April 2005:

Zur Verteidigung des Christentums

Von Lyndon LaRouche Zum Tode von Papst Johannes Paul II.

Helga Zepp-LaRouche und Johannes Paul II.
Papst Johannes Paul II. Mitte der 80er Jahre bei einer Generalaudienz auf dem Petersplatz. Helga Zepp-LaRouche besuchte den Heiligen Vater mehrmals in Rom, unser Bild zeigt die erste Begegnung. Später, während der politischen Gefangenschaft Lyndon LaRouches (1989-94), bat sie Johannes Paul II. um Unterstützung dabei, die Freilassung ihres Mannes zu erreichen.

Vor etwa einer Stunde erhielt ich die Nachricht, daß Papst Johannes Paul II. gestorben ist. Vor einigen Tagen hatte ich begonnen, eine Rezension der englischsprachigen Ausgabe des Buches Erinnerung und Identität (das auf Gesprächen mit dem Papst beruht und von ihm autorisiert wurde) zu schreiben. Ich wartete mit der Fertigstellung der Besprechung ab, aus dem betrüblichen Gefühl heraus, daß diese Tage sich als die letzten seines sterblichen Lebens erweisen könnten. Ich hielt sozusagen inne, um diesem Papst das letzte Wort zu lassen.

Trotzdem habe ich an dem bereits Geschriebenen nichts geändert, sondern ihm nur den angemessenen Rahmen gegeben, um meiner eigenen Trauer und der anderer um unseren gemeinsamen Verlust Ausdruck zu verleihen. Wie die Überschrift zeigt, hat diese Buchbesprechung die Form von Gedanken über die Mission dieses Papstes für die Beständigkeit des apostolischen Erbes der christlichen Kirche auch über sein Ableben hinaus.

Wie ich bei der Arbeit an dieser Schrift gleich befürchtete, ist es in diesem Augenblick für mich an der Zeit, aus meinem besonderen Wissen und meiner Stellung im Weltgeschehen heraus offen über bestimmte Fragen zur Rolle der Kirche zu sprechen - Dinge, die mich seit langem im Innersten beschäftigen.

Einen früheren Punkt der Kritik an dem fraglichen Buch muß ich auch zu diesem erhabenen Anlaß äußern. Ich tue das, weil meine Kritik sich darauf bezieht, wie das außergewöhnliche Erbe der maßgeblichen drei - Johannes XXIII., Paul VI. und Johannes Paul II. - der letzten vier Päpste dieses sorgenvollen Kernwaffenzeitalters, mit dessen Gefahren wir weiterhin leben, von einem Nachfolger fortgeführt werden wird.

Als jemand, der außerhalb der Strukturen der Kirche steht, dieser jedoch eng verbunden ist, geht es mir um eine ökumenische These zum lebendigen Erbe der fortdauernden besonderen Rolle des Papsttums für die ganze Menschheit. Meine Kritik bezieht sich auf ein bestimmtes Thema in dem Buch, die sogenannte "Aufklärung". Ich weiß, daß diese Aufklärung von ihrem Wesen und ihren Folgen her eine Art Satan der Neuzeit ist. Sie ist der wichtigste Einfluß auf alle wesentlichen Kräfte, die gegen die in der Mission Jesu Christi und seiner Apostel verkörperten Absichten aufgeboten werden.

Insbesondere für alle Christen, Juden und Moslems sind die Axiome der Doktrin der "Aufklärung" gleichbedeutend damit, grundsätzlich zu leugnen, daß die Menschen als Abbild des Schöpfers geschaffen sind. Als Folge dieser falschen Grundannahme der Aufklärung, wie sie solche Nachfolger des Empiristen Paolo Sarpi wie Thomas Hobbes, René Descartes, John Locke, die Kreise Voltaires und Kants betrieben, wird die wißbare Existenz der Schöpferkraft nach dem Bilde des Schöpfers, die die menschliche Persönlichkeit von allen Tieren unterscheidet und über sie erhebt, geleugnet.

