Januar 2003: |
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Wahlaufruf
Wenn man den Umfragen der Massenmedien glauben darf, so steht die CDU vor einem gewaltigen Wahlerfolg bei den Landtagswahlen am 2. Februar in Hessen und Niedersachsen, und möglicherweise wird sie in beiden Bundesländern nach der Wahl mit absoluter Mehrheit regieren können. Dies ist jedoch nicht das Verdienst der CDU. Viel wichtiger ist der Vertrauensverlust der Wähler gegenüber der SPD, in deren traditionellen Wählerschichten sich die Erkenntnis ausbreitet, daß die Weltwirtschaft dabei ist, in eine Depression zu stürzen. Und darauf hat die Bundesregierung bisher keine überzeugende Antwort gegeben.
So blieb das Feld der CDU überlassen, die in dieser Situation zwar nicht das moralisch, aber wohl taktisch Richtige tat: Sie ging, was die programmatische Diskussion anging, weitgehend auf Tauchstation und beschränkt sich in der Wahlpropaganda ganz darauf, auf die Unfähigkeit der Regierung hinzuweisen. Sie wartet einfach darauf, daß die Wähler des Gegners zuhause bleiben - was diese, so wie es derzeit aussieht, auch tun werden.
Das ist tragisch, denn bisher deutet nichts darauf hin, daß die CDU die grundsätzlichen Fehler der letzten Jahrzehnte, die ja zum großen Teil unter ihrer Verantwortung eingeleitet wurden, als solche erkannt hätte. Spricht man die Realität des weltweiten Finanzzusammenbruchs an, so wird diese von den Vertretern der CDU energisch abgestritten, und man wird beschuldigt, mit solchen Äußerungen einen Pessimismus zu verbreiten, der die Menschen vom Konsum abhalte. So werde die Wirtschaftskrise herbeigeredet - ein typischer Fall von Realitätsverweigerung. Und auch wenn ein großer Teil der Wähler inzwischen spontan zustimmt, wenn man feststellt, daß das Weltfinanzsystem bankrott ist, so ist die Realitätsverweigerung derer, die meinen, jetzt brauche man eben wieder die CDU, nicht weniger ausgeprägt.
Schon lange ist aus der Partei des dirigistischen Wiederaufbaus der deutsche Wirtschaft eine Partei der "New Economy" geworden. Ganz nach amerikanischem Vorbild versteht sie unter "Wirtschaft" nicht mehr in erster Linie die Industrie - auch wenn sie in dieser Hinsicht noch Lippenbekenntnisse abgibt - sondern den Finanz- und Dinstleistungssektor, und den will man durch noch mehr Deregulierung fördern; ausgenommen von der Deregulierung bleibt nur die innere Sicherheit, hier setzt man - ebenfalls nach dem Vorbild der USA, die man in der Irakfrage mit Nibelungentreue unterstützt - auf "Law and Order".
Von der Rolle des Staats in der Wirtschaft hält man dagegen bei der CDU nichts mehr: noch im Bundestagswahlkampf versprach Ministerpräsident Koch, unter seiner Regierung werde es in der kommenden Legislaturperiode in Hessen keine Großprojekte geben. Konrad Adenauer würde seine Partei nicht mehr wiedererkennen.
Dabei hinkt die CDU, wie üblich, hinter Amerika hinterher - dort hat man nämlich inzwischen auf breiter Front begonnen, die Deregulierung zurückzunehmen, weil sie völlig gescheitert ist - alleine in Kalifornien hat die Deregulierung einen Schaden von 45 Mrd. Dollar angerichtet.
Auch das von Koch angepriesene "Wisconsin-Modell", mit dem die angeblich arbeitsscheuen Sozialhilfeempfänger gezwungen werden sollten, Arbeit anzunehmen, hat sich als Mogelpackung erwiesen - die Sozialhilfeempfänger haben dort immer noch keine Arbeit, weil es für sie gar keine Arbeitsplätze gab, aber Zehntausende wurden von der staatlichen Unterstützung abgeschnitten. Und im derzeitigen amerikanischen Wirtschaftsmodell sind 46 von 50 Bundesländern pleite. Wenn Hessen wieder zahlungsfähig werden soll, so muß man sich von dieser Ideologie gründlich verabschieden. Von einem Ministerpräsidenten, der das nicht einsieht, ist keine Verbesserung der Wirtschaftslage zu erwarten - erst recht nicht, wenn er sich durch eine absolute Mehrheit in seinem Kurs bestätigt sieht.
