Oktober 2006:

Der Wahrheit die Ehre!

Ein Glückwunsch zum 90. Geburtstag von Robert Becker

Buchumschlag und Bild von Robert Becker
Robert Becker feiert am 26. Oktober 2006 seinen 90. Geburtstag. Anno Hellenbroich schreib die nachfolgende Würdigung.

Hier der Buchumschlag seines Werks über die vergessene 'Judenschutztruppe' das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold mit einem Foto, das bei einem Treffen in Offenbach aufgenommen wurde (kleines Bild).

Vor wenigen Wochen klingelte um die Mittagszeit das Telefon. Robert Becker war am Apparat. Nach nur wenigen Sätzen waren wir mitten im politischen Disput. Begleitet von seinem charakteristischen verschmitzten Auflachen wollte er wissen, was mit unserer Zeitung los ist, welchen aktuellen Kurs wir da steuern. Unversehens waren wir in der Diskussion über die Lage in den USA. Wir kamen auf die Arbeit der achtziger Jahre zu sprechen, die sorgfältigen Ausarbeitungen damals über das "grüne Projekt". Rasch war die Zeit vergangen, eine Stimme mahnte, daß schon länger das Mittagessen wartete. So ist Robert Becker.

Apropos "Grüne" oder "Wie werden politische Bewegungen gemacht?": Aufgrund seiner langen politischen Erfahrung, vor allem in der Kriegs- und Nachkriegszeit, hat Becker ein feines Gespür für die politischen Manöver ideologischer Herrschaftsausübung. Seine vierjährige Haft im sowjetischen Gefangenenlager hat viele seiner Eindrücke über Menschen und kommunistische Ideologie tief in ihm verankert. Gerade das "Anpasserische", in neuem politischem Klima "neu Sichhervortunmüssen", ist ihm beim politischen Führungspersonal zuwider. Eine kleine Passage aus dem Anfang eines Artikels über den damals gerade gekürten Innenminister Otto Schily "Vom Terroristenanwalt zum Innenminister" kommt mir in den Sinn:

"'Danke, Herr Schily, daß Sie unsere Ängste und Sorgen ansprechen', schrieb eine Frau am 24. November 1998 zur Meldung 'Schily: Kein weiterer Ausländerzuzug möglich' an die Bild-Zeitung. Das war ein Geniestreich des jetzigen Bundesministers des Inneren Otto Schily, der mit diesem populistischen Schulterschluß zu konservativen und schlimmeren Kreisen seine staatsverderbliche Vergangenheit ohne Reue und ohne Scham mit einem einzigen Coup zudecken möchte. Hatten nicht er und seine Kumpane stets jeden gekreuzigt, der nur ähnliche Gedanken äußerte wie er heute?" So zeichnet Robert Becker mit wenigen kräftigen Strichen die politische Ranküne eines Herrn Schily, unterstützt von wirkungsvollem Zitat.

Das ist eine Spezialität Beckers: Sein Auge erspäht jede berichtete Aussage seines politischen Widersachers - sei sie noch so winzig - und archiviert sie. Dabei sind es nicht so sehr die Skandalgeschichten der Regenbogenpresse, die seine Aufmerksamkeit erregen. Sondern es sind solche Vorfälle, Zitate, Aussagen, die schlaglichtartig die Wendemanöver, die Heuchelei, die politische Opportunität des Gegners bloßstellen.

Robert Becker ist Sozialdemokrat durch und durch, hat aber aufgrund der Wendemanöver der SPD ("neue Ostpolitik") die Partei vor Jahren verlassen. In einem Interview im August 2003 zu seinen persönlichen Erfahrungen der Zeitenwende von der Weimarer Republik zur Nazidiktatur schildert er seine Jugendzeit in Offenbach, die ihn prägte, so: "1930 war ich 14 Jahre alt. Wir wohnten neben der Fahrradfabrik Frischauf. Sie gehörte dem Arbeiterradfahrerbund Solidarität, einem riesigen Verein, der schon 1921 200 000 Mitglieder und 1933 400 000 hatte. In diesen sozialdemokratischen Verein bin ich hineingeboren. Der Arbeiterradfahrerbund hatte 1914 drei große Wohnhäuser am Waldrand gebaut, einen Kilometer von der Stadt entfernt, neben der Fabrik. Es waren die modernsten Häuser weit und breit, mit Bad, Gasbadeofen, fließend warmem Wasser, getrennter Toilette, einem wunderbaren Kachelofen im Wohnzimmer und einer Wohnküche - ganz doll. Gärten waren auch dabei, Schrebergärten. Dort bin ich 1916 geboren, als mein Vater in Galizien im Krieg war." Läßt Robert Becker nicht für den heutigen Leser in dieser kurz skizzierten Milieuschilderung die damaligen Zeitumstände plastisch vor unseren Augen erstehen? Ohne große Schnörkeleien wird "Gemeinwohl" ganz mit den Händen greifbar in der Art, wie Becker die Güte der neu erstellten Wohnhäuser beschreibt. Und dann der geschichtlich bedeutsame Einwurf "... 1916 geboren, als mein Vater in Galizien im Krieg war."