Diese Eigenschaft, die alle Menschen auszeichnet, bildet die Grundlage der sokratischen und christlichen Vorstellung von der wirkenden Unsterblichkeit der geistigen Persönlichkeit des Menschen in der "Gleichzeitigkeit der Ewigkeit", wie es einige Theologen nennen. Es ist das sichere Gefühl, unsterblich zu sein, was auch immer geschieht - das Shakespeares Hamlet fehlt. Doch diese Unsterblichkeit (oder "Spiritualität") gab den christlichen Märtyrern in der Zeit von Nero bis Diokletian Kraft, und sie ist es, die alle Christen zu einer Kraft verbindet, die dem Ziel nach für den einzelnen Christen die Grenzen der Sterblichkeit übersteigt. Das unterscheidet die Operettenfigur des "fundamentalistischen Christen" mit seinen Fantasien von der anderen Welt von der wahren unsterblichen Seele, die sich in der Welt des Sterblichen für das Gute einsetzt.

Das ist es, was mir die Kraft gegeben hat, die ich oft brauchte, um zu tun, was ich getan habe, weil es richtig war, und dabei zu bleiben ohne Rücksicht auf Angst oder Ablehnung oder auf die Vorahnung der Risiken oder Beschimpfungen, die ich auf diese Weise oft als Preis des Gewissens erlitt.

Doch leider ist es eine Tatsache, daß nur ein winziger Teil selbst der bekennenden Christen diese innere geistige Stärke besitzt. Infolge dieser mangelnden Fortschritte unserer Mitmenschen ist also das Wohlergehen der Menschheit, die Hoffnung auf einen guten Ausgang der gegenwärtigen Geschichte der Nationen und der Menschheit im allgemeinen eine Aufgabe für wahre Hirten und Menschenführer wie den verstorbenen amerikanischen Helden, Reverend Martin Luther King. Es ist die Pflicht solcher Menschen, das Wissen, das uns nur eine solche Gewißheit wahrer Unsterblichkeit liefern kann, weiterzugeben - in der Form von Mut, zu tun, was um der Zukunft der Menschheit willen getan werden muß.

Dies ist für die inneren Angelegenheiten der christlichen Kirche ebenso wichtig wie für alle anderen Angelegenheiten des sterblichen Lebens.

Die meisten Menschen definieren sich selbst in ihrer geistigen Haltung und ihrem praktischen Handeln als "kleine Leute". Sie klammern sich ängstlich an ihr sterbliches Leben, ihre Empfindung von Lust und Schmerz innerhalb eines, wie sie meinen, kurzen, sterblichen Daseins. Damit fliehen sie aus der wirklichen Welt der Gleichzeitigkeit der Ewigkeit in die Schattenwelt, vor deren verlockenden Trugbildern uns der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief 13 warnt. Für solche kleinen Leute ist daher das Reich des Geistes, das tatsächlich die wahre Quelle von Macht über das Universum darstellt, nur eine unbeschreibliche "andere Welt", eine Fantasiewelt, in die sie vielleicht nach dem Tod versetzt zu werden glauben. Es ist für solche armen Kerle eine eingebildete Welt, in der "Gott für meine Gesundheit sorgen und meine Miete zahlen wird". Eine Fantasiewelt armer Narren, eine nichtexistente Welt ihrer gequälten, vergeblichen Einbildung, eine Welt, wo ihre erbärmliche kleine Fantasie ihre Leidenschaften gefangenhält.

Wir mögen uns nach besseren Zeiten sehnen, wo die meisten unserer Mitmenschen nicht mehr so erbärmliche Narren sind, aber heute, in der wirklichen Welt jenseits der Sinneswahrnehmung, muß das Gemeinwohl der Menschheit auf eine Zukunft zielen, in der eine solche bedauernswerte Seelenenge wie diese nicht mehr die vorherrschende Wirklichkeit ist. Angesichts solcher moralischer Schwäche der Mehrheit unserer Menschheit sind wir in der organisierten Gesellschaft auf eine Führung mit bestimmten Vorzügen angewiesen. Daher braucht die Christenheit genauso wie jede moderne nationalstaatliche Republik eine formelle Körperschaft mit einer Führung, die sich ihrer Unsterblichkeit gewiß ist, damit sie die Menschheit möglichst sicher von einer Generation der Torheit zur nächsten führt, bis wir eines Tages hoffentlich an einer Stelle im großen Plan angelangt sind, wo jeder Mensch seine Unsterblichkeit begreift.