Aber auch was von der SPD kommt, ist völlig unzureichend. Auch hier ist der Zusammenbruch des Finanzsystems ein Tabu, über das nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Das wenige unter den Konzepten der SDP, das sich als brauchbar bei der Überwindung der Krise erweisen könnte, z.B. die Ausweitung der Mittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau für den Ausbau der Infrastruktur, ist tief im Kleingedruckten des Hartz-Konzeptes und der Mittelstands-Initiative versteckt - entweder, weil die Väter dieser Programme die wahre Bedeutung dieser Maßnahmen nicht erkannt haben, oder, was wahrscheinlicher ist, weil sie wissen, daß eine stärkere Betonung dieser Aspekte Ärger mit Brüssel und mit dem Koalitionspartner einbringen würde. Dazu hat man nicht den Mut.
Um sicherzustellen, daß es da keinen Ärger gibt, will Finanzminister Eichel noch schnell 7% der geplanten Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur kürzen, also ausgerechnet dort, wo die Ausweitung der Investitionen zur Überwindung der Krise am dringendsten notwendig wäre. Wie soll der Wähler unter diesen Bedingungen der SPD zutrauen, daß sie sich zu der notwendigen Kehrtwende aufraffen wird? Die SPD sollte sich zu Herzen nehmen, daß die Weimarer Republik u.a. daran scheiterte, daß die Sozialdemokraten auf Sparpolitik setzten, anstatt den Lautenbach-Plan zu unterstützen!
Mit einer ähnlich entschlossenen Wende in der Wirtschaftspolitik, wie er sie im vergangenen Sommer in der Frage des Irakkrieges vollzog, hätte Schröder vielleicht noch die Wahlen für die SPD retten können: Die Einweihung der Transrapid-Linie in Shanghai war eine Gelegenheit, ein großes Programm zum Wiederaufbau der deutschen Infrastruktur und der deutschen Wirtschaft anzukündigen, in dessen Mittelpunkt der Bau eines gesamtdeutschen - und der Vorschlag eines gesamteuropäischen - Transrapidnetzes hätte stehen können. Dazu hätte sich Berlin zwar vom Maastricht-Vertrag lossagen müssen, aber die große Mehrheit der Deutschen hätte eingesehen, daß mit einem solchen Programm die Massenarbeitslosigkeit überwunden werden kann, und den Kanzler darin unterstützt.
Aber die Gelegenheit wurde verpaßt. Offenbar braucht die SPD erst eine kräftige Ohrfeige vom Wähler, damit sich innerparteilich die Einsicht durchsetzt kann, daß die SPD sich von Maastricht und der nachindustriellen Ideologie - für die die Koalition mit den Grünen symptomatisch ist - verabschieden muß, um politisch zu überleben.
Die Wähler in Hessen und Niedersachsen können ihr mit ihrer Stimme für die BüSo einen deutlichen Fingerzeig geben, in welcher Richtung sie sich künftig orientieren muß. Einen wirtschaftlichen Wiederaufbau wird keine Regierung unternehmen können, an der die Grünen oder die FDP beteiligt sind. Aber eine Landtagsfraktion der BüSo würde der SPD andere Möglichkeiten eröffnen, denn wenn man den grünen Unsinn fallenläßt, der sich ja sowieso nur im SPD-Programm findet, um mit den Grünen koalieren zu können, gäbe es sicherlich genug Gemeinsamkeiten für eine Zusammenarbeit. So könnte von Hessen - über zwanzig Jahre nach Holger Börners unseliger "Vergrünung" - wieder der Anstoß zu einer grundsätzlichen, diesmal gesunden, Wende der deutschen Politik ausgehen.