Die Ausstellung war mit einem hohen Anspruch zusammengestellt worden. Dem Besucher sollte ein Eindruck von den engen und intensiven Einflüssen der drei Kulturkreise vermittelt werden. Konnte dieser Auftrag erfüllt werden? Ich glaube - nicht wirklich. Der Ausstellung als ganzer fehlte der Fokus und die Perspektive.
Und da Ägypten der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Ausstellung war, war natürlich entscheidend, von welchem Ägypten-Bild die Ausstellung ausging. Nach dem Brauch des britischen Kolonial- und Imperialdenkens wurde Ägypten in den Publikationen und Audio-Texten mit den altbekannten Attributen exotisch, mysterienumwoben, geheimnisvoll, unergründlich, magisch, u.ä. belegt.
Was Ägypten im 7. und 6. Jh. für die großen griechischen Geister so anziehend machte, war sein Ruf als "Supermacht der Wissenschaft". Wenigstens in den besten Perioden ihrer Geschichte war die Elite davon beseelt, die Gesetzmäßigkeiten des Universums zu entdecken und die Fähigkeiten des menschlichen Geistes zu ergründen. Nicht zuletzt die Pyramiden von Giza und die Entwicklung der Sprache und Schrift sind ein bleibendes Zeugnis dieses wissenschaftlichen ägyptischen Geistes. Dieser entscheidende Aspekt der ägyptischen Kultur war jedoch in der Ausstellung komplett ausgeblendet.
Da die Ausstellung einen langen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren überblicken wollte, gab es ein anderes Problem, das nicht gelöst wurde: In einem solchen Zeitraum durchläuft keine Kultur und auch keine Beziehung mehrerer Kulturen einen linearen Prozeß. Kulturelle Blütezeiten wechseln sich ab mit Perioden kulturellen Zerfalls. Kulturen sind in erster Linie Entwicklungsprozesse geistiger "Ideen-Massen", die sich niederschlagen in Kunstwerken, Erfindungen, Bauten und Bautechniken, Veränderungen von Lebens- und Verhaltensgewohnheiten. Die Frankfurter Ausstellung hingegen bewegte sich auf der Ebene der Phänomenologie. Die ausgestellten Objekte wurden kommentiert, einigermaßen erklärt, aber es wurde nur ganz selten versucht, den langwelligen Prozeß "hinter den Objekten" zu erläutern.
Ja, es mag richtig sein, daß "man in Rom und seinen Provinzen der ägyptischen Kultur nicht zuletzt wegen ihres hohen Alters eine besondere Bewunderung entgegenbrachte." Aber sie "galt als Hort einer in Jahrtausenden erworbenen, letztlich unergründbaren Weisheit und somit als Gegenpol einer wissenschaftlich fundierten, rational orientierten Weltanschauung." (Zitat aus der Einleitung des Handbuchs, das jeder Besucher mit auf den Weg durch die Ausstellung an die Hand bekam. - Herv. MiW) Wenn das so überhaupt Sinn macht, so ist ja Rom nicht gerade wegen seiner eigenständigen kreativen wissenschaftlichen oder kulturellen Leistungen in die Geschichte eingegangen. Rom, vor allem in der Epoche seiner imperialen Ausdehnung, war vor allem eine Macht im Kopieren und Ausschlachten der Entdeckungen anderer.
Im Gegensatz dazu war für viele Griechen Ägypten ein Hort der Wissenschaft, wo über lange Zeiträume Wissenschaftler und Priester Methoden der Wahrheitsfindung entwickelten und diese an die Nachkommen und interessierte Menschen anderer Kulturkreise weiterzugeben gewillt waren. Das gilt für Bereiche menschlichen Forschens von Geometrie, Mathematik und Landwirtschaft bis hin zur Geographie, Historiographie, Medizin, Sphärik und Astronomie. Im 7. und 6. Jh. wurde Ägypten zur Hauptquelle einer neuen wissenschaftlichen Elite, die sich vor allem in Ionien und im griechischen Mutterland herausbildete, aus der der freie griechische Geist Anregung und Nahrung schöpfte. Die ägyptischen Wissenschaftspriester müssen in der Zeit der Saiten-Renaissance (25. Dynastie) begeistert gewesen sein über die jungen griechischen Männer, die aus Athen, Syrakus, Milet, aus Samos oder Harlikarnassos voller Wissensdurst und Tatendrang zu ihnen kamen.
Der griechische Geschichtsschreiber Diodorus Siculus aus Sizilien war einer der letzten, der um 67 v.Chr. in der großen Bibliothek von Alexandria arbeiten und studieren konnte, bevor diese kurze Zeit später von einer ersten Zerstörungswelle der römischen Angreifer unter Cäsar erheblich zerstört wurde. Er berichtete, daß die Ägypter genaue Aufzeichnungen darüber angelegt hatten, welcher griechische Gelehrte sich wann und wo in Ägypten aufgehalten hatte. Seine Liste ist lang und geradezu ein Who is Who der griechischen Geistesgeschichte. Sie beginnt mit Homer (!), später folgen ionische Naturwissenschaftler wie Thales von Milet, im 6. Jh. Solon von Athen und Pythagoras. In dieser Zeit wurde nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch strategische Allianz zwischen Griechenland und Ägypten gegen das persische Reich gesucht und gefunden. Im 5. Jh. sind es Herodot und Hekataios, die Ägypten bereisten und teilweise begeistert darüber berichteten. Im 4. Jh. setzten vor allem Platon und wichtige seiner Mitarbeiter in der Platonischen Akademie, u.a. Eudoxus und der Arzt Chrysipp, diese Tradition fort. Sie machten sich auf den Weg, um von den ägyptischen Priester-Wissenschaftlern zu lernen.
Wenn wir den Zeitraum seit dem 7. Jh. und seine vielfältigen Beziehungen zwischen Griechenland und Ägypten als Ganzes überblicken - ist es da vermessen, die Hypothese aufzustellen, daß Alexander der Große gewissermaßen die Erfüllung der griechisch-ägyptischen Bestrebungen repräsentierte? Erfährt er doch von seinen ägyptischen Partnern, vor allem auch von den Priestern des lybisch-griechischen-ägyptischen Amon-Tempels der Oase Siwa offensichtlich moralische Unterstützung und erhält wissenschaftliche Anregungen für die Realisierung eines wahrhaft welthistorischen Grand Designs - der Schaffung eines euro-asiatischen Kultur- und Wirtschaftsraums vom Atlas über das gesamte Mittelmeer bis hin nach Indien (oder gar China?). Und ist es Zufall, daß nach der tragischen und frühen Ermordung Alexanders in der von ihm gegründeten Stadt Alexandria in Ägypten, sozusagen als sein Vermächtnis, eine "Wissenschaftsstadt" und Handelsmetropole entstand, die unter der Herrschaft der Ptolemäer schnell eine halbe Million Menschen beherbergte?
Diese geistige und strategische Sonderbeziehung zwischen Griechenland und Ägypten erläutert die Ausstellung noch nicht einmal im Ansatz. Im Katalog heißt es nur: "Auf die griechischen Reisenden des 5. und 4. Jh., unter ihnen Herodot, den Vater der europäischen Geschichtsschreibung, übten die ihnen fremdartig erscheinenden Bräuche der Ägypter eine besondere Faszination aus. Ägypten hingegen verwahrte sich vehement gegen äußere Einflüsse und öffnete sich erst 332 v. Chr. mit der Eroberung durch Alexander den Großen der Kultur Griechenlands." Tatsache ist, Alexanders Wirtschafts- und Kolonisierungspolitik schaffte die Voraussetzung für eine signifikante Erhöhung der Bevölkerungsdichte im Vorderen Orient, für die Durchdringung des östlichen Mittelmeerraums bis nach Indien von griechisch-ägyptischem Denken. Dieser Kolonisierungsprozeß bereitete auch den Boden für die Ausweitung des Christentums in der hellenisierten Welt in den folgenden Jahrhunderten.
Sicherlich gehört es auch zu den Entdeckungen der Ausstellung, das die Entwicklung der griechischen Skulptur im 7. und 6. Jh. nur von den Anregungen der griechischen Händler, Handwerker und Künstler herrühren kann, die sie aus Ägypten mitbrachten. Die archaische Skulptur der Kouroi/Jünglinge sind so unübersehbar ägyptischen Ursprungs, wie ihre Weiterentwicklung das Ergebnis des wieder erwachten griechischen Geistes jener Zeit ist. Zu nennen ist auch der Einfluß bautechnischer und technologischer Errungenschaften, die die Griechen aus Ägypten mitbrachten. Der Parthenon von Athen, die Monumentalskulpturen der klassischen Periode Griechenlands sind ohne die Techniken nicht denkbar, die die Griechen erstmals in Ägypten bewundern und erlernen konnten.
Wäre es also nicht an der Zeit, dieses große Kapitel der Universalgeschichte endlich offen aufzuschlagen und mit neuen Hypothesen, Inhalten und Ideen zu füllen? Die Schriften Lyndon LaRouches bergen für die junge Forschergeneration jede Menge Anregungen zu neuen Forschungen und Entdeckungen.
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