In ihrer Lebenszeit und auf ihre Art haben sich drei Päpste, deren Wirken ich bewundere, den schrecklichen Folgen des Kernwaffenzeitalters gestellt, und das in einer Art und Weise, die bisher notwendig und ausreichend war, um das ihnen übergebene geistliche Amt aufrechtzuerhalten. Das ist für mich, der ich mich in den letzten Jahrzehnten in der Rolle des Staatsmannes fand, eine Tatsache, die sich mir persönlich häufig ohne viel Vorwarnung stellte. Ich wußte, daß diese Päpste nicht die Welt regierten, und das ist auch nicht ihre Aufgabe; aber ohne das, was sie getan haben, wäre es mehr als denkbar, daß die Zivilisation nicht bis heute überlebt hätte. In diesem Lichte ist das Gefühl, das uns ergreift, wenn wir an die Frage der Nachfolge dieses Papstes denken, furchterregend.

Die größte Gefahr, die jetzt vor uns liegt, ist die klassische tragische Möglichkeit, daß die Menschheit sich nicht zu der nötigen umfassenden Änderung der gegenwärtigen Politik durchringt, ohne die zivilisiertes menschliches Leben nicht weiter existieren kann. Das wäre ein schrecklicher Zustand auf unbestimmte Zeit.

Obwohl ein wieder auferstehender Faschismus, gefördert von einflußreichen Finanzkreisen, heute wieder eine der großen Gefahren für diesen Planeten darstellt, waren weder der Faschismus als solcher noch der Kommunismus jemals die größte einzelne Gefahrenquelle für die moderne Menschheit. Diese war und ist der oft so gelobte, weitverbreitete Einfluß jener unheimlichen Praxis bösartiger Sophisterei, die gewöhnlich "Aufklärung" heißt - für die beispielhaft ist, daß die Nachfolger des Venezianers Paolo Sarpi leugnen, daß es so etwas gibt wie das, was die Wissenschaft der Pythagoräer, Platons, der Renaissance des 15. Jh., Keplers und Leibniz' erkannte: die außergewöhnliche Fähigkeit des Menschen, universell wirkende Prinzipien des Universums eines lebendigen Schöpfers zu entdecken, ihnen zu folgen und sie anzuwenden. Dieses Leugnen oder agnostische Ausweichen vor der Frage der Seele, das sich axiomatisch in der "Aufklärung" ausdrückt, ist wirklich die größte Quelle des Übels in den politischen und ähnlichen Mächten dieser Welt heute.

Das Übel, für das die Weltsicht der Aufklärung steht, nimmt häufig die Form eines Pseudo-Christentums an, das die Schöpferkraft des Menschen leugnet und daher die religiöse Anbetung außerhalb des von Gott regierten Universums verlegt: in ein gnostisches Universum wie das von Mont-Pèlerin-Guru Bernard Mandeville und dessen Nachfolger Adam Smith, wo das Laster das Verhalten der Menschen regiert.

Doch obwohl die katholische Kirche zu recht wiederholt vor der Aufklärung gewarnt hat, gibt es heute in religiösen Körperschaften und verwandten Kreisen Leute, deren Angst vor der Macht hinter den imperialen Verfechtern des "vorbeugenden Atomkriegs", nämlich den von der Finanzoligarchie gelenkten Kreisen um Präsident George W. Bush und den liberal-imperialen Premierminister Tony Blair - stärker ist als ihr Gewissen. Ängstliche Menschen dieser Zeit könnten in ihrer Angst vor Armut und Verfolgung eine Kapitulation der Kirchen vor der furchterregenden, korrumpierenden Macht der "Glaubensbasierten Initiative" (der Regierung Bush) oder der liberalen Lehre im Sinne der satanischen Aufklärung wünschen. Diese Kapitulationsdoktrin, die seit 1989-92 manchmal als utopisches "Ende der Geschichte" beschrieben wird, macht aus den Hamlets unserer Zeit in Regierungen, Kirchen und anderswo in einem Großteil der Welt Feiglinge.