Der Wahrheit die Ehre! - Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, die vergessene 'Judenschutztruppe' der Weimarer Republik lautet der Titel von Robert Beckers Buch, das im Jahre 2000 erschienen ist. In diesem Buch über die Geschichte des Reichsbanners wird die ganz besondere Gabe Beckers deutlich, die Umstände, das Auf und Ab der Geschichte, des heroischen Widerstands und auch des Versagens großer Widerstandsorganisationen und einzelner Persönlichkeiten in der Auseinandersetzung mit den Nazis, eindringlich zu schildern. Immer ist seine Mahnung allgegenwärtig, nicht rasch pauschale Urteile über die damals Handelnden (was heute ja Zeitgeist ist) hinauszuposaunen, sondern die Geschichte wirklich kennenzulernen und sein eigenes heutiges Handeln nach gleichem Maßstab zu beurteilen.

So leitet Becker sein zweites Kapitel "Gedanken über Schuld und Sühne" folgendermaßen ein: "Das Wissen über geschichtliche Vorgänge und Zusammenhänge ist das Licht, das auch die Verstrickungen und Auseinandersetzungen in der menschlichen Gesellschaft der Gegenwart besser erkennen läßt. Erst die Beachtung von Geschichte und Gegenwart läßt die Wege in die Zukunft zum Guten oder zum Schlechten überblicken. Mangelndes geschichtliches Wissen und bedenkliches Teilwissen sind die Hefe für Volksverführer und für Sinn- und Begriffsverdreher. Das macht sich bei dem unglückseligen Schlagwort von der 'deutschen Vergangenheitsbewältigung' ganz drastisch bemerkbar. Es ist fast natürlich, daß dabei gar manche Interessengruppe ihr parteiliches Süppchen kocht, entweder zur Rechtfertigung ihrer eigenen Sünden oder zur eigenen Verherrlichung, wozu man sich die passenden Rosinen aus der jüngsten deutschen Geschichte herauspickt." Diese Mahnung sollten sich alle erneut in der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit - und Gegenwart - sehr zu Herzen nehmen.

So mag man aus vollem Herzen dem Urteil von Emil Bernt, ehemaliger Oberstudiendirektor in Frankfurt und zeitweilig im Kulturpolitischen Ausschuß beim SPD-Vorstand tätig, nur zustimmen und als Wunsch für die nächsten Jahre Robert Becker zuschicken:

"Robert Beckers besonderers Verdienst liegt darin ... (daß) er zeigt, wie in wirtschaftlichen und politischen Krisen die Unkenntnis historischer Zusammenhänge und die Hybris der politisch Handelnden ebenso wie Unwissenheit, Gleichgültigkeit, ja Feigheit der Bürger die Krise befördern und Demokratie zerstören können. Robert Beckers Buch ist Aufklärung im besten Sinne und sollte besonders der Jugend ein Schulbuch sein."

Erinnern wollen wir noch an einen weiteren Beitrag für die Neue Solidarität aus Robert Beckers Feder - insgesamt waren es über die Jahre viel mehr: Unter dem Titel "Sowjetunion und Sozialismus" erschienen in Nr. 18-24/2001 seine Memoiren aus russischer Kriegsgefangenschaft, die, in den fünfziger Jahren brillant geschrieben, nie veröffentlicht worden waren. Warum nicht? Vielleicht paßten sie trotz aller Kritik an der Sowjetdiktatur schlecht in den Kalten Krieg - denn Robert Becker schildert darin russische Menschen, die einen mit ironischer Süffisanz, die anderen mit rührender Sympathie. Das ist Zeitgeschichte, die auf Dauer Bestand haben wird.

So wünschen wir von Redaktion und Verlag Robert Becker ein wunderschönes Geburtstagsfest und den Kampfgeist, das unbestechliche Herz und die spitze Feder für viele weitere Lebensjahre.


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