Februar 2005:

Tietmeyer verteidigt Stabilitätspakt und Unabhängigkeit der Zentralbanken

Buchbesprechung: Hans Tietmeyer, "Herausforderung Euro - Wie es zum Euro kam und was er für Deutschlands Zukunft bedeutet" (Hanser Verlag 2005).

Europäische Zentralbank
Private Finanzinteressen erhalten von Hans Tietmeyer in dessen neu erschienenem Buch sozusagen eine Anleitung, wie man den letzten Rest Vernunft in der Finanzpolitik auf dem Altar des Monetarismus opfert. Die Zerschlagung der Sozialsysteme, wie durch Hartz IV ist danach nur noch die logische Konsequenz. Die BüSo hatte vor einem knappen Jahr in einem Artikel bereits auf solche Entwicklungen hingewiesen.

Im Bild die Europäische Zentralbank in Frankfurt mit dem Euro-Zeichen als Emblem. Elisabeth Hellenbroich rezensiert.

Der ehemalige Präsident der deutschen Bundesbank (1993-1999) Hans Tietmeyer hat zu Beginn dieses Jahres im Hanser Verlag ein Buch mit dem Titel "Herausforderung Euro - Wie es zum Euro kam und was er für Deutschlands Zukunft bedeutet" herausgegeben. Angesichts der in Europa immer lauter werdenden Kritik an dem "Stabilitätspakt" fühlt sich Tietmeyer möglicherweise persönlich herausgefordert.

Sein Buch liest sich wie eine Replik auf die in Neue Solidarität im Herbst letzten Jahres veröffentlichte Serie über Deutschlands Neocons, und insbesondere auf das Interview, das der ehemalige Staatssekretär im Finanzministerium unter Oskar Lafontaine, Heiner Werner Flassbeck, der Neuen Solidarität im Herbst 2004 gab. Flassbeck erklärte damals, daß die Bundesbank unter Tietmeyer entscheidend verantwortlich war für den "Stabilitätspakt", der in Deutschland zu der verheerenden Rezession und wachsenden Arbeitslosigkeit geführt habe.

Das Buch ist ein einziges Plädoyer für eine monetaristische Politik, die nicht von den Regierungen, sondern maßgeblich von einer Gruppe oligarchisch denkender "unabhängiger Zentralbanken" vorgegeben wird. Tietmeyer läßt einige Stationen auf dem Weg in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion Revue passieren: die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951, die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1958, den Abschluß des Maastrichter Vertrages 1992, die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion mit zunächst elf Mitgliedstaaten bis hin zur Erweiterung der Europäischen Union auf insgesamt 25 Mitglieder im Jahre 2004.

Der Weg in die Europäische Währungsunion war von Anfang an von erheblichen Kontroversen - vor allem zwischen Frankreich und Deutschland - gekennzeichnet. Während sich in Frankreich die Entwicklung der Nachkriegszeit "zentralstaatlich" und "merkantilistisch" - orientiert an der staatlichen "Planifikation" - unter erheblicher Beteiligung von Staatsunternehmen vollzog, habe in der Bundesrepublik von Anfang an der "Wettbewerbsgedanke" eine Rolle gespielt.

Der entscheidende Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich war jedoch, wie Tietmeyer hervorhebt, der "von tagespolitischer Einflußnahme unabhängige Status der Zentralbank in Deutschland". Kennzeichnend für die Denkweise Tietmeyers ist ein Grundsatzpapier "Möglichkeiten und Grenzen der staatlichen Planung in der Marktwirtschaft". Er schrieb es 1964 als Reaktion auf eine Debatte über "indikative Planung", die der französische EG-Kommissar Marjolin angeregt hatte, und als Entgegnung auf Marjolins Vorschlag einer am "System der Planifikation" orientierten gesamteuropäischen Wirtschaftsentwicklung, den damals Walter Hallstein unterstützte. "Die Marktwirtschaft ist ein durch Wettbewerb und nicht durch staatliche Programmierung zu steuerndes System" schrieb Tietmeyer damals. Auch eine nur "indikative staatliche oder kollektive Sektorenprogrammierung steht im Widerspruch zum Wettbewerbsprinzip".