Das Böse wird aus einer solchen feigen Verderbtheit keinen Sieg zum eigenen Vergnügen ziehen. Ich kann nachweisen, daß die gegenwärtige Weltordnung, auf der die Macht des heutigen Geldübels beruht, inzwischen so oder so zum baldigen Untergang verdammt ist. Wir sind in eine Zeit gekommen, in der sich ein derartiges Übel zumindest selbst mit zerstören muß.

Deshalb stellt sich uns die Frage: Was ist die Alternative dazu, solchen Ängsten nachzugeben? Es gibt praktische Lösungen, selbst noch heute, wo eine allgemeine Zusammenbruchskrise des ganzen Währungs- und Finanzsystems der Welt auf uns einstürmt. Die Frage ist nur: Haben wir auch den Willen, diese Alternativen zu ergreifen?

Während des längsten Teils der 80er Jahre erfreute ich mich einer engen Zusammenarbeit mit vielen Kreisen der Welt, darunter vielen angesehenen Kardinälen und anderen Würdenträgern der katholischen Kirche. Damals hofften wir, die sowjetische Regierung würde sich für den weiseren Weg entscheiden, um ihre sonst unmittelbar bevorstehende wirtschaftliche Selbstzerstörung zu vermeiden. Diese Sicht - ermutigt durch Präsident Ronald Reagans Angebot der Strategischen Verteidigungsinitiative an die sowjetische Regierung - sorgte in vielen führenden kirchlichen und anderen Kreisen für Optimismus hinsichtlich eines friedlichen Wandels, ganz besonders in den Jahren 1982-85, aber auch danach. Später lieferten die Bemühungen Johannes Paul II. um einen Frieden unter den Religionen einen verhältnismäßig schwächeren, aber doch entscheidenden Anreiz.

Aus allen diesen und ähnlichen Erfahrungen meines Lebens wie aus vergleichbaren Lehren aus der früheren Geschichte heraus weiß ich, daß es nicht die Angst vor dem Bösen ist, was die Menschheit vor einer neuen großen Torheit bewahrt, sondern ein klarer und optimistischer Blick auf die entsprechende hoffnungsvolle und reale Alternative. Es ist die Pflicht wahrer Führung, diese Lösung darzustellen. So gesehen waren die genannten drei Päpste der jüngeren Zeit zu ihren Lebzeiten von entscheidender Bedeutung. Was sollten wir nun, da sie einer nach dem anderen von uns genommen wurden, als nächstes tun?

Dies sind Zeiten, die, wie ein großer Amerikaner einmal sagte, die Seelen der Menschen auf die Probe stellen. Ich möchte behaupten, daß der erste Schritt darin besteht, zu wissen, daß man eine Seele hat. In dieser Hinsicht besteht ein entscheidender Unterschied zwischen denjenigen, die nur gelernt haben, sich eine Seele zu wünschen, und denjenigen, die sich ihrer Seele bewußt sind und selbstreflexiv kommunizieren. Unter letzteren müssen wir unsere fähigen Staatsmänner für Zeiten schwerer Krisen finden; leider sind es zu wenige, und selbst von diesen erlaubt man nur wenigen, in Ämter zu gelangen, von denen aus sie ihre Führungsrolle wahrnehmen können. Diese bange Frage stellt sich heute mit der betrüblichen Nachricht aus dem Vatikan erneut.

Es gibt eine Kraft im Universum, die der einzelne menschliche Geist mit seiner Schöpferkraft erkennen kann. Wer den Mut hat, diese Kraft zu erkennen und ihren Anweisungen zu folgen, verkörpert damit den Fortbestand der würdigen Institutionen, die sterbliche Menschen bewohnen. Ein solcher Mensch in der Gesellschaft zu werden, ist der Kern dessen, was Leibniz "das Streben nach Glückseligkeit" nannte - jener Grundsatz, auf dem die Vereinigten Staaten als Republik gegründet wurden. Wenn Menschen, die ihr Leben einer solchen Führung gewidmet haben, sterben, trauern die Überlebenden. Für die Trauernden kann schon diese Trauer an sich eine schöpferische Handlung sein. Möge es jetzt so sein.


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