Am 30. und 31. Oktober fand in Washington die Jahreskonferenz des Nationalrates für US-Arabische Beziehungen (NCUSAR) statt. Auf der Tagung sprachen hochrangige Vertreter arabischer Staaten sowie amerikanische Mittelostexperten und ehemalige Diplomaten, die in der Region tätig waren. Über weite Teile wurde die NCUSAR-Tagung zu einem Tribunal über die völlig gescheiterte Mittelostpolitik der Regierung Bush/Cheney, die das Ansehen Amerikas in der arabischen Welt verspielt hat.
Schlußredner der NCUSAR-Tagung war der ehemalige amerikanische Botschafter in Saudi-Arabien, Chas Freeman, der eine höchst bemerkenswerte Rede hielt, durch die man eine gute Vorstellung davon bekommt, was erfahrene, "realistische" Außenpolitiker in Amerika über die Mittelostpolitik der Regierung Bush/Cheney denken. Freeman geißelte die Arroganz und Ignoranz der Bush-Administration gegenüber den arabischen Staaten, die weder konsultiert noch um Rat gefragt werden.
So sei es zu der Katastrophe im Irak gekommen, deren politische und militärische Konsequenzen noch über die des Vietnamkrieges hinausreichten. Freeman stellte die Frage: Welches Land fällt in ein anderes Land ein, setzt es in Flammen und überläßt es dann seinem Schicksal, damit dessen Bevölkerung verbrennt oder an Rauchvergiftung stirbt? Weder über die Invasion 2003 noch über den jetzt unvermeidlichen Abzug hätten mit den Nachbarn des Irak ernsthafte Konsultationen stattgefunden. Dann befaßte sich Freeman mit dem Schlüsselproblem des Mittleren Ostens - dem israelisch-palästinensischen Konflikt - und der Haltung, die die USA dazu einnehmen:
"Lassen Sie mich zum Schluß kurz das Thema Israel anschneiden, ein Land, das noch als Teil des Nahen Ostens angesehen werden muß. Seine Unfähigkeit, Frieden mit den Palästinensern und den Arabern zu finden, ist die treibende Kraft hinter der Radikalisierung und dem Antiamerikanismus in der Region. Die talentierten europäischen Siedler, die den Staat Israel gründeten, gaben ihm eine substantielle intellektuelle und technologische Überlegenheit gegenüber jeder anderen Gesellschaft im Nahen Osten. Die Dynamik der israelischen Einwandererkultur und die großzügige Hilfe der jüdischen Diaspora verschafften dem Land bald einen Lebensstandard, der dem der europäischen Länder entsprach. 50 Jahre lang genoß es eine militärische Überlegenheit in der Region. Israel hat demonstriert, daß es hervorragend in der Kriegsführung ist; leider zeigt es kein Talent zum Frieden.
Seit fast 40 Jahren hat Israel - jenseits seiner zuvor festgelegten Grenzen - Land, das es gegen einen Frieden tauschen könnte. Es war nicht in der Lage, diesen Tausch zu machen, solange ein solches Geschäft nicht von den Vereinigten Staaten ausgearbeitet, durch amerikanischen Druck durchgesetzt und mit dem Geld des amerikanischen Steuerzahlers aufrechterhalten wird. Im letzten Jahrzehnt hatte Israel einen Blankoscheck der Vereinigten Staaten dafür, mit jeder Politikvariante zu experimentieren, um seine Beziehungen zu den Palästinensern und den anderen arabischen Nachbarn zu stabilisieren, einschließlich seiner Versuche, den Libanon in eine friedliche Koexistenz hineinzubomben und die palästinensische Demokratie in der Wiege zu ersticken.
Daß die unabhängige Ausübung des amerikanischen Urteils darüber, was für unsere Interessen und die der Israelis und Araber am besten wäre, nicht mehr stattfand, hat dazu geführt, daß die Araber ihr Vertrauen in die Vereinigten Staaten als Partner des Friedens verloren. Man muß ihnen zugute halten, daß sie deshalb mit einem eigenen Vorschlag für einen umfassenden Frieden hervorgetreten sind. Im traurigen Gegensatz dazu hat die amerikanische Entscheidung, Israel das Kommando im Nahen Osten zu überlassen, gezeigt, wieviel Angst die Israelis heute vor ihren arabischen Nachbarn haben und wie sehr sie diese Furcht zögern läßt, eine respektvolle Koexistenz mit den übrigen Völkern in der Region zu riskieren. Die Resultate dieses Experiments sind bekannt: Auf seine eigenen Mittel angewiesen, wird das israelische Establishment Entscheidungen treffen, die die Israelis selbst schädigen, alle in Gefahr bringen, die mit ihnen verbunden sind, und diejenigen wütend machen, die es nicht sind.
Tragischerweise hat Israel es trotz aller Chancen und Gelegenheiten in den 59 Jahren seiner Existenz versäumt, mit irgendjemandem in der Region Eintracht und Versöhnung zu erreichen oder gar dessen Bewunderung oder Sympathie zu gewinnen. Statt dessen ist Israels Verhalten mit jedem Jahrzehnt weiter von den humanen Idealen seiner Gründer und dem hohen ethischen Anspruch der Religion, zu der sich die meisten seiner Bewohner bekennen, abgewichen. Israel und insbesondere die Palästinenser sind gefangen in einem endlosen Zyklus der Rache und der Vergeltung, der die Fortsetzung des Konfliktes garantiert, indem das Ausmaß der gegenseitigen Greueltaten weiter eskaliert. Infolgedessen hat jede Generation der Israelis und Palästinenser neue Gründe angesammelt, das Verhalten der anderen Seite zu verabscheuen, und jede Generation der Araber hat Israel mit noch größerer Leidenschaft gehaßt als die Generation vorher. So macht man keinen Frieden. Auch hier ist ein Bruch mit der Vergangenheit und ein Wechsel des Kurses eindeutig angezeigt.
Der Rahmen, der 2002 in Beirut von Saudi-Arabiens König Abdullah vorgeschlagen wurde, bietet Israel die Gelegenheit, beides zu erreichen. Er hat die Unterstützung aller arabischen Regierungen. Mit ihm würde die Akzeptanz der Existenz Israels durch die Araber und ein sicherer Platz für den jüdischen Staat in der Region eingetauscht gegen die israelische Anerkennung der Palästinenser als Menschen mit gleichem Status in den Augen Gottes, die das gleiche Recht auf demokratische Selbstbestimmung und inneren Frieden in gesicherten Grenzen haben, wie es die Israelis genießen wollen. Bei dem Vorschlag wird vom eigenem Interesse ausgegangen. Es wird erkannt, wieviel die Araber von normalen Beziehungen zu Israel profitieren würden, wenn die notwendigen Voraussetzungen für gegenseitige Achtung und Versöhnung geschaffen werden können.
Trotz der Tatsache, daß ein solcher Frieden offensichtlich auch im vitalen und moralischen Interesse Israels liegt, deuten die Geschichte und die bisherige Reaktion Israels stark darauf hin, daß es ohne sehr kräftiges Zureden der Amerikaner, insbesondere der amerikanischen Glaubensgenossen Israels, die Unwägbarkeiten eines Friedens nicht riskieren wird. Es wird vielmehr - trotz aller Beweise des Gegenteils - an der Überzeugung festhalten, daß es, anstatt mit seinen Nachbarn zu verhandeln, durch offiziell sanktionierte Morde an potentiellen Gegnern, das Terrorisieren arabischer Zivilisten und Clusterbombardements gegen seine Nachbarn Sicherheit gewinnen wird...
Wenn wir die Meinungen und Interessen unserer Partner nicht beachten, sollten wir nicht überrascht sein, wenn wir feststellen müssen, daß wir ihre Freundschaft und Kooperation verloren haben. Ohne diese beiden Dinge können wir nicht hoffen, mit den Folgen der ganzen Reihe politischer Katastrophen, die wir zustande gebracht haben, umzugehen und sie zu überwinden oder ein neue und wirksame Politik zu erdenken. Und wir werden hier, wie unsere Freunde in der Region und anderswo, weiter den Preis für dieses Versagen bezahlen müssen - und zwar einen teuren Preis. Wir dürfen nicht zulassen, daß es dazu kommt."
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