Tietmeyer gegen Schmidt und Delors

Auf dem Weg in die Europäische Währungsunion setzte sich die von Tietmeyer und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vertretene monetaristische Konzeption durch, die auf dem Axiom eines von der Politik völlig unabhängigen Zentralbankensystems beruht. Die Weichen für eine Wende wurden 1982 gestellt. Damals wurde Bundeskanzler Helmut Schmidt gestürzt. Tietmeyer läßt unerwähnt, daß er als Ko-Autor des berüchtigten "Lambsdorff-Papiers" einen wesentlichen Anteil an der Auflösung der sozialliberalen Regierungskoalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte.

In einem offenen Brief an Tietmeyer in der Wochenzeitung Die Zeit vom 8. November 1996 warf Schmidt Tietmeyer vor, er habe mit seiner monetaristischen Politik eine Abwendung vom demokratischen Sozialstaat im Sinne des Artikels 20 des Grundgesetzes gewollt und stellte die Frage: "Hat uns 1930/31/32 nicht schon mal eine Leitung der Reichsbank, Ihre Vorgängerin, wegen monomaner deflationistischer Ideologie ins Unglück massenhafter Arbeitslosigkeit gestürzt, mit grauenhaften politischen Folgen?"

Nach dem Sturz von Helmut Schmidt sei eine neue CDU/FDP Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl an die Macht gebracht worden, schreibt Tietmeyer, "mit einem neuen Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, sowie dem im Amt verbliebenen Bundeswirtschaftsminister Graf Otto Lambsdorff... Otto Graf Lambsdorff setzte in der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf einen Kurs der marktwirtschaftlichen Erneuerung und der fiskalischen Disziplin in der Bundesrepublik. Ich selbst wurde nach mehr als 20jähriger Tätigkeit im Bundeswirtschaftsministerium in das Bundesministerium der Finanzen berufen und dort mit dem Amt des Staatssekretärs für finanzpolitische Grundsatzfragen und internationale Aufgaben betraut. Dazu gehörte auch die Zuständigkeit für europäische Währungsfragen."

Tietmeyer berichtet, daß 1984 die Kommission unter Leitung von Jacques Delors konkrete Vorschläge für die Verwirklichung und den Ausbau des europäischen Binnenmarktes machte. "In Deutschland gab es insbesondere seitens der Bundesbank, aber auch im Bundesministerium der Finanzen Widerstand gegen diese Kommissionsvorschläge für den Währungsbereich. Wir befürchteten, daß die von der Kommission vorgeschlagene Vertragsergänzung zu einer Einschränkung der politischen Unabhängigkeit der Bundesbank und institutionell nur zu einer Europäischen Währungsfonds-Lösung, nicht aber zu einer solide konstruierten Wirtschafts- und Währungsunion führen werde. Minister Stoltenberg und ich konnten in internen Gesprächen auch den Bundeskanzler von unseren Einwänden überzeugen. Der von der Kommission vorgelegte Vertragstext zielte nämlich primär auf eine stärkere Kompetenz der politischen Gemeinschaftsorgane in der Währungspolitik und somit auf eine Einengung der Autonomie der nationalen Notenbanken, ohne jedoch die weitergehende inhaltliche und institutionelle Ausgestaltung der letztlich auch von deutscher Seite angestrebten Wirtschafts- und Währungsunion festzulegen", heißt es bei Tietmeyer.

Die Vorschläge Delors' hätten eben nicht auf Festlegung einer "politisch unabhängigen Europäischen Zentralbank" abgezielt. Vielmehr ermöglichten sie Eingriffe in die Zuständigkeiten und damit in die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken ohne vorherige Ratifizierung durch die nationalen Parlamente bzw. durch nationale Referenden. "Genau diesen Weg hatte die deutsche Seite seit den Verhandlungen über den Bericht der Werner Gruppe im Jahre 1970 stets abgelehnt." 1988 schrieb Finanzminister Stoltenberg ein Memorandum, das ausdrücklich von der Leitung der Bundesbank unterstützt wurde. "Dieses Stoltenberg-Memorandum", schreibt Tietmeyer, plädierte - der traditionellen deutschen Position entsprechend - zunächst vor allem für weitere überzeugende Konvergenzfortschritte in der EG hinsichtlich der Inflationsbekämpfung und der Reduzierung der Budgetdefizite. Die Konvergenz müsse sich zudem zunächst unter den Bedingungen einer tatsächlichen Liberalisierung des Kapitalverkehrs bewähren, wie sie im Binnenmarktprogramm vorgesehen sei.

Die Dinge beschleunigten sich nach der historischen Wende 1989 und dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Straßburg im Dezember 1989, auf dem die Einberufung einer Regierungskonferenz für Vertragsverhandlungen zur Währungsunion gefordert wurde. Tietmeyer arbeitete 1990 im Währungsausschuß des Finanzministeriums und er war im Ausschuß der Notenbankgouverneure als Vertreter Pöhls an den dortigen Beratungen beteiligt.

Wiederholt verweist Tietmeyer auf die Rolle der BIZ und die hervorragende "fachliche Vorarbeit", die im Währungsausschuß in Basel für spätere Regierungsverhandlungen geleistet wurde. Zusammen mit Horst Köhler habe er damals wichtige Überzeugungsarbeit geleistet: "In Basel wurde über die Struktur der europäischen Zentralbank bzw. des europäischen Zentralbanksystems gesprochen - über die Festlegung von Kriterien für nicht monetäre Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und ihre Überwachung, wobei es insbesondere um die nachhaltige Sicherung der notwendigen Fiskaldisziplin ging, sowie die Rolle und Ausgestaltung der zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion." Vorrangig war die Preisstabilität, die Mitwirkung bei der Sicherung der Stabilität des Finanzsystems sowie die politische Unabhängigkeit der Zentralbank und ihre föderative Struktur. Tietmeyer schreibt: "Horst Köhler und ich [haben] nachdrücklich auf eine eindeutige Klärung insbesondere im Thema Unabhängigkeit der ESZB gedrängt." Dabei genüge es nicht, nur die Europäische Zentralbank mit eindeutiger Unabhängigkeit auszustatten. Auch die nationalen Zentralbanken müßten einen garantierten Unabhängigkeitsstatus erhalten.

Das Maastrichter Regelwerk

Auf dem Maastricht-Gipfel am 9.-10. Dezember 1991 setzte sich Tietmeyers Vorschlag für ein Konvergenzprogramm der Mitgliedstaaten und ihre regelmäßige Überprüfung durch die Gemeinschaft durch. Am 16. Juni 1997 folgte in Amsterdam die formelle Verabschiedung des "Stabilitäts- und Wachstumspakts" durch die Staats- und Regierungschefs. Dabei habe der Stabilitätspakt - wie Tietmeyer hervorhebt - "die schon im Vertrag vorgesehene gemeinsame Überwachung der nationalen Fiskalpolitik zweifellos konkretisiert und verschärft... Und zusätzlich ist dadurch wohl auch eine gewisse Stärkung des öffentlichen Bewußtseins für die Bedeutung einer nachhaltigeren fiskalischen Stabilität für die Währungsunion erreicht worden. Insoweit war schon die Verabschiedung des Paktes eine wichtige zusätzliche Weichenstellung."

Dennoch muß Herr Tietmeyer am Schluß seines Buches feststellen, daß das von ihm auf den Weg gebrachte "Regelwerk" Maastricht und der Stabilitätspakt in den letzten Jahren zu "negativen Entwicklungen" im Euroraum geführt haben. Die Schuld für die anhaltenden Wachstumsschwächen und die hohe Arbeitslosigkeit gibt er natürlich den Regierungen, die immer noch nicht rigoros genug notwendige "Strukturreformen" durchsetzten: "In den besonders wachstumsschwachen Euro-Ländern behindert zumeist eine Vielfalt von Regulierungen und Abgabenbelastungen die notwendige wirtschaftliche Innovation und neue Dynamik. Oft engen auch rigide Vorschriften sowie detaillierte Tarif- und Arbeitszeitvereinbarungen die notwendige neue Flexibilität an den Arbeitsmärkten übermäßig ein. Darüber hinaus tragen die Bildungssysteme bisher den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen sowie wirtschaftlichen und technologischen Anforderungen vielfach nicht genügend Rechnung. Hinzu kommt, daß die zunehmend deutlicher werdenden demographischen Veränderungen in einer Reihe von Ländern ihre bisherigen sozialpolitischen Transfersysteme immer weniger finanzierbar machen und - bei den geltenden Regeln - vielfach den Faktor Arbeit übermäßig verteuern. All dies hat dazu beigetragen, daß - entgegen vieler Erwartungen - die Währungsunion bisher insgesamt nicht zu einer erkennbaren Stärkung des Wachstumstrends und zu neuer Dynamik geführt hat. Im Gegenteil. Das Euro-Gebiet ist eher zurückgefallen."

Fazit: "Die bisherigen Politikkorrekturen reichen noch nicht aus. Die Reformpolitik muß in den nächsten Jahren verstärkt fortgesetzt werden, so schwierig ihre Durchsetzung auch ist." Denn "eine weitere Erosion der Fiskaldisziplin ... könnte nicht nur das Vertrauen in die Beständigkeit gemeinsam vereinbarter Regeln, sondern auch den Zusammenhalt der Länder in der Währungsunion sowie die für eine neue Wachstumsdynamik notwendige Verbesserung der künftigen Rahmenbedingungen erheblich gefährden... Aufweichungen des Regelwerks selbst, so populär sie kurzfristig sein mögen, könnten sich dagegen für das wirtschaftliche und politische Miteinander in Europa letztlich als kontraproduktiv und gefährlich erweisen." Genau darum sei und bleibe der Euro eine Herausforderung für Europas Zukunft.

Zeichen an der Wand

Vielleicht beschleicht ja Herrn Tietmeyer die dumpfe Ahnung, daß das von ihm so hochgepriesene System ein ebenso schockartiges Ende finden könnte wie das Bretton-Woods-System Anfang der 70er Jahre. In dem ansonsten sehr trocken geschriebenen Buch gibt es eine einzige Stelle, an der Tietmeyer regelrecht emotional wird. Es ist die Stelle, als er das Ende von Bretton Woods schildert. Wenn man seine Beschreibung liest, meint man, er schreibe über das bevorstehende Ende des Systems nach Bretton Woods. Dem Kollaps war eine Schwäche des Dollars vorausgegangen, eine extrem defizitäre US-Handelsbilanz, verbunden mit einem massiven Kapitalabfluß aus dem Dollarraum, so Tietmeyer. Die US-Goldreserven deckten nur noch 15% der US-Schulden ab. Die Bundesbank mußte damals US-Dollar kaufen. Am 5. Mai 1971 wurden die deutschen Devisenbörsen geschlossen.

Tietmeyer über die damalige Krise: "Die Spannungen an den Devisenmärkten verschärften sich noch, als der damalige US-Finanzminister Connally im Sommer 1971 jegliche Abwertung des Dollars öffentlich ablehnte, obgleich alle sachkundigen Analysten immer nachdrücklicher auf den Dollar als das zentrale Krisenpotential hinwiesen. In einer Zehnergruppenkonferenz in Rom habe ich ihn später die noch oft zitierten Worte sagen hören: 'The Dollar is our currency, but your problem.' Überraschend äußerte sich dann am 15. August 1971 auch der amerikanische Präsident Richard Nixon in einer öffentlichen Erklärung... Er hatte sich zur Entscheidung durchgerungen, die Goldeinlösepflicht des Dollars 'vorübergehend' auszusetzen und gleichzeitig ebenso 'vorübergehend' auf alle zollpflichtigen Waren eine zusätzliche Einfuhrabgabe von 10% einzuführen. Die amerikanische Entscheidung, die damals ohne vorherige internationale Konsultation getroffen wurde, wirkte weltweit wie ein Schock. Das internationale Währungssystem hatte damit seinen Anker, die Goldanbindung an den Dollar verloren und es entstand große Unsicherheit, wie das System weiter funktionieren würde... Im März 1973 brach dann das weltweite Fixkurssystem von Bretton Woods endgültig zusammen. Die USA entschied sich, die Dollarparität aufzugeben. Damit war dann auch das 1944 vereinbarte weltweite Fixkurssystem am Ende."


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