Hartmann: "Es ist ... offensichtlich, daß es hier nicht nur um die Frage geht, ob die BüSo im Wiesbadener Stadtparlament vertreten ist. Viel wichtiger ist etwas Grundsätzliches, nämlich daß hier das Recht des Bürgers, selbst ein kompetentes Urteil darüber zu fällen, welche Parteien er wählen will oder nicht, durch das täuschende und bevormundende Verhalten der Wiesbadener Zeitungen verletzt wurde." Die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung sei dazu berufen, die Interessen dieser Bürger wahrzunehmen und die Bürger vor solchen Wahlmanipulationen zu schützen.
Nicht nur der Wiesbadener Kurier sah sich gezwungen, über die Wahlanfechtung der BüSo zu berichten, auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung brachte am 20. April eine entsprechende Meldung.
Dem hält der Wiesbadener Wahlleiter, Stadtrat Peter Grella, in seinem Ablehnungsbescheid vom 11. Mai entgegen: "Die von Ihnen gerügte Berichterstattung in den Tageszeitungen Wiesbadener Kurier und Wiesbadener Tagblatt stellt keinen derartigen Verstoß gegen diese Grundsätze dar. Sie beziehen sich in Ihrem Einspruch ausschließlich auf den redaktionellen Teil der Zeitungen. Dieser unterliegt der Pressefreiheit [Hervorh. im Original, d. Red.]. Die Pressefreiheit umfaßt die Freiheit, die Grundrichtung einer Zeitung unbeeinflußt zu bestimmen und zu verwirklichen. Bei der Gestaltung des redaktionellen Teils ist die Presse hinsichtlich der Auswahl der Nachrichten und der Verbreitung von Meinungen grundsätzlich frei. Sie ist insoweit nicht zur Neutralität im Wahlwettbewerb der Wahlvorschlagsträger verpflichtet ... Aus der von Ihnen so bezeichneten Monopolstellung des Wiesbadener Kuriers/Wiesbadener Tagblatts und der sich daraus vermeintlich ergebenden einseitigen Berichterstattung läßt sich somit wegen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Pressefreiheit nicht der Tatbestand einer unzulässigen Wahlbeeinflussung herleiten ..." Der Einspruch sei somit zurückzuweisen. Dieser Empfehlung des Wahlleiters folgte die Stadtverordnetenversammlung am 27. April.
Alexander Hartmann kommentierte diese Entscheidung: "In der im Bescheid selbst zitierten Wahlprüfungsvorschrift hessischen Kommunalwahlgesetzes heißt es ausdrücklich: ,... Sind im Wahlverfahren ... gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen, vorgekommen ... so ist die Wiederholung der Wahl anzuordnen.' Auf die Möglichkeit, daß das Verhalten des Kuriers wahlentscheidenden Einfluß hatte, geht der Wahlleiter in seinem Bescheid nicht ein; dieser Punkt wird also nicht bestritten. Somit reduziert sich der Streit auf die Frage, ob das Verhalten der Wiesbadener Medien ein Verstoß gegen die guten Sitten war, oder nicht.
Mit ihrer Entscheidung, den Einspruch zurückzuweisen, erklärt die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung implizit, das Verhalten der Wiesbadener Medien, dem Bürger wahrheitsgemäße Informationen über die Programme und Kandidaten der antretenden Parteien zu verweigern, sei kein Verstoß gegen die guten Sitten.
Damit stellt sie sich selbst ein Armutszeugnis aus. Denn welche Rückschlüsse muß der Bürger hieraus auf die ,Sittlichkeit' seiner Vertreter ziehen - oder zumindestens auf ihren Mut, sich auch mit selbstherrlichen Chefredakteuren anzulegen, wenn das Gemeinwohl es erfordert? Was konnte sie daran hindern, das Vorgehen der Medien für sittenwidrig zu erklären, wenn nicht die Angst, sich dem Unmut der Redaktionen auszusetzen?"
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