuereinnahmen sinken gegen Null und Bund, Länder und Kommunen ersticken unter wachsenden Schuldenbergen. Diese Entwicklung hat auch vor Hessen nicht haltgemacht.
Abkehr der SPD von ihrer Aufbautradition
In den Nachkriegsjahren wurde Hessen unter Führung des Sozialdemokraten Georg August Zinn, einer der großen Persönlichkeiten des Wiederaufbaus, zum führenden Industrieland in Deutschland. Mit Hilfe der "Hessenpläne", durch die er Schritt für Schritt die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur des Landes verdichtete, machte Zinn das Land mit seinen Exportbranchen - dem Maschinenbau und der chemischen, der feinmechanischen, optischen und elektrotechnischen Industrie - zum reichsten Flächenbundesland.
Vor diesem Hintergrund wird der völlige Bruch der SPD mit der Tradition Georg August Zinns deutlich: In ihrem aktuellen Landtagswahlprogramm Chancen einer neuen Zeit ruft sie faktisch zur Demontage der verbliebenen Industriebetriebe und zur Verwirklichung einer radikal-ökologischen Utopie auf. Es wurde offensichtlich geschrieben von Menschen, die den historischen Bezug zu den Aufbauleistungen und dem Geist, durch den sie erbracht wurden, völlig verloren haben - und die vor allem nicht verstehen, daß ohne den realwirtschaftlichen Aufbau der Nachkriegsjahrzehnte die Substanz gar nicht existierte, von der ihre Dienstleistungsgesellschaft heute noch zehrt.
Der Schlüsselsatz im Abschnitt über die Zukunftsfähigkeit der Politik lautet: "Zu unserer politischen Verantwortung gehört, daß der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen Rechnung getragen und der Gefährdung natürlicher Lebenszusammenhänge Einhalt geboten wird... Unser Ziel ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die den derzeitigen Bedarf der Menschen befriedigt, ohne die grundlegenden Ressourcen zu vernichten, auf die künftige Generationen angewiesen sind."
Völlig willkürlich wird also die These des Club von Rom von der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen zu dem Grundprinzip erhoben, das allen Politikfeldern als Maßstab zugrundegelegt werden soll. Mit dieser Parole hatte der Club von Rom nach 1973 zum Marsch in die nachindustrielle Gesellschaft geblasen. Die Prämisse seiner computergestützten Zukunftsszenarien war, daß das technische Niveau der Gütererzeugung gleichbleiben und es keine Durchbrüche in der Energie- und Produktionstechnik geben werde. Auf der Grundlage dieser willkürlichen und falschen These kam die Studie zu dem Schluß, daß die Rohstoffe ausgehen würden, wenn Produktion und Verbrauch nicht drastisch zurückgeschraubt würden. Nach den Berechnungen des Club von Rom sollten die fossilen Energieträger inzwischen weitgehend erschöpft sein - tatsächlich sind heute jedoch größere Reserven bekannt als damals!
Die Thesen sind nicht nur längst widerlegt, es wird damit auch geleugnet, daß sich die Biosphäre entwickelt und der Mensch die Fähigkeit hat, die Entwicklung der Biosphäre durch den Einsatz neuer Technologien zu beschleunigen und zu verbessern. Tatsächlich ist der Mensch das einzige Wesen, das die Basis der natürlichen Ressourcen willentlich durch die Entdeckung und Anwendung universeller physikalischer Prinzipien erweitern kann. Darin besteht seine fundamentale Freiheit.
Die Tragik der SPD
Im Abschnitt über die Zukunftsfähigkeit zeigen sich dann die konkreten Konsequenzen aus der falschen Hypothese von der Begrenztheit der natürlichen Ressoucen. Hier heißt es: "Der Verbrauch von Ressourcen und Energie muß mindestens um den Faktor 4 reduziert werden." Und weiter: "Neben dem Ausstieg aus der Atomenergie wollen wir auch die Nutzung fossiler Energieträger reduzieren." Nach der Meinung der Autoren sollen Sonne, Wind, Wasser und nachwachsende Rohstoffe an die Stelle der jetzigen Energieformen treten.
Solche Aussagen würden im Parteiprogramm der Grünen nicht überraschen. Aber hier geht es um die SPD, aus der, wie angedeutet, viele Männer und Frauen kamen, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben; die auch daran beteiligt waren, daß Deutschland eines der weltweit fortschrittlichsten Forschungs- und Entwicklungsprogramme im kerntechnischen Bereich aufbauen konnte.
Wissen die Autoren des SPD-Programms eigentlich, was sie da vorschlagen? Ist ihnen nicht bekannt, daß es einen direkten Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit und Dichte der Energie pro Flächeneinheit und der potentiellen, relativen Bevölkerungsdichte gibt? Welche Industriezweige und produktiven Betriebe würden schlicht verschwinden, weil die notwendige Technik und Energie nicht mehr zur Verfügung stünde? Auf welches Niveau würde die Bevölkerungsdichte in Hessen, in der Bundesrepublik Deutschland oder in Europa einbrechen? Und welche Konsequenzen hätte dieser Prozeß mittel- und langfristig für die Biosphäre?
Die Konsequenzen wären katastrophal. Das Programm ist eine Utopie, die eine drastische weitere Deindustrialisierung, den Absturz in neofeudale Verhältnisse und schließlich auch den ökologischen Zusammenbruch heraufbeschwören würde.
Mit einer solchen ideologischen Ausrichtung - und das ist das Tragische an der Geisteshaltung innerhalb der SPD - wird weder Deutschland noch das Land Hessen bei der Realisierung der anstehenden Aufgaben seinen Beitrag leisten können. Andererseits könnten Deutschland und ein Land Hessen in der Traditon Georg August Zinns zum Motor der wirtschaftlichen Integration von Ost und West und zur Lokomotive der Entwicklung der Eurasischen Landbrücke werden. Offensichtlich liegt es an der BüSo, diese Perspektive zu vertreten.
Michael Weißbach